Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kurt R***, Immobilienmakler, Innsbruck, Maria Theresien-Straße 34, vertreten durch Dr.Karl Eppacher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1) Helmut T***, Kaufmann, Mutters, Burgstall Nr 2, 2) Ulf T***, Kaufmann, Hall i.T., Triendlgasse 30,
3) Klaus T***, Kaufmann, Birgitz 27 a, 4) Gerhard T***, Kaufmann, Innsbruck, Höttinger-Gasse 23 b, sämtliche vertreten durch Dr.Heinz Knoflach, Dr.Eckart Söllner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert S 77.400) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 12.September 1989, GZ 3 a R 327/89-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 22.März 1989, GZ 11 C 754/88 d-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 5.555,52 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 925,52 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die nunmehrigen Beklagten sind Eigentümer des Hauses Innsbruck,
Maria Theresien-Straße 34. Der Kläger war Mieter von ihm zweiten
Stock gelegenen Geschäfts- und Büroräumen (sechs Zimmer samt
Nebenräumen). Mit zwei zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung
verbundenen Klagen (11 C 609/86 und 11 C 1013/86 des Erstgerichtes)
begehrten die Beklagten vom Kläger die Bezahlung des
Mietzinsrückstandes von S 171.942,13 und gemäß § 1118 ABGB die
Räumung der gemieteten Geschäftsräume. Der Kläger machte
Mietzinsminderung wegen verminderter Benützbarkeit des
Bestandobjektes infolge von Umbauarbeiten am Gebäude geltend. In der
Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 10.4.1987 schlossen
die Parteien nachstehenden gerichtlichen Vergleich: "1. Der Beklagte
verpflichtet sich, den Klägern zu Handen ihrer Vertreter einen
Betrag von S 100.000 in Form von drei gleichen Raten......zu
bezahlen, wobei bei Nichtbezahlung einer Rate Terminsverlust
vereinbart wird.
2. Der Beklagte verpflichtet sich weiters, das Geschäftslokal in
6020 Innsbruck, Maria Theresien-Straße 34 zweiter Stock, bestehend
aus sechs Zimmern.......bis zum 31.5.1987 von sämtlichen nicht in
Bestand gegebenen Fahrnissen zu räumen und den Klägern geräumt zu
übergeben.
3. Im Gegenzug dazu vermieten die Kläger an den Beklagten ein
Geschäftslokal in der Maria Theresien-Straße 34, 3.Stock,
südwestseitig, bestehend aus 2 1/2 Zimmern.......ab dem 1.6.1987 zu
einem monatlichen und angemessenen Nettomietzins von S 4.500
zuzüglich Mehrwertsteuer in derzeitiger Höhe von 10 % zuzüglich
einem Betriebs- und Heizkostenakonto von monatlich S 1.500 zu einem
Bruttomietzins von insgesamt S 6.450 wertgesichert. ......auf ein
Jahr. Der Beklagte verpflichtet sich, in diesem Zusammenhang
gleichzeitig bis zum 31.5.1988 das somit angemietete Bestandobjekt
im 3.Stock der Maria Theresien-Straße 34 in Innsbruck, bestehend aus
2 1/2 Zimmern......den Klägern von allen nicht in Bestand gegebenen
Fahrnissen geräumt zu übergeben, dies unter Verzicht auf jeglichen Räumungsaufschub auch im Sinn des MRG. Gleichzeitig verpflichtet sich der Beklagte, eine allfällige Vergebührung dieser Mietvereinbarung zu übernehmen und diesen Betrag zu entrichten.
4. Der Beklagte verpflichtet sich bei Einzug in die angemietete Wohnung im 3.Stock eine Bankgarantie eines inländischen Bankinstitutes über einen Betrag von S 80.000 beizubringen, ansonsten das Bestandobjekt nicht übergeben werden muß. Damit sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Streitteile betreffend das Bestandobjekt im vorliegenden Rechtsstreit im Haus Maria Theresien-Straße 34 im 2.Stock wechselseitig abgegolten."
