TE OGH 1990/4/4 1Ob524/90

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Veröffentlicht am 04.04.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der ehelichen Kinder Markus und Aline P*** infolge Revisionsrekurses des Markus und der Aline P*** gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 19. Oktober 1989, GZ 43 R 328/89-110, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 3. Jänner 1988, GZ 7 P 257/85-92 abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs des Markus P*** wird nicht Folge gegeben.

Dem Revisionsrekurs der Aline P*** wird Folge gegeben. Soweit mit der angefochtenen Entscheidung ihr Antrag abgewiesen wurde, wird der Beschluß des Rekursgerichtes aufgehoben und ihm die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung:

Am 9. September 1985 beantragten ua der am 30. Dezember 1967 geborene Markus und die am 8. Oktober 1969 geborene Aline P***, vertreten durch ihre Mutter, den ehelichen Vater Frank P*** zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von je 15 % seines Nettoeinkommens zu verhalten. Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 16. September 1986, 39 Cg 271/85-18, einvernehmlich geschieden. Im Scheidungsvergleich vom selben Tag vereinbarten die Eltern, daß die Obsorge für alle Kinder der Mutter zusteht. Punkt 3 und 4 des Vergleiches haben folgenden Wortlaut: "3. Der Vater ist schuldig, zum Unterhalt der Kinder ab 1. Oktober 1986 bis zu deren Selbsterhaltungsfähigkeit einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von je 15 % seines jeweiligen Nettoeinkommens am Ersten eines jeden Monats im vorhinein bei Exekution zu Handen des jeweiligen Vertreters, d.i. derzeit die Kindesmutter, zu bezahlen ... Die zu den Punkten 1 bis 3 abgeschlossenen Vereinbarungen betreffend die mj. Kinder bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung durch das Bezirksgericht Innere Stadt Wien. 4. Festgestellt wird, daß ein Unterhaltsrückstand für die mj. Kinder bis 30. September 1986 nicht besteht. Die Zweitantragstellerin verpflichtet sich, den beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu ... anhängigen Unterhaltsfestsetzungsantrag für die mj. Kinder innerhalb von 8 Tagen zurückzuziehen." Aufgrund dieses Vergleiches zog die Mutter am 19. September 1986 ihren Unterhaltsfestsetzungsantrag zurück. Das Erstgericht genehmigte mit Beschluß vom 22. Oktober 1986, ON 31, die Punkte 1 bis 3 des Vergleiches vom 16. September 1986 pflegschaftsbehördlich.

Am 1. Juli 1988 beantragte die Mutter ua namens der damals noch minderjährigen Aline sowie des bereits volljährig gewordenen Markus P***, das Pflegschaftsgericht möchte im Hinblick auf den am 9. September 1985 eingebrachten Unterhaltsfestsetzungsantrag über den noch offenen Zeitraum vom 9. September 1985 bis 30. September 1986 entscheiden. Die Annahme laut Scheidungsvergleich vom 16. September 1986, 39 Cg 271/85 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien, daß bis einschließlich 30. September 1986 keine Unterhaltsrückstände für die ehelichen Kinder aushaften, beruhe im Hinblick auf den Abfertigungsbetrag und nach Durchrechnung der Zahlungsbelege auf einem Irrtum. Der Vater habe nämlich von seinem seinerzeitigen Arbeitgeber aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Ende September 1985 eine Abfertigung von drei Monatsbezügen im Gesamtbetrag von netto S 86.448 ausbezahlt erhalten. Der Vater sprach sich gegen diesen Antrag aus. Die Mutter habe im Scheidungsvergleich erklärt, daß keine Unterhaltsrückstände bestanden haben. Ihr sei auch sein Abfertigungsanspruch bekannt gewesen.

