TE OGH 1990/2/22 7Ob507/90 (7Ob508/90)

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Veröffentlicht am 22.02.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Elisabeth B***, Hausfrau, Innsbruck, Arzlerstraße 174, vertreten durch Dr. Klaus Herke, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte und widerklagende Partei Wolfgang B***, Hoteldirektor, c/o Hotel "Europa Tyrol", Innsbruck, Südtiroler Platz 2, vertreten durch Dr. Walter Hofbauer und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Ehescheidung und Unterhalt (Revisionsstreitwert S 120.000 sA), infolge der Revisionen beider Streitteile gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 31. August 1989, GZ 1 a R 402/89, 1 a R 403/89-48, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 31. Mai 1989, GZ 5 C 90, 93/88-20, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind seit 16. November 1979 miteinander verheiratet. Es ist die erste Ehe der Klägerin und Widerbeklagten (im folgenden Klägerin genannt) und die dritte Ehe des Beklagten und Widerklägers (im folgenden Beklagter). Der Ehe entstammt der am 5. Dezember 1980 geborene Sohn Wolfgang. Der letzte gemeinsame Wohnsitz lag in Innsbruck, Arzlerstraße 174.

Die Klägerin begehrt die Scheidung ihrer Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten sowie die Zahlung von Unterhalt. Der Beklagte sei Ende 1986 ein ehebrecherisches Verhältnis mit Isabella S*** eingegangen, sei in der Folge und zwar im Herbst 1987 aus der Ehewohnung ausgezogen und habe die Klägerin wiederholt aufgefordert, daß sie sich von ihm scheiden lassen solle. Der Beklagte verletze seine Unterhaltspflicht gegenüber der Klägerin und dem gemeinsamen Kind und kümmere sich nicht mehr um seine Familie. Nunmehr unterhalte er ehewidrige Beziehungen zu Elisabeth A***. Der Beklagte beantragte zunächst die Klagsabweisung, brachte aber dann letztlich eine Widerklage mit dem Begehren auf Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Klägerin ein. Er gestand zu, daß die Ehe zerrüttet sei. Die Klägerin habe keinen Sinn für Häuslichkeit gehabt, habe am Beklagten häufig herumgenörgelt, habe Streit gesucht und ihn dann mit den Worten wie "Charakterschwein, Saukerl" beschimpft und ihm damit gedroht, ihn fertigzumachen. Die Streittele hätten sich dann wechselseitig eine Bedenkzeit eingeräumt. Er sei daher im Einvernehmen mit der Klägerin aus der Ehewohnung ausgezogen. Sein Arbeitgeber habe ihm am Arbeitsplatz ein Quartier zur Verfügung gestellt. Die Klägerin habe in einem Schreiben ihres Anwaltes dem Beklagten mitgeteilt, daß sie an der Aufrechterhaltung der Ehe nicht mehr interessiert sei. Ehewidrige Beziehungen zu anderen Frauen wurden bestritten, ebenso Unterhaltsverletzungen. In seiner Widerklage warf der Beklagte der Klägerin Ehebruch mit Dr. Markus B*** vor.

Das Erstgericht schied mit Teil- bzw. Zwischenurteil (richtig Teilurteil) die Ehe der Streitteile aus dem Alleinverschulden des Beklagten und behielt die Kostenentscheidung der Endentscheidung über das Unterhaltsbegehren vor. Es traf folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:

