Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andreas Franz K***, geboren am 28. März 1958 in Graz, Angestellter, Graz, Lessingstraße 3, vertreten durch Dr. Guido Lindner, Rechtsanwalt in Gleisdorf, wider die beklagte Partei mj. Alessandro Andrea Franz K***, geboren am 20. September 1987 in Klagenfurt, im Haushalt seiner Mutter Elisabeth K***, Werkerzieherin, Graz, Keplerstraße 47, vertreten durch den Magistrat Graz, Amt für Jugend und Familie, als pflegschaftsgerichtlich bestellter Widerstreitsachwalter wegen Ehelichkeitsbestreitung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 3. Oktober 1989, GZ 2 R 395/89-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 8. Juni 1989, GZ 29 C 45/89-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird stattgegeben. Das angefochtene Urteil und das Urteil erster Instanz werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind Kosten des zu ergänzenden Verfahrens.
Text
Begründung:
Das beklagte Kind wurde am 20. September 1987 geboren. Seine Mutter war im Dezember 1981 mit dem Kläger die Ehe eingegangen. Diese Ehe bestand über den Zeitpunkt der Geburt des Kindes hinaus aufrecht. Das Kind gilt daher nach der Vermutung des § 138 Abs 1 ABGB als eheliches Kind des Klägers. Zur Widerlegung dieser Vermutung überreichte er am 19. April 1989 (gleichzeitig mit einer gegen die am 22. November 1984 geborene Schwester des Beklagten gerichteten Klage) die Ehelichkeitsbestreitungsklage. Nach den Klagsbehauptungen habe der Kläger während der Empfängniszeit seiner Ehefrau, von der er schon seit Jahren getrennt gelebt habe, nicht beigewohnt. In der kritischen Zeit habe die Mutter des beklagten Kindes vielmehr ausschließlich mit einem Mann geschlechtlich verkehrt, der auch bereit sei, seine Vaterschaft anzuerkennen. Über die Wahrung der Bestreitungsfrist nach § 156 ABGB unterließ der Kläger zunächst jede Behauptung. Im Zuge des Rechtsstreites brachte er unter Berufung auf eine mit 1. März 1989 datierte schriftliche Erklärung seiner Ehefrau vor, erst in diesem Zeitpunkt "die absolute Gewißheit" erlangt zu haben, nicht Vater des Beklagten (und dessen älterer Schwester) zu sein; bis dahin sei für ihn die Vaterschaftsvermutung in Ansehung beider Kinder "gegeben" gewesen. Für dieses Vorbringen bot der Kläger zwei Zeuginnen an. Der Beklagte bestritt das gesamte Prozeßvorbringen des Klägers. Das Prozeßgericht machte zwar nach dem Inhalt seines Beweisbeschlusses von Amts wegen auch "die Rechtzeitigkeit der Klagseinbringung" zum Gegenstand der geplanten Beweisaufnahmen, begnügte sich dann aber mit der Verlesung der Protokolle über die im parallel geführten Rechtsstreit über die Ehelichkeitsbestreitung in Ansehung der älteren Schwester des Beklagten abgelegten Aussagen des Klägers, seiner Ehefrau und deren nunmehrigen Lebensgefährten und nahm im übrigen nur Einsicht in die vorgelegten Urkunden, insbesondere in die schriftliche Erklärung vom 1. März 1989. Das Prozeßgericht erster Instanz wies das Klagebegehren wegen Verstreichens der einjährigen Klagsfrist des § 156 ABGB ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es übernahm dabei die erstrichterlichen Feststellungen als Ergebnis eines als mängelfrei erklärten Verfahrens und einer als zutreffend, vollständig und frei von Beweiswürdigungsfehlern erkannten Auswertung der Beweisergebnisse.
Aus diesen Feststellungen ist hervorzuheben:
Die Mutter des Beklagten war bereits im zweiten Ehejahr eine auch den Geschlechtsverkehr einschließende Beziehung zu einem anderen Mann eingegangen und im Oktober 1983 zu diesem Mann gezogen. Sie hatte während der gesamten der am 22. November 1984 erfolgten Geburt der Tochter vorangegangenen gesetzlich vermuteten Empfängniszeit in ehebrecherischer Lebensgemeinschaft mit dem anderen Mann gelebt.
