TE OGH 1990/4/4 1Ob526/90

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Veröffentlicht am 04.04.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*** F*** S*** Bekleidungsgesellschaft mbH, Hattingen, Schulstraße 49, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr.Rudolf Gürtler und Dr.Friedrich Halzl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Richard S*** & Co Warenhandelsgesellschaft, Wien

20, Nordwestbahnstraße 8-10, vertreten durch Dr.Franz Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, wegen 116.922 DM sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6.Oktober 1989, GZ 3 R 170/89-43, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 30.April 1989, GZ 18 Cg 57/87-38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 18.192,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 3.032,10 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin lieferte der Beklagten Damenbekleidungsstücke (271 Blusen, 707 Blousons oder "Westen", 271 und 1.308 Röcke), die teils im April 1986, teils am 7.Mai 1986 in dem von der Beklagten gewünschten Speditionslager einlangten. Da damals durch Verspätung zahlreicher Lieferungen bei der Beklagten ein Stau eingetreten war, konnte die Ware mangels hinreichender Kapazität des Zentrallagers der Beklagten in Wien, von welchem die 72 Filialen der Beklagten in Österreich beliefert werden, nicht sogleich in dieses übernommen werden. Die Ware verblieb zunächst im Lager der Speditionsfirma H***. Am 2.Juni 1986 wurde die Ware in das Zentrallager der Beklagten gebracht, untersucht und wegen erheblicher Farbunterschiede zwischen Stoff und Strickpassen bei einigen Kleidungsstücken fernschriftlich und telefonisch gerügt. Die Klägerin wies noch vor Einlangen der vom Geschäftsführer der Klägerin verlangten Warenmuster mit Fernschreiben vom 2.Juli 1986 die Mängelrüge der Beklagten wegen Verspätung zurück und teilte mit Fernschreiben vom 4.August 1986 unter Bezugnahme auf die Mängelrüge der Beklagten mit, daß sie die Muster der Ware noch nicht erhalten habe und eine spätere Stellungnahme ihres Geschäftsführers in Aussicht gestellt werde. Nach Einlangen der Muster etwa im August 1986 lehnte die Klägerin die Mängelrüge als sachlich unbegründet ab.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bezahlung von

116.922 DM sA als Kaufpreis für gelieferte Damenbekleidungsstücke. Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete im wesentlichen ein, daß die Damenjacken - rechtzeitig gerügte - Mängel (gravierende Farbabweichungen zwischen Tuch und Strickpassen, vor allem bei den Farbnuancen orange, grün und gelb) aufwiesen und als unverkäuflich angesehen werden müßten. Für die Beklagte sei nicht denkbar, die (Damenjacken der) verbleibenden anderen Farben schwarz, blau und rot allein zu übernehmen, weil in der Modebranche in Österreich für jeden Artikel eine Farbpalette von mindestens sechs bis acht Farben benötigt werde.

Die Klägerin repliziert, daß die Mängelrüge verspätet erstattet worden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte noch fest: Der im Zeitpunkt des Einlangens der Mängelrüge abwesende Geschäftsführer der Klägerin habe nach seiner Rückkehr, etwa zwei Tage nach Einlangen der Mängelrüge vom 2.Juni 1986, telefonisch auf die Verspätung der Mängelrüge hingewiesen und gesagt, daß sie nicht mehr angenommen werden könne. Er habe sich über dringendes Ersuchen des Verkaufsleiters der Beklagten bereit erklärt, die Berechtigung der Mängelrüge anhand von Mustern der Ware zu überprüfen, habe um die Übersendung von Mustern von jeder Farbe der Kleidungsstücke ersucht und gesagt, er könne dazu jetzt nicht weiter Stellung nehmen. In rechtlicher Hinsicht führte der Erstrichter aus, die Farbunterschiede zwischen dem Stoff und den Strickpassen der von der Klägerin gelieferten Kleidungsstücke hätten auch bei einer nur flüchtigen Untersuchung in die Augen fallen müssen. Die Mängelrüge sei verspätet erfolgt, die von der Klägerin gelieferte Ware habe deshalb gemäß § 377 HGB als genehmigt zu gelten. Ein Verzicht der Klägerin auf die Geltendmachung der Versäumung einer rechtzeitigen Mängelrüge liege nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstrichters und billigte seine Rechtsansicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist nicht gerechtfertigt. Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten, ist auf den vorliegenden Kaufvertrag gemäß § 36 IPRG das Recht der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden. Das am 1.Jänner 1989 in Kraft getretene Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den Internationalen Warenkauf, BGBl 1988/96, ist schon deshalb nicht anzuwenden, weil die hier zu beurteilenden Käufe schon vorher abgeschlossen wurden (Art 100 Abs 2 des Übereinkommens; siehe auch Hoyer in WBl 1988, 70).

Ist der Kauf für beide Teile ein Handelsgeschäft, so hat der Käufer die Ware unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer, soweit dies nach ordnungsmäßigem Geschäftsgang tunlich ist, zu untersuchen, und wenn sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich Anzeige zu machen. Unterläßt der Käufer die Anzeige, so gilt die Ware als genehmigt, es sei denn, daß es sich um einen Mangel handelt, der bei der Untersuchung nicht erkennbar war (§ 377 Abs 1 und 2 dHGB). Daß es sich bei der als Mangel gerügten Farbabweichung zwischen Stoff und Strickpassen an den von der Klägerin gelieferten Kleidungsstücken um einen offenkundigen Mangel handelte, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Als Ablieferung iS des § 377 HGB gilt auch, wenn die Ware dem Empfänger oder dem von ihm Beauftragten (Spediteur, Frachtführer) in der Art zugänglich gemacht wird, daß er sie auf ihre Beschaffenheit prüfen kann (NJW 1986, 317 und 1961, 730 mwN; BGHZ 93, 338 und 60, 5 = NJW 1973, 189; Baumbach-Duden-Hopt HGB28, 946 mwN;

Schlegelberger-Hefermehl HGB5, § 377 Rz 12; Brüggemann in Großkomm HGB3, § 377 Anm 4); deshalb ist spätestens der 7.Mai 1986 als der Zeitpunkt der Ablieferung an die Beklagte anzusehen; daß ein Teil der Ware bereits im April 1986 abgeliefert wurde, kann unerörtert bleiben. Die Mängelrüge erfolgte erst am 2.Juni 1986, sodaß zu prüfen bleibt, ob die diesbezügliche beweispflichtige (BGHZ 93, 338 mwN) Beklagte den Nachweis der unverzüglichen Rüge bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang erbrachte. Die Untersuchung der Ware dient dem Zweck, Mängel festzustellen. Handelskäufe sollen schnell abgewickelt und der Verkäufer möglichst davor geschützt werden, daß noch längere Zeit nach der Ablieferung Gewährleistungsansprüche gegen ihn geltend gemacht werden. Nach herrschender deutscher Auffassung ist Maßstab für die Tunlichkeit eines ordnungsgemäßen Geschäftsganges die Zumutbarkeit für den Käufer; die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Untersuchung dürfen deshalb im Rahmen einer sachgerechten Interessenabwägung zwischen Verkäufer und Käufer nicht überspannt werden. Insbesondere sind dabei die Kosten und der Zeitaufwand für eine Untersuchung, das Erfordernis eigener technischer Kenntnisse für ihre Durchführung, technische Vorbereitungen, die Zuziehung Dritter, etwa von Sachverständigen, uam beachtlich. Welche Untersuchungshandlungen dem Käufer zuzumuten sind, bestimmt sich nach objektiven Gesichtspunkten und den Umständen des Einzelfalles (NJW 1977, 1150 und 1976, 624, jeweils mwN; Baumbach-Duden-Hopt aaO, 947 f; Schlegelberger-Hefermehl aaO, Rz 67 mwN). Ausgehend von diesen objektiven Gesichtspunkten muß gerade bei einem Großbetrieb wie ihm die Beklagte mit über 70 Filialen führt erwartet werden, daß durch eine entsprechende Organisation die unverzüglich gebotene Untersuchung nicht durch vier Wochen verzögert wird. Zutreffend wiesen schon die Vorinstanzen in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit der Beklagten hin, die Ware im Speditionslager in Wien durch eigene Dienstnehmer zu untersuchen oder durch Dritte untersuchen zu lassen oder aber Muster für eine stichprobenartige Untersuchung in ihr Zentrallager abzufordern. Schon eine geringe, bei nach objektiven Regeln zu beurteilendem ordnungsgemäßem Geschäftsgang vermeidbare Lässigkeit macht die Rüge verspätet (RG 106, 360). Ausreichend konkrete - objektive - Gründe, warum die unverzügliche Untersuchung unterlassen wurde, macht die Beklagte nicht geltend, weil sie in der Revision nur allgemein argumentiert, daß "ein außerordentlich großes Aufkommen an gelieferten Waren zu verzeichnen war, welches die geklagte Partei außerstande setzte, bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang die Untersuchung und Rüge vor dem 2.6.1986 zu bewerkstelligen." Die in der Revision angeführten Zitatstellen Bolze 16, 254 (Bolze, Die Praxis des Reichsgerichts in Civilsachen, XVI.Band Ä1894Ü, Seite 254 = E Nr 432) und ROHG 2, 235 (Sammlung des Reichsoberhandelsgerichtes II.Band Ä1871Ü, Seite 234) betreffen vor Inkrafttreten des HGB in Deutschland am 1.Jänner 1900 (vgl dazu Straube in Straube, HGB, Einf Rz 35) ergangene Entscheidungen, die aber ohnehin von den oben dargestellten Erwägungen nicht abweichen.

Zu prüfen bleibt, ob die Klägerin auf ihr Recht, die Verspätung der Mängelrüge der Beklagten geltend zu machen, verzichtete. Ein nachträglicher Verzicht des Verkäufers auf den Verspätungseinwand wie auch auf sonstige Fehler der Anzeige ist - auch stillschweigend - zulässig und wurde in der deutschen Judikatur in der vorbehaltslosen Anerkennung der Fehlerhaftigkeit der Ware, der nachträglichen Verpflichtung, für die Vertragsmäßigkeit der Ware einzustehen, der vorbehaltslosen Zurücknahme der Ware und in der Regel auch im vorbehaltslosen Versprechen, den Mangel zu verbessern, erblickt (Brüggemann aaO, Anm 35 mwN; Baumbach-Duden-Hopt aaO, 943 f mwN). Zu Unrecht erblickt die Beklagte hier in der Bereitschaft des Geschäftsführers der Klägerin, sich ungeachtet der gleichzeitigen Ablehnung der Mängelrüge als verspätet im Hinblick auf die gute Geschäftsbeziehung zwischen den Streitteilen Muster der beanstandeten Kleidungsstücke zusenden zu lassen und sich somit auf eine sachliche Prüfung der gerügten Mängel einzulassen, bereits einen Verzicht auf den Verspätungseinwand der Mängelrüge (Brüggemann aaO, Anm 35). Die Klägerin hat durch ihr Verhalten lediglich eine gewisse Verhandlungsbereitschaft - ohne jedoch einen Verbesserungsversuch oder eine Verbesserungszusage zu machen - bekundet, jedoch gleichzeitig auf die Verspätung der Mängelrüge ausdrücklich hingewiesen (Schlegelberger-Hefermehl aaO, Rz 86 mwN). Bei einer derartigen Sachlage kann von einem stillschweigenden Verzicht der klagenden Verkäuferin auf den Verspätungseinwand keine Rede sein.

Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E20219

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0010OB00526.9.0404.000

Dokumentnummer

JJT_19900404_OGH0002_0010OB00526_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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