TE OGH 1990/2/27 10ObS18/90

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Veröffentlicht am 27.02.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar Peterlunger (AG) und Karl Klein (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Walter R***, Pensionist, 2000 Stockerau, Schilcherstraße 5, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien,

Friedrich Hillegeiststraße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderzuschuß infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. September 1989, GZ 32 Rs 151/89-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 8. Mai 1989, GZ 17 Cgs 312/89-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei anerkannte mit Bescheid vom 16. Dezember 1983 den Anspruch des Klägers auf eine Berufsunfähigkeitspension ab 20. Juni 1983, wobei Kinderzuschüsse von zusammen S 1.300,-- (a S 650,--) für den am 19. Mai 1970 geborenen Sohn Walter R*** und für die am 29. August 1975 geborene Tochter Susanna R*** gewährt wurden. Laut Verständigung der beklagten Partei vom 15. April 1988 wurde auf Grund der vorgelegten Familienbeihilfenkarte ab 1. Mai 1988 die Familienbeihilfe mit der Pension und zwei Kinderzuschüssen (S 1.300,--) weiterhin zur Auszahlung gebracht. Am 17. Mai 1988 (also zwei Tage vor Vollendung des 18. Lebensjahres seines Sohnes Walter) übersandte der Kläger die verlängerte Beihilfenkarte an die beklagte Partei, die daraufhin mit Schreiben vom 20. Mai 1988 den Kläger verständigte, daß ab 1. Juni 1988 die Familienbeihilfe mit der Pension monatlich zur Auszahlung gebracht werde, wobei sich aus der angeschlossenen Aufstellung ein Kinderzuschuß von S 650,-- ergibt. Am 10. Jänner 1989 richtete der Kläger an die beklagte Partei ein Schreiben mit folgendem Inhalt:

"Betrifft: Kinderzuschuß. Sehr geehrte Herren!

Im Pensionistenausweis vom Dezember 1988 für 1989 stellte ich fest, daß für meinen Sohn Walter, der am 19.5.1988 das 18.Lebensjahr vollendet hat und aus diesem Grund für ihn der Kinderzuschuß nur bis 31.5.1988 gewährt wurde. Da ich am 17.5.1988 (Poststempel laut Aufgabeschein des Einschreibens) die verlängerte Familienbeihilfenkarte an die PVA eingesandt habe, in welcher für beide Kinder bis Juni 1990 die Verlängerung bestätigt wurde, war ich, und bin es heute noch, der Meinung, daß meinem Sohn Walter auch über das 18. Lebensjahr hinaus der Kinderzuschuß von Ihrer Anstalt gebührt. Ich ersuche höflichst aus diesem Grunde die Weitergewährung des Kinderzuschusses für meinen Sohn Walter ab dem 1.6.1988 zu gewähren bzw. nachzureichen."

In Beantwortung dieses Schreibens erging der Bescheid der beklagten Partei vom 17. Jänner 1989, daß die bisher gewährte Berufsunfähigkeitspension ab 11. Oktober 1988 monatlich S 7.832,30 zuzüglich Kinderzuschüsse S 1.300,-- betrage, der Kinderzuschuß für Walter für die Dauer der Ausbildung, die die Arbeitskraft des Kindes überwiegend beansprucht, über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus bis längstens Juli 1990 gewährt werde.

