Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Felix Joklik und Dr. Peter Wolf (beide AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernst K***, Pensionist, 1238 Wien, Ketzergasse 350/4, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei S*** DER G*** W***, 1051 Wien,
Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1. März 1989, GZ 32 Rs 9/89-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26. August 1988, GZ 17 Cgs 510/88-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:
"Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger ab 1. April 1988 eine monatliche Ausgleichszulage von 2.231,20 S, und zwar die bereits fällig gewordenen Beträge innerhalb von 14 Tagen, die in Zukunft fällig werdenden Beträge am Ersten eines jeden Monats im vorhinein, zu bezahlen."
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 2. Dezember 1987 setzte die beklagte Partei die Ausgleichszulage, die dem Kläger zu der ihm zum Stichtag 1. August 1985 zuerkannten vorzeitigen Alterspension im Monat zusteht, für die Zeit ab 1. August 1985 fest und sprach aus, daß der zuviel bezogene Vorschuß von 22.242,80 S gemäß § 71 GSVG mit der zu erbringenden Leistung verrechnet wird.
Der Kläger begehrte, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm ab 1. August 1985 die Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und die bereits gemäß § 71 GSVG verrechneten Beträge nachzuzahlen. Die beklagte Partei habe bei der Berechnung der Ausgleichszulage zu Unrecht berücksichtigt, daß seine Ehefrau Eigentümerin eines Weingartens sei. Dieser Weingarten sei bis zum Frühjahr 1985 an seinen Schwager verpachtet gewesen. Seither sei er nicht bewirtschaftet worden und habe keinen Ertrag gebracht. Die beklagte Partei wendete ein, daß bei der Feststellung des Anspruchs auf Ausgleichszulage gemäß § 149 Abs 5 GSVG 85 % des Versicherungswertes des landwirtschaftlichen Betriebes als monatliches Einkommen zu berücksichtigen seien.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger eine monatliche Ausgleichszulage von 2.003,70 S für August 1985, von 2.503,70 S für Oktober bis Dezember 1985, von 2.591 S für 1986, von 2.716,20 S für 1987 und von 2.911,20 S für 1988 binnen 14 Tagen zu bezahlen, und sprach aus, daß der Vorschuß gegen die Nachzahlung aufgerechnet wird. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:
Die Ehefrau des Klägers war seit 1966 Eigentümerin des von der Klage betroffenen Weingartens. Er wurde von 1966 bis August 1985 von ihrem Bruder bewirtschaftet, der dafür Dienstleistungen an seine Schwester mit einem Wert von etwa 500 S im Monat erbrachte. Ab September 1985 lag der Weingarten brach, weil kein Pächter gefunden werden konnte, und es konnten daraus keine Einkünfte erzielt werden. Im März 1988 veräußerte die Ehefrau des Klägers den Weingarten an ihren Sohn.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß auf die Ausgleichszulage wegen des Weingartens ab 1. September 1988 (gemeint wohl: 1985) keine Einkünfte angerechnet werden dürften, weil er seit dieser Zeit unbewirtschaftet geblieben sei. § 149 Abs 1 (gemeint wohl: Abs 7) GSVG finde keine Anwendung, weil es sich nicht um einen "Betrieb" handle und weil die Frist von 10 Jahren überschritten worden sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei, mit der das Ersturteil bekämpft wurde, soweit dem Kläger ab 1. April 1988 eine 2.231,20 S (monatlich) übersteigende Ausgleichszulage zuerkannt wurde, nicht Folge. Die Veräußerung des Weingartens im März 1988 habe die Pauschalanrechnung nach § 149 Abs 7 GSVG nicht ausgelöst, weil die Ehefrau des Klägers den landwirtschaftlichen Betrieb schon mehr als 10 Jahre vor dem Stichtag durch Verpachtung aufgegeben habe. Durch die spätere Übertragung des Eigentums seien die Voraussetzungen für die Pauschalanrechnung nicht geschaffen worden.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß dem Kläger für die Zeit ab 1. April 1988 eine Ausgleichszulage von nur 2.231,20 S monatlich zugesprochen wird; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Im Rechtsmittelverfahren ist nur mehr die dem Kläger ab 1. April 1988 gebührende Ausgleichszulage strittig. Hiefür ist entscheidend, ob wegen der Veräußerung des Weingartens im März 1988 gemäß § 149 Abs 7 GSVG die Pauschalanrechnung des sogenannten "fiktiven Ausgedinges" vorzunehmen ist oder ob dies, wie die Vorinstanzen meinen, nicht zu geschehen hat, weil die Bewirtschaftung des Grundstücks (erstmals) schon vor mehr als zehn Jahren aufgegeben wurde.
