TE OGH 1990/2/20 4Ob502/90 (4Ob503/90)

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Veröffentlicht am 20.02.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek, Dr. Niederreiter, Dr. Redl und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Friederike M***, geboren am 30. September 1937 in Poggersdorf, Hausfrau, Schlins, Talsperre Nr. 1, vertreten durch Dr. Rolf Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte und widerklagende Partei Karl M***, geboren am 24. Februar 1929 in Satteins, Angestellter, Satteins, Walgaustraße 295, vertreten durch Dr. Guntram Lins, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 10. Oktober 1989, GZ 1 a R 329, 330/89-15, womit infolge Berufung der beklagten und widerklagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 8. Juni 1989, GZ 2 C 84/88-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit S 3.706,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 617,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile, österreichische Staatsbürger, haben am 15. Februar 1985 vor dem Standesamt in Satteins zum zweiten Mal miteinander die Ehe geschlossen. Ihre erste Ehe, die 23 Jahre gedauert hatte und aus der drei mittlerweile volljährige Kinder stammen, war im Jahr 1980 aus dem Verschulden des Beklagten und Widerklägers (im folgenden: Beklagter) geschieden worden. Zur zweiten Eheschließung kam es, weil die Klägerin und Widerbeklagte (im folgenden: Klägerin) bemerkt hatte, daß es mit dem Beklagten "abwärts gehe", sie stellte nämlich fest, daß er des öfteren - und zwar hauptsächlich wegen seines Alkoholkonsums, dessentwegen es zur Scheidung der ersten Ehe gekommen war - krank war. Zunächst hatte sich die Klägerin entschlossen, an den Wochenenden den Haushalt des Beklagten sauber zu machen. Nachdem sie das 9 Monate hindurch getan hatte, ging sie auf Drängen der Kinder und des Beklagten die zweite Ehe ein. Diese Eheschließung erfolgte aus Gründen der Versorgung, zum Wohl der Kinder und auch, um der Klägerin einen Rentenanspruch zu sichern.

Nach der Scheidung der ersten Ehe hatte die Klägerin eine Wohnung gemietet. Bei der (zweiten) Eheschließung erklärte sie eindeutig, daß sie diese Wohnung vorläufig nicht aufgeben und das Haus des Beklagten so gut wie möglich versorgen wolle. Vor und bei der Eheschließung hatten die Parteien zwar keine ausdrückliche Vereinbarung über den Aufenthaltsort getroffen; der Beklagte war jedoch bei Beginn der Ehe damit einverstanden, daß die Klägerin von ihm getrennt wohnte. Die Streitteile und ihre Kinder erwarteten allerdings grundsätzlich ein gemeinsames Zusammenwohnen, und sie strebten es auch an. Die Klägerin machte das Zusammenwohnen davon abhängig, daß der Beklagte seinen Alkoholkonsum einschränke. Der Beklagte hatte vor und nach der zweiten Eheschließung "Alkoholprobleme". Es kam des öfteren - in einem Abstand von zwei bis drei Monaten - vor, daß er durch mehrere Tage hindurch Alkohol trank; er hatte deshalb auch Probleme in seinem Beruf. Die Hoffnung, daß die Klägerin zu ihm ziehen werde, veranlaßte den Beklagten im Herbst 1985 dazu, sich einer Entziehungskur zu unterziehen. Nach dieser Kur verlief die Beziehung zur Beklagten verhältnismäßig gut. Nachdem aber der Beklagte wieder rückfällig geworden war, wurde die Klägerin in ihrer Haltung bestärkt, ihre Wohnung zu behalten; das führte beim Beklagten wieder zu größeren "Alkoholproblemen". Im Juni 1988 erlitt der Beklagte einen Verkehrsunfall und mußte einige Zeit zu Hause bleiben. Da er in dieser Zeit einen relativ hohen Alkoholkonsum hatte, sperrten die Klägerin und die Söhne den Keller ab, um zu verhindern, daß der Beklagte weiter Alkohol zu sich nehme. Da dem Beklagten der Alkohol entzogen war, erlitt er epileptische Anfälle, deretwegen er in das Landesnervenkrankenhaus Valduna überstellt wurde. Im Dezember 1988 stürzte der Beklagte in alkoholisiertem Zustand die Kellerstiege hinunter und mußte sich wegen der dabei erlittenen Verletzungen in das Krankenhaus Feldkirch begeben.

