TE OGH 1990/3/14 3Ob598/89

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Veröffentlicht am 14.03.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule, Dr.Warta, Dr.Klinger und Dr.Angst als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Waltraud B***, Geschäftsfrau, Reinprechtsdorferstraße 46, 1050 Wien, vertreten durch Dr.Wolfgang Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei prot. Firma O*** & Co, Parkring 16, 1010 Wien, vertreten durch Dr.Christa Springer, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung der Unwirksamkeit und Nichtigkeit eines Räumungsvergleiches, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 2.Juni 1989, GZ 48 R 155/89-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 29.Juni 1988, GZ 43 C 226/87-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

Es wird festgestellt, daß der zwischen den Parteien am 22.April 1983 zu AZ 43 C 235/83 des Bezirksgerichtes innere Stadt Wien geschlossene Räumungsvergleich rechtsunwirksam und nichtig und eine Exekutionsführung auf Grund dieses Titels unzulässig ist. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 72.800,48 (darin S 10.017,13 Umsatzsteuer und S 2.526,-- Barauslagen) bestimmten Kosten dieses Rechtsstreits binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Handelsgesellschaft hat als Hauptmieter der Geschäuftsräumlichkeiten Nr 3 und Nr 4 im Haus Reinprechtsdorferstraße 46 in 1050 Wien mit der Klägerin einen Untermietvertrag geschlossen, der ein vom 15.April 1975 bis 14.April 1979 befristetes Unterbestandverhältnis begründete. Auf Grund der Mitteilung der Prokuristin der beklagten Partei, daß die Klägerin den Mietgegenstand räumen müsse, wenn die Miete nicht unter Abschluß eines Räumungsvergleiches verlängert werde, verpflichtete sich die Klägerin im gerichtlichen Vergleich am 14.März 1978 vor dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien unter Verzicht auf jeden Aufschub zur Räumung des Mietgegenstandes bis längstens 30.April 1984. Schon damals wurde der Klägerin erklärt, sie könne nur dann über diesen Termin hinaus Untermieterin bleiben, wenn sie wieder einen Räumungsvergleich schließe. Am 22.April 1983 haben die Parteien deshalb vor dem Bezirksgericht Innere Stadt zu AZ 43 C 235/83 einen weiteren Vergleich geschlossen, womit sich die Klägerin unter Verzicht auf jeden Aufschub verpflichtete, das Bestandobjekt bis längstens 30.April 1987 zu räumen.

