TE OGH 1990/3/8 12Os16/90 (12Os17/90)

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Veröffentlicht am 08.03.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.März 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wolf als Schriftführer in der Strafsache gegen Klaus O*** und Franz K*** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Beschwerde (§ 285 b StPO) des Angeklagten Klaus O*** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 17.Jänner 1990, GZ 37 Vr 668/89-52, sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Franz K*** gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 5.Dezember 1989, GZ 37 Vr 668/89-40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Beschwerde des Angeklagten Klaus O*** wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, dem (nunmehr) zum Verteidiger dieses Angeklagten bestellten Rechtsanwalt Dr. Odo S*** eine Ausfertigung des bekämpften Urteils zur Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung zuzustellen.

Über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Franz K*** wird erst nach Wiedervorlage der Akten entschieden werden.

Text

Gründe:

Der in der Hauptverhandlung durch einen Amtsverteidiger (§ 41 Abs. 3 StGB) vertretene Angeklagte Klaus O*** meldete nach Urteilsverkündung Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an und beantragte zugleich die Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs. 2 StPO für das gesamte Rechtsmittelverfahren. Mit Beschluß vom 6. Dezember 1989 (ON 43) enthob der Vorsitzende den Amtsverteidiger seiner Funktion und gab dem Angeklagten O*** antragsgemäß einen Verteidiger nach § 41 Abs. 2 StPO zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel und Vertretung im Rechtsmittelverfahren bei. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Tirol bestellte daraufhin mit Bescheid vom 12.Dezember 1989 Rechtsanwalt Dr. Klaus R*** zum Verteidiger des Angeklagten O*** (ON 44). Das Bestellungsdekret samt einer Ausfertigung des angefochtenen Urteils wurde Dr. R*** am 19.Dezember 1989 zugestellt. Am 20.Dezember 1989 wurde vom Ausschuß der Rechtsanwaltskammer anstelle Dris. R*** nunmehr Rechtsanwalt Dr. Odo S*** zum Verteidiger des Angeklagten O*** bestellt (ON 48). Von dieser Umbestellung wurde das Gericht durch Übermittlung einer Bescheidausfertigung in Kenntnis gesetzt. Die Zustellung einer Ausfertigung des angefochtenen Urteils an Dr. S*** wurde vom Erstgericht nicht verfügt.

Nachdem in der Folge keine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten O*** bei Gericht einlangte und auch anläßlich der Rechtsmittelanmeldung bestimmte Nichtigkeitsgründe nicht bezeichnet worden waren, wies der Vorsitzende mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten O*** gemäß § 285 a Z 2 StPO zurück (ON 52).

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Beschwerde (§ 285 b Abs. 2 StPO), in der der Angeklagte vorbringt, daß die Frist zur Ausführung der von ihm angemeldeten Rechtsmittel mangels Zustellung einer Urteilsausfertigung an seinen (nunmehr) bestellten Verteidiger Dr. S*** noch gar nicht in Gang gesetzt worden sei, ist begründet. Wie der Oberste Gerichtshof bei der Rechtsanwaltskammer für Tirol erhoben hat (§ 285 f StPO), erfolgte die (Um-)Bestellung Dris. S*** deshalb, weil der zunächst zum Verteidiger bestellte Rechtsanwalt Dr. R*** nach Zustellung des Bestellungsbescheides umgehend der Kammer mitgeteilt hatte, daß er aus einem der in § 45 Abs. 4 RAO bezeichneten Gründe die Verteidigung nicht übernehmen könne. Als ein nach § 45 Abs. 1 RAO bestellter Verteidiger, an den für den Angeklagten rechtswirksam Zustellungen vorgenommen werden können (§ 79 Abs. 2 StPO), ist nach dem Sinn des Gesetzes nur ein solcher Rechtsanwalt anzusehen, der nach den geltenden Vorschriften auch tatsächlich in der Lage ist, die ihm übertragene Aufgabe ordnungsgemäß zu erfüllen. Diese Voraussetzung trifft auf einen Rechtsanwalt, der die Übernahme der Verteidigung aus den im Gesetz (§ 45 Abs. 4 RAO) vorgesehenen Gründen mit Erfolg ablehnt, nicht zu. Würde die Zustellung des Urteils an einen im konkreten Fall als Verfahrenshelfer solcherart ungeeigneten Rechtsanwalt die Frist zur Ausführung von Rechtsmitteln in Lauf setzen, wäre der Angeklagte, der seinen Antrag auf Beigebung eines Verteidigers gemäß § 41 Abs. 2 StPO rechtzeitig stellt, unter Umständen in sachlich ungerechtfertigter Weise benachteiligt, geht doch das Gesetz davon aus, daß dem bestellten Verteidiger in der Regel die gesamte gesetzlich vorgesehene Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels auch tatsächlich zu Gebote stehen soll (vgl § 43 a StPO). In einem solchen Fall beginnt daher die Rechtsmittelausführungsfrist erst nach Enthebung des zunächst bestellten Rechtsanwalts mit der neuerlichen Zustellung des Urteils an den gemäß § 45 Abs. 4 RAO zu bestellenden anderen Rechtsanwalt zu laufen (so schon EvBl 1966/186 zur früheren, im hier maßgeblichen Inhalt unverändert gebliebenen Rechtslage; die noch gegenteilige Auffassung in RZ 1963, 12 ist demnach überholt und im übrigen im Hinblick auf Art 6 Abs. 1 und 3 lit c MRK bedenklich; vgl auch - wiewohl auf der Grundlage besonderer, jedoch von den gleichen Intentionen getragener Bestimmungen der ZPO basierend - SZ 44/133 und AnwBl 1984, 448). Die Urteilszustellung an Dr. R*** (am 19.Dezember 1989) war sohin unwirksam. Eine neuerliche Zustellung nunmehr an Dr. S*** ist bisher unterblieben, sodaß die Frist zur Ausführung der vom Angeklagten O*** angemeldeten Rechtsmittel noch gar nicht begonnen hat und die Zurückweisung mangels Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde demnach unberechtigt war. In Stattgebung der Beschwerde des Angeklagten O*** war der angefochtene Beschluß daher zu kassieren.

Da bisher der Anordnung des § 284 Abs. 4 StPO in der vom Gesetz geforderten Weise noch nicht entsprochen worden ist, wird dies durch das Erstgericht nachzuholen und in analoger Anwendung des § 285 b Abs. 5 StPO dem nunmehrigen Verteidiger des Angeklagten O***, Rechtsanwalt Dr. S***, gleichzeitig mit der Eröffnung der vorliegenden Entscheidung eine Ausfertigung des Urteils zuzustellen und dadurch die Frist zur Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung in Gang zu setzen sein. Nach Einlangen solcher Ausführungen - oder ergebnislosem Verstreichen der hiefür vorgesehenen Frist - werden die Akten neuerlich vorzulegen sein. Über die - bereits rechtzeitig ausgeführten - Rechtsmittel des Zweitangeklagten Franz K*** wird zweckmäßigerweise erst danach entschieden werden.

Anmerkung

E19900

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0120OS00016.9.0308.000

Dokumentnummer

JJT_19900308_OGH0002_0120OS00016_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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