Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Richard (Ryszard) K***, Tierarzt, Gleinstätten, Sausal 80, vertreten durch Dr. Herbert Hüttner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Elzbieta Janina K***, Verwaltungsreferent, Walbrzych Swierzawa Zlotoryiska 7/3, Polen, vertreten durch Dr. Wilfrid Stenitzer, Rechtsanwalt in Leibnitz als Verfahrenshelfer, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 23. Oktober 1989, GZ 1 R 399/89-49, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Leibnitz vom 22. Juni 1989, GZ 2 C 19/89-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.087 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 514,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 4.April 1950 geborene Kläger und die am 14.Dezember 1955 geborene Beklagte schlossen am 24.Juli 1976 als polnische Staatsbürger in Walbrzych, Polen, die beiderseits erste Ehe, der zwei Söhne entstammen. Der letzte gemeinsame Wohnsitz der Streitteile war in Polen. Der Kläger kam im November 1981 legal mit Visum nach Österreich und wurde am 23.November 1982 als Flüchtling iS der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt. Er lebt seither in Gleinstätten, Steiermark, während die Beklagte mit den Kindern den letzten gemeinsamen Wohnsitz der Streitteile beibehielt. Mit der im Scheidungsverfahren nach § 382 Z 8 lit a EO ergangenen einstweiligen Verfügung vom 25.November 1987 wurde der Kläger zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von je 500 S an seine beiden Kinder verhalten. Der Kläger begehrt die Scheidung seiner Ehe. Die eheliche Gemeinschaft sei seit seiner Emigration aufgehoben und vollständig zerrüttet. Trotz oftmaliger Versuche des Klägers, die Beklagte zur Nachfolgung nach Österreich zu bestimmen, sei diese in Polen geblieben. Den Kindern habe er regelmäßig Unterhalt geleistet. Die Beklagte tritt dem Scheidungsbegehren mit der Behauptung entgegen, sie habe keine Scheidungsgründe gesetzt, sondern allein der Kläger; sie willige in die Scheidung nicht ein. Entgegen einer Vereinbarung der Streitteile sei der Kläger nach seiner Ausreise nicht mehr nach Polen zurückgekehrt und habe sie somit böswillig verlassen. Seine Unterhaltszahlungen an die Kinder habe er nach Zuerkennung seines Flüchtlingsstatus eingestellt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und ging dabei im wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:
Die Beklagte sei in Polen Sekretärin in einer Tierklinik. Der Kläger sei Tierarzt und im November 1981 mit Zustimmung der Beklagten nach Österreich gereist. Die Streitteile hätten vereinbart, daß der Kläger höchstens drei Monate im Ausland verbringe und dann nach Polen zur Beklagten und zu den Kindern zurückkehre. Die Verhängung des Kriegsrechtes in Polen mit 13. Dezember 1981 habe den Kläger überrascht. Er habe der Beklagten und seinem älteren Sohn Jacek eine Einladung nach Österreich geschickt; diese hätten mangels Reisepaß nicht nach Österreich reisen können. Die Beklagte habe mit der Weiterführung der Ehe gerechnet. Wenn sie vom Kläger abermals eine Einladung nach Österreich bekommen hätte, wäre sie sofort gekommen. Bis 1983 hätten die Ehegatten schriftlich Kontakt gehalten. Ende 1983/Anfang 1984 habe der Kläger seine Unterhaltszahlungen an die Beklagte und die Kinder eingestellt, nachdem er bis dahin 20.000 S geleistet habe. Der Kläger habe in Österreich erstmals von Juli 1983 bis Ende 1984 beim Landwirteverband Graz um monatlich 6.200 S netto gearbeitet. Nach sechsmonatiger Arbeitslosigkeit habe er dann bei Waltraud R*** in Sausal, die auf ihrer Landwirtschaft sechs Pferde eingestellt habe, eine Arbeit als Pferdepfleger erhalten und beziehe bei einer täglichen Arbeitsleistung von höchstens vier Stunden monatlich 3.000 S netto. Seine Verköstigung erhalte er von den Eltern Waltraud R***. Er sei bei Waltraud R*** nicht sozialversichert; er sei als ordentlicher Hörer an der Universität Graz der Studienrichtung Germanistik inskribiert gewesen, um die deutsche Sprache zu erlernen. Im Sommersemester 1987 habe er an der verterinärmedizinischen Universität Wien inskribiert und Prüfungen abgelegt, damit sein in Polen absolviertes Tierarztstudium in Österreich anerkannt werde. Ursprünglich habe der Kläger nicht die Absicht gehabt, in Österreich zu bleiben. Zwischenzeitig sei er jedoch mit Waltraud R*** eine Lebensgemeinschaft eingegangen und habe die Scheidungsklage eingebracht, weil er Waltraud R*** heiraten wolle. Die Beklagte lebe nicht mit einem anderen Mann zusammen.