Mit der rechtzeitigen Klage begehrt der Kläger die beklagte Partei schuldig zu erkennen, den Kinderzuschuß für den Sohn Walter auch für die Zeit vom 1. Juni bis 10. Oktober 1988 im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, der Kläger habe erst mit Schreiben vom 10. Jänner 1989, das bei der beklagten Partei am 11. Jänner 1989 eingelangt sei, den Kinderzuschuß beantragt. Gemäß § 97 Abs 2 ASVG werde die Erhöhung der Pensionsleistung infolge Zuerkennung von Kinderzuschüssen maximal drei Monate vor der Anmeldung wirksam, also im gegenständlichen Fall mit 11. Oktober 1988.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß die formlose Übermittlung der Kinderbeihilfenkarte nicht als Antrag auf Gewährung des Kinderzuschusses anzusehen sei. Wenn der Oberste Gerichtshof ausgesprochen habe, daß der Kinderzuschuß auch für Kinder unter 18 Jahre dann gebühre, wenn der Anspruch zumindest so angemeldet werde, daß der Pensionsversicherungsträger darüber ein Ermittlungsverfahren einleiten und einen Bescheid erlassen könne (SSV-NF 2/52), müsse dies umsomehr gelten, sobald das Kind das 18. Lebensjahr vollendet habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung ab. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, für die Antragstellung in der Pensionsversicherung sei die Einhaltung einer bestimmten Form nicht erforderlich. Der Leistungsantrag könne formlos mündlich oder schriftlich, jedenfalls erkennbar gestellt werden. In sozialer Rechtsanwendung sei demnach bei dem Sinn nach erkennbaren Anträgen auf Ansprüche von Versicherten mit der Einleitung eines Verfahrens vorzugehen. Der Anspruch müsse zumindest so angemeldet sein, daß der Pensionsversicherungsträger darüber ein Ermittlungsverfahren einleiten und einen Bescheid erlassen könne. In der Übermittlung der verlängerten Kinderbeihilfenkarte an die beklagte Partei liege eine erkennbare Antragstellung mit den daraus sich ergebenden Folgen. Die beklagte Anstalt hätte jedenfalls auf Grund dessen ein Ermittlungsverfahren einzuleiten gehabt, um dann bescheidmäßig vorgehen zu können.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Der Kläger beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Sozialversicherungsgesetze unterscheiden zwei Arten der Verfahrenseinleitung: die amtswegige Einleitung und die Einleitung auf Grund eines Antrages. Der Antrag des Versicherten auf eine bestimmte Leistung gibt zunächst dem Versicherungsträger Kenntnis, daß der Eintritt eines bestimmten sozialen Risikos, dem die Sozialversicherung begegnen will, behauptet wird und ermöglicht dem Versicherungsträger, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, in dem das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für Leistungen aus diesem Versicherungsfall geprüft werden kann (Schrammel in Tomandl, SV-System, 3. ErgLfg. 146). Für die Feststellung von Leistungsansprüchen in der Krankenversicherung und Pensionsversicherung gilt das Antragsprinzip; eine Leistungsgewährung ist daher nur auf Grund eines Antrages zulässig. Für die verfahrensrechtliche Bewertung von Anträgen, das sind Willenserklärungen Privater im Bereich des öffentlichen Rechts, gelten analog die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nicht nach allgemeinen Verwaltungsrechtsgrundsätzen oder den besonderen Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts ausdrücklich Abweichendes festgelegt ist. Danach ist schon wegen der der Behörde ganz allgemein obliegenden Betreuungspflicht anzunehmen, daß der Sozialversicherungsträger durch entsprechende Belehrungen und Auskünfte auf eine Antragstellung hinzuwirken hat, die den rechtlichen Interessen von Anspruchswerbern weitestgehend Rechnung tragen. Zusätzlich muß bei der Beurteilung von Anträgen durch die Sozialversicherungsträger im Geiste sozialer Rechtsanwendung vorgegangen, d.h. der Antrag im Zweifel zugunsten des Versicherten ausgelegt werden. Die Fiktion eines tatsächlich nicht gestellten Antrages läßt sich freilich auch aus den Grundsätzen sozialer Rechtsanwendung nicht ableiten. Die relative Formfreiheit von Anträgen ergibt sich aus § 13 AVG. Bestehen Zweifel über die mit einem Antrag erfolgte Parteienabsicht, ist der Sozialversicherungsträger verpflichtet, den Parteiwillen - etwa durch Vernehmung der Partei - klarzustellen. Der Antrag muß ein bestimmtes Leistungsbegehren enthalten, kann sich also nicht damit begnügen, gleichsam abstrakt eine bescheidförmige Erledigung zu verlangen (Oberndorfer in Tomandl, SV-System 3. ErgLfg. 677 ff mwH). Nach § 262 Abs 1 ASVG iVm § 274 ASVG gebührt zu den Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters, zur Invaliditätspension und zur Berufsunfähigkeitspension für jedes Kind (§ 252 ASVG) ein Kinderzuschuß. Über das vollendete 18. Lebensjahr wird der Kinderzuschuß nur auf besonderen Antrag gewährt. Das Erfordernis einer besonderen Antragstellung findet sich auch im § 260 ASVG für die Waisenpension über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus und etwa auch in § 218 Abs 1 ASVG für die Weitergewährung der Waisenrente. Bereits in den Gesetzesmaterialien zum Stammgesetz des ASVG (RV 599 BlgNR 7. GP 87) wurde ausgeführt, daß die besondere Antragstellung deshalb erforderlich sei, da geprüft werden müsse, ob die besonderen Voraussetzungen für die Weitergewährung vorliegen; von dem Zeitpunkt der Antragstellung hänge es ab, von wann an die Weitergewährung einsetze. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs liegt im vorliegenden Fall eine solche besondere Antragstellung vor. Gemäß § 252 Abs 2 ASVG besteht die Kindeseigenschaft auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres unter anderem (Z 1) dann, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres; die Kindeseigenschaft verlängert sich höchstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Berufsausbildung über das 25. Lebensjahr hinaus andauert, das Kind ein ordentliches Studium betreibt und eine Studiendauer iS des § 2 Abs 3 des Studienförderungsgesetzes 1983 ohne wichtige Gründe nicht überschreitet. Anspruch auf Familienbeihilfe haben gemäß § 2 Abs 1 FamLAG 1967 Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unter anderem