Aline P*** erklärte nach Eintritt der Volljährigkeit, daß sie alle von ihrer Mutter eingebrachten Anträge aufrecht erhalte. Das Erstgericht verhielt den Vater zugunsten beider Kinder zu Zahlungen in der Höhe von je S 12.967 binnen 14 Tagen. Es stellte fest, der Vater sei bis 30. September 1985 bei der Firma B*** in Wien 3, beschäftigt gewesen. Er habe anläßlich seines Ausscheidens eine Abfertigung in der Gesamthöhe von S 86.448 netto ausbezahlt erhalten. Die Abfertigung sei Bestandteil des Einkommens des Unterhaltspflichtigen und sei bei der Unterhaltsfestsetzung zu berücksichtigen. Aufgrund der glaubwürdigen Angaben der Mutter habe diese beim Abschluß des Unterhaltsvergleiches keine Kenntnis von der Höhe des dem Vater anläßlich seines Ausscheidens aus der Firma B*** bezogenen Abfertigungsbetrages gehabt. Eine Verjährung der Forderung sei nicht eingetreten, da die Anspruchsberechtigten am 1. Juli 1988 rechtzeitig den Unterhaltsfestsetzungsantrag gestellt hätten. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge. Es änderte den angefochtenen Beschluß dahin ab, daß der Antrag der Kinder, das Pflegschaftsgericht möge im Hinblick auf den am 9. September 1986 eingebrachten Unterhaltsfestsetzungsantrag über den noch offenen Zeitraum vom 9. September 1985 bis 30. September 1986 entscheiden, abgewiesen wird. Der Antrag der Mutter gehe erkennbar von der Annahme aus, Punkt 4 des Scheidungsvergleiches sei wegen eines unterlaufenen Irrtums gegenstandslos, weshalb über den vermeintlich noch teilweise offenen Antrag zu entscheiden sei. Dieses Begehren sei aus zwei Gründen abzuweisen. Einerseits gebe es keinen offenen Antrag mehr, weil er zurückgezogen worden sei, andererseits sei es keineswegs richtig, daß ein Vergleich allenfalls teilweise ohne weiteres als irrelevant anzusehen wäre, wenn bei Abschluß ein Irrtum unterlaufen sei. Es bedürfe vielmehr der erfolgreichen Anfechtung des Vergleiches, diese habe im streitigen Rechtsweg zu erfolgen. Solange dies nicht der Fall sei, sei der Vergleich als wirksam anzusehen. In diesem Zusammenhang sei hervorzuheben, daß Punkt 4 des Vergleiches einer pflegschaftsbehördlichen Genehmigung nicht bedurft habe, weil er sich lediglich als Erläuterung und Klarstellung des Punktes 3 verstehe. Der pflegschaftsbehördlich genehmigte Punkt 3 erfasse kraft der Bereinigungswirkung des Vergleiches somit auch den vor dem 1. Oktober 1986 liegenden Zeitraum. Wollte man hingegen das Begehren aus einen Antrag auf rückwirkende Verpflichtung umdeuten, würde sich am Ergebnis im Hinblick auf das Erfordernis, den Vergleich im streitigen Rechtsweg anzufechten, nichts ändern.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der volljährigen Kinder Markus und Aline P***. Das Rechtsmittel ist zulässig, weil die Frage, ob und wie weit eine Unterhaltsbemessung von der Auslegung und Wirksamkeit eines Unterhaltsvergleiches abhängt, den Grund des Anspruches betrifft (EFSlg. 55.600, 47.167 uva); nur der von Aline P*** erhobene Rekurs ist aber berechtigt.