Rechtlich folgerte der Erstrichter, daß nach §§ 20 Abs 1, 18 Abs 1 IPRG für die Frage der Voraussetzungen und Wirkungen der Scheidung der Ehe polnisches Recht anzuwenden und nach Art 56 des polnischen Familien- und Vormundschaftsgesetzbuches das Scheidungsbegehren trotz der vollständigen und dauernden Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft der Streitteile unzulässig sei, weil durch die Scheidung das Wohl der gemeinschaftlichen minderjährigen Kinder der Ehegatten gefährdet wäre, die Scheidung von dem an der Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft allein schuldigen Kläger begehrt werde und die Beklagte in die Scheidung nicht einwillige. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und kam zur Anwendung polnischen Scheidungsrechts gemäß § 53 IPRG iVm § 28 des zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik Polen bestehenden Vertrages über die wechselseitigen Beziehungen in bürgerlichen Rechtssachen und über Urkundenwesen, BGBl 1974/79. Meritorisch verneinte die zweite Instanz den Eintritt der vollständigen und dauernden Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft der Streitteile, im wesentlichen, weil die Beklagte nach wie vor an der Ehe festhalte und zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft bereit sei. Die Scheidung sei aber schon deshalb unzulässig, weil angesichts der beabsichtigten Verehelichung mit der 1947 geborenen Waltraud R*** und des dadurch möglichen Entstehens weiterer Sorgepflichten für den Kläger (für seine zweite Ehefrau und Kinder aus der zweiten Ehe) das Wohl der beiden minderjährigen Kinder der Streitteile gefährdet wäre und die Scheidung von dem an der Zerrüttung der Ehe allein schuldigen Kläger begehrt werde.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.
Die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der Aktenwidrigkeit wurden geprüft, liegen aber nicht vor (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
Vor Behandlung der Rechtsrüge ist zu prüfen, ob für die vorliegende Rechtssache die inländische Gerichtsbarkeit gegeben ist. Dies ist gemäß § 42 Abs 1 JN in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen; eine perpetuatio fori tritt gemäß § 29 zweiter Satz JN (jedenfalls in Ehesachen) nicht ein (SZ 48/129, SZ 23/293; 1 Ob 585/88; Fasching I 402 und Lehr- und Handbuch2 Rz 79). Eine bindende Entscheidung der Vorinstanzen iS des § 42 Abs 3 JN liegt nicht vor, da ein Entscheidungswille der Vorinstanzen nicht einmal aus den Gründen ersichtlich ist (vgl SZ 54/190). Gemäß § 76 Abs 1 JN idF vor der Zivilverfahrens-Novelle 1983 (vgl deren Art XVII § 2 Abs 6) ist die inländische Gerichtsbarkeit für die Klage auf Scheidung gegeben, weil grundsätzlich zur Entscheidung in Ehesachen, sobald auch nur ein Eheteil die österr. Staatsbürgerschaft besitzt, die österreichischen Gerichte berufen sind. Den österreichischen Staatsbürgern sind alle jene Personen, auf die die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.Juli 1951, BGBl 1955/55 ("Genfer Flüchtlingskonvention") idF des Protokolles vom 31.Jänner 1967, BGBl 1974/78 ("Flüchtlingsprotokoll") anzuwenden ist und die ihren Wohnsitz im Inland haben, nach deren Art 12 gleichgestellt (SZ 29/32 = JBl 1956, 592; Fasching I 398). Sie können wie Inländer auf Ehescheidung klagen, auch wenn ihre Gatten im Ausland leben (Fasching I 222 mwN).
