TE Vfgh Erkenntnis 2001/11/26 B1521/00

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Veröffentlicht am 26.11.2001
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art133 Z4
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
EMRK Art6 Abs1 / civil rights

Leitsatz

Verstoß gegen Art6 EMRK durch Verletzung des äußeren Anscheins der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des über zivilrechtliche Ansprüche entscheidenden Vergabeamtes aufgrund der Überschneidung dienstlicher Aufgabenbereiche einzelner - als Organwalter weisungsgebundener - Mitglieder mit der Tätigkeit im Vergabeamt

Spruch

Der Beschwerdeführer (als Masseverwalter) ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist verpflichtet, dem beschwerdeführenden Masseverwalter zu seinen Handen die mit S 29.500,-- (€ 2143,85) bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Aufgrund einer im offenen Verfahren durchgeführten öffentlichen Ausschreibung des Bauvorhabens "Neubau Bezirkskrankenhaus Kufstein-Wörgl" erteilte der vergebende Gemeindeverband einem Bieter den Zuschlag für das Gewerk "Medizinalgasanlage 5B3". Eine nicht zum Zuge gekommene Gesellschaft beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom 29. August 1996 beim Tiroler Vergabeamt (TVA) gemäß §12 Abs2 Tiroler Vergabegesetz, LGBl. 87/1994 (in der Folge: TirVergG), die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zuschlagserteilung. Mit Bescheid des TVA vom 9. Jänner 1997 stellte das TVA fest, daß im vorliegenden Vergabeverfahren der Zuschlag dem Bestbieter erteilt wurde und daß ein Verstoß des Auftraggebers gegen die Bestimmungen des TirVergG oder einer Verordnung aufgrund dieses Gesetzes nicht feststellbar sei. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Februar 2000, B420/97, wegen Verstoßes gegen Art6 EMRK als verfassungswidrig behoben.

Im fortgesetzten Verfahren wurde mit Bescheid vom 2. August 2000, ZVG27a/29, der Nachprüfungsantrag der sich mittlerweile in Insolvenz befindlichen Gesellschaft abermals abgewiesen und festgestellt, daß im vorliegenden Vergabeverfahren der Zuschlag dem Bestbieter erteilt wurde und ein Verstoß des Auftraggebers gegen die maßgeblichen Bestimmungen des TirVergG nicht feststellbar sei. Auch bei Einhaltung der Bestimmungen des TirVergG wäre ihr der Zuschlag nicht erteilt worden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Masseverwalter die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt.

Der gemäß §6 TirVergG idF LGBl. 59/2000 nunmehr für die Durchführung von Nachprüfungsverfahren zuständige Unabhängige Verwaltungssenat für Tirol (UVS) hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der er zu (in der Beschwerde selbst gar nicht aufgeworfenen) Fragen der Gemeinschaftsrechtskonformität des TirVergG bzw. des TVA Stellung genommen und beantragt hat, "der Beschwerde kostenpflichtig keine Folge (zu) geben, d.h. die Beschwerde zurück- bzw. abzuweisen".

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Nach §1 Konkursordnung bildet das gesamte der Exekution unterworfene Vermögen des Gemeinschuldners, das er zur Zeit der Konkurseröffnung hat bzw. das er während des Konkurses erlangt, die Konkursmasse. In einem Verwaltungsverfahren tritt nach Konkurseröffnung der Masseverwalter an die Stelle des Gemeinschuldners, soweit es sich um Aktiv- oder Passivbestandteile der Konkursmasse handelt. Nur dieser ist zur Ergreifung von Rechtsmitteln berechtigt (vgl. Bartsch - Pollak, Konkursordnung I, 36). Dies gilt auch für die Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde. Mit dem vorliegenden Bescheid hatte das TVA über Ansprüche abzusprechen, die vermögenswerte civil rights der antragstellenden Gesellschaft - nicht aber ihre höchstpersönliche Sphäre (vgl. dazu etwa VfSlg. 9775/1983) - betreffen. An der Legitimation des sich auf diese Funktion berufenden Masseverwalters zur Erhebung der vorliegenden Beschwerde besteht daher kein Zweifel.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, erweist sich die Beschwerde als zulässig.

2. Art6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des EGMR mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 10.701/1985, 11.131/1986, 12.074/1989, 14.564/1996, alle auch mit entsprechenden Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).

In seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1999, B2835/96, hat der Verfassungsgerichtshof näher dargelegt, daß und warum das TVA diesen Anforderungen nicht genügte; die dort angestellten Erwägungen treffen auch im vorliegenden Fall zu:

Zwar stellt der Umstand, daß ein Mitglied einer kollegialen Verwaltungsbehörde iSd Art133 Z4 B-VG Verwaltungsbeamter ist und als solcher in seiner sonstigen Tätigkeit weisungsgebunden ist, für sich allein noch keinen Grund dafür dar, an der Unabhängigkeit des Kontrollorgans zu zweifeln.

