Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gottfried P***, Fuhrwerksunternehmer, 2641 Schottwien, Aue 10, vertreten durch Dr. Werner Posch, Rechtsanwalt in Gloggnitz, wider die beklagte Partei I*** U***- UND S***-AG,
Tegetthoffstraße 7, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Kurt Hanusch und Dr. Heimo Jilek, Rechtsanwälte in Leoben, wegen S 500.000 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 5. Dezember 1989, GZ 1 R 207/89-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 12. August 1989, GZ 7 Cg 259/88-25, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.410,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 1.235,10 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 15. Juni 1987 ereignete sich auf der Schnellstraße 35 im Gemeindegebiet von Pernegg, Bezirk Bruck an der Mur, ein Verkehrsunfall, bei welchem der von Erwin M*** gelenkte Sattelzug, Marke Iveco mit dem pol. Kz N 45.881, beschädigt wurde. Der Kläger begehrte von dem beklagten Haftpflichtversicherer des an dem Unfall weiters beteiligten Sattelkraftfahrzeuges pol. Kz K 202.516 die Bezahlung von der Höhe nach nicht umstrittenen S 500.000 sA. Der Lenker Anton P*** habe den Unfall allein verschuldet. Er habe sein Fahrzeug ohne Abgabe eines Blinkzeichens plötzlich nach links gelenkt. Erwin M*** habe seinen Sattelschlepper zur Vermeidung eines Zusammenstoßes nach links verreißen müssen. Er sei dadurch von der Fahrbahn abgekommen. Sein Fahrzeug sei dabei beschädigt worden.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Lenker des Fahrzeuges des Klägers habe den Unfall allein verschuldet. Anton P*** habe sein Fahrzeug nur geringfügig nach links gelenkt. Erwin M*** habe dieses Manöver infolge Unaufmerksamkeit unrichtig gedeutet und deshalb das Sattelkraftfahrzeug stark abgebremst. Er habe auch eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und sein Überholmanöver bei einem zu geringen Seitenabstand eingeleitet.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es
traf - zusammengefaßt dargestellt - folgende Feststellungen:
Vor den beiden unfallsbeteiligten Fahrzeugen fuhr ein weiterer LKW. Dessen Fahrer verringerte seine Geschwindigkeit, weil er zu einem rechts gelegenen Parkplatz zufahren wollte. Er betätigte ca. 50 m vor dem Parkplatz den rechten Blinker, bremste das Fahrzeug auf etwa 20 km/h ab und bog mit dieser Geschwindigkeit nach rechts ein. Anton P***, der mit dem von ihm gelenkten Sattelkraftfahrzeug in der Mitte des rechten Fahrstreifens nachfuhr, verminderte vorerst seine Geschwindigkeit auf 63 km/h und beschleunigte dann auf 67 km/h. Als der Tiefenabstand zum Vorderfahrzeug rund 42 m betrug, lenkte er das Sattelkraftfahrzeug ohne den Blinker zu betätigen und ohne einen Blick in den Rückspiegel zu werfen nach links, um den nach rechts abbiegenden LKW, der sich noch teilweise auf der Fahrbahn befand (1 m), in einem Abstand von 0,5 m zu überholen. Dadurch überfuhr er die Leitlinie (Mitte der 6,9 m breiten Fahrbahn) um mindestens 0,55 m. Erwin M***, der mit dem Sattelkraftfahrzeug des Klägers hinter Anton P*** fuhr, beabsichtigte, das Vorderfahrzeug zu überholen. Er lenkte nach links und beschleunigte von 68,8 km/h auf 78,4 km/h. Als er bereits zur Gänze auf dem linken Fahrstreifen fuhr und der Tiefenabstand zum Vorderfahrzeug nur mehr 2 m betrug, faßte Erwin M***, um eine Kollision mit dem Vorderfahrzeug zu verhindern, unverzüglich den Entschluß zum Bremsen und zum Linksauslenken. Bis zum Blockierbeginn legte Erwin M*** hierauf 42,65 m in 2 Sekunden zurück und verminderte seine Geschwindigkeit nach 0,75 Sekunden (= 14,27 m) auf 65 km/h. Er holte dadurch gegenüber dem Vorderfahrzeug 7,4 m auf und fiel danach gegenüber diesem Fahrzeug zurück. Die Fahrbahnbreite hätte an sich ein gefahrloses Überholen zugelassen.
Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß Anton P*** den Unfall allein verschuldet habe, weil er das Überholmanöver des Erwin M*** in unzulässiger Weise behinderte. Diesen treffe kein Mitverschulden, weil er nicht zu schnell gefahren oder verspätet reagiert habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, daß es den Zuspruch eines Betrages von S 333.333,33 sA an den Kläger bestätigte, hingegen das Mehrbegehren von S 166.666,67 sA abwies. Auf der Grundlage der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen lastete es auch dem Lenker des Fahrzeuges des Klägers Erwin M*** ein Verschulden an dem Unfall an. Dieser habe eine Bremsausgangsgeschwindigkeit von 78 km/h eingehalten, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit für das Sattelkraftfahrzeug 70 km/h betrug (§ 58 Abs. 1 Z 1 lit. a KDV). Diese Überschreitung um 12 % könne bei der Verschuldensabwägung nicht unberücksichtigt bleiben. Hätte Erwin M*** die zulässige Geschwindigkeit von 70 km/h nicht überschritten, wäre eine Überholung des mit 67 km/h fahrenden Vorderfahrzeuges von vornherein nicht in Betracht gekommen. Das Verschulden sei im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten der beklagten Partei zu teilen.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus den Anfechtungsgründen des § 503 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die unter dem Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens behaupteten Verfahrensverstöße des Berufungsgerichtes liegen nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO). In der Rechtsrüge stellt sich der Kläger auf den Standpunkt, daß der Schutzzweck des § 58 Abs. 1 Z 1 lit. a KDV nicht die Hintanhaltung von Gefährdungen umfasse, die ein zu überholender Lenker durch unstatthaftes Linksabbiegen heraufbeschwöre. Ein dennoch anzunehmender Verstoß gegen diese Bestimmung sei so geringfügig, daß ihm die Unfallsursächlichkeit fehle. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden:
Der Oberste Gerichtshof hat mehrfach ausgesprochen, daß der Zweck der Normen über die Bauartgeschwindigkeit von Fahrzeugen nach § 58 Abs. 2 KDV (vgl. ZVR 1984/14; ZVR 1982/12; ZVR 1981/116 ua), aber auch jener nach § 58 Abs. 1 Z 1 lit. a, b, c und e KDV über die von Kraftfahrzeugen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nicht zu überschreitenden Geschwindigkeiten (vgl. 2 Ob 141/89; ZVR 1983/72; 8 Ob 123/75 ua) Schutznormen im Sinn des § 1311 ABGB darstellen, deren Normzweck in der Verhinderung aller Gefahren im Straßenverkehr besteht, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt. Zutreffend hat daher das Berufungsgericht dem Lenker des Fahrzeuges des Klägers angelastet, gegen § 58 Abs. 1 Z 1 lit. a KDV dadurch verstoßen zu haben, daß er die darin für sein Sattelkraftfahrzeug vorgesehene höchst zulässige Geschwindigkeit von 70 km/h beträchtlich (12 %) überschritt. Daß sich der Unfall auch ereignet hätte, wenn der Lenker des Fahrzeuges des Klägers die höchst zulässige Geschwindigkeit von 70 km/h eingehalten hätte, hat das Verfahren nicht ergeben. Im Gegenteil, der Sachverständige stellte als durchaus möglich dar, daß Erwin M*** bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von bloß 70 km/h die Situation auf der Fahrbahn hätte bereinigen können. Auch die Annahme, daß die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen dem überholenden und dem überholten LKW bei Einhaltung der höchst zulässigen Geschwindigkeit von 70 km/h unter Berücksichtigung der Geschwindigkeit des Vorderfahrzeuges von 67 km/h für ein verkehrsgerechtes Überholen zu gering gewesen wäre, berechtigte ihn nicht, die Geschwindigkeit zur Ermöglichung des Überholvorganges über das zulässige Maß hinaus zu erhöhen. Der Lenker des LKWs des Klägers hat daher den Unfall zu einem wesentlichen Teil mitverschuldet. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung von 1 : 2 zu seinen Gunsten ist daher zu billigen.
Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E19975European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00015.9.0314.000Dokumentnummer
JJT_19900314_OGH0002_0020OB00015_9000000_000