Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Graf als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karoline F***, ohne Beruf, Wien 12., Schönbrunnerstraße 242/1/3, vertreten durch Dr. Peter Bock, Rechtsanwalt in Wien, als Sachwalter, wider die beklagte Partei Gerhard F***, Bankangestellter, Wien 21.,
Brünnerstraße 332, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, wegen Nichtigerklärung des zu 6 Cg 264/81 des Landesgerichtes für ZRS Wien geführten Ehescheidungsverfahrens, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 9. Oktober 1989, GZ 14 R 157/89-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 3. Februar 1989, GZ 28 Cg 297/85-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
In Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes wird das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.
Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.705,70 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 617,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit der am 10. Juni 1981 beim Erstgericht eingelangten Klage (6 Cg 264/81) begehrte der hier beklagte Mann als Kläger die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der nun klagenden Frau als Beklagte (§ 49 EheG). Bei der ersten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung über jene Klage am 8. Juli 1981 erschien die Frau als dort Beklagte mit dem von ihr am gleichen Tag bevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. Otto A***. Die folgende Verhandlung am 10. August 1981 besuchte zwar Dr. A***, nicht aber die Frau. Zur letzten Tagsatzung vom 6. Oktober 1981 erschien sie ohne ihren bisherigen Vertreter Dr. A*** mit dem Hinweis, daß das Vertretungsverhältnis zu diesem aufgelöst sei. Mit dem Urteil vom 3. November 1981 schied das Erstgericht die Ehe aus dem Alleinverschulden der Frau, weil sie dem Mann in grundloser Eifersucht ehewidrige Beziehungen zu Arbeitskolleginnen unterstellt und ihn auch deswegen beschimpft habe. Sie habe die häuslichen Pflichten vernachlässigt und Geldbeträge von etwa S 200,-- aus der Brieftasche des Mannes gestohlen. Mit dem Beschluß vom 19. Juni 1985 bestellte das Bezirksgericht Fünfhaus zur GZ 3 SW 202/84-28 Rechtsanwalt Dr. Alfred S*** zum Sachwalter für die Frau, weil sie an einer endogenen schizophrenen Psychose leidet und daher nicht mehr in der Lage ist, ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteiles für sich (und ihren minderjährigen Sohn) zu besorgen. Mit dem Beschluß vom 7. Oktober 1985 ermächtigte das Bezirksgericht Fünfhaus den Sachwalter zur Erhebung der Nichtigkeitsklage gemäß § 529 ZPO "gegen das Scheidungsurteil", weil aus dem Gutachten Dris. S*** das Zurückreichen der Geisteskrankheit bis vor das Scheidungsverfahren hervorgehe. Mit dem Beschluß vom 29. Mai 1989 wurde an Stelle des Rechtsanwaltes Dr. S*** Dr. Peter B*** zum Sachwalter bestellt.
Mit der am 28. Oktober 1985 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die vom bestellten Sachwalter vertretene Frau unter Hinweis auf ihre bis 1973 zurückreichende Geisteskrankheit die Nichtigerklärung des Scheidungsurteiles, weil sie im damaligen Verfahren nicht durch einen gesetzlichen Vertreter vertreten gewesen sei. Die Klage sei zeitgerecht eingebracht, weil die hiefür vorgesehene Frist von vier Wochen erst ab Zustellung der Genehmigung der Klageführung laufe.
Der beklagte Mann beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil die klagende Frau die unbegründete Behauptung einer Geisteskrankheit lediglich von dem untauglichen Gutachten eines Sachverständigen von zweifelhafter Qualität ableite. Die Frau habe im Scheidungsverfahren einen besonnenen Eindruck gemacht. Das Vorliegen einer Geisteskrankheit sei lediglich eine Schutzbehauptung. Die Klage sei außerdem verfristet, weil sie später als vier Wochen nach der Zustellung des Sachwalterbestellungsbeschlusses eingebracht wurde. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es
traf - zusammengefaßt dargestellt - folgende Feststellungen:
Die Klägerin war erstmals im Sommer 1975 im Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien - Baumgartner Höhe wegen Schizophrenie in Behandlung. Ab Juli 1979 war sie chronisch psychotisch und nicht mehr geschäftsfähig. Dies bestätigte sich bei den Untersuchungen im Februar, Mai und Juli 1981, im Mai und Juli 1982, im Jahre 1984 und bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S*** im Jahr 1985. Im Scheidungsverfahren machte die Klägerin über ihre Schizophrenie keine Mitteilung. Geisteskranke halten sich vielfach für gesund oder genieren sich, stationäre Aufenthalte in der Psychiatrie anzugeben. Warum der Beklagte damals auf die Geisteskrankheit der Klägerin nicht hingewiesen hat, ist nicht bekannt. Die Geisteskrankheit wurde im Scheidungsverfahren nicht erkannt. Es gelingt psychotischen Patienten sehr oft, kurzzeitig einen geordneten Eindruck zu machen. Das im Scheidungsverfahren festgestellte Fehlverhalten der Klägerin war ab Sommer 1979 auf deren Geisteskrankheit zurückzuführen.