a) für minderjährige Kinder und b) für volljährige Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist, oder lit g) für volljährige Kinder, die das 25. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet haben, wenn sie ein ordentliches Studium betreiben und eine Studiendauer iS des § 2 Abs 3 des Studienförderungsgesetzes 1983 ohne wichtige Gründe nicht überschreiten. Die Gegenüberstellung dieser beiden Normen zeigt die Ähnlichkeit der Voraussetzungen, unter denen sich nach dem ASVG die Kindeseigenschaft verlängert und nach dem FamLAG 1967 die Familienbeihilfe auch für volljährige Kinder bezogen werden kann. Im vorliegenden Fall ist bedeutsam, daß der Kläger nach den Feststellungen die "verlängerte Familienbeihilfenkarte" am 17. Mai 1988, also zwei Tage vor Vollendung des 18. Lebensjahres seines Sohnes Walter an die beklagte Partei mit der Post übersandte, aus welcher hervorging, daß die Familienbeihilfe ab 1. Juni 1988 weiterhin bis Juni 1990 zur Auszahlung gelangte. Damit hat der Kläger seinen Anspruch auf die Familienbeihilfe bescheinigt (§ 13 Abs 2 FamLAG 1967). Berücksichtigt man, daß in sozialer Rechtsanwendung bei dem Sinn nach erkennbaren Ansprüche von Versicherten mit der Einleitung eines Verfahrens vorzugehen ist und im Sinne sozialer Rechtsanwendung ein Antrag im Zweifel zugunsten des Versicherten auszulegen ist (SSV-NF 2/52), dann kann die Übersendung der "verlängerten" Familienbeihilfenkarte zwei Tage vor Vollendung des 18. Lebensjahres des Sohnes nicht anders gedeutet werden als ein Antrag auf Weitergewährung des Kinderzuschusses über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus. Von Bedeutung ist hier, daß es ja nicht um die erstmalige Gewährung einer Leistung ging, sondern um die Weitergewährung des Kinderzuschusses, der bis dahin anstandslos gewährt worden war. Das Erfordernis eines besonderen Antrages kann nur die Bedeutung haben, daß damit klargestellt werden soll, der Kinderzuschuß werde nicht gleichsam automatisch nach Vollendung des 18. Lebensjahres weitergewährt, sondern daß ein entsprechendes Begehren gestellt werden muß. Durch Vorlage der Familienbeihilfenkarte, die für beide Kinder des Klägers nach dem Inhalt seines Schreibens vom 10. Jänner 1989 die Verlängerung der Familienbeihilfe für beide Kinder bis Juni 1990 bestätigte, war daher dem Erfordernis der Antragstellung noch Genüge getan und es wäre an der beklagten Partei gelegen, die besonderen Voraussetzungen für die Weitergewährung zu prüfen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E20774

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00018.9.0227.000

Dokumentnummer

JJT_19900227_OGH0002_010OBS00018_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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