Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Dr. Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Helga, C***, Angestellte, Wien 5, Mittersteig 4, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Raimund C***, Pensionist, Wien 2, Franzensbrückenstraße 6/1/8/15, vertreten durch Dr. Peter Balogh, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 22. Juni 1989, GZ 15 R 122/89-24, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27. Februar 1989, GZ 16 Cg 226/86-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, dem Beklagten und Widerkläger binnen vierzehn Tagen die mit 6.172,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.028,70 S Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile beantragten in Klage und Widerklage die Scheidung ihrer im Jahr 1970 geschlossenen Ehe wegen schwerer Eheverfehlungen des anderen Teiles. Die Klägerin und Widerbeklagte (im folgenden kurz: Klägerin) wirft dem Beklagten und Widerkläger (im folgenden kurz: Beklagter) Beschimpfungen, Mißhandlungen, Drohungen, Herrschsucht, Aussperrung aus der ehelichen Wohnung und ehewidrige Beziehungen zu einer anderen Frau vor. Der Beklagte machte geltend, die Klägerin habe den ehelichen Verkehr verweigert, ehewidrige Beziehungen zu einem anderen Mann aufgenommen und ihn grundlos verlassen. Sie habe den Haushalt vernachlässigt, sei lieblos gewesen und habe ihn mißhandelt.
Das Erstgericht erkannte auf Scheidung der Ehe und sprach aus, daß beide Streitteile das Verschulden je zur Hälfte treffe. Das Berufungsgericht bestätigte das nur im Verschuldensausspruch von der Klägerin bekämpfte Urteil des Erstgerichtes. Die beiden Vorinstanzen gingen kurz zusammengefaßt von folgenden Tatsachenfeststellungen aus:
Die Ehe verlief bis Ende 1985 im wesentlichen problemlos. Der letzte eheliche Verkehr fand im Dezember 1985 statt. Schwierigkeiten entstanden, als die Klägerin damals wieder berufstätig wurde. Die Klägerin begann, sich immer mehr zu verselbständigen, wozu sicher ihr eigenes Geld beitrug, während sie zuvor vom Beklagten trotz gegebener größerer Leistungsfähigkeit immer nur sehr wenig Haushaltsgeld erhalten hatte. Sie verbrachte jetzt die Freizeit wiederholt allein, auch an Sonntagen, und tat es damit dem Beklagten gleich, der dies auch früher immer schon so gehalten und zB auch allein große Reisen unternommen hatte oder an Sonntagen das Frühstück nicht mit der Familie einnahm, sondern ein Lokal aufsuchte. Der Beklagte verhielt sich auch sehr tyrannisch und schrieb zB der Klägerin vor, ob sie fernsehen dürfe. Es kam wiederholt zu Streitigkeiten zwischen den Streitteilen, bei denen der Beklagte die Klägerin wiederholt aufs ordinärste beschimpfte und mit Mißhandlungen bedrohte, dies jeweils auch vor den beiden ehelichen Kindern. Es kam auch zu gegenseitigen Tätlichkeiten. Die Klägerin lernte bald nach Aufnahme ihrer Berufstätigkeit einen anderen Mann kennen und unterhielt mit ihm ehewidrige und noch vor Beginn des Scheidungsverfahrens auch ehebrecherische Beziehungen. Seit dieser Zeit weigerte sie sich, mit dem Beklagten geschlechtlich zu verkehren.
Am 24. August 1986 kam es wieder zu einem heftigen Streit. Der Beklagte hatte nicht erlaubt, daß die Kinder die Klägerin bei einem Besuch ihrer Eltern begleiten, worauf die Klägerin den Besuch ohne die Kinder machte. Als sie zurückkam, sagte ihr die Tochter, der Beklagte habe inzwischen die ganze Wohnung durchsucht. Die Klägerin vermißt seither ein Sparbuch mit etwas über 60.000 S Einlage und einen Bargeldbetrag von 1.000 S. Als sie den Beklagten zur Rede stellte und Anzeige bei der Polizei erstattete, versetzte er ihr schließlich einen Faustschlag und drohte ihr an, er werde sie nicht mehr in die Wohnung lassen, wenn sie diese verlasse. Die Klägerin ging aber trotzdem nochmals zur Polizei und der Beklagte ließ nun durch seinen Sohn ein anderes Schloß anbringen, sodaß die Klägerin nicht mehr Zutritt zur ehelichen Wohnung hatte. Sie verließ daraufhin den Beklagten und die beiden 1971 und 1972 geborenen ehelichen Kinder und zog zunächst nicht zu ihrem schon erwähnten Freund, sondern ins Frauenhaus und blieb dort bis Mitte Dezember 1986, dann zog sie in die Wohnung ihres Freundes. Für die Klägerin war die Aussperrung aus der ehelichen Wohnung ein willkommener Anlaß, die Ehe zu beenden, und sie brachte auch vier Tage danach die Scheidungsklage ein.
