Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann A***, Invaliditätspensionist, Perndorf 43, 8182 Puch bei Weiz, vertreten durch den Sachwalter Johann A*** sen., ebendort, dieser vertreten durch Dr. Günther Forenbacher, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1. A*** E*** Versicherungs-AG, Himmelteichstraße 113, 8043 Graz, 2 Maria S***, Lehrerin, In der Kühau 10, 8453 Wagna, 3 Karl D***, Elektriker, Kalvariengürtel 40, 8020 Graz, 4. Alois D***, Lehrer, 8182 Harl 110, 5. Peter D***, Fleischhauer, 8181 Lohngraben 11, 6. Anna C***, Hausfrau, Am Rennfeld 9, 8200 Gleisdorf, alle vertreten durch Dr. Erwin Gstirner, Rechtsanwalt in Graz, wegen restlicher S 875.000 sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 14. Dezember 1989, GZ 2 R 238/89-58, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 29. August 1989, GZ 6 Cg 270/86-50, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 12.853,62 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.142,27 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 20.10.1960 geborene Kläger erlitt am 8.Jänner 1984 bei einem Verkehrsunfall schwere Schädelverletzungen (Schädeldach- und Schädelgrundbuch), eine Hirnkontusion mit traumatischer Subarachnoidalblutung, ein diffuses Hirnödem, eine prolongierte traumatische Psychose, ein akutes beiderseitiges Subduralhämatom, eine Durchtrennung der Strecksehne des linken Kleinfingers und eine Rißquetschwunde an der Stirn. An Verletzungsfolgen bestehen ein mittelschweres posttraumatisches Psychosyndrom (Beurteilungsskala: gering - leicht - mittelschwer - schwer), eine ataktische Störung der Feinmotorik und des Ganges, eine partielle sensorisch-amnestische Dysphasie, sowie Zustände nach einem singulären posttraumatischen Grand-Mal-Anfall und nach plastischer Deckung beidseitiger Schädelknochendefekte. Diese Verletzungsfolgen sind als Dauerfolgen anzusehen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 100 %. Hiefür ist die Schwere des posttraumatischen organischen Psychosyndroms maßgeblich. Als Spätfolge ist auch eine posttraumatische Epilepsie zu berücksichtigen. Eine Verschlechterung der bereits bestehenden psychopathologischen Erscheinungen kann nicht ausgeschlossen werden. Der Kläger hatte komprimiert auf den 24-Stunden-Tag 130 Tage starke Schmerzen, 70 Tage mittelstarke Schmerzen und 280 Tage leichte Schmerzen zu erdulden. Bei einer angenommenen Lebenserwartung von 70 Jahren ergeben sich für die weitere Zukunft noch 420 Tage an leichten Schmerzen. Beim Kläger kam es auch zu einer über das übliche Ausmaß hinausgehenden psychischen Alteration, welche in erster Linie dadurch bedingt ist, daß ihm die weitestgehende Einbuße an Lebensfreude und Lebensqualität bewußt ist. Ebenfalls bewußt ist dem Kläger, daß er gleichsam wie ferngesteuert agiert, wobei diese geistige Behinderung nach außen hin sichtbar ist. Weiters muß der Kläger mit dem Bewußtsein leben, für die weitere Zeit seines Lebens weitestgehend auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.
Der Kläger erachtete im Verfahren erster Instanz ein Schmerzengeld in der Höhe von S 1,2 Millionen für angemessen. Er begehrte unter Berücksichtigung anderer Ansprüche und unter Bedachtnahme auf erhaltene Teilzahlungen zuletzt einen Betrag von S 875.000.
Das Erstgericht gelangte zu dem Ergebnis, ein Schmerzengeld von S 1,1 Millionen sei angemessen, es erkannte die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger einen Betrag von S 775.000 samt Zinsen zu bezahlen und wies das Mehrbegehren von S 100.000 samt Zinsen sowie ein Zinsenmehrbegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien, mit der die Abweisung eines weiteren Teilbetrages von S 350.000 samt Zinsen begehrt worden war, teilweise Folge, erachtete ein Schmerzengeld von S 1 Million für angemessen und änderte das Ersturteil dahin ab, daß ein Betrag von S 675.000 samt Zinsen zugesprochen und ein Mehrbegehren von insgesamt S 200.000 abgewiesen wurde.
Die beklagten Parteien bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes hinsichtlich eines Teilzuspruches von S 250.000 samt Zinsen und beantragen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß lediglich ein Betrag von S 425.000 sA zugesprochen, das Mehrbegehren aber abgewiesen werde.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Bei Bemessung des Schmerzengeldes sind nach ständiger Rechtsprechung die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Intensität und Dauer der Schmerzen, auch wenn sie unterbrochen waren, sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Verletzten überhaupt und ferner die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld5 176 f mwN).
Im vorliegenden Fall ist daher einerseits zu berücksichtigen, daß der Kläger sehr schwere Schädelverletzungen erlitten hat, er lang andauernde körperliche Schmerzen zu ertragen hatte und auch weiterhin bis zu seinem Lebensende Schmerzen auftreten werden, andererseits aber auch, daß gravierende Dauerfolgen zurückblieben, insbesondere ein mittelschweres posttraumatisches Psychosyndrom, das eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % bewirkte, weiters, daß der Kläger Zeit seines Lebens weitestgehend auf fremde Hilfe angewiesen sein wird. Die Gesamtheit dieser Unfallsfolgen rechtfertigt die vom Berufungsgericht angenommene Bemessung des Schmerzengeldes mit S 1 Million.
Die Revisionsausführungen, die Bewußtseinslage des Klägers sei frei, er sei zeitlich, örtlich und zur Person weitestgehend orientiert, sind nicht zielführend. Gerade deshalb, weil der Kläger seine weitgehende Behinderung voll erfaßt, kommt den seelischen Schmerzen besonderes Gewicht zu. Auch der in der Revision unternommene Versuch, an Hand von einzelnen Entscheidungen darzulegen, daß die Bemessung des Schmerzengeldes im vorliegenden Fall überhöht ist, ist zum Scheitern verurteilt. Mögen in Fällen, in welchen bisher S 1 Million oder nicht wesentlich weniger zuerkannt wurden, die Dauerfolgen auch noch schwerwiegender gewesen sein, als beim Kläger, so fallen bei diesem die - abgesehen von den nicht mehr besserungsfähigen verbliebenen Leidenszuständen - aufgetretenen langdauernden und intensiven körperlichen Schmerzen besonders ins Gewicht. Darüberhinaus hat der Oberste Gerichtshof in letzter Zeit etwa Beträge von S 800.000 in Fällen als berechtigt angesehen, bei denen es sich keinesfalls um allerschwerste Verletzungsfolgen handelte. So zB zu 2 Ob 114/89 bei Halbseitenlähmung, Sprachstörungen und psychischen Veränderungen aber mit wesentlich geringeren körperlichen Schmerzen, oder zu 7 Ob 510/88 bei schwersten Verbrennungen vom Gesäß abwärts und im Geschlechtsbereich (Kunstharnblase, plastische Operationen, entstellende und störende Narben), allerdings bei besonders langandauernden und intensiven Schmerzen. Auch im Vergleich zu diesen Fällen ist im vorliegenden Fall ein Schmerzengeld von S 1 Million angemessen.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E19973European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00018.9.0228.000Dokumentnummer
JJT_19900228_OGH0002_0020OB00018_9000000_000