Mit dem Vergleich, der eine rein kaufmännische Entscheidung des Klägers darstellte, waren für beide Teile Vorteile gegeben. Die Vermieter bekamen einen Räumungsvergleich, der Mieter einen Mietnachlaß von mehr als S 70.000 sowie ein Übergangslokal, um sich ein neues zu suchen, womit beiden Parteien gedient war. Dem Mieter ging es bei Abschluß des Vergleiches darum, die finanziellen Verluste jedenfalls so gering wie möglich zu halten und die Vermieter dazu zu bewegen, auf einen erheblichen Teil ihrer berechtigten Mietzinsforderungen zu verzichten. Er ging davon aus, daß das Verfahren mit seiner Verurteilung zur Räumung und Bezahlung des Rückstandes geendet habe. Bei Abschluß des Vergleiches wurde zwischen den Streitteilen auch erörtert, daß mit 31.Mai 1988 jedenfalls jede Beziehung im mietrechtlichen Sinn beendet sein sollte. Aus diesem Grund war der Kläger auch einverstanden, auf jeden Räumungsaufschub zu verzichten. Der Kläger räumte die im
2. Stock gelegenen Räume am 29.6.1987. Er erhielt am selben Tag die Schlüssel zu den Räumen im 3.Stock. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 20.6.1988, 11 C 609/86-18, wurde den Beklagten aufgrund des gerichtlichen Vergleiches vom 10.4.1987 die Räumungsexekution der im
3. Stock des Hauses gelegenen, vom Kläger benützten Räumlichkeiten bewilligt. Mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 14.10.1988, 2 a R 429, 508/88-27, wurde die Räumungsexekution gegen Erlag einer Sicherheitsleistung von S 80.000 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die vom Kläger auf Ungültigkeit bzw Unwirksamerklärung des Exekutionstitels eingebrachte Klage aufgeschoben. Die Sicherheitsleistung wurde anläßlich des Räumungstermines vom 1.2.1989 erlegt. Der Kläger begehrt den Ausspruch, daß der im gerichtlichen Vergleich vom 10.4.1987 geschlossene Räumungsvergleich über die im
3. Stock des Hauses Innsbruck, Maria Theresien-Straße 34 gelegenen Räume unwirksam sei, sodaß den Beklagten ein Vollstreckungsanspruch nicht zustehe. Ein vor oder gleichzeitig mit dem Mietvertrag abgeschlossener Räumungsvergleich sei unwirksam, weil er die vom Gesetz geschützte Vertragsfreiheit des Mieters aufhebe. Der in der Tagsatzung am 10.4.1987 abgeschlossene Räumungsvergleich sei daher unwirksam. Obwohl es für den Kläger nicht sicher gewesen sei, daß er im Räumungsprozeß unterliegen werde, habe er eine Entscheidung über einen sofortigen Räumungsvergleich zu treffen gehabt, sodaß dieser Vergleich für die Wohnung im 3.Stock nicht in der für eine Vertragsfreiheit erforderlichen Form, sondern unter erheblicher Beeinträchtigung seiner Willensbildung erfolgt sei. Die Beklagten wendeten ein, der Vergleich vom 10.4.1987 sei rechtmäßig, frei von jeglichen Mängeln und Irrtümern und gültig zustandegekommen. Dem Kläger komme keine mietrechtliche Schutzwürdigkeit zu.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, der Vergleichsvorschlag sei vom Kläger ausgegangen. Auf den Kläger sei weder von den Beklagten noch von anderen Personen Druck ausgeübt worden, den Vergleich abzuschließen. Der Kläger selbst sei es gewesen, der immer wieder auf den Abschluß des Vergleiches gedrängt habe. Es sei nicht feststellbar, daß der Kläger den gerichtlichen Vergleich unter Druck wegen eines anhängigen Strafverfahrens und allfälliger Zeitungsberichte abgeschlossen habe. Gegenstand der Vergleichsgespräche sei nur das zu vergleichende Verfahren selbst gewesen. Der Kläger selbst habe auf den Abschluß des Vergleiches gedrängt, um diese Streitsache aus der Welt zu schaffen und sich zur Gänze dem anhängigen Strafverfahren widmen zu können. Der Abschluß des Vergleiches sei jedenfalls im überwiegenden Interesse des Klägers erfolgt. Den Beklagten sei es darum gegangen, einen Räumungstitel gegen den Kläger zu erwirken. Die Vermietung des Objektes im 3.Stock an den Kläger samt Abschluß eines Räumungsvergleiches sei nur deswegen erfolgt, um dem Kläger eine Übergangslösung zu ermöglichen, damit er noch ein Jahr Zeit habe, sich nach einem anderen Objekt umzusehen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige, die Revision erklärte es für zulässig. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Die Auflösung eines Mietvertrages durch Zeitablauf nach § 29 Abs 1 Z 3 lit b und c MRG sei ausschließlich auf Wohnungen aller Art, nicht aber auf Geschäftsräume anzuwenden. Es entspräche auch der ständigen Rechtsprechung, daß § 29 Abs 1 Z 3 und § 29 Abs 3 MRG nicht ausschließe, daß der Mieter vor Ablauf des Mietvertrages die Verpflichtung übernehme, das Mietobjekt zu einem bestimmten Termin zu räumen, wobei die Absicht des Gesetzes dahin gehe, den Mieter gegen eine einseitige willkürliche Auflösung des Mietvertrages durch den Vermieter sowie gegen alle Umgehungshandlungen, mit denen dasselbe Ergebnis erreicht werden solle, zu schützen. Wo das Bedürfnis eines Schutzes des Mieters nicht bestehe, sei die Vertragsfreiheit nicht aufgehoben. Insbesondere dürfe der Mieter bei der einvernehmlichen Auflösung des Mietverhältnisses nicht unter Druck gestanden sein. Nun treffe es zwar zu, daß der Mietvertrag über das Geschäftslokal im 3.Stock am 10.4.1987 abgeschlossen worden sei. Bei der rechtlichen Beurteilung sei aber von der Gesamtsituation auszugehen. Demnach habe der Kläger über ein kündigungsgeschütztes Mietlokal im 2.Stock des Hauses verfügt. Der Kläger wäre nicht gehalten gewesen, über dieses Bestandojekt einen Räumungsvergleich zum 31.5.1987 abzuschließen, er hätte vielmehr versuchen können, seinem Prozeßstandpunkt durch entsprechende Beweismittel Nachdruck zu verleihen. Er hätte jedenfalls den rechtskräftigen Ausgang dieses Verfahrens abwarten können und bis zur Entstehung eines allfälligen Räumungstitels über seine Büroräumlichkeiten im 2.Stock verfügen können. Wenn er sich von seinem kaufmännischen Instinkt habe leiten lassen und gegen einen Mietnachlaß von über S 70.000 sich mit einem kleineren Lokal im selben Haus für ein Jahr zufriedengegeben habe, so sei dies seine private Entscheidung. Von einem Druck auf den Kläger oder einer Zwangslage könne keine Rede sein. Die Vorgangsweise des Klägers sei nicht anders zu beurteilen als wenn er im Wege eines Räumungsvergleiches auf einzelne Teile des ursprünglich erheblich größeren Bestandobjektes verzichtet hätte, wobei für das verbleibende Bestandobjekt naturgemäß auch ein geringerer Mietzins zu entrichten gewesen wäre. Das Geschäftslokal im 3.Stock stelle lediglich ein Surrogat für jenes im 2.Stock dar. Es sei im Zusammenhang mit diesem und nicht losgelöst von demselben zu sehen. Damit sei aber die Vertragsfreiheit nicht aufgehoben gewesen. Es könne der Räumungsvergleich in Ansehung des Bestandobjektes im
3. Stock nicht als Umgehungshandlung bezeichnet werden, die das Kündigungsrecht der Vermieter hätte erweitern sollen. Es habe sich lediglich um einen Ersatz für das Altobjekt gehandelt, das der Kläger bereits seit zehn Jahren in Bestand gehabt habe und über das er auch rechtswirksam mit einem Räumungsvergleich hätte verfügen können. Daraus folge die Rechtswirksamkeit des Punktes 3 des Räumungsvergleiches.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.
Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung, daß die Kündigungsbeschränkungen des Mietrechtsgesetzes nicht durch eine vor oder gleichzeitig mit Abschluß des Mietvertrages getroffene Räumungsverpflichtung umgangen werden können, sodaß eine solche Verpflichtung unwirksam wäre (WoBl 1989/31; MietSlg 35.343 ua;
Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht19 Rz 9 zu § 29 MRG). Ein solcher
Fall liegt hier aber nicht vor. Der Kläger war bereits Mieter von
Geschäftsräumlichkeiten im 2.Stock des Hauses der Beklagten. Gegen
ihn war ein Mietzins- und ein auf § 1118 ABGB gestütztes
Räumungsverfahren anhängig. Aus rein kaufmännischen Erwägungen
entschloß sich der Kläger mit den Hauseigentümern am 10.4.1987 einen
Räumungsvergleich abzuschließen, der beiden Teilen Vorteile bringen
sollte. Der Kläger erreichte einen Mietnachlaß von mehr als
S 70.000. Er hatte zwar das gemietete Lokal zu räumen, es wurde ihm
aber für die Dauer eines Jahres im selben Haus ein anderes
(kleineres) Geschäftslokal zur Verfügung gestellt. Mit diesem
Vergleich vom 10.4.1987 wurde entgegen der im Text gewählten
Formulierung kein völlig neuer Mietvertrag abgeschlossen, sondern
nur der bestehende Mietvertrag im Hauptgegenstand (vermietete Räume
und zu zahlender Mietzins) noviert (vgl Ehrenzweig-Mayrhofer,
Schuldrecht, Allgemeiner Teil3 636). Die Novation begründet zwar
nach § 1377 ABGB eine eigene (neue) Verbindlichkeit, doch st diese
von der bisher bestehenden nicht unabhängig (Koziol-Welser8 I 271;
Ertl in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 1377). Bei der Beurteilung, ob durch
den gerichtlichen Vergleich vom 10.4.1987 gegen zwingende
Kündigungsschutzbestimmungen des Mietrechtsgesetzes verstoße wurde,
ist daher auf die Zulässigkeit einer einvernehmlichen Auflösung des
ursprünglich bestandenen Mietverhältnisses abzustellen. In einem
solchen Fall wird von der Rechtsprechung eine Umgehung der
Kündigungsschutzbestimmungen des Mietrechtsgesetzes nur dann
angenommen, wenn der Mieter bei dieser einvernehmlichen Auflösung
unter Druck gestanden ist, seine Privatautonomie daher entscheidend
eingeschränkt war (MietSlg 35.343 mwN; zuletzt 2 Ob 580/87). Dies
ist aber nach den getroffenen Feststellungen auszuschließen.
Der Revision ist der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E19699European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0010OB00717.89.0221.000Dokumentnummer
JJT_19900221_OGH0002_0010OB00717_8900000_000