Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Müller und Ferdinand Rodinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag.Hermine B***, Angestellte, Wien 19, Obkirchergasse 83, vertreten durch Dr.Rudolf Gürtler ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei O*** O*** F*** I*** P***,
Establishment, Vaduz, Liechtenstein, P.O.B. 185, vertreten durch Dr.Karl Katary, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 172.500 sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.Jänner 1990, GZ 32 Ra 96/89-20, womit infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2.August 1989, GZ 7 Cga 116/84-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die von der Klägerin auf Zahlung von S 172.500 in Anspruch genommene Beklagte ist eine Kapitalgesellschaft nach liechtensteinischem Recht; sie hat ihren Verwaltungssitz in Vaduz und wird ausschließlich von den dort ansässigen Verwaltungsräten Dr.Egmond F***, Bankdirektor, Vaduz, Herrengasse 12 und Roma F***, Schaan, Bahnhofstraße 65, vertreten (Beilage E in 7 Cga 1345/87). Die Klägerin beantragte Zustellung der Klage unter der Anschrift der Firma I*** GesmbH, Wien 17,
Brestelgasse 13 = Ottakringerstraße 59 zu Handen des Geschäftsführers Kurt F***.
Geschäftsführer der Firma I*** GesmbH ist Kurt
F*** junior; er wird zeitweilig von seinem als Konsulent tätigen Vater Kommerzialrat Karl F*** vertreten. Die Firma I*** GesmbH wurde als Bevollmächtigte der Beklagten tätig, weil sie mit dieser einen Vertretungsvertrag abgeschlossen hat. Auf Grund dieses Vertrages hat die Firma I*** die Interessen der Beklagten im In- und Ausland wahrgenommen. Dieser Vertretungsvertrag umfaßte die verschiedensten Aufgaben, nicht jedoch eine postalische Vertretung im Sinne einer Postvollmacht. Allerdings verwendete die Beklagte die Anschrift der Firma I*** als Korrespondenzadresse. Unter anderem wurde der gesamte Postverkehr der im Ausland tätigen Arbeitnehmer der Beklagten, darunter auch der Klägerin, über die Firma I*** abgewickelt. Kommerzialrat Karl F*** und dessen Sohn erteilten den Arbeitnehmern der Beklagten dienstliche Weisungen.
Das Erstgericht fällte am 2.10.1984 gegen die Beklagte ein Versäumungsurteil. Dieses wurde der Beklagten am 12.10.1984 durch Hinterlegung nach § 23 ZuStG zugestellt. Die gegen dieses Versäumungsurteil erhobene Nichtigkeitsklage der Beklagten wurde zuletzt mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 19.4.1989, 9 Ob A 99/89, abgewiesen, weil mangels gesetzmäßiger Zustellung keine wirkliche, sondern eine bloße "Scheinrechtskraft" vorliegt, die die Voraussetzungen des § 529 Abs 1 ZPO nicht erfüllt. Daraufhin stellte die Beklagte den Antrag, ihr das Versäumungsurteil vom 2.10.1984 zu Handen ihres nunmehr ausgewiesenen Rechtsvertreters zuzustellen.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Nach § 4 ZuStG sei die Zustellung an juristische Personen an deren Sitz, aber auch in einer Betriebsstätte, in einem Geschäftsraum oder einer Kanzlei vorzunehmen. Empfangsberechtigt sei das gesetzliche Vertretungsorgan. Da ein wesentlicher Teil der geschäftlichen Tätigkeit der Beklagten am Sitz der Firma I*** GesmbH abgewickelt worden sei, habe dort im Zeitpunkte der Zustellung des gegenständlichen Versäumungsurteiles eine Betriebsstätte, ein Geschäftsraum oder eine Kanzlei bestanden. Die Beklagte hätte daher für das Vorhandensein eines Postbevollmächtigten sorgen müssen. Dieser Organisationsmangel falle ihr zur Last.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten Folge und trug dem Erstgericht die neuerliche Zustellung des Versäumungsurteils auf. Der Sitz einer juristischen Person - im Sinne des Ortes, an dem ihre Verwaltung geführt werde - werde nicht schon dadurch begründet, daß eine andere Gesellschaft auf Grund eines Vertretungsvertrages mit der Wahrnehmung verschiedener Aufgaben betraut werde. Aus welchem Grund eine Zustellung am Sitz der Beklagten in Vaduz nicht möglich gewesen sein sollte, sei nicht zu erkennen. Die Hinterlegung nach § 23 ZuStG sei an die engen Voraussetzungen der §§ 8 oder 10 ZuStG gebunden. Die Zustellanordnung vom 10.10.1984 finde weder in einer Änderung der Abgabestelle noch in der Nichtbefolgung der Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten Deckung.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs der Klägerin ist nicht berechtigt.
Die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, daß die Zustellung des Versäumungsurteils an die Beklagte nicht gesetzmäßig erfolgt ist, hat der Oberste Gerichtshof schon mit der Entscheidung vom 19.4.1989, 9 Ob A 99/89, wonach das Ersturteil nur in Scheinrechtskraft erwachsen sei, gebilligt. Ist der Empfänger einer Sendung keine natürliche Person, so ist diese Sendung einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. Wer das ist, richtet sich zunächst nach den die Organisation der juristischen Person regelnden Vorschriften (Walter-Mayer, Zustellrecht, 80 FN 17). Sowohl die Klage als auch das Versäumungsurteil wären daher mangels anderer zur Empfangnahme für die juristische Person ermächtigter Personen (im Inland) an die mit Einzelzeichnungsrecht ausgestatteten Verwaltungsräte der Beklagten am Sitz der Gesellschaft in Vaduz entsprechend dem vorliegenden Auszug aus dem Handelsregister des Fürstentums Liechtenstein zuzustellen gewesen. Die Regelung des § 13 Abs 3 ZuStG geht der Regelung des § 4 ZuStG insofern voraus, als jene überhaupt erst festlegt, wer bei juristischen Personen formeller Empfänger (vgl Walter-Mayer aaO 77 FN 2), also die physische Person ist, für die das Schriftstück bestimmt ist (vgl auch Walter-Mayer aaO 52 FN 13). Die Bestimmung des § 4 ZuStG bestimmt hingegen, an welchen Orten an den damit festgelegten Zustellungsempfänger zugestellt werden darf. Erst der "Empfänger" bestimmt die in Betracht kommenden Abgabestellen (Walter-Mayer aaO 77 FN 3). Da keine inländischen Zustellungsbevollmächtigten (§ 9 ZuStG) oder sonstige zur Empfangnahme der Sendung berechtigten Personen existierten, wäre das Versäumungsurteil an die Verwaltungsräte im Ausland (§ 11 ZuStG) zuzustellen gewesen. Da die Beklagte nunmehr in diesem Rechtsstreit Rechtsanwalt Dr.Karl Katary zum Prozeßbevollmächtigten bestellt hat, wird diesem - wie beantragt - das Versäumungsurteil zuzustellen sein (§ 93 ZPO).
Dem Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 40, 50 ZPO.
Anmerkung
E20440European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00088.9.0404.000Dokumentnummer
JJT_19900404_OGH0002_009OBA00088_9000000_000