Am 26.März 1987 erhob die Klägerin gegen die beklagte Partei die Klage auf Feststellung, daß dieser Räumungsvergleich unwirksam und nichtig und eine Exekutionsführung auf Grund dieses Vergleiches unzulässig sei. Sie sei schon bei Abschluß des Vertrages durch Irreführung bewogen worden, unwirksame Bedingungen anzunehmen. Der Räumungsvergleich stelle in beiden Fällen eine sittenwidrige Umgehung der auf das Bestandverhältnis anzuwendenden Kündigungsschutzvorschriften dar. Sie müsse befürchten, daß Räumungsexekution betrieben werde. Bei Abschluß des Vergleiches sei sie nicht im Vollbesitz der (Unter-)Mietrechte gewesen, weil sie dem Vertragserrichter eine unterfertigte Aufkündigung überlassen und vor Verlängerung der Vertragsdauer jeweils einen Räumungsvergleich abzuschließen hatte.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der nach Abschluß des Untermietvertrages und Übergabe des Mietgegenstandes geschlossene gerichtliche Vergleich sei wirksam. Das Erstgericht wies auf der Grundlage des eingangs wiedergegebenen Sachverhalts das Klagebegehren ab. Das auf vier Jahre geschlossene Untermietverhältnis sei nach § 23 Abs 2 MG auf unbestimmte Zeit erneuert gewesen, weil schon die ursprüngliche Dauer des Zeitmietvertrages ein halbes Jahr überstieg. Bei Abschluß des ersten Räumungsvergleiches am 14.März 1978 habe ein der Auflösung durch Vereinbarung zugängliches nicht befristetes Mietverhältnis bestanden. Diesen Räumungsvergleich habe die Klägerin nicht angefochten. Durch den Abschluß des neuen Vergleiches am 22. April 1983 habe die Klägerin erreicht, erst drei Jahre später räumen zu müssen. Darüber sei sie weder irregeführt worden noch in einem Irrtum gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteigt. Bei Abschluß des Räumungsvergleiches am 14.März 1978 habe die Klägerin ein Untermietrecht auf unbestimmte Zeit besessen, weil die Befristung nach § 23 Abs 2 MRG nur für ein halbes Jahr zulässig gewesen wäre. Ihr Irrtum über diese Rechtslage sei unbeachtlich, denn sie habe nur irrtümlich gemeint, das Untermietverhältnis unterliege nicht den Kündigungsbeschränkungen nach dem § 19 MG und ende am 14.April 1979. Es handle sich nur um einen Motivirrtum, wenn sie aus Sorge, das Objekt sonst früher räumen zu müssen, den gerichtlichen Vergleich abschloß. Die Unkenntnis des Gesetzes hindere den Eintritt der Rechtsfolgen nicht. Eine Anfechtung des ersten Räumungsvergleiches hätte erfolglos bleiben müssen. Am 22.April 1983 sei das dadurch wirksam befristet gewesene Untermietverhältnis nur verlängert worden. Selbst wenn der Vergleichsabschluß in beiden Fällen als einheitliche rechtswidrige Umgehung der Kündigungsbeschränkungen angesehen würde, könne die Anfechtung wegen eines der Klägerin unterlaufenen Rechtsfolgenirrtums nicht stattfinden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Nach einheitlicher Rechtsprechung können die für Mietverhältnisse geltenden gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen nicht durch eine vor oder gleichzeitig mit dem Abschluß des Mietvertrages getroffene Räumungsverpflichtung umgangen werden. Eine solche - auch in einem gerichtlichen Vergleich - eingegangene Räumungsverpflichtung ist unwirksam (Zingher, MG18 125; SZ 22/28; SZ 43/172; MietSlg 35.343; WoBl 1989, 76 = ImmZ 1989, 96 uva). Der Mieter darf bei einer an sich zulässigen einvernehmlichen Auflösung des Mietverhältnisses nicht unter Druck gestanden sein. Sobald ein wirksamer Mietvertrag vorliegt und der Mieter das Bestandobjekt übernommen hat, besteht in der Regel kein Bedürfnis mehr, den Mieter vor einer einvernehmlichen Auflösung des Mietverhältnisses zu schützen und die Vertragsfreiheit weiter einzuengen. Übernimmt der Mieter daher zu einer Zeit, als ein Druck nicht mehr anzunehmen ist, die Verpflichtung zur Räumung, so ist die Einigung wirksam, auch wenn sie nicht sofort realisiert wird (MietSlg 33.424/16; MietSlg 34.509; MietSlg 35.343 uva). § 29 MRG steht der einvernehmlichen Auflösung des Mietverhältnisses nur entgegen, wenn der Mieter unter Druck steht (Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht, Rz 33 zu § 29 MRG mwH).

Die Klägerin hatte sich am 14.März 1978 zur Räumung der in Unterbestand genommenen Geschäftsräumlichkeit nur verpflichtet und auf jeden Aufschub der Räumung verpflichtet, weil ihr dies als Voraussetzung einer Verlängerung des Bestandverhältnisses abverlangt worden war. Sie wollte nicht das Bestandobjekt räumen. Einer ausdrücklichen Anfechtung dieses Vergleiches bedurfte es nicht. Die Klägerin hat als Klagsgrund insgesamt das Vorgehen der beklagten Partei geltend gemacht, die sich zunächst eine Aufkündigung des Unterbestandverhältnisses zu der vereinbarten Beendigung am 14.April 1979 unterschreiben ließ und dann die der Untermieterin in Aussicht gestellte Verlängerung jeweils vom Abschluß eines Räumungsvergleiches abhängig machte. Nach § 23 Abs 2 MG war aber die bei Abschluß des Untermietvertrages vereinbarte sechs Monate übersteigende Befristung des Bestandverhältnisses vom Vermieter undurchsetzbar (MietSlg 39.406/19), weil der auf bestimmte Dauer geschlossene Untermietvertrag als auf unbestimmte Zeit erneuert galt und daher vom Vermieter nur mehr aus wichtigen Gründen gekündigt werden konnte. Jede Vereinbarung, wonach dem Vermieter ein über die Bestimmungen des § 19 MG hinausgehendes erweitertes Kündigungsrecht zustehen sollte, war nach § 19 Abs 6 MG ungültig.