Wurde die Bewirtschaftung eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes aufgegeben, der Betrieb übergeben, verpachtet oder auf andere Weise jemandem zur Bewirtschaftung überlassen, so sind für den Anspruch auf Ausgleichszulage gemäß § 149 Abs 7 GSVG (oder dem gleichlautenden § 292 Abs 8 ASVG und § 140 Abs 7 BSVG) in der hier noch maßgebenden Fassung vor der 16. GSVGNov (48. ASVGNov, 14. BSVGNov) der Ermittlung des Einkommens des bisherigen Eigentümers (des Verpächters) ohne Rücksicht auf Art und Ausmaß der ausbedungenen Leistungen 21,6 vH des durchschnittlichen Einheitswertes (Abs 8) der übergebenen, verpachteten oder zur Bewirtschaftung überlassenen land(forst)wirtschaftlichen Flächen zugrunde zu legen, sofern die Übergabe (Verpachtung, Überlassung) nicht mehr als zehn Jahre, gerechnet vom Stichtag, zurückliegt. Hiebei ist bei einer Übergabe (Verpachtung, Überlassung) vor dem Stichtag vom durchschnittlichen Einheitswert (Abs 8), in allen übrigen Fällen von dem auf die übergebenen Flächen entfallenden Einheitswert im Zeitpunkt der Übergabe (Verpachtung, Überlassung) auszugehen. Ein Zwölftel des auf diese Weise errechneten Betrages, gerundet auf volle Schilling, gilt als monatliches Einkommen. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen ergibt sich also als einzige Voraussetzung für die Pauschalanrechnung, daß innerhalb von zehn Jahren vor dem Stichtag einer der darin angeführten Vorgänge stattgefunden hat. Es ist daraus hingegen keine Einschränkung in der Richtung zu entnehmen, daß die Pauschalanrechnung ausgeschlossen sein soll, wenn es schon vor mehr als zehn Jahren vor dem Stichtag zu einem gleichartigen Vorgang gekommen ist. Dagegen spricht, daß die Pauschalanrechnung angeordnet wurde, weil in der Land- und Forstwirtschaft noch immer die Gepflogenheit weit verbreitet ist, daß der Übergeber eines Betriebs vom Betriebsnachfolger ein Ausgedinge erhält, das ihm für seinen Lebensabend Wohnung und Verpflegung sichert (vgl 404 BlgNR 13. GP, 110 f). Die Möglichkeit, ein Ausgedinge oder eine ihm entsprechende Gegenleistung zu vereinbaren, hat der Eigentümer des Betriebs aber jedes Mal, wenn ein Vorgang im Sinn der angeführten Bestimmungen stattfindet, und zwar unabhängig davon, ob schon früher einmal ein gleichartiger Vorgang stattgefunden hat.