Dem äußeren Anschein der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit widerstreitet es aber, wenn sich der konkrete Aufgabenbereich eines Mitgliedes eines gemäß Art133 Z4 B-VG eingerichteten Organs mit seinem konkreten Aufgabenbereich als weisungsgebundener Organwalter des Landes derart überschneidet, wie dies beim TVA sowohl hinsichtlich des Vorsitzenden als auch hinsichtlich des Berichterstatters der Fall war, die weisungsgebunden gerade in Vergabesachen tätig wurden:

Der Vorsitzende und das als Berichterstatter tätig gewordene Mitglied des TVA waren zum Zeitpunkt des Einlangens des ursprünglichen Nachprüfungsantrages in der Präsidialabteilung IV des Amtes der Tiroler Landesregierung tätig, in deren Kompetenz u.a. Aufgaben des Vergabewesens fielen. Wie der Verfassungsgerichtshof sowohl in seinem oben zitierten Erkenntnis als auch in seiner diesen Vergabefall betreffenden Entscheidung vom 28. Februar 2000, B420/97, für den vorliegenden Sachverhalt festgestellt hat, war es nicht ausgeschlossen, daß Mitarbeiter dieser Abteilung mit vergaberechtlichen Rechtsfragen auch in Angelegenheiten insbesondere der Landes- und Gemeindeverwaltung befaßt wurden, die zu einer Anrufung des TVA führen konnten; auch erweckte die Organisation des TVA den Eindruck, als ob das TVA geradezu als Teil der Präsidialabteilung IV des Amtes der Landesregierung geführt wurde.

Angesichts dieser Umstände konnten vom äußeren Anschein her Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder des TVA entstehen. Die Zusammensetzung des im vorliegenden Fall tätig gewordenen Organs entspricht daher nicht den Anforderungen des Art6 EMRK. Da die Fragen, über die das TVA abzusprechen hatte, civil rights der antragstellenden Gesellschaft betreffen, ist dieser Mangel verfassungsrechtlich relevant. An dieser Einschätzung ändert auch der Umstand nichts, daß durch Verfügung des Landesamtsdirektors vom 2. Juni 2000 eine Änderung der Geschäftseinteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung dergestalt vorgenommen wurde, daß die Angelegenheiten des Vergabewesens der Abteilung Gewerberecht |bertragen wurden. Es braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht beurteilt zu werden, ob und welche Wirkungen diese Verfügung entfaltet hat und ob sie ihrerseits rechtmäßig war, denn die vom Verfassungsgerichtshof beanstandete personelle Verquickung des TVA mit der Präsidialabteilung IV lag während des von der Behörde zu beurteilenden vergaberechtlichen Vorgangs vor und der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Nachprüfungsantrag war zum Zeitpunkt der Verfügung des Landesamtsdirektors bei der belangten Behörde bereits anhängig, die auch schon Verfahrensschritte gesetzt hatte.

Die der Gegenschrift des UVS offenbar zugrundeliegende Auffassung, das Tätigwerden einer Behörde, die vom Gesetz her als Gericht im Sinne des Art234 EG (ex 177 EGV) eingerichtet ist, könne nicht an österreichischem Verfassungsrecht gemessen werden, verkennt das Zusammenspiel von Gemeinschaftsrecht und Verfassungsrecht grundlegend, das u.a. vom Grundsatz geprägt ist, daß in Umsetzung von Gemeinschaftsrecht ergehende Rechtsakte einer doppelten Bindung (an das Gemeinschaftsrecht und an innerstaatliches Verfassungsrecht) unterliegen (vgl. etwa VfSlg. 15.106/1998 oder aus der Literatur Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 1998, 107 f.).

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, daß auch der mit der vorliegenden Beschwerde bekämpfte Bescheid aus den genannten Gründen als verfassungswidrig aufzuheben ist; daher brauchte nicht geprüft zu werden, ob er auch aus anderen Gründen mit Verfassungswidrigkeit behaftet ist.

Bemerkt sei, daß im fortgesetzten Verfahren vor dem UVS den auch in dieser Entscheidung zum Ausdruck gebrachten Bedenken hinsichtlich der Mitwirkung von Personen Rechnung zu tragen sein wird, die im Hinblick auf ihre frühere Tätigkeit bzw. ihre Mitwirkung an der Entscheidungsfindung im TVA den Anschein der Unparteilichkeit des UVS gefährden könnten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Kostenbeitrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von

S 4.500,-- (€ 327,03) sowie eine Eingabegebühr gemäß §17a VerfGG in der Höhe von S 2.500,-- (€ 181,68) enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Vergabewesen, Kollegialbehörde, Behördenzusammensetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B1521.2000

Dokumentnummer

JFT_09988874_00B01521_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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