Während der zweiten Ehe wurde der Beklagte drei bis viermal aggressiv und rabiat; er beschimpfte die Klägerin und machte sich über ihre roten Haare lustig; auch das Wort "Hure" fiel. Ferner kam es drei- bis viermal vor, daß der Beklagte die Klägerin aufforderte, aus der Küche oder aus dem Haus zu verschwinden. Zu Beginn der zweiten Ehe hatte die Klägerin jeweils am Dienstag und Donnerstag nach der Arbeit den Haushalt des Beklagten aufgesucht und durch ein halbes bis dreiviertel Jahr hindurch am Wochenende jeweils beim Beklagten übernachtet. Während ihrer Besuche räumte die Klägerin auf und kochte für den Beklagten; an den übrigen Tagen erledigte der Beklagte selbst die Wäsche und die Haushaltsführung. Auf Grund des gesteigerten Alkoholkonsums nach der ersten Alkoholentziehungskur im Jahre 1985 sah sich die Klägerin veranlaßt, an den Wochenenden nicht mehr beim Beklagten zu übernachten, weil sie durch sein Verhalten in ihrer Nachtruhe gestört wurde und es öfter vorkam, daß sie der Beklagte "anstänkerte". Nach dem der Alkoholentziehungskur folgenden Rückfall des Beklagten kam es in weiterer Folge zur endgültigen Zerrüttung der Ehe. Diese Zerrüttung ist jedenfalls seit Dezember 1988 unheilbar. Daß die Klägerin während der Ehe außerehelichen Geschlechtsverkehr gehabt hätte, steht nicht fest.

Seit rund 3 Jahren ist es zwischen den Streitteilen - einerseits wegen des Alkoholkonsums des Beklagten und andererseits deshalb, weil sich die Klägerin nur selten im Haushalt des Beklagten aufhielt - kaum mehr zu sexuellen Kontakten gekommen. Aus der zweiten Ehe stammen keine Kinder.

Mit der Behauptung, daß der Beklagte vor allem dadurch, daß er dem Alkohol zuneige und in alkoholisiertem Zustand unerträglich sei, die Ehe unheilbar zerrüttet habe, begehrt die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Der Beklagte beantragt die Abweisung dieses Klagebegehrens und begehrt seinerseits mit Widerklage die Scheidung aus dem Alleinverschulden der Klägerin. Da sich die Klägerin geweigert habe, mit ihm in einem Haushalt zu leben, habe sie ihre Beistandspflicht verletzt.

Der Erstrichter schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Rechtlich würdigte er den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt dahin, daß beide Parteien Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG zu vertreten hätten. Der Alkoholismus des Beklagten und die damit verbundenen Beschimpfungen der Klägerin seien eine schwere Eheverfehlung. Der Klägerin sei nur vorzuwerfen, daß sie dem Beklagten möglicherweise in seinem Bestreben, dem Alkoholkonsum zu entkommen, nicht genügend beigestanden sei. Daß es in den letzten drei Jahren kaum mehr zu sexuellen Kontakten kam, sei zumindest teilweise darauf zurückzuführen, daß sich die Klägerin kaum im Hause des Beklagten aufgehalten habe. Der Klägerin könne aber nicht angelastet werden, daß sie ihre Wohnung nicht aufgegeben habe, weil sich der Beklagte ja zu Beginn der Ehe damit einverstanden erklärt habe, daß sie weiterhin in ihrer Wohnung bleibe. Bei Abwägung des gegenseitigen Verschuldens ergebe sich somit ein eindeutig überwiegendes Verschulden des Beklagten.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als das Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung. Rechtlich meinte es, daß die Klägerin, der schon bei der Eheschließung die Neigung des Beklagten zum Alkoholmißbrauch bekannt gewesen sei, habe erwarten dürfen, daß der Beklagte diese Neigung so weit wie möglich unterdrücken und damit die Grundlage für ein gedeihliches Zusammenleben schaffen werde, zumal die Eheschließung ein weiteres Abgleiten des Beklagten in den Alkoholismus habe verhindern sollen. Da bei der neuerlichen Eheschließung eine gemeinsame Haushaltsführung - jedenfalls für die Anfangsphase - im Einverständnis des Beklagten nicht vorgesehen gewesen sei, komme der Entwicklung des Alkoholismus des Beklagten bei der Beurteilung des neuerlichen Scheiterns der Ehe ganz wesentliche Bedeutung zu. Das fehlende gemeinsame Zusammenleben möge zwar negative Rückwirkungen auf den Alkoholkonsum des Beklagten gehabt haben; es müsse aber berücksichtigt werden, daß für die Klägerin die Bewältigung des Alkoholproblems durch den Beklagten eine Voraussetzung für die Aufnahme einer echten Lebensgemeinschaft gewesen sei. Das habe auch dem Beklagten klar sein müssen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes und dem Vorbringen des Beklagten könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Alkoholsucht des Beklagten beim Abschluß der zweiten Ehe schon das Ausmaß einer geistigen Störung gehabt habe, die es ihm unmöglich gemacht hätte, sich davon zu lösen; damit sei aber der Alkoholmißbrauch des Beklagten als schwere Eheverfehlung nach § 49 EheG anzusehen. Angesichts der besonderen Umstände, die zur Eheschließung geführt hatten, und des Gewichtes, das dem Alkoholismus des Beklagten für das Scheitern der Ehe beizumessen sei, komme dem Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe ein deutliches Übergewicht zu. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin geschieden werde.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Da die Vorinstanzen zu allen Parteibehauptungen Feststellungen getroffen haben, haftet ihren Urteilen auch kein rechtlicher Feststellungsmangel an. Der Beklagte hält weiterhin an seiner Ansicht fest, daß ihm die Klägerin seine Neigung zu übermäßigem Alkoholkonsum nicht vorwerfen könne, weil ihr diese Neigung bekannt gewesen und in der Ehe nur das eingetreten sei, was bei der Eheschließung ohnehin zu erwarten gewesen sei. Dem ist nicht zu folgen:

Wie schon das Berufungsgericht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, kommt dem Umstand, daß einem Ehepartner bei der Eheschließung die Neigung des anderen zum Alkoholmißbrauch bekannt war, keine Bedeutung zu, weil jeder Ehegatte vom Ehepartner erwarten darf, daß dieser Neigungen, die ein gedeihliches Zusammenleben stören, so weit wie möglich unterdrückt (EFSlg 48.731 mwN; 51.582).