Der Beklagte lernte bald nach dem Wegzug der Klägerin eine andere Frau kennen, die ihm den Haushalt führte und mit der er nach Beginn des Scheidungsverfahrens ehebrecherische Beziehungen begann. In rechtlicher Hinsicht wertete das Erstgericht den bei beiden Teilen erwiesenen Ehebruch und weiters beim Beklagten die Beschimpfungen und Mißhandlungen, das Aussperren der Klägerin und die Unterhaltsvernachlässigung und bei der Klägerin das Verlassen des Beklagten und der ehelichen Kinder, die auch hier erwiesenen Tätlichkeiten und das teilweise alleinige Verbringen der Freizeit als schwere Eheverfehlungen, die etwa von gleichem Gewicht seien. Das Berufungsgericht verwies darauf, daß ein Ausspruch des überwiegenden Verschuldens nur bei einem erheblich schwereren Verschulden des einen Teiles in Betracht komme, woran es aber im vorliegenden Fall fehle. Zwar habe die erste Ursache zur Zerstörung der Ehe der Beklagte durch sein tyrannisches Verhalten gesetzt, die Klägerin habe aber noch vor ihrem Ausziehen aus der Wohnung ein ehebrecherisches Verhältnis begonnen und die Ehe nach einer zwar wiederum nur vom Beklagten zu vertretenden Mißhandlung und Drohung rasch aufgegeben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Revision teilweise nicht von den getroffenen Tatsachenfeststellungen ausgeht. Urteilsfremd ist die Behauptung, der Beklagte habe schon während aufrechter Lebensgemeinschaft ehewidrige Kontakte zu anderen Frauen unterhalten. Den Feststellungen der Vorinstanzen kann auch nicht entnommen werden, daß der Ehebruch der Klägerin für den Fortgang der ehelichen Zerrüttung keinen Beitrag leistete. Auch wenn der Beklagte vielleicht nicht wußte, daß die Klägerin mit einem anderen Mann Beziehungen aufgenommen hatte, so konnte ihm doch nicht entgehen, daß die Klägerin, nachdem sie diese Beziehungen begonnen hatte, auch den ehelichen Verkehr verweigerte.
Ausgehend von den getroffenen Tatsachenfeststellungen versagt die Rechtsrüge.
Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten nur in Betracht kommt, wenn dessen Verschulden erheblich schwerer und der Unterschied so offenkundig ist, daß demgegenüber das Verschulden des anderen Teils fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 48.832 f, 51.658 f, 54.469 f).
Ohne Zweifel hat der Beklagte die Klägerin rücksichtslos behandelt. Er tyrannisierte sie, verweigerte ihr bis zur Aufnahme einer eigenen Berufstätigkeit einen angemessenen Unterhaltsbeitrag und vernachlässigte sie auch durch ein egoistisches Verhalten in der Freizeit. Andererseits ist nicht erwiesen, daß die Klägerin den Beklagten ernsthaft zu einem anderen Verhalten zu bestimmen suchte. Als sich die Klägerin zu emanzipieren begann, berufstätig wurde, eigenes Geld zur Verfügung hatte und die Freizeit gleich dem Beklagten auch allein verbrachte, versäumte sie es, dem Beklagten Gelegenheit zu geben, sich an die neue Situation anzupassen, und stieß den Beklagten dadurch vor den Kopf, daß sie den ehelichen Verkehr verweigerte. Wenn es zu Streitigkeiten kam, wurde auch sie tätlich. Durch die Aufnahme ehewidriger und dann ehebrecherischer Beziehungen zu einem anderen Mann setzte sie den nächsten entscheidenden Beitrag zur Zerstörung der Ehe.
Die für den 24. August 1986 erwiesenen Ereignisse sind dann mehr oder weniger nur mehr eine Folge der schon eingetretenen Zerrüttung. Zwar ist hier wieder ein gewisses Übergewicht im Fehlverhalten seitens des Beklagten festzuhalten, zumal er auch in der Folge nichts unternahm, um die Klägerin zur Rückkehr zu bewegen, sondern selbst sehr bald ehebrecherische Beziehungen zu einer anderen Frau aufnahm. Aber der Klägerin muß doch vorgeworfen werden, daß sie den Beklagten mit den beiden Kindern endgültig verließ und so einen gewissen Schlußpunkt setzte.
Alles in allem kann also der Beitrag, den die Klägerin durch ihr festgestelltes Verhalten zur Zerrüttung der Ehe leistete, nicht so vernachlässigt werden, daß der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens des Beklagten berechtigt wäre.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E19722European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0030OB00606.89.0207.000Dokumentnummer
JJT_19900207_OGH0002_0030OB00606_8900000_000