Unabhängig von der Frage der inländischen Gerichtsbarkeit ist die des anzuwendenden materiellen Scheidungsrechtes zu beurteilen. Da ein Sachverhalt mit Auslandsberührung zur Entscheidung steht, ist amtswegig die Frage der Rechtsanwendung zu prüfen (§ 2 IPRG). Nach § 53 IPRG werden Bestimmungen zwischenstaatlicher Vereinbarungen durch das IPRG nicht berührt (ZVR 1989/79, SZ 60/234, jeweils mwN ua). Zwischen der Republik Österrelch und der Volksrepublik Polen besteht der Vertrag über die wechselseitigen Beziehungen in bürgerlichen Rechtssachen und über Urkundenwesen vom 11.Dezember 1963 samt Zusatzprotokoll vom 25.Jänner 1973, BGBl 1974/79, nach dessen Art 64 dieser Vertrag aber die Bestimmungen anderer Verträge, die einen oder beide der Vertragstaaten im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Vertrages binden, nicht berührt. Zu den Bestimmungen in anderen Verträgen, die durch den Staatsvertrag BGBl 1974/79 nicht berührt werden, zählt auch Art.12 der Genfer Flüchtlingskonvention (RV zum Staatsvertrag BGBl 1974/79, 389 der Beilagen X. GP 47; Duchek-Schwind, Internationales Privatrecht 189), wonach die personenrechtliche Stellung eines Flüchtlings noch vom Gesetz seines Wohnsitzlandes bestimmt wird. Dieses Recht tritt im Bereich des Personalstatuts an die Stelle des Heimatrechts (Duchek-Schwind, aaO 132 FN 4). Der Anknüpfung ist daher hier das IPRG zugrunde zu legen. Zu beurteilen ist die Scheidungsklage des in Österreich als Konventionsflüchtling lebenden Mannes gegen seine in Polen lebende Frau, die polnische Staatsbürgerin ist. Gemäß § 20 Abs 1 IPRG sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Scheidung nach dem für die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe maßgebenden Recht im Zeitpunkt der Ehescheidung zu beurteilen. Nach § 18 Abs 1 Z 1 IPRG sind die persönlichen Rechtsbeziehungen einer Ehe nach dem gemeinsamen, mangels eines solchen nach dem letzten gemeinsamen Personalstatut der Ehegatten zu beurteilen, sofern es einer von ihnen beibehalten hat. Die Streitteile haben unter Bedachtnahme auf die Flüchtlingseigenschaft des Klägers kein gemeinsames Personalstatut; das letzte gemeinsame und von der Beklagten beibehaltene Personalstatut der Streitteile ist das Recht der Volksrepublik Polen.
Nach Art 56 des polnischen Familien- und Vormundschaftsgesetzbuches (vom 25.Februar 1964, Kodeks rodzinny i opiekunczy, Dz. U.Nr.9, Pos.59 idF U.Nr.45, Pos.234 von 1975 und U.Nr.36 Pos.180 von 1986; im folgenden poln. FVG) kann jeder Ehegatte die gerichtliche Auflösung der Ehe im Wege der Scheidung verlangen, wenn zwischen den Ehegatten eine vollständige und dauernde Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft eingetreten ist (§ 1). Die Scheidung ist trotz der vollständigen und dauernden Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft unzulässig, wenn durch sie das Wohl der gemeinschaftlichen minderjährigen Kinder der Ehegatten gefährdet wäre oder der Scheidungsausspruch aus anderen Gründen den Grundsätzen des gesellschaftlichen Lebens zuwiderlaufen würde (§ 2). Die Scheidung ist ferner unzulässig, wenn sie von dem an der Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft allein schuldigen Ehegatten begehrt wird, es sei denn, daß der andere Ehegatte in die Scheidung einwilligt oder daß die Verweigerung seiner Einwilligung unter den gegebenen Umständen den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zuwiderlaufen würde (§ 3). Da die österreichischen Gerichte fremdes Recht von Amts wegen so anzuwenden haben wie im ursprünglichen Geltungsbereich (§ 3 IPRG), ist vor allem die Rechtsprechung des Obersten Gerichtes der Volksrepublik Polen zum verwiesenen polnischen Recht zu beachten.