Alkoholmißbrauch ist nach ständiger Rechtsprechung eine schwere Eheverfehlung vom Gewicht eines Scheidungsgrundes (EFSlg 43.610 mwN; 51.581, 54.360). Daß es sich bei ihm um eine (psychische) Krankheit handle, hat der Beklagte in erster Instanz nicht geltend gemacht; dort hat er vielmehr seinen Alkoholismus zunächst überhaupt in Abrede gestellt (S. 9) und dann behauptet, er habe sich erfolgreich einer Entziehungskur unterzogen (S. 21). Damit hat er aber zum Ausdruck gebracht, daß es sehr wohl in seinem Willen gelegen sei, ob er Alkoholmißbrauch treibt oder sein Verlangen beherrscht.

Nach der Meinung des Beklagten treffe die Klägerin das weitaus überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe, weil sie es abgelehnt habe, mit ihm gemeinsam zu wohnen. Dem ist zu erwidern, daß der Beklagte selbst - nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen - bei der Eheschließung damit einverstanden war, daß die Klägerin (weiterhin) von ihm getrennt wohnte. Die Klägerin war auch zur Aufnahme eines gemeinsamen Haushaltes bereit; sie machte das aber davon abhängig, daß der Beklagte weniger Alkohol zu sich nehme. Da der Beklagte diese Voraussetzung nicht erfüllt hat, kann der Klägerin nicht der Vorwurf einer so schweren Eheverfehlung gemacht werden, daß ihr Verschulden das des Beklagten überstiege. Nur ein nicht einverständliches und dauernd getrenntes Wohnen ohne Gründe, die dem des § 92 Abs 1 ABGB gleichwertig sind, könnte als schwere Eheverfehlung gewertet werden (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 1 a zu § 49 EheG). Nach § 90 EheG sind zwar die Ehegatten zum gemeinsamen Wohnen verpflichtet; ein Ehegatte kann aber gemäß § 92 Abs 2 ABGB vorübergehend gesondert Wohnung nehmen, solange ihm ein Zusammenleben mit dem anderen Ehegatten unzumutbar oder die Trennung aus wichtigen persönlichen Gründen gerechtfertigt ist. Solange die Klägerin keine Gewähr dafür haben konnte, daß sich der Beklagte endgültig von seinem Alkoholismus befreit hat, konnte sie mit guten Gründen an dem - zunächst auch vom Beklagten

zugestandenen - getrennten Wohnen festhalten. Zunächst hatte sie ohnehin an den Wochenenden beim Beklagten übernachtet; sobald aber der Beklagte nach einer Alkoholentziehungskur rückfällig geworden war und die Klägerin in ihrer Nachtruhe gestört und beschimpft hatte, war es der Klägerin tatsächlich nicht mehr zumutbar, ihre eigene Wohnung aufzugeben und zum Beklagten zu ziehen. Bei der Verschuldensabwägung im Sinne des § 60 Abs 2 EheG kommt es nicht auf eine Gegenüberstellung der einzelnen von den Ehegatten begangenen Verfehlungen an, sondern auf ihr Gesamtverhalten in seinem Zusammenhang (EFSlg 43.684, 51.642, 54.454, 54.455 uva.). Das überwiegende Verschulden eines Teils ist (nur) dann auszusprechen, wenn sein Verschulden erheblich schwerer wiegt als das des anderen; der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile muß augenscheinlich hervortreten (EFSlg 43.692, 51.660, 54.470 f.). Vor allem aber ist darauf Bedacht zu nehmen, welcher Ehegatte die Zerrüttung der Ehe schuldhaft eingeleitet hat und wie weit spätere Eheverfehlungen des einen Ehegatten Folge der bereits durch das Verschulden des anderen Gatten heraufbeschworenen Zerrüttung der Ehe waren (EFSlg 43.678, 51.645, 54.456). Wendet man diese Grundsätze hier an, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das Verschulden des Klägers, der dem Alkohol übermäßig zuspricht und im Zustand der Alkoholisierung die Klägerin des öfteren beschimpft und der Wohnung (des Hauses) verwiesen hat, das Verschulden der Klägerin bei weitem übersteigt, war doch die ihr vom Beklagten angelastete Weigerung, mit ihm gemeinsam zu wohnen, die Folge und nicht die Ursache seines Alkoholmißbrauches. Die Revision mußte somit erfolglos bleiben.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E20283

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0040OB00502.9.0220.000

Dokumentnummer

JJT_19900220_OGH0002_0040OB00502_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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