Rechtlich hielt das Erstgericht die Nichtigkeitsklage nicht für verfristet; die Monatsfrist des § 534 Abs 2 Z 2 ZPO beginne mit der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung an den gesetzlichen Vertreter. Die Voraussetzungen dafür, daß der Nichtigkeitsklage stattgegeben werden könne, seien gegeben.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Urteil mit der Maßgabe, daß es das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 3. November 1981, 6 Cg 264/81-5, und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufhob. Auch das Gericht zweiter Instanz vertrat die Auffassung, daß die Nichtigkeitsklage nicht verfristet sei, weil die 4-wöchige Frist des § 534 Abs 1 ZPO nach § 529 Abs 1 Z 2 ZPO ab der Zustellung der angefochtenen Entscheidung an den gesetzlichen Vertreter zu laufen beginne. Da die Klägerin während des Scheidungsverfahrens aufgrund ihrer Geisteskrankheit außerstande war, prozessual zu handeln und über keinen gesetzlichen Vertreter verfügte, seien die Voraussetzungen für die Aufhebung des angefochtenen Scheidungsurteils als nichtig gegeben. Die Klägerin habe die Nichtigerklärung des gesamten Verfahrens angestrebt, weshalb das Urteil des Erstgerichtes in diesem Sinn "zu verdeutlichen" gewesen sei.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 1, 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist teilweise berechtigt.
Der Beklagte vertritt weiterhin die Ansicht, die Nichtigkeitsklage sei verfristet. Im übrigen könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin im Scheidungsverfahren nicht in der Lage oder außerstande war, ihre Angelegenheiten zu besorgen. Die "Verdeutlichung" des Urteilsspruches durch Nichtigerklärung auch des dem Scheidungsurteil vorausgegangenen Verfahrens verstoße gegen die Teilrechtskraft.
Dazu war zu erwägen:
Die Frist nach § 534 Abs 1 ZPO ist eine Präklusivfrist prozessualer Natur (Rechberger-Simotta, Zivilprozeßrecht3 Rz 757); die Beurteilung der Frage, ob die Nichtigkeitsklage verfristet war oder nicht, ist daher eine solche des Verfahrensrechtes. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein angeblicher Verfahrensverstoß des Erstgerichtes, dessen Vorliegen das Berufungsgericht verneint hat, mit Revision nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden (SZ 22/106; EFSlg 12.311 uza.). Auf die Frage der Verfristung der Nichtigkeitsklage ist daher nicht einzugehen.
Das Berufungsgericht hat im wesentlichen zutreffend ausgeführt, daß auch nach der für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsfalles maßgeblichen Rechtslage vor dem Inkrafttreten des SachwG 1983 BGBl. 136 und der endgültigen Aufhebung des Hofdekretes vom 23.8.1819 JGS Nr. 1595 durch Art. VII des BG BGBl. 1983/566 Geschäftsunfähige, die durch ihre Geisteskrankheit außerstande waren, die Tragweite des Verfahrens und ihres Verhaltens in diesem zu erfassen, prozeßunfähig waren und im Verfahren daher des gesetzlichen Vertreters bedurften (vgl. Fasching II, 133; SZ 37/25 ua.). Die Feststellungen der Vorinstanzen haben die Geschäftsunfähigkeit der Klägerin infolge paranoider Schizophrenie eindeutig klargestellt. Festgestellt wurde weiters, daß die Klägerin im Scheidungsverfahren keinen gesetzlichen Vertreter hatte, der ihr aufgrund ihrer Geschäftsunfähigkeit beizustellen gewesen wäre (vgl. SZ 25/238 ua.). Die Voraussetzungen für die Anfechtung des rechtskräftigen Scheidungsurteiles durch Nichtigkeitsklage gemäß § 529 Abs 1 Z 2 ZPO sind daher - wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten - gegeben.
Mit Recht rügt aber der Beklagte als Verfahrensmangel, daß das Berufungsgericht über das von der Klägerin gestellte Begehren auf Aufhebung des Scheidungsurteiles als nichtig hinaus auch das diesem vorausgegangene Verfahren als nichtig aufgehoben hat. Die Nichtigkeitsklage richtet sich gemäß § 529 Abs 1 ZPO gegen eine rechtskräftige Entscheidung und nicht gegen dazu führende Verfahrensschritte (vgl. 3 Ob 95/88; 8 Ob 547/87; 4 Ob 143/55 ua.). Die Aufhebung des Verfahrens wurde hier weder begehrt noch in erster Instanz verfügt. Es ist nicht auszuschließen, daß der für die Klägerin bestellte Sachwalter einzelne Teile (Verfahrensschritte) des Scheidungsverfahrens nachträglich genehmigt. Demgemäß kann die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die Aufhebung des Scheidungsurteiles als nichtig notwendigerweise auch die Nichtigerklärung des gesamten Verfahrens zur Folge habe, nicht geteilt werden. Das Klagebegehren wurde daher durch die Entscheidung des Berufungsgerichts überschritten und dies stellt einen Verstoß gegen § 405 ZPO dar, der vom Beklagten mit Recht als Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens gerügt wurde. Es war deshalb der Revision teilweise Folge zu geben und in Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO; es wurde darauf Bedacht genommen, daß der abändernde Teil der Entscheidung im Vergleich zur Bestätigung des übrigen Teiles von gänzlich untergeordneter Bedeutung ist.
Anmerkung
E20111European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0080OB00529.9.0309.000Dokumentnummer
JJT_19900309_OGH0002_0080OB00529_9000000_000