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41/02 Staatsbürgerschaft;Norm
StaatsbürgerschaftsrechtsNov 1949 Art2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des E in S, vertreten durch Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 10, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 22. Oktober 2004, Zl. MA 61/III - E 8/2003, betreffend Feststellung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1958 in S als eheliches Kind der Ruth E. und des Henrik E. geborene Beschwerdeführer ist seit seiner Geburt australischer Staatsangehöriger. Mit Eingabe an das Amt der Wiener Landesregierung vom 18. September 2002 erstattete er nachstehendes
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im Folgenden auf die wesentlichen Punkte reduziertes - Vorbringen:
Seine 1915 in Wien geborene Mutter besitze seit ihrer Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft. Sein 1909 in Budapest geborener Vater sei ursprünglich (bis 1945) staatenlos gewesen. Er habe ab 1926 in Wien gelebt und dort 1936 die Mutter des Beschwerdeführers geheiratet. 1938 seien die Eltern des Beschwerdeführers vor nationalsozialistischer Verfolgung nach Australien geflüchtet, wo sie 1945 die australische Staatsangehörigkeit erworben hätten. Dieser Erwerb sei allerdings nicht auf Grund "freien Willensentschlusses", sondern in einer "ernstlichen Zwangslage" erfolgt, weil die Eltern
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noch immer unter dem Schock der Erlebnisse vor ihrer Flucht aus
Österreich und der Gräuel des NS-Regimes stehend - die Annahme der australischen Staatsangehörigkeit als einzige Möglichkeit angesehen hätten, in Sicherheit vor Verfolgung wegen ihrer Glaubenszugehörigkeit zu leben. Nach dem Tod ihres Mannes (1968) sei die Mutter des Beschwerdeführers nach Österreich zurückgekehrt und habe hier am 22. Juni 1994 durch Anzeige gemäß § 58c Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 "auch formell" die österreichische Staatsbürgerschaft wieder erlangt. Der Beschwerdeführer selbst sei 1972 mit seiner Mutter nach Österreich übersiedelt, wo er ein Jahr die Schule besucht habe. Danach habe er wieder in Australien - und in der Folge in Hongkong, China, USA und England - gewohnt.
Mit Eingabe vom 26. August 2004 beantragte der Beschwerdeführer, die belangte Behörde möge seine österreichische Staatsbürgerschaft mit Bescheid feststellen. In Erledigung dieses Antrags sprach die belangte Behörde gemäß §§ 39 und 42 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) mit Bescheid vom 22. Oktober 2004 aus, dass der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerschaft weder kraft Abstammung im Sinne des § 3 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1949 - im Folgenden: StbG 1949 - noch auf andere Weise erworben habe; er sei nicht österreichischer Staatsbürger.
Die belangte Behörde legte diesem Bescheid erkennbar das eingangs wiedergegebene Vorbringen des Beschwerdeführers zu Grunde. Sie folgerte - soweit hier wesentlich -, dass der Vater des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Geburt des Beschwerdeführers weder österreichischer Staatsbürger noch staatenlos gewesen sei, weshalb der Beschwerdeführer nicht gemäß § 3 Abs. 1 StbG 1949 die österreichische Staatsbürgerschaft habe erwerben können.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer nur dann österreichischer Staatsbürger wäre, wenn er die Staatsbürgerschaft im Zeitpunkt seiner Geburt durch Abstammung nach § 2 Z 1 iVm § 3 Abs. 1 StbG 1949 erworben hätte (zur Maßgeblichkeit der genannten Regelungen ungeachtet der formellen Außerkraftsetzung des StbG 1949 per 30. Juni 1965 vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, Zl. 2000/01/0202).
§ 3 Abs. 1 StbG 1949 lautete vom 19. Juli 1949 bis zum Außerkrafttreten des StbG 1949 am 30. Juni 1965 wie folgt:
"§ 3. (1) Nicht eigenberechtigte eheliche Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft nach dem Vater. Ist der Vater staatenlos, so erwirbt das Kind die Staatsbürgerschaft, wenn die Mutter die Staatsbürgerschaft besitzt. Nicht eigenberechtigte uneheliche Kinder erwerben die Staatsbürgerschaft nach der Mutter. Werden uneheliche Kinder legitimiert, so erwerben sie die Staatsbürgerschaft nach dem Vater."
In den ErläutRV zur Staatsbürgerschaftsrechtsnovelle 1949, durch die die eben zitierte Bestimmung die dargestellte, ab 19. Juli 1949 in Geltung stehende Fassung erhalten hatte, war ua. ausgeführt worden (901 BlgNR V. GP 6):
"Während der § 8, Abs. (1), und der § 9, Abs. (2), Schutzbestimmungen zur Verhinderung der Staatenlosigkeit enthalten, war in § 3 nach der bisherigen Fassung etwas Derartiges nicht vorgesehen. Nun kann der Fall eintreten, dass ein Vater staatenlos, die Mutter aber Österreicherin ist. ... § 3 der bisherigen Fassung würde streng genommen über die Staatsbürgerschaft eines aus dieser Ehe stammenden Kindes überhaupt nichts bestimmen. Denn, da der Vater staatenlos ist, kann auch von einem Erwerb der Staatsbürgerschaft nach dem Vater beim Kinde nicht gesprochen werden. Nach der bisherigen Praxis blieben solche Kinder aber staatenlos. Die neue Fassung des § 3 soll das verhüten. Sie bestimmt, dass in einem solchen Falle die ehelichen Kinder die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben, wenn auch nur die Mutter, also auch nur ein Elternteil, die Staatsbürgerschaft besitzt."