Würde man eine Pauschalanrechnung nur wegen eines zehn Jahre vor dem Stichtag liegenden gleichartigen Vorganges nicht vornehmen, so könnte es überdies zu völlig ungerechtfertigten Ergebnissen kommen:
Verpachtet etwa der Versicherte zehn Jahre vor dem Stichtag seinen Betrieb und endet der Pachtvertrag noch vor dem Stichtag, so wäre das Ergebnis verschieden, je nach dem ob er den Betrieb vor der anschließenden Übergabe noch bewirtschaftet hat oder nicht. Tut er dies (indem er etwa die bevorstehende Ernte noch durchführt), so wäre eine Anrechnung vorzunehmen, tut er dies nicht, so hätte die Anrechnung zu unterbleiben. Eine sachliche Rechtfertigung läßt sich dafür nicht finden, ganz abgesehen davon, daß der Versicherte durch ein den Verhältnissen entsprechendes Verhalten Nachteile hätte. Gegen die vertretene Ansicht könnte der Wortlaut des § 292 Abs 9 ASVG (§ 149 Abs 8 GSVG, § 140 Abs 8 BSVG) ins Treffen geführt werden, weil sich der dort geregelte Divisor nach der Anzahl der Monate während des Beobachtungszeitraums richtet, in denen der land(forst)wirtschaftliche Betrieb (ein Teil dieses Betriebes) noch nicht übergeben (verpachtet, überlassen) war. Fand ein im § 292 Abs 8 ASVG (§ 149 Abs 7 GSVG, § 140 Abs 7 BSVG) genannter Vorgang erstmals vor dem Beobachtungszeitraum statt, so war aber der Betrieb während des gesamten Zeitraums, der bis zum zweiten, die Pauschalanrechnung auslösenden Vorgang vergeht, übergeben, verpachtet oder überlassen. Der Divisor wäre also Null und es könnte ein durchschnittlicher Einheitswert nicht gebildet werden. Dasselbe würde aber gelten, wenn der Vorgang genau zehn Jahre vor dem Stichtag oder im ersten Monat dieses Zeitraums liegt. Es ist daher eine berichtigende oder ergänzende Auslegung der vorher angeführten Bestimmungen unerläßlich. Sie könnte in dem hier behandelten Zusammenhang dahin gehen, daß der Relativsatz im Sinn von "in denen der land(forst)wirtschaftliche Betrieb (ein Teil dieses Betriebes) noch nicht an den nunmehr Berechtigten übergeben (verpachtet, überlassen) war" zu verstehen ist. Diese Auslegung würde auch die Frage lösen, welcher Einheitswert heranzuziehen ist, wenn der Betrieb innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Stichtag mehrmals zur Bewirtschaftung überlassen wird. In einem solchen Fall ist die Pauschalanrechnung nur einmal vorzunehmen (SSV-NF 2/129) und es erscheint gerechtfertigt, alle Einheitswerte bis zur letzten Überlassung der Bewirtschaftung heranzuziehen, weil dies der Ertragsfähigkeit des Betriebes und damit der erzielbaren Gegenleistung am ehesten entspricht.
Der Oberste Gerichtshof hat allerdings in seiner Entscheidung SSV-NF 3/11 bereits eine zu der hier dargelegten gegenteilige Auffassung vertreten und sie im wesentlichen mit dem Hinweis auf die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der 29. ASVG-Nov (404 BlgNR 13. GP 112) begründet, aus denen hervorgehe, daß § 292 Abs 8 ASVG an die Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit anknüpfe. Da die gänzliche Verpachtung trotz Aufrechterhaltung des Eigentums eine der Übergabe oder sonstigen Überlassung gleichgestellte Art der Betriebsaufgabe im Sinn der zitierten Bestimmung sei, könne es keinen Unterschied machen, wenn später innerhalb der Frist von zehn Jahren vor dem Stichtag auch noch das Eigentum durch Übergabe, Verkauf oder ein anderes Rechtsgeschäft aufgegeben wird. Die Aussagekraft der angeführten Erläuternden Bemerkungen wird in dem hier zu beurteilenden Zusammenhang aber entscheidend dadurch geschwächt, daß in der Regierungsvorlage keine Frist vorgesehen war. Es war also selbstverständlich, daß immer anzurechnen ist, wobei dem Zeitpunkt der Aufgabe der Erwerbstätigkeit nur für die Frage Bedeutung zukommen konnte, welcher Einheitswert heranzuziehen ist. Die Frist (von damals 15 Jahren) wurde erst vom Ausschuß für Soziale Verwaltung festgelegt. In seinem Bericht (578 BlgNr 13. GP 6) fällt auf, daß nicht mehr von der Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit, sondern nur mehr von der Aufgabe, Übergabe, Verpachtung oder Überlassung land(forst)wirtschaftlicher Flächen die Rede ist. Dies könnte als Hinweis darauf verstanden werden, daß es nach dem Willen des Gesetzgebers auf den Zeitpunkt der Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit nicht ankommt.