Am 8. Februar 1987 kehrte die Ehefrau des Klägers wieder zu diesem zurück und nahm mit ihm die vollen ehelichen Beziehungen auf. Dessen ungeachtet unterhielt sie aber ihre Beziehung zu dem anderen Mann aufrecht. Nach kurzer Zeit verließ sie den Kläger abermals und hatte zu ihm während ihrer Schwangerschaft zu dem am 20. September 1987 geborenen Beklagten fast keinen Kontakt mehr. Der Kläger besuchte seine Ehefrau nach ihrer Entbindung einmal im Spital. Nach diesem Besuch bestand zwischen den Ehegatten fast keine Verbindung mehr.
Während der in Ansehung des Beklagten gesetzlich vermuteten Empfängniszeit hatte die Mutter sowohl mit ihrem nunmehrigen Lebensgefährten als auch mit dem Kläger Geschlechtsverkehr gepflogen. Am 16. Dezember 1987 erklärte die Mutter des Beklagten dem Kläger in Gegenwart ihres Lebensgefährten, daß dieser der Vater ihrer beiden Kinder wäre, und der bezeichnete Mann bestätigte dem Kläger, daß er sich als Vater fühle. Bei einer Aussprache im Januar oder Februar 1988 brachte der Lebensgefährte der Mutter des Beklagten gegenüber dem Kläger nochmals zum Ausdruck, daß er sich als Vater der beiden Kinder betrachte.
Am 1. März 1989 bestätigte die Mutter des Beklagten dem Kläger aus Anlaß einer Besprechung zur Vorbereitung ihrer Ehescheidung schriftlich, daß der Beklagte und seine ältere Schwester "Kinder einer außerehelichen Beziehung" seien und der Kläger nicht der Vater der beiden Kinder sei.
In rechtlicher Beurteilung hatte das Prozeßgericht erster Instanz gefolgert, die einjährige Bestreitungsfrist des § 156 ABGB habe für den Kläger mit der durch die Bekundungen ihres Lebensgefährten bekräftigten Erklärung der Ehefrau vom 16. Dezember 1987 begonnen und sei daher am Tage der Klagserhebung, am 19. April 1989, bereits mehr als vier Monate, abgelaufen gewesen. Die Erklärung der Mutter des Beklagten sei für den Kläger insofern ein massiver und wichtiger Umstand im Sinne des § 156 Abs 2 ABGB gewesen, als der Kläger gewußt habe, seine Frau habe den Großteil der kritischen Zeit mit dem von ihr als Vater bezeichneten Mann in Lebensgemeinschaft verbracht, sie habe während ihrer Schwangerschaft zum Kläger fast keine Verbindung aufrecht erhalten und nach der Geburt des Beklagten den Kontakt zum Kläger praktisch völlig abgebrochen, die Lebensgemeinschaft mit dem anderen Mann aber aufrecht erhalten, der auch für den Unterhalt des Beklagten aufgekommen sei.
Das Berufungsgericht teilte nach Zitierung einer Reihe von Leitsätzen der Rechtsprechung zum Beginn des Fristenlaufes nach § 156 Abs 2 ABGB die erstrichterliche Beurteilung.
Der Kläger ficht das bestätigende Berufungsurteil aus den Revisionsgründen nach § 503 Z 2 und 4 ZPO mit einem auf Klagsstattgebung zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.
Der Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinne ihres Hilfsantrages berechtigt. Der Kläger gilt nach der nur durch gerichtliche Entscheidung zu widerlegenden Vermutung des § 138 ABGB als Vater des Beklagten. Zur Geltendmachung seines Bestreitungsanspruches stand ihm nur die Jahresfrist des § 156 Abs 1 ABGB offen. Diese beginnt nach § 156 Abs 2 ABGB "mit dem Zeitpunkt, in dem der Mann Kenntnis von den Umständen erlangt, die für die Unehelichkeit des Kindes sprechen", frühestens mit der Geburt des Kindes.
Um die Bestreitungsfrist des § 156 ABGB in Gang zu setzen, reicht die Kenntnis des von der Vermutung nach § 138 ABGB betroffenen Mannes von dem einen oder anderen gegen seine Vaterschaft sprechenden Umstand nicht hin, das Gesetz fordert vielmehr die positive Kenntnis "von den Umständen", die gegen seine Vaterschaft sprechen, das heißt, von einem Sachverhalt, der bei gehöriger prozessualer Geltendmachung unter Bedachtnahme auf die Verfahrensgrundsätze nach § 6 FamRAnglV eine Widerlegung der Vaterschaftsvermutung des § 138 ABGB objektiv erwarten läßt. Die Wahrung der Bestreitungsfrist ist als materiellrechtliches Anspruchserfordernis von der durch § 6 Z 1 FamRAnglV normierten amtswegigen Aufklärungspflicht erfaßt. Diese Pflicht zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung entbindet allerdings die Prozeßparteien nicht davon, die Tatumstände zu behaupten und Beweise für sie anzubieten, die ihren Prozeßstandpunkt stützen sollen.