Der Beschwerdeführer vertritt die Ansicht, dass er nach dem zweiten Satz des § 3 Abs. 1 StbG 1949 die österreichische Staatsbürgerschaft erlangt habe. Zwar habe sein Vater 1945 die australische Staatsangehörigkeit erworben, er hätte jedoch ungeachtet dessen im Hinblick auf die diesem Erwerb zu Grunde liegende ernstliche Zwangslage von den österreichischen Behörden weiterhin als Staatenloser im Sinn der erwähnten Vorschrift behandelt werden müssen. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden.
Das StbG 1949 unterschied nicht zwischen verschiedenen Formen der Staatenlosigkeit. Eine Person galt dann als staatenlos, wenn sie weder die österreichische Staatsbürgerschaft noch eine andere Staatsangehörigkeit besaß. Wer eine fremde Staatsangehörigkeit rechtswirksam (nach den Vorschriften des betreffenden Staates) erworben hatte, konnte nicht staatenlos sein. Lediglich völkerrechtswidrige Einbürgerungen wurden als unbeachtlich angesehen (vgl. Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II (1990) 107).
Im vorliegenden Fall kann kein Zweifel bestehen, dass der Erwerb der australischen Staatsangehörigkeit durch den Vater des Beschwerdeführers dem Völkerrecht entsprach. Er war daher im Zeitpunkt der Geburt des Beschwerdeführers nicht staatenlos, und zwar insbesondere auch nicht "iSd § 3 Abs. 1 zweiter Satz StbG 1949", zumal die vorhin wiedergegebenen Vorstellungen des Gesetzgebers klar erkennen lassen, dass diese Vorschrift den Zweck verfolgte, lediglich andernfalls staatenlosen Kindern - der Beschwerdeführer hatte jedoch mit Geburt die australische Staatsangehörigkeit erworben - die österreichische Staatsbürgerschaft zu verschaffen.
Auch aus dem vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten und oben bereits erwähnten hg. Erkenntnis zur Zl. 2000/01/0202 lässt sich kein anderes Ergebnis ableiten. In diesem Erkenntnis ging es um 1955 und 1959 geborene Beschwerdeführer, deren Vater Österreicher gewesen war und auf Basis des israelischen Staatsbürgerschaftsgesetzes mit Wirkung vom 14. Mai 1948 "kraft Rückkehr" die israelische Staatsangehörigkeit erlangt hatte. Der Verwaltungsgerichtshof erkannte, dass dieser Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit angesichts dessen, dass der Vater der damaligen Beschwerdeführer 1938 vor nationalsozialistischer Verfolgung nach Palästina geflüchtet war, nicht als "Erwerb" einer fremden Staatsangehörigkeit im Sinn des Verlusttatbestandes des § 9 Abs. 1 Z 1 StbG 1949 angesehen werden könne, weshalb der Vater weiterhin österreichischer Staatsbürger geblieben sei und seine Kinder nach § 3 Abs. 1 erster Satz StbG 1949 kraft Abstammung Österreicher geworden seien.
Im Fall des Erkenntnisses zur Zl. 2000/01/0202 ging es um die Auslegung des § 9 Abs. 1 Z 1 StbG 1949. Es stellte sich die Frage nach der Reichweite dieses Verlusttatbestandes, die der Verwaltungsgerichtshof im Sinne eines restriktiven Verständnisses beantwortete, und zwar dahingehend, dass angesichts der Umstände des Falles der Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit durch den Vater der Beschwerdeführer den Bestand der österreichischen Staatsbürgerschaft unangetastet lasse. Der Erwerb der fremden (israelischen) Staatsangehörigkeit als solcher wurde dagegen nicht "relativiert" oder gar in Zweifel gezogen. Vorliegend geht es indes - in Bezug auf den Vater des Beschwerdeführers - um den Erwerb einer fremden (hier australischen) Staatsangehörigkeit als solcher und nicht um die Frage eines damit verbundenen Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft, weshalb sich aus den Erwägungen im nunmehr schon mehrfach angesprochenen Vorerkenntnis für den Beschwerdeführer nichts gewinnen lässt. Insbesondere wurde dort - entgegen der Beschwerdeansicht - nicht zum Ausdruck gebracht, staatsbürgerschaftsrechtlich relevante Erklärungen, die "unter dem Druck der Verhältnisse" zustande gekommen seien, wären generell auszublenden und es wäre stets auf den "status quo ante" abzustellen. Eine solche Sichtweise hätte im Gesetz keine Deckung, wofür der Vollständigkeit halber auch das andernfalls weitgehend hinfällige Institut des Erwerbs der Staatsbürgerschaft durch Anzeige nach § 6 Z 5 iVm § 58c StbG - demnach erwirbt ein Fremder unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 StbG die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde unter Bezugnahme auf das StbG schriftlich anzeigt, sich als Staatsbürger vor dem 9. Mai 1945 in der Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchtet hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte - ins Treffen geführt werden kann.
Zusammenfassend begegnet die dem bekämpften Bescheid zu Grunde liegende Rechtsansicht damit keinen Bedenken. Davon ausgehend und vor dem Hintergrund der ohnehin unstrittigen Tatsachengrundlage liegt aber auch der ergänzend geltend gemachte Begründungsmangel nicht vor, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. November 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2004010596.X00Im RIS seit
25.12.2005