Der Unterhaltsfestsetzungsantrag vom 9. September 1985 wurde von der Mutter, der die Obsorge für die Kinder zustand, zurückgezogen Da die Bestimmung des § 405 ZPO im Verfahren außer Streitsachen analog anzuwenden ist (EFSlg. 55.369 uva), war es dem Erstgericht, wie das Rekursgericht zutreffend erkannte, ohne Verstoß gegen diese Verfahrensvorschrift verwehrt, über einen bereits zurückgezogenen und damit nicht mehr existenten Antrag zu entscheiden. Soweit Markus P*** die Berechtigung seines Begehrens auf den bereits zurückgezogenen Unterhaltsbestimmungsantrag stützte, erfolgte die Abweisung durch das Rekursgericht daher zu Recht. Der Antrag der Mutter und des bereits volljährig gewordenen Kindes Markus P*** ist aber, wie das weitere Vorbringen zeigt, auch dahin zu verstehen, daß nunmehr (erneut) ein Unterhaltsfestsetzungsantrag für die Vergangenheit, nämlich für die Zeit vom 9. September 1985 bis 30. September 1986, gestellt wird. Unterhaltsansprüche aber, die volljährige Kinder nach dem Zeitpunkt ihrer Volljährigkeit erheben, gehören ins streitige Verfahren (JB 237). Zum Zeitpunkt der Antragstellung war aber Markus P*** bereits volljährig. An einer Entscheidungsbefugnis des Außerstreitrichters über einen neu gestellten Unterhaltsantrag des Markus P*** mangelte es daher. Zur Entscheidung über den von der zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährigen Aline P*** gestellten Antrag auf Unterhaltsbestimmung für einen bereits vergangenen Zeitraum blieb das Pflegschaftsgericht im Außerstreitverfahren auch noch nach während des Verfahrens eingetretener Volljährigkeit zuständig (Pichler in Rummel2 Rz 16 zu § 140 mwN).

Mit der Entscheidung des verstärkten Senates vom 9. Juni 1988, 6 Ob 544/87 = EvBl. 1988/123 =

JBl. 1988, 586 hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden können. Die vom Rekursgericht behandelte Frage, ob auch der Inhalt des Punktes 4 des Scheidungsvergleiches mit Beschluß des Erstgerichtes vom 22. Oktober 1986, ON 31, pflegschaftsbehördlich genehmigt wurde, kann auf sich beruhen. Der Ansicht des Rekursgerichtes, daß um eine Neubemessung für die Vergangenheit zu ermöglichen, in diesem Fall der Vergleich wegen Irrtums erst im streitigen Verfahren angefochten und rechtsgestaltend beseitigt werden müßte, kann nicht gefolgt werden. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß - für die Zukunft - die in einem Unterhaltsvergleich innewohnende Umstandsklausel (Pichler aaO Rz 10 a zu § 94 mwN und Rz 15 b zu § 140) auch dann zum Tragen kommen kann, wenn die wahren Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung unbekannt waren und daher irrtümlich von falschen Bemessungsvoraussetzungen ausgegangen wurde (EFSlg. 56.510, 53.734 ua, zuletzt 1 Ob 621/89). Dies muß - nach Änderung der Rechtsprechung durch die Entscheidung des verstärkten Senates - aber auch dann gelten, wenn für die Vergangenheit eine Unterhaltsfestsetzung oder Unterhaltserhöhung nach Abschluß eines denselben Zeitraum regelnden Unterhaltsvergleiches deshalb beantragt wird, weil der Unterhaltsberechtigte behauptet, daß der Unterhaltsverpflichtete bei Abschluß der Unterhaltsvereinbarung ein höheres als von ihm angegebenes Einkommen bezogen hat (in diesem Sinn bereits 6 Ob 580/88 - nur teilweise veröffentlicht in EFSlg. 56.510 und 57.053 - mit Billigung von Pichler aaO Rz 15 b zu § 140). Es bedarf daher, selbst wenn es sich bei Punkt 4 des Scheidungsvergleiches nicht nur um eine bloße Wissens- sondern um eine Willenserklärung gehandelt haben sollte, nicht einer Anfechtung des Unterhaltsvergleiches im streitigen Verfahren um eine Neubemessung des Unterhalts für bereits verstrichene Zeiträume zu ermöglichen.

Dem Revisionsrekurs der Aline P*** ist Folge zu geben, dem Rekursgericht ist die neuerliche Entscheidung über den von ihr gestellten Antrag unter Berücksichtigung des weiteren Rekursvorbringens des Vaters aufzutragen.

Anmerkung

E20555

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0010OB00524.9.0404.000

Dokumentnummer

JJT_19900404_OGH0002_0010OB00524_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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