Der Beklagte war von 1986 bis 1989 Hoteldirektor in Innsbruck und mußte für diese Tätigkeit den größten Teil seiner Freizeit aufwenden. Die Klägerin, die das gemeinsame Kind betreut, war dadurch häufig insbesondere an Wochenenden allein. Auf Bemerkungen und Vorhalte der Klägerin, zuviel allein gelassen zu werden, kam es zu immer häufiger werdenden Auseinandersetzungen, deren Verlauf nicht mehr rekonstruierbar ist. Dabei beschimpfte der Beklagte die Klägerin mit Schimpfwörtern, die ihr völlig fremd waren. Etwa ab diesem Zeitpunkt konnten sich die Ehegatten nicht mehr über eine gemeinsame Freizeitgestaltung verständigen. Der Beklagte nahm dann ein ehebrecherisches Verhältnis zu Isabella S*** auf, das bis Herbst 1987, zumindest aber bis September 1987 andauerte. Er hat noch zu Beginn der Herbstsaison 1987 mit Isabella S*** in Wien Konzerte besucht. Der Beklagte versuchte im Juli 1987 durch seinen damaligen Rechtsvertreter, die Klägerin zu einer Scheidung zu bewegen. Diese lehnte jedoch ab, weil sie den Beklagten zurückgewinnen wollte. Im Herbst 1987 richtete sich der Beklagte in dem von ihm geleiteten Hotel eine Wohnung ein und übernachtete dort immer häufiger, bis er letztlich Ende Jänner 1988 oder Anfang Feber 1988 zur Gänze dorthin übersiedelte und nicht mehr in der ehelichen Wohnung übernachtete. Obwohl die Klägerin durch diese Vorgangsweise überrascht wurde und ihr nicht zustimmte, besprach sie mit dem Beklagten immer wieder, ob sie nicht doch wieder gemeinsam leben sollten. Der Beklagte wollte sich jedoch seine "vermeintliche" Freiheit erhalten. Im Sommer 1988 gab die Klägerin die Hoffnung, den Beklagten zurückzugewinnen auf und gewann den Eindruck, daß sie nicht mehr mit dem Beklagten zusammenleben könne. Von Herbst 1987 bis zu diesem Zeitpunkt kam es zwischen den Ehegatten zu einem einzigen Geschlechtsverkehr zu Weihnachten 1987. Die Klägerin lernte im Sommer 1988 den Rechtsanwalt Dr. Markus B*** kennen, mit dem sie dann in einem nicht mehr eingrenzbaren Zeitraum eine intime Beziehung einging. Darin sah der Beklagte einen willkommenen Anlaß, die schon lange nicht mehr gewünschte Ehe mit der Klägerin zu beenden. Er hat selbst spätestens im Herbst 1988 eine intime Beziehung zu Elisabeth A*** aufgenommen.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß die Ehe der Streitteile durch den Ehebruch des Beklagten mit Isabella S*** und das folgende Verlassen der gemeinsamen Wohnung zerrüttet worden sei. Der Klägerin könne nicht zum Nachteil gereichen, daß bei ihr das Zerrüttungsgefühl mit dem Beginn der Beziehung zu Dr. Markus B*** zusammengefallen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nur teilweise Folge und schied die Ehe aus dessen überwiegendem Verschulden. Es änderte ohne Beweisergänzung die Feststellung des Erstgerichtes, daß der Beklagte intime Beziehungen zu Elisabeth A*** unterhalte, dahin ab, daß sich der Beklagte auch privat mit Elisabeth A*** treffe, obwohl ihm die Empfindlichkeit der Klägerin in bezug auf Frauenbekanntschaften bekannt war. Ansonsten übernahm es die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich. Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, daß der Beklagte durch sein ehebrecherisches Verhältnis mit Isabella S***, seine Interesselosigkeit gegenüber der Klägerin und durch das grundlose Verlassen der Ehewohnung, die Ehe zerrüttet habe. Das festgestellte Verhalten der Klägerin und der einmalige sexuelle Kontakt mit dem Beklagten zu Weihnachten 1987 habe zu keiner Verzeihung dieser Eheverfehlungen geführt, weil es sich um einen Einzeltatbestand gehandelt habe, der zu keiner Wiederannäherung der Ehegatten in dem Sinn geführt habe, daß die Klägerin den Ehebruch des Beklagten mit Isabella S*** ab diesem Zeitpunkt nicht mehr als ehestörend empfunden hätte. Überdies sei die Klägerin bei dem einmaligen sexuellen Kontakt mit dem Beklagten im Jahre 1987 unter Alkoholeinfluß gestanden. Die mit Elisabeth A*** begonnene und fortgesetzte Beziehung sei als ehewidriges Verhalten und daher als weitere Eheverfehlung zu werten. Das nach der Zerrüttung der Ehe von der Klägerin mit Dr. Markus B*** aufgenommene Verhältnis sei bei der Verschuldensabwägung zu Lasten der Klägerin mitzuberücksichtigen gewesen, weil auch der an der Zerrüttung schuldlose Ehegatte weiterhin zur Aufrechterhaltung der Treue zu verpflichten sei. Nur gegen den Ausspruch des (nur) überwiegenden Verschuldens des Beklagten wendet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteiles.

