Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E. G*** Gesellschaft mbH, Wien 5., Margaretenstraße 80, vertreten durch Dr. Thomas Wanek, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** E*** Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 12., Schönbrunner Schloßstraße 38-40, vertreten durch Dr. Wolfgang Waldeck und Dr. Hubert Hasenauer, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 523.275,- s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 16. November 1989, GZ 1 R 217/89-49, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 12. Mai 1989, GZ 15 Cg 132/86-45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 17.398,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.899,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei hat mit der beklagten Partei für den von ihr von der I*** L*** GmbH (im folgenden nur Firma I***) geleasten PKW Maserati Biturbo 2500 eine Kaskoversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassenunfall-Versicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern (AKIB) zugrundeliegen. Art. 6 Abs.2 Z 2 der AKIB bestimmt als Obliegenheit, deren Verletzung nach Maßgabe des § 6 Abs.3 VersVG die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen. Die Versicherung ist zugunsten der Firma I*** vinkuliert. In der Nacht vom 17. auf den 18. November 1985 brannte der PKW infolge Brandstiftung aus. Die klagende Partei begehrt mit Hauptbegehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, die Versicherungsleistung an die Firma I*** zu erbringen, und mit Eventualbegehren die Feststellung der Deckungspflicht. Die beklagte Partei macht unter anderem Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit geltend.
Das Erstgericht wies Haupt- und Eventualbegehren ab. Nach seinen Feststellungen haftete unter anderem auch der Geschäftsführer der klagenden Partei, Johann G***, für die Verbindlichkeiten gegenüber der Firma I***. Zum 31. Oktober 1985 schuldete die klagende Partei der Firma I*** S 97.908,51 an rückständigen Leasingraten. Am Nachmittag des 31. Oktober 1985 fuhr Johann G*** mit einer Bekannten in den westlichen Wienerwald. In der Ulmenstraße in Wien 14 stellte er den PKW auf der linken Fahrbahnhälfte einer Linkskurve - in seiner Fahrtrichtung gesehen - so ab, daß dieser zum Teil in die Fahrbahn ragte. Johann G*** begab sich sodann mit seiner Begleiterin in ein Gasthaus, in dem er sich mehrere Stunden aufhielt und von dem er dann mit einem Taxi nach Hause fuhr. Auf Veranlassung Johann G***'s führte Johann T*** am selben Tag eine Kollision zwischen dem Maserati und einem von ihm gelenkten, beim Autoverleih B*** gemieteten Pritschenwagen herbei, wodurch der Maserati erheblich beschädigt wurde. Wenige Tage später ließ Johann G*** den PKW beim Generalimporteur Wilhelm W*** besichtigen und erbat einen Kostenvoranschlag. Trotz des Hinweises, daß wegen der Beschädigung von Motorteilen ein Folgeschaden drohe, fuhr Johann G*** den PKW auf das Gelände des Matzleinsdorfer Frachtenbahnhofs, wo sich ein Büro der L B C Internationale Speditions- und Transportgesellschaft mbH befand, deren Geschäftsführer Johann G*** früher war. Dort brannte der PKW, in dessen Inneres Papier geschichtet und hineingestreut worden war, infolge Brandstiftung aus. Johann G*** hielt sich zur Brandzeit zu Hause auf. Es konnte nicht festgestellt werden, daß er einen Dritten zur Brandlegung angestiftet hatte. Am 18. November 1985 nahm der Schadensreferent der klagenden Partei Franz M*** mit Johann G*** Kontakt auf. Auf die Frage, warum er ein so teures Auto unbewacht abgestellt habe, erklärte Johann G***, er habe einen vor etwa 3 Wochen eingetretenen Unfallschaden noch nicht reparieren lassen und halte den Wagen für allfällige Besichtigungen in seinem Nahbereich. Er wolle das Fahrzeug bei Friedrich W*** reparieren lassen, doch habe dieser die Ersatzteile nicht lagernd. Letzteres traf jedoch nicht zu. Johann G*** erklärte dem Schadensreferenten der beklagten Partei ferner, außer ihm habe niemand Schlüssel. Niemand habe die Möglichkeit gehabt, an Schlüssel zu kommen. Bei einem weiteren Gespräch am 19. November 1985 erklärte Johann G***, mit den Leasingzahlungen sei alles in Ordnung. Tatsächlich befanden sich zur Brandzeit je ein Schlüsselsatz bei Johann G*** bzw. in dessen Wohnung, ein weiterer Schlüsselsatz in der Schottenfeldgarage, wo die klagende Partei einen Abstellplatz gemietet hatte. Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes sei die beklagte Partei im Hinblick auf das Zusammenwirken von Johann G*** und Johann T*** bei dem Schadensereignis vom 31. Oktober 1985 auch für den Brandschaden gemäß § 61 VersVG leistungsfrei.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln und übernahm die wesentlichen Feststellungen des Erstgerichtes. Nach Auffassung des Berufungsgerichtes sei die beklagte Partei wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach Art. 6 Abs.2 Z 2 AKIB leistungsfrei. Sinn der Aufklärungspflicht sei es, den Versicherer in die Lage zu setzen, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalles zu treffen. Diese Aufklärungspflicht soll den Versicherer in die Lage versetzen, die Möglichkeiten zur Überprüfung der Angaben des Versicherungsnehmers auszuschöpfen und ihn insbesondere vor betrügerischen Machenschaften schützen. Unrichtige bzw. widersprüchliche Angaben über den Verbleib der Fahrzeugschlüssel stellten ebenso eine Verletzung der Aufklärungspflicht dar wie unrichtige Angaben über Rückstände in der Zahlung der Leasingraten und das Vortäuschen des Umstandes, daß die Verzögerung der Reparatur des ersten Schadens bloß auf Schwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung zurückzuführen sei. Die beklagte Partei habe den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung bewiesen. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß die Obliegenheitsverletzung nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen worden sei, treffe den Versicherungsnehmer. Es wäre daher Sache der klagenden Partei gewesen, jene Umstände zu behaupten und zu beweisen, aus denen sich ergäbe, daß ihr weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last falle. In dieser Richtung sei nicht einmal ein Sachvorbringen erstattet worden. Die vorsätzliche Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in der Kaskoversicherung bewirke Leistungsfreiheit selbst dann, wenn die Obliegenheitsverletzung im Einzelfall keinen Einfluß auf die Feststellung oder den Umfang der vom Versicherer zu erbringenden Leistung gehabt habe.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der klagenden Partei ist nicht berechtigt.
Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes über das Wesen der Aufklärungsobliegenheit, die Rechtsfolgen ihrer Verletzung und die Beweislast entspricht der ständigen Rechtsprechung und wird von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Es kann daher insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsurteils und die dort genannten Belegstellen verwiesen werden. Mit Recht hat das Berufungsgericht aber auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht im vorliegenden Fall darin erblickt, daß der Geschäftsführer der klagenden Partei über den Verbleib der Fahrzeugschlüssel, den Zahlungsrückstand und den Grund für die Reparaturverzögerung sowie das Abstellen des Fahrzeugs auf dem Gelände des Frachtenbahnhofs unrichtige Angaben gemacht hat. Allen diesen Fragen kam hier mit Rücksicht auf die Umstände des Falles eine erhebliche Bedeutung zu, und zwar insbesondere auch mit Rücksicht auf die Umstände, die zum ersten Schadensfall geführt haben. Nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor betrügerischen Machenschaften hatte die beklagte Partei ein berechtiges Interesse an einer wahrheitsgemäßen Information über die gestellten Fragen, sondern auch mit Rücksicht auf allfällige Regreßansprüche. Der Vorwurf der unzulässigen Berücksichtigung überschießender Feststellungen ist unberechtigt. Zutreffend weist die beklagte Partei darauf hin, daß zu allen von der Revision bemängelten Punkten ein konkretes Sachvorbringen erstattet wurde (vgl. insbesondere AS 20, 22, 23 und 25 in ON 5). Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E20391European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00009.9.0308.000Dokumentnummer
JJT_19900308_OGH0002_0070OB00009_9000000_000