Der Grundsatz der Beständigkeit der Ehe gehört zu den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des polnischen Rechts (Gralla,
Die Vernichtbarkeit und Scheidung einer Ehe nach polnischem Recht in Recht in Ost und West 1968, 97 ff, 158 ff, 102). Das polnische Scheidungsrecht beruht auf dem Zerrüttungsprinzip. Positive Scheidungsvoraussetzung ist nach Art 56 § 1 des poln. FVG allein eine tiefgreifende und andauernde Zerrüttung der ehelichen Lebensgemeinschaft. In der polnischen Rechtsprechung herrscht die Konzeption vor, daß für die Beurteilung, ob eine vollständige Zerrüttung der ehelichen Lebensgemeinschaft erfolgt ist, die psychischen, physischen und wirtschaftlichen Bindungen zwischen den Eheleuten insgesamt zu berücksichtigen sind. Ein Schwinden dieser Bindungen zwischen den Eheleuten weist auf das Vorhandensein einer vollständigen Zerrüttung der ehelichen Lebensgemeinschaft hin. Bei Beurteilung, ob die Zerrüttung einen andauernden Charakter hat, muß erwogen werden, ob im Lichte der Lebenserfahrungen und unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Sachverhaltes angenommen werden kann, daß die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft zurückkehren. Es geht also um die Feststellung, daß die Zerrüttung hoffnungslos ist und nicht darum, daß sie schon eine lange Zeit andauert (Radwanski, Scheidungsrecht in Polen in ZfRV 1979, 5 ff, 6). Als vollständig zerrüttet ist eine Ehe dann anzusehen, wenn weder physische noch geistige noch wirtschaftliche Bindungen bestehen (Gralla aaO, 104). Dauerhaft zerrüttet ist dagegen eine Ehe dann, wenn der gegenwärtige Zustand darauf schließen läßt, daß die Ehegatten nicht mehr miteinander leben wollen, wenn nach menschlicher Lebenserfahrung eine Rückkehr zur ehelichen Gemeinschaft mit größter Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (Gralla aaO, 104). Dieser Begriff deckt sich im wesentlichen mit dem der deutschen Rechtsprechung des Reichsgerichtes und des Bundesgerichtshofes geläufigen Begriff der "unheilbaren Zerrüttung der Ehe" (Gralla aaO, 105; vgl auch Grzywacz, Das neue polnische Familienrecht in FamRZ 1965, 529 ff, 531), der auch dem Verständnis des Obersten Gerichtshofes entspricht. Im Hinblick auf das noch darzustellende Einspruchsrecht des schuldlosen Ehegatten reicht das Vorliegen des Erlöschens des Ehewillens bei einem Ehegatten aus. Wenn man den von den Vorinstanzen als erwiesen angenommenen Sachverhalt zugrunde legt, kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes nicht fraglich sein, daß eine Zerrüttung der Ehe der Streitteile iS des Art 56 § 1 des poln. FVG besteht, weil jedenfalls beim Kläger, der den Kontakt zu seiner Frau schon vor Jahren abgebrochen hat, nun mit einer anderen Frau in Lebensgemeinschaft lebt und diese heiraten will, der Wille, die Ehe mit der Beklagten fortzusetzen ist, als erloschen anzusehen ist. Weitere Voraussetzung für eine erfolgreiche Scheidung nach polnischem Recht ist trotz des Vorliegens einer tiefgreifenden und andauernden Zerrüttung das Fehlen der negativen Scheidungsvoraussetzungen, von denen jede das stattgebende Scheidungsurteil ausschließt (Gralla aaO, 103, 158; Radwanski aaO, 7). Es sind dies, wie bereits oben dargestellt, die Gefährdung des Wohles gemeinsamer minderjähriger Kinder, ein Verstoß gegen die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie die sogenannte "Rekrimination", das heißt die Unzulässigkeit des Scheidungsbegehrens des Alleinschuldigen.
