Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei Gertrude R***, geboren am 13. Februar 1942 in Kalsdorf bei Graz, Hausfrau, Ziegelbachstraße 60, 6912 Hörbranz, vertreten durch Dr. Alfred Lind und Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte und widerklagende Partei Dr. Hans Ulrich R***, geboren am 20.April 1943 in Ellwangen, Bundesrepublik Deutschland, Angestellter, Rüsthausgasse 2, 8430 Leibnitz, vertreten durch Dr. Heinz Pratter, Rechtsanwalt in Leibnitz, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 20.November 1989, GZ 3 R 157,158/89-48, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 28.April 1989, GZ 16 Cg 185,245/85-42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit S 6.172,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.028,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile schlossen am 23.5.1981 vor dem Standesamt Unterpremstätten die Ehe, die kinderlos blieb.
Die Klägerin (und Widerbeklagte) begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten (und Widerklägers). Sie brachte vor, er sei jähzornig und aggressiv, spreche dem Alkohol zu und werde gegen sie immer wieder tätlich. Trotz eines gerichtlichen Vergleiches komme er seiner Unterhaltspflicht ihr gegenüber nicht nach.
Der Beklagte erhob Widerklage und begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Klägerin. Er brachte vor, die Klägerin habe den von ihr genannten Vergleich selbst nicht eingehalten, so daß Unterhaltsverwirkung eingetreten sei. Sie beschimpfe den Beklagten laufend, habe ihn am 17.6.1985 sogar verletzt und verweigere ihm seither den Zutritt zur Ehewohnung. Sie sei stets herrsch- und streitsüchtig, habe den Haushalt vernachlässigt und die Mutter des Beklagten beschimpft.
Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Es stellte fest:
Während der ersten sechs Monate verlief die Ehe harmonisch. Die Streitteile bewohnten das Einfamilienhaus der Klägerin, die den Haushalt versorgte, wogegen der Beklagte für den gemeimsamen Unterhalt aufkommen sollte. Der Beklagte hatte bei der Eheschließung Schulden von rund 30.000 S und nahm zunächst keine Beschäftigung an. Später war er Vertreter und nebenbei Altwarenhändler und verdiente dabei monatlich etwa 20.000 S. Er bestritt zwar weitgehend den Aufwand für den Haushalt, doch kam es wegen der finanziellen Belange immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten. 1983 schlossen die Streitteile über Betreiben der Klägerin vor dem Bezirksgericht für ZRS Graz einen Vergleich, mit welchem sich der Beklagte zu monatlichen Unterhaltsleistungen von S 4.000 verpflichtete, wogegen ihm die Klägerin den Zugang zu allen Räumen im Haus im nüchternen Zustand gestattete. Seit November 1985 kommt der Beklagte seiner im Vergleich übernommenen Unterhaltsverpflichtung nicht mehr nach. Die von der Klägerin deshalb betriebene Zwangsvollstreckung blieb ergebnislos. Der Beklagte hatte schon vor der Eheschließung regelmäßig dem Alkohol zugesprochen. Bereits wenige Monate danach ging er dazu über, seine Freizeit im Gasthaus zuzubringen und den Alkoholkonsum zu steigern. Er ging dann immer erst nach dem Genuß von ein bis drei Flaschen Bier nach Hause und nahm dort noch etwa die gleiche Menge zu sich. Noch im Jahre 1983 ersuchte der Beklagte eines Tages seinen Studienkollegen Dr. Richard B***, ihn nach Hause zu begleiten, weil er sich allein nicht dorthin wage und befürchte, wegen seines ständigen Alkoholkonsums in eine Nervenheilanstalt eingewiesen zu werden. Im Juli 1983 unterzog er sich dann tatsächlich einer Alkoholentziehungskur in der Nervenklinik des Landeskrankenhauses Graz, blieb dort allerdings nur zwei Wochen. Der Klägerin mißfiel der