Ebenso gegen den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens wendet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, die Ehe aus dem Alleinverschulden der Klägerin zu scheiden.

Beide Teile beantragen wechselseitig, dem Rechtsmittel der Gegenseite keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind nicht berechtigt.

Die vom Beklagten behaupteten Aktenwidrigkeiten des Berufungsurteiles liegen nicht vor. Eine Aktenwidrigkeit ist nur dann gegeben, wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolles oder eines sonstigen Aktenstückes unrichtig wiedergegeben und infolgedessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde (vgl. zuletzt 9 Ob A 190/89). Eine Aktenwidrigkeit liegt nicht vor, wenn eine allenfalls mögliche Feststellung nicht getroffen oder eine Feststellung durch Schlußfolgerungen gewonnen wurde (vgl. 6 Ob 542/82). Das Berufungsgericht hat die Feststellung des Erstgerichtes, daß der Beklagte zu Isabella S*** bis in den Herbst 1987 hinein ehebrecherische oder zumindestens ehewidrige Beziehungen unterhalten hat, als unbedenklich übernommen. Die vom Berufungsgericht gezogenen Schlußfolgerungen sind durchwegs durch die Beweisergebnisse gedeckt. Die Verzeihung ist ein innerer Vorgang, dessen Feststellung auf Schlüssen beruht, die aus dem Verhalten des verletzten Ehegatten nach freier richterlicher Beweiswürdigung gezogen werden (vgl. RZ 1980/29 = EFSlg. 34.025 und EFSlg. 51.631). Bei Beurteilung dieser Frage hat das Berufungsgericht nur die erstrichterliche Beweiswürdigung als unbedenklich übernommen. Dem Vorwurf der Aktenwidrigkeit mangelt es daher an der entsprechenden Grundlage. Auch zur Frage, wann der Beklagte endgültig die Ehewohnung verlassen hat, hat das Berufungsgericht keine eigenen Feststellungen getroffen, sondern wiederum die des Erstgerichtes als unbedenklich übernommen.

Den weitwendigen Revisionsausführungen zur Aktenwidrigkeit ist daher zusammenfassend entgegenzuhalten, daß es dem Berufungsgericht freisteht, auch ohne Aufnahme von Beweisen durch Schlußfolgerungen aus tatsächlichen Umständen Argumente zur Stützung der erstrichterlichen Feststellungen zu gewinnen (vgl. 7 Ob 52/73). Dem Berufungsgericht ist aber der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel unterlaufen, weil das Ziehen von Schlußfolgerungen im Tatsachenbereich, das in den konkreten Feststellungen seinen Niederschlag findet, zur Beweiswürdigung des Erstgerichtes zu zählen ist, von der das Berufungsgericht nicht ohne Beweiswiederholung abgehen darf (vgl. SZ 48/120 und SZ 57/121). Dies auch dann, wenn das umgewürdigte Beweismittel im Rechtshilfeweg eingeholt worden ist (vgl. 1 Ob 975/84). Dem Verfahrensmangel kommt jedoch, wie im folgenden ausgeführt wird, keine rechtserhebliche Bedeutung zu. Die Zerrüttung der Ehe der Streitteile wurde durch das zunehmende Desinteresse des Beklagten an der Klägerin ausgelöst. Jeder Ehegatte ist verpflichtet, sich seine berufliche Tätigkeit so einzuteilen, daß er auch entsprechend Zeit für den anderen Gatten und für die Familie aufbringen kann (vgl. EvBl. 1973/179 = EFSlg. 18.133, zuletzt 7 Ob 818/88). Diese Zerrüttung wurde durch das ehebrecherische Verhältnis des Beklagten zu Isabella S*** vertieft. Der Verlust der Ehegesinnung beim Beklagten dokumentiert sich auch im Errichten einer eigenen Unterkunft an seiner Arbeitsstätte im Herbst 1987 und im Verlassen der Klägerin Ende Jänner 1988 oder Feber 1988. Da die Beziehung des Beklagten zu S*** erst im Herbst 1987 endete, war zufolge Verlassens der Ehewohnung spätestens Anfang Feber 1988 die am 28.Oktober 1988 eingebrachte Scheidungsklage der Klägerin noch nicht verfristet, weil die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft den Ablauf der 6-Monatefrist des § 57 EheG hemmt (vgl. EFSlg. 2448 = JBl. 1956, 591). Wie schon dargelegt, lag auch keine Verzeihung des Ehebruches des Beklagten mit S*** durch die Klägerin vor.