Den "Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens" kommt im polnischen Scheidungsrecht eine doppelte Funktion zu: Einerseits ist sie die zweite negative Voraussetzung, die die Zulässigkeit des Scheidungsurteiles trotz tiefgreifender und andauernder Zerrüttung ausschließt (Art 56 § 2 des poln. FVG), andererseits ist sie nach der dritten und letzten Ausnahme vom Zerrüttungsprinzip auch eine positive Voraussetzung. Eine der drei negativen Scheidungsvoraussetzungen ist die ausschließliche Schuld des Ehegatten, der die Scheidung fordert (Art 56 § 3 des poln. FVG). Dieses Prinzip wird durch moralische Rücksichten begründet, wonach man denjenigen Handlungsweisen entgegentreten muß, die gegen die Regeln der ehelichen Lebensgemeinschaft verstoßen. Hier kommt gleichzeitig der weitere Grundsatz des polnischen Zivilrechts "nemo turpitudinem suam allegans audiatur" zum Ausdruck (Radwanski aaO, 8). Daß im vorliegenden Fall das alleinige Verschulden beim Kläger liegt, haben schon die Vorinstanzen richtig erkannt. Auch in der Revision behauptet der Kläger nicht ernstlich, daß die Beklagte die Zerrüttung der ehelichen Lebensgemeinschaft mitverschuldet hätte. Der Rekriminationsgrundsatz wird durch zwei ihn beschränkende Regeln geschwächt. Die Scheidung kann nämlich ausgesprochen werden, obgleich sie von dem Ehegatten beantragt wird, der ausschließlich die Zerrüttung der ehelichen Lebensgemeinschaft verschuldet hat, wenn folgende zwei Umstände alternativ eintreten: 1. der andere Ehegatte willigt in die Scheidung ein; 2. der andere Ehegatte willigt nicht in die Scheidung ein, jedoch verstößt die Verweigerung seiner Zustimmung in der gegebenen Situation gegen die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens (Radwanski aaO, 8). Eine Zustimmung der Beklagten ist hier nicht gegeben. Was den Anwendungsbereich der zweiten Ausnahme angeht, so hat sich die polnische Rechtsprechung für deren liberale Auslegung ausgesprochen. Es wurde angenommen, daß eine Verweigerung der Zustimmung zur Scheidung nicht nur dann zu den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens im Widerspruch steht, wenn sie veranlaßt wurde durch das Motiv der Schikane, durch Haß, durch das Streben nach Vermögensgewinn oder aus anderen Gründen, die den Ehegatten vom moralischen Standpunkt aus disqualifizieren. Das Gericht kann das Fehlen der Zustimmung des schuldlosen Ehegatten zur Scheidung auch dann übergehen, wenn dessen Verweigerung vom moralischen Standpunkt aus nicht durch ein tadelnswertes Motiv bestimmt wird und nicht mit einer negativen moralischen Bewertung verbunden ist. Es genügt, wenn die Verweigerung der Scheidung im Lichte der objektiven Regeln des Zusammenlebens unbegründet ist (Radwanski aaO, 9). Der Kläger setzt sich mit Motiven auf Seite der Beklagten nicht auseinander, sondern meint nur, wenn er nach einer Scheidung und nunmehrigen Eheschließung mit Waltraud R*** österreichischer Staatsbürger werde, könnte er seinen Beruf als Tierarzt ausüben und damit seine Kinder besser alimentieren. Weiters erleichtere eine Scheidung die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, weil dann für den österreichischen Staat nicht mehr die Gefahr bestehe, im "Unglücksfalle" für die Beklagte und die ehelichen Kinder aufkommen zu sollen und zu müssen. Bei diesen Gründen kann aber nicht gesagt werden, daß die Weigerung der Beklagten, in die Scheidung einzuwilligen, als zu den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens im Widerspruch stehen würde, mögen auch durch die bisherige, rund achtjährige Trennung zwei getrennte Lebenskreise und Lebensbereiche der Streitteile entstanden sein. Die ratio legis des Art 56 § 3 des poln. FVG besteht nach herrschender Lehre und der des polnischen Obersten Gerichtes in der "Notwendigkeit, den Verletzungen der sozialistischen Moral entgegenzuwirken. Das Verbot der Scheidung wird nicht durch die Sorge um die Erhaltung einer bereits toten und funktionsunfähigen Ehe gerechtfertigt, sondern durch gesellschaftliche Belange, die eine Reaktion gegen willkürliche Auflösungen der Ehe fordern" (Gralla aaO, 159 mwN). Der Hinweis in der Revision, daß nach § 55 Abs 3 EheG sogenannte "Papierehen" nