TE OGH 1990/4/4 9ObA84/90

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Veröffentlicht am 04.04.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Müller und Ferdinand Rodinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Hassan D***, Wien 23., Porschestraße 19/20/5/11, vertreten durch Dr. Leopold Hammer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C*** C*** V*** Gesellschaft mbH, Vösendorf, Parkallee 2, vertreten durch Dr. Manfred G***, Handelskammer Niederösterreich, Wien 1., Herrengasse 14, dieser vertreten durch Dr. Leander Schüller, Rechtsanwalt in Wien, wegen 58.206,14 S brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Dezember 1989, GZ 34 Ra 116/89-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19. März 1989, GZ 3 Cga 1045/89-36, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil wird aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Wick A*** logierte unter dem Namen L*** im Hotel der beklagten Partei. Am 22. November 1986 hielt der Kläger, der im Unternehmen der beklagten Partei als Chef de rang beschäftigt war, Wick A*** nach dem Essen und nachdem bereits ein anderer Gast die Rechnung auch für diesen beglichen hatte, einen Zettel vor und forderte ihn auf, diesen zu unterschreiben, wobei er dazu erklärte:

"Dies ist für uns". Auf dem Zettel war kein Geldbetrag eingetragen. Wick A***, der unter leichtem Alkoholeinfluß stand, unterschrieb den Zettel. Mit Hilfe dieses Zettels belastete der Kläger Wick A*** mit 580 S für Trinkgeld. Als Wick A*** bei der Abreise am nächsten Tag seine Ausgaben überprüfte, fiel ihm dieser höhere Rechnungsposten auf. Er reklamierte dies, weil er kein Trinkgeld zugesagt habe und kein Trinkgeld habe geben wollen; der Betrag sei auch für ein Trinkgeld zu hoch. Wick A*** erhielt darauf den Betrag von 580 S zurück. Am folgenden Tag wurde der Kläger wegen dieses Vorfalles von der beklagten Partei entlassen.

Der Kläger begehrt die Zahlung eines Betrages von 58.206,14 S brutto sA an Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung und Abfertigung, weil er zu Unrecht entlassen worden sei. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Die Vorgangsweise des Klägers, der zu Unrecht versucht habe, einen Gast mit einem Trinkgeldbetrag zu belasten, erfülle einen Entlassungstatbestand. Sein Begehren sei daher nicht berechtigt. Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers ab. Der Kläger habe Wick A*** in Irrtum geführt, ihn zur Leistung einer Unterschrift veranlaßt, wobei sich dieser über den Zweck der Unterschriftsleistung nicht im klaren gewesen sei und nicht gewußt habe, daß auf dem Zettel später ein Geldbetrag eingesetzt werde; in der Folge habe der Kläger diesen Irrtum dazu ausgenützt, um sich durch die Eintragung eines Betrages von 580 S auf diesem Blatt eine Summe in dieser Höhe zum Nachteil Wick A*** zuzuwenden. Dies erfülle den Entlassungstatbestand nach § 82 lit d GewO 1859. Die entlassungsabhängigen Ansprüche seien daher nicht berechtigt. Auch ein Anspruch auf Urlaubsentschädigung bestehe nicht, da der Kläger bis zur Entlassung im laufenden Urlaubsjahr mehr Urlaub konsumiert habe als dem aliquoten Anteil entspreche.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, verpflichtete die beklagte Partei mit Teilurteil zur Zahlung eines Betrages von 54.737,99 S brutto sA und hob die Entscheidung des Erstgerichtes hinsichtlich eines restlichen Betrages von 3.468,15 S sA unter Rechtskraftvorbehalt auf. Da der Kläger keine Angestelltentätigkeit verrichtet habe, sei die Frage der Entlassung nach § 82 GewO 1859 zu prüfen. Gemäß lit d leg cit erfülle es einen Entlassungstatbestand, wenn sich der Arbeitnehmer eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig mache, die ihn des Vertrauens des Gewerbeinhabers unwürdig erscheinen lasse. Anders als § 27 Z 1 AngG, wonach für die Berechtigung einer Entlassung grundsätzlich jede Handlung ausreiche, die eine Vertrauensunwürdigkeit des Arbeitnehmers begründe, verlange der entsprechende Tatbestand des § 82 lit d GewO das Vorliegen einer die Vertrauensunwürdigkeit begründenden strafbaren Handlung. Eine solche strafbare Handlung des Klägers sei aber nicht erwiesen. Der in der Berufung bekämpften Feststellung, daß Wick A*** sich über den Zweck seiner Unterschriftsleistung auf dem Zettel nicht im klaren gewesen sei und er nicht gewußt habe, daß darauf später ein Geldbetrag eingesetzt werde, komme entscheidende Bedeutung nicht zu, sodaß ein Eingehen auf die in Bekämpfung dieser Feststellung erstatteten Berufungsausführungen entbehrlich sei. Wesentlich sei nämlich nicht, wie Wick A*** die Äußerung des Klägers verstanden habe, sondern wie ein redlicher Erklärungsempfänger die Äußerung des Klägers auffassen mußte. Da die Rechnung durch einen anderen Gast beglichen worden sei, habe sich Wick A*** jedoch im klaren sein müssen, daß nur das Trinkgeld in Frage stehen könne. Der Tatbestand des Betruges nach § 146 StGB sei nicht erfüllt. Für diesen Tatbestand genüge es nicht, daß der Getäuschte dem Kläger bloß die Möglichkeit gegeben habe, durch eine weitere Handlung den Vermögensschaden herbeizuführen. Betrug sei ein Selbstschädigungsdelikt, dh der Getäuschte müsse selbst jene Verfügung vornehmen, die zur Vermögensschädigung führe. Wick A*** habe den Kläger jedoch durch seine Unterschrift nur die Möglichkeit gegeben, durch Einsetzen eines Geldbetrages über sein Vermögen zu verfügen. Auch der Tatbestand der Untreue nach § 153 StGB sei nicht erfüllt. Dieser Tatbestand erfordere, daß der Mißbrauch der dem Täter eingeräumten Verfügungsbefugnis wissentlich erfolge. Der Täter müsse sich dessen gewiß sein, daß seine Verfügung pflichtwidrig sei. Es stehe jedoch nicht fest, daß der Kläger die ihm durch den Gast eingeräumte Verfügungsbefugnis wissentlich mißbraucht habe. Da sohin dem Kläger eine strafbare Handlung nicht zur Last falle, sei die Entlassung nicht berechtigt gewesen. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt stehe dem Kläger ein Betrag von 54.737,99 S brutto zu. Hinsichtlich des übersteigenden Betrages erweise sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig; das Erstgericht werde die Prüfung der Höhe dieses Anspruchsteiles nachzutragen haben.

Gegen dieses Teilurteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung in diesem Umfang im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Aufhebungsbeschluß blieb unbekämpft. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Eventualantrages berechtigt. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die Feststellung, Wick A*** sei über den Zweck der Unterschrift auf dem Zettel im unklaren gewesen und habe nicht gewußt, daß darauf später ein Geldbetrag eingesetzt werde, sei nicht von entscheidender Bedeutung, ist nicht zutreffend. Darauf, wie ein redlicher Erklärungsempfänger die Erklärung des Klägers verstehen mußte, kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes aus strafrechtlicher Sicht nicht an. Entscheidend ist vielmehr, daß auf der inneren Tatseite das Bewußtsein des Täters hinzutritt, durch sein Verhalten beim Getäuschten einen Irrtum über Tatsachen hervorzurufen (Leukauf-Steininger, Kommentar § 146 StGB RN 41). Im übrigen trifft es nicht zu, daß für den Bereich des bürgerlichen Rechtes uneingeschränkt vom objektiven Erklärungswert auszugehen ist. Die Einschränkung, daß der Gegner auch wirklich vertraut hat, betonen vor allem Bydlinski, Privatautonomie, 9 ff und Kramer, Grundfragen, 49; ebenso EvBl 1980/99; DRdA 1989, 33). Sie gilt jedenfalls dann, wenn der Erklärende selbst nicht vom "objektiven" Sinn seiner Erklärung ausgegangen ist. Die Einschränkung folgt bei richtigem Verständnis der Vertrauenstheorie, die nicht abstrakt den "Verkehr", sondern das Vertrauen des konkreten Erklärungsempfängers schützen soll (Rummel in Rummel § 863 ABGB Rz 8). Nicht geschützt ist danach ein Vertragspartner, der den anderen bewußt im unklaren über den Inhalt einer Erklärung läßt und aus dessen Irrtum Vorteile für seine Rechtsposition ableiten will.

Es trifft zu, daß der Betrug ein Selbstschädigungsdelikt ist. Verfehlt ist jedoch die vom Berufungsgericht mit Bezug auf Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB, § 146 RN 31 vertretene Auffassung, der Betrugstatbestand sei hier schon deshalb nicht erfüllt, weil Wick A*** dem Kläger durch die Unterschriftsleistung nur die Möglichkeit gegeben habe, den Vermögensschaden herbeizuführen, sodaß das Element der Selbstschädigung fehle. Denn auch durch das Einsetzen eines Geldbetrages auf dem mit der Blankounterschrift Wick A*** versehenen Papier wurde noch keineswegs eine Verfügung über dessen Vermögen getroffen. Der Vermögensschaden wäre vielmehr erst durch die Zahlung der um den Trinkgeldbetrag erhöhten Hotelrechnung eingetreten. Der Feststellung des Erstgerichtes, Wick A*** sei über den Zweck der Unterschrift auf dem Zettel im unklaren gewesen und habe nicht gewußt, daß darauf später ein Geldbetrag eingesetzt werde, kommt daher maßgebliche Bedeutung zu. Ohne diese Feststellung kann nicht beurteilt werden, ob das Verhalten des Klägers den Entlassungstatbestand nach § 82 lit d oder allenfalls nach lit f GewO 1859 erfüllt. Da das Berufungsgericht auf Grund seiner unrichtigen rechtlichen Beurteilung die Überprüfung dieser Feststellung, deren Richtigkeit in der Berufung bekämpft worden war, unterließ, leidet das Berufungsverfahren an einem Mangel, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen mußte. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E20430

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00084.9.0404.000

Dokumentnummer

JJT_19900404_OGH0002_009OBA00084_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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