Eine unheilbare Zerrüttung der Ehe ist immer dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegattten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (vgl. zuletzt EFSlg. 51.601). Wesentlich ist, daß das Verhalten des Beklagten in seiner Gesamtheit beurteilt, geeignet war, der Klägerin die Fortsetzung der Ehe unerträglich zu machen und ob es auch diese Wirkung gehabt hat (vgl. zuletzt EFSlg. 51.603). Nach den Feststellungen der Unterinstanzen löste jedoch diese Wirkung in der Klägerin erst die Aufnahme einer Beziehung zu Dr. Markus B*** aus, wie das Erstgericht deutlich im Rahmen seiner Verschuldensabwägung darlegt (vgl. AS 175). Damit hat aber die Aufnahme der Beziehung der Klägerin zu Dr. B*** zum gänzlichen Verlust ihrer Ehegesinnung geführt und war damit kausal für die völlige Entfremdung zum Beklagten. Die von der Klägerin zu Dr. B*** aufgenommene Beziehung, die später in ein ehebrecherisches Verhältnis überging, muß daher bei der Verschuldensabwägung mitberücksichtigt werden, wobei, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, die vom Beklagten gesetzten Eheverfehlungen in ihrer Gesamtheit, in ihrer Dauer und in ihrer ehezerstörenden Wirkung viel schwerer wiegen (vgl. EFSlg. 51.642 f). Bei der Verschuldensabwägung kommt es nicht auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Eheverfehlung an, sondern darauf, wie die Eheverfehlungen einander bedingten und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe gehabt haben (vgl. EFSlg. 51.648). Damit trifft aber den Beklagten die Hauptlast am Scheitern der Ehe mit der Klägerin. Die erst im Herbst 1988 vom Beklagten zu Elisabeth A*** aufgenommenen Beziehungen fallen bei diesen Beurteilungskriterien nicht mehr besonders ins Gewicht, weil nach einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe begangene Eheverfehlungen bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle mehr spielen dürfen (vgl. EFSlg. 51.653). Auch bei einer Feststellung, daß der Beklagte mit Elisabeth A*** ein ehebrecherisches Verhältnis eingegangen ist, könnte dies nicht zu einem Abweichen von der getroffenen Verschuldensabwägung und daher nicht zu einem Alleinverschulden des Beklagten führen. Der dem Berufungsgericht unterlaufene Verfahrensmangel erweist sich daher für die rechtliche Beurteilung als nicht relevant.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 43 Abs. 1 und 50 ZPO. Den Streitteilen stünde der Ersatz ihrer gleich hoch verzeichneten Kosten der beiden Revisionsbeantwortungen zu.

Anmerkung

E20375

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00507.9.0222.000

Dokumentnummer

JJT_19900222_OGH0002_0070OB00507_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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