Alkoholkonsum des Beklagten und sie machte ihm im Dezember 1982 heftige Vorwürfe, weil er seine Zeit nur mehr im Gasthaus zubringe. Der Beklagte geriet darob in Wut, schleuderte einen gläsernen Aschenbecher nach der Klägerin und traf sie am Fuß. Seinen weiteren Angriffen entging sie nur, weil es ihr gelang, einen Sessel zwischen sich und den Beklagten zu schieben. Bei diesem Vorfall wurde die Klägerin an Schläfe und Fuß verletzt. Wegen ehelicher Auseinandersetzungen, in deren Verlauf der Beklagte in betrunkenem Zustand randalierte, mußte wiederholt die Gendarmerie intervenieren. So kam der Beklagte am 27.5.1983 wieder einmal betrunken nach Hause. Die Klägerin sperrte sich deshalb im Wohnzimmer ein. Da sie ihm kein Essen vorsetzte, geriet der Beklagte in Wut, "schimpfte herum und begann lautstark den Kühlschrank zu entleeren". Die Klägerin rief damals die Gendarmerie, die auch am 22.6.1983 einschreiten mußte, weil der Beklagte bei einem ähnlichen Vorfall Teller und Tassen zerschlagen hatte. Auch am 30.6.1983 ließ die Klägerin die Gendarmerie rufen. Die Beamten gewahrten, daß der Beklagte, der sie aufforderte, eine Zimmertür aufzubrechen, alkoholisiert war. Sie lehnten sein Ansinnen ab. Am 12.5.1984 verständigte die Klägerin wieder die Gendarmerie, weil sie vom Beklagten tätlich angegriffen worden sei, was dieser allerdings den Beamten gegenüber bestritt. Die Klägerin war schon vor der Eheschließung psychisch etwas labil und nahm nach ärztlicher Verordnung fallweise Psychopharmaka in geringen Dosen zu sich. Sie leidet an einem Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür und einer Venenerkrankung, weshalb sie gleichfalls vom Arzt verordnete Medikamente einnimmt. Sie betreibt aber weder Medikamentenmißbrauch noch frönt sie etwa übermäßig dem Alkohol.
Der Beklagte hat die Klägerin immer wieder mit ordinären Schimpfworten belegt. Gegen Ende der ehelichen Lebensgemeinschaft kam es nahezu täglich zu solchen Beschimpfungen. Wegen der laufenden Auseinandersetzungen infolge des Alkoholkonsums des Beklagten hat sich die Klägerin vom Beklagten innerlich immer mehr zurückgezogen. Sie sperrte sich häufig vor ihm ein und öffnete ihm nicht. Die Atmosphäre zwischen den Streitteilen war zunehmend gespannt, so daß es immer wieder - auch wegen alltäglicher Belange - zu Streitigkeiten kam. Die Eheleute empfanden einander gegenseitig als herrschsüchtig und eigenwillig. Einmal ließ die Klägerin im Zuge eines Streites die Worte fallen, ihr wäre es recht, wenn der Beklagte auf der Autobahn "zermatschkert" würde.
Am 17.6.1985 kam der Beklagte überraschend schon zu Mittag nach Hause. Da er alkoholisiert war, verweigerte ihm die Klägerin das Mittagessen. Darauf trank er einige Flaschen Bier und wollte später wegfahren. Die Klägerin, die es verhindern wollte, daß der Beklagte in seinem Zustand das Auto in Betrieb nahm, wollte ihm den Wagenschlüssel entwinden. Darauf kam es zu einem Handgemenge, bei dem die Klägerin verletzt und ihre Bluse beschädigt wurden. Sie ergriff einen Besen, um auf den Beklagten einzuschlagen. Bei der Abwehr erlitt auch der Beklagte am Ellenbogen eine leichte Verletzung. Nachdem er dann doch mit dem PKW weggefahren war, versperrte die Klägerin die Haustür und ließ den Schlüssel im Schloß. Als der Beklagte, der in einem Gasthaus einige Flaschen Bier getrunken hatte, gegen 23 Uhr zurückkam, konnte er die Haustür nicht öffnen. Die Klägerin, die sich bedroht fühlte, öffnete ihm nicht. Während des Wortwechsels trank der Beklagte noch eine aus dem Gasthaus mitgenommene Flasche Bier. Schließlich nächtigte er im Wagen. Da die Klägerin auch am nächsten Tag nicht öffnete, mietete sich der Beklagte in einem Gasthaus ein.