Der Revisionswerber hat im erstinstanzlichen Verfahren zunächst überhaupt kein Vorbringen zur Einhaltung der Bestreitungsfrist erstattet. Das Prozeßgericht hat - im Gegensatz zum Parallelrechtsstreit gegen die ältere Schwester des Beklagten - richtigerweise von Amts wegen die Frage der "Rechtzeitigkeit der Klagseinbringung" zum Beweisthema erhoben, das Prozeßvorbringen des Klägers, er habe in der gesetzlich vermuteten Empfängniszeit mit seiner Ehefrau überhaupt keinen Geschlechtsverkehr gehabt, nicht ungeprüft übernommen, sich aber mit Beweisergebnissen aus einem Verfahren begnügt, in dem der Beginn der Bestreitungsfrist vor den Beweisaufnahmen überhaupt nicht erörtert worden war, und dann nur unzureichende Feststellungen über die positive Kenntnis des Klägers von solchen Umständen getroffen, die objektiv gegen seine Vaterschaft gesprochen hätten. Die Vorinstanzen haben zwar entgegen den Revisionsausführungen zutreffend erkannt, daß der subjektive Überzeugungsgrad des Klägers von der Richtigkeit der ihn nach § 138 ABGB treffenden Vermutung als solcher für den Beginn der Bestreitungsfrist unerheblich ist. Entscheidend sind die das positive Wissen des Bestreitungsklägers bestimmenden Faktoren. Dabei kommt der vom Kläger nach seinem ergänzenden erstinstanzlichen Vorbringen als wesentlich angesehenen Erklärungsform (schriftliche Bestätigung vom 1. März 1989 gegenüber vorangegangenen bloß mündlichen Erklärungen) keine Bedeutung zu. Wesentlich könnte dagegen in diesem Zusammenhang ein unterschiedlicher Grad der Ernstlichkeit einer Behauptung der Mutter über die Vaterschaft des einen der zwei in Betracht kommenden Männer sein, wenn beispielsweise einerseits eine im Gespräch gefallene Bemerkung vom Gesprächspartner als bloße Herausforderung aufgefaßt werden konnte, andererseits aber etwa Behauptungen der Mutter mit konkreten für den Empfängniszeitpunkt, die Reifemerkmale oder Erbmerkmale wesentlichen Angaben gestützt oder - wie im Falle der schriftlichen Erklärung vom 1. März 1989 - mit einer Verzichtserklärung oder einer sonstigen rechtsgeschäftlichen Erklärung verbunden worden wären.
Ob die einjährige Bestreitungsfrist im Sinne des § 156 Abs 2 ABGB früher als mit 19. April 1988 in Gang gesetzt worden war, kann nur danach beurteilt werden, wovon der Kläger außer dem Umstand, daß während der gesetzlich vermuteten Empfängniszeit nicht nur er, sondern auch ein Ehebrecher mit seiner Frau mehrfach geschlechtlich verkehrte, positive Kenntnis hatte, sodaß ein Mann in seiner Lage ernstlich die Widerlegbarkeit der Ehelichkeitsvermutung als wahrscheinlich in Betracht hätte ziehen müssen und dann, aber erst dann auch zufolge der dem Bestreitungskläger auferlegten Klagsführung und der damit verbundenen prozessualen Diligenz zur entsprechenden Sammlung der Beweismittel verbunden gewesen wäre (EFSlg. 43.302).
Diesbezüglich liegen sowohl Verfahrensmängel im Sinne des § 6 Z 1 FamRAnglV als auch Feststellungsmängel zu § 156 Abs 2 ABGB vor. Dies erfordert eine Ergänzung der Verhandlung in erster Instanz. Die Rechtssache war daher unter Aufhebung der Urteile beider Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückzuverweisen. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf dem § 52 ZPO.
Anmerkung
E20355European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00501.9.0222.000Dokumentnummer
JJT_19900222_OGH0002_0060OB00501_9000000_000