Nach dem zu beurteilenden Sachverhalt zielte die beklagte Partei als Untervermieterin darauf ab, diesen Kündigungsschutz der Untermieterin zu unterlaufen und damit gesetzliche Bestimmungen zu umgehen, wozu in der als Einheit anzusehenden Kette der Aneinanderreihung gesetzlich nicht zugelassener Mietverträge von bestimmter Dauer auch die erste, durch den Räumungsvergleich vom 14. März 1978 vorgenommene Verlängerung zählte und schließlich - weil nichts dafür spricht, daß die Klägerin iSd § 29 Abs 1 Z 3 lit d MRG einen neuen befristeten Untermietvertrag schließen wollte, während die verlängerte Vertragsdauer jedenfalls fünf Jahre überstieg - auch der Räumungsvergleich vom 22.April 1983, dessen Wirksamkeit Gegenstand des Rechtsstreites ist. Daß eine Anfechtung des ersten Räumungsvergleiches mittels Klage nicht erfolgte, ist schon deshalb nicht erheblich, weil seine von der Klägerin bestrittene Wirksamkeit als Vorfrage zu prüfen ist und dieser Räumungstitel nach § 575 Abs 2 ZPO, der auch für Vergleiche gilt (MietSlg 37.793 uva), außer Kraft getreten war.

Im Vorgehen der Untervermieterin, die Klägerin zum Abschluß gerichtlicher Räumungsvergleiche zu bewegen, ohne daß die Klägerin beabsichtigte, das auf unbestimmte Zeit verlängerte Bestandverhältnis tatsächlich zu beenden, sondern nur die gar nicht erforderliche "Verlängerung" erreichen wollte, ist daher insgesamt eine sittenwidrige Umgehung der Kündigungsbeschränkungen zu erblicken, die auch die Rechtsunwirksamkeit des strittigen Vergleichsabschlusses zur Folge hat.

Das Verlangen der Klägerin nach dieser Feststellung ist entgegen der Ansicht der Vorinstanzen berechtigt.

Das Obsiegen der Klägerin hat die Kostenersatzpflicht der beklagten Partei für alle der Klägerin in den drei Instanzen entstandenen, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zur Folge (§§ 41 und 50 ZPO). Bis zu der Vereinbarung, daß das Verfahren gegen den ursprünglich mitbeklagten Gesellschafter der beklagten Partei und Liegenschaftseigentümer ruhen solle, teilen sich die Kosten der Klägerin in die Rechtsverfolgung gegen zwei Gegner, so daß für diesen ersten Abschnitt nur die Hälfte der Kosten von der beklagten Partei zu ersetzen sind. Die Kosten des Antrages auf Aufschiebung der zu AZ 43 C 235/83 bewilligten Räumungsexekution, über den im Exekutionsverfahren zu entscheiden gewesen wäre, zählen nicht zu den Prozeßkosten. Auch für den Antrag auf Erstreckung der Berufungsverhandlung vom 19.Mai 1989 auf einen späteren Termin gebührt kein Kostenersatz, weil diese Kosten nach § 48 Abs 1 ZPO von der Klägerin, deren Rechtsvertreter verhindert war, selbst zu tragen sind.

Anmerkung

E20265

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0030OB00598.89.0314.000

Dokumentnummer

JJT_19900314_OGH0002_0030OB00598_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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