Seither leben die Streitteile getrennt. Die Klägerin hat während der Ehe, aber auch nach der Aufhebung der Lebensgemeinschaft keine ehewidrigen Beziehungen unterhalten. Die Ehe ist vollständig zerrüttet. Die Streitteile sind an der Aufnahme von Kontakten nicht mehr interessiert.
Rechtlich meinte das Erstgericht, beide Teile hätten schwere Eheverfehlungen begangen. Ursache der Verschlechterung der ehelichen Beziehungen sei aber in erster Linie das Verhalten des Beklagten, der seine Freizeit im Gasthaus zugebracht und dem Alkohol zugesprochen habe, gewesen. Im Zuge von Auseinandersetzungen habe er sich zweimal zu Tätlichkeiten gegen die Klägerin hinreißen lassen. Außerdem sei er seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen. Der Klägerin sei vorzuwerfen, daß sie den Beklagten aus der Ehewohnung ausgesperrt habe. Diese Verfehlungen seien aber nicht so schwerwiegend, daß sie deshalb zu einer Unterhaltsverwirkung geführt hätten. Die Verfehlungen des Beklagten überwögen jene der Klägerin bei weitem.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil, übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, der Alkoholmißbrauch sei eine schwere Eheverfehlung. Daß diese Neigung dem anderen Teil bei der Eheschließung bekannt gewesen sei, sei unerheblich. Der Beklagte habe schon kurz nach der Eheschließung begonnen, seine Freizeit im Gasthaus zu verbringen und vermehrt Alkohol zu konsumieren. Auf Vorwürfe der Klägerin habe er aggressiv reagiert und sich zu Tätlichkeiten hinreißen lassen. Wegen seines Randalierens habe die Gendarmerie wiederholt intervenieren müssen. Seit November 1985 habe er auch seine Unterhaltspflicht verletzt. Sein Verhalten sei Anlaß der Zerrüttung gewesen. Auch die Klägerin habe Eheverfehlungen begangen, die sich nicht bloß in Überreaktionen erschöpften. Sie habe sich öfters eingesperrt und dem Beklagten nicht geöffnet, sie habe ihm am 17.6.1985 und auch am darauffolgenden Morgen den Zutritt zur Ehewohnung überhaupt verwehrt, ohne daß darin eine entschuldbare Reaktion auf ein Verhalten des Beklagten zu erkennen wäre. Dieser sei nicht derart betrunken gewesen, daß es gerechtfertigt gewesen wäre, ihn aus der Wohnung auszusperren. Auch die Äußerung der Klägerin, es wäre ihr recht, wenn der Beklagte auf der Autobahn "zermatschkert" würde, sei keinesfalls eine berechtigte Reaktion gewesen. Die Ehe der Streitteile sei nicht nur am zunehmenden Alkoholkonsum des Mannes und seinem damit zusammenhängenden Verhalten gescheitert. Auch das Verhalten der Klägerin habe zu einer ständig gespannten Atmosphäre und ferner dazu beigetragen, daß die Eheleute einander als herrschsüchtig und eigenwillig empfunden hätten. Bei der Verschuldensabwägung sei vor allem zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung begonnen habe. Das sei zweifellos der Beklagte gewesen. Außerdem wiege sein Verschulden erheblich schwerer.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.
Die darin geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
Im übrigen strebt der Beklagte nach wie vor den Ausspruch des alleinigen Verschuldens der Klägerin, hilfsweise den Ausspruch deren überwiegenden Verschuldens bzw wenigstens des gleichteiligen Verschuldens der Streitteile an. Sein Begehren ist nicht gerechtfertigt. Für die hier allein strittige Verschuldensabwägung ist das Gesamtverhalten der Streitteile entscheidend (EFSlg.57.209, 57.211 uva); maßgeblich ist vor allem das Gewicht der Eheverfehlungen (EFSlg. 57.210 ua). Insbesondere ist darauf Bedacht zu nehmen, wer die schuldhafte Zerrüttung eingeleitet hat (EFSlg.57.212 uva) und wieweit die späteren Eheverfehlungen des einen Ehegatten Folge der durch das Verschulden des anderen Teiles heraufbeschworenen Zerrüttung der Ehe waren (EFSlg.57.214 ua). Hat ein langwährendes Verhalten des einen Ehegatten die Zerrüttung eingeleitet und ist diese durch das beiderseitige Verhalten der Streitteile in der Folge unheilbar geworden, so muß das einleitende Verhalten bei der Verschuldensabwägung besonders berücksichtigt werden (vgl EFSlg. 57.215 ua). Die Vorinstanzen haben zutreffend hervorgehoben, daß der Kläger, der dem Alkohol zuneigte, schon bald nach der Eheschließung die Freizeit vorwiegend im Gasthaus zubrachte und seinen Alkoholkonsum noch steigerte. Daß die Klägerin, die nicht bloß an einem Magen- und einem Venenleiden laborierte, sondern wegen psychischer Labilität Beruhigungsmittel nehmen mußte, wegen dieses Verhaltens des Beklagten aufgebracht war, ist nur zu verständlich. Darüber hinaus mußte sie auch stets befürchten, daß der Beklagte im alkoholisierten Zustand ausfällig und aggressiv wurde und sie dann sogar tätlich angriff. Die Beschimpfungen der Klägerin waren ihm schließlich geradezu zur Gewohnheit geworden. Tatsächlich hat der Beklagte die Klägerin auch zweimal attackiert, verletzt und sie mußte deshalb wiederholt Gendarmerieintervention in Anspruch nehmen, wie dies die beim Akt liegenden Aktenvermerke des zuständigen Gendarmeriepostens beredt zum Ausdruck bringen.
Ist schon der Alkoholmißbrauch an sich eine schwere Eheverfehlung (EFSlg.57.095, 57.096 uva), so muß dies umso mehr für das damit im Zusammenhang stehende Verhalten des Beklagten seiner Ehefrau gegenüber gelten. Daß einem Ehepartner bei der Eheschließung die Neigung des anderen zum Alkoholmißbrauch bekannt war, ist nach ständiger Rechtsprechung unerheblich (EFSlg.57.098). Der Beklagte hat durch seinen Alkoholmißbrauch, dadurch, daß er schon bald nach der Eheschließung seine Freizeit weitgehend im Gasthaus zubrachte, durch sein aggressives Verhalten im - häufigen - alkoholisierten Zustand, seine zur Gewohnheit gewordenen Beschimpfungen seiner Ehegattin und dadurch, daß er sich zweimal auch zu Tätlichkeiten hinreißen ließ, nicht bloß die Zerrüttung der Ehe eingeleitet, sondern auch den wesentlichen Beitrag dazu geleistet, daß die Zerrüttung schließlich unheilbar wurde. Auch die laufende Verletzung der Unterhaltspflicht ist ihm als schwere Eheverfehlung zuzurechnen. Daß ihn die Klägerin schließlich sogar aus dem Haus aussperrte, weil er nach Tätlichkeiten im alkoholsierten Zustand wieder einmal das Gasthaus aufsuchte und in diesem Zustand erst spät abends zurückkam, berechtigte ihn keineswegs, seine Unterhaltsleistungen einzustellen. Der Beklagte kann sich bei dieser Sachlage jedenfalls durch den von den Vorinstanzen getroffenen Verschuldensausspruch nicht für beschwert erachten, sodaß seiner Revision ein Erfolg zu versagen war. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E20365European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00538.9.0329.000Dokumentnummer
JJT_19900329_OGH0002_0060OB00538_9000000_000