Der erkennende Senat hält aus all diesen Gründen die in der angeführten Entscheidung vertretene Rechtsansicht nicht aufrecht. Er ist vielmehr der Meinung, daß ein im § 292 Abs 8 ASVG (§ 149 Abs 7 GSVG, § 140 Abs 7 BSVG) genannter Vorgang, wenn er innerhalb von zehn Jahren vor dem Stichtag, am Stichtag oder nach dem Stichtag liegt, bei der Ermittlung des für den Anspruch auf Ausgleichszulage maßgebenden Einkommens unabhängig davon zu berücksichtigen ist, ob schon ein gleichartiger Vorgang vor dem angeführten Zeitraum stattgefunden hat. Dies hat im Sinn der Revisionsausführungen zur Folge, daß wegen der Veräußerung des Weingartens, die im März 1988 und daher nach dem Stichtag stattfand, der Ermittlung des Einkommens der Ehefrau des Klägers gemäß § 149 Abs 7 GSVG 21,6 % des für den Weingarten zur Zeit der Veräußerung maßgebenden Einheitswertes zugrundezulegen sind.
Keine Bedeutung hat es entgegen der Ansicht des Erstgerichtes, daß der Weingarten kein "Betrieb" im Sinn des Sprachgebrauches ist. Zum einen fällt nach der Begriffsbestimmung des BewG auch ein einzelnes Grundstück unter den Begriff des landwirtschaftlichen Betriebes im Sinn dieses Gesetzes (vgl dessen § 30 Abs 1 und Langer, BewG 33). Da in den Sozialversicherungsgesetzen auf den Einheitswert abgestellt ist, dessen Feststellung sich nach dem angeführten Gesetz richtet, ist davon auszugehen, daß der Begriff des landwirtschaftlichen Betriebes dort nicht anders als im BewG verstanden wird. Dies ergibt sich im übrigen auch aus dem Wortlaut der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen selbst, weil darin in ein und demselben Zusammenhang einmal der Begriff "land(forst)wirtschaftlicher Betrieb" und ein anderes Mal der Begriff "land(forst)wirtschaftliche Fläche" verwendet wird (vgl § 292 Abs 8 und 10 ASVG, § 149 Abs 7 und 9 GSVG und § 140 Abs 7 und 9 BSVG).
Für den Weingarten wurde bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz zuletzt ein Einheitswert zum 1. Jänner 1983 festgestellt. Nach dem vom Kläger im Verfahren vor der beklagten Partei vorgelegten Ablichtung des Einheitswertbescheides, dessen Inhalt unbestritten ist und vom Obersten Gerichtshof daher berücksichtigt werden darf (vgl ZAS 1984, 19; JBl 1985, 97 ua), betrug dieser Einheitswert 17.000 S. 21,6 % hievon gemäß § 149 Abs 7 GSVG ergeben 3.672 S; ein Zwölftel hievon ergibt ein monatliches Einkommen von 306 S. Dieser Betrag ist gemäß § 149 Abs 12 GSVG mit 2,22346 als Produkt der Anpassungsfaktoren aus der Zeit von 1974 bis 1988 (ausgenommen für 1983, ferner für 1984 im Ausmaß des um 0,5 erhöhten halben Anpassungsfaktors und für 1986 mit dem Faktor 1,03) zu vervielfachen, sodaß, gerundet gemäß § 51 GSVG, bei der Ermittlung des Anspruchs des Klägers auf Ausgleichszulage ein monatliches Einkommen seiner Gattin in der Höhe von 680 S zu berücksichtigen ist. Daraus ergibt sich aufgrund des für den Kläger gemäß § 150 Abs 1 lit a aa idF BGBl 1987/610 maßgebenden Richtsatz von 7.168 S und der vom Erstgericht unbekämpft mit 4.256,80 S monatlich festgestellten Pension, daß der Kläger ab 1. April 1988 Anspruch auf eine Ausgleichszulage in der Höhe von 2.231,20 S monatlich hat.
Anmerkung
E20765European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00279.89.0327.000Dokumentnummer
JJT_19900327_OGH0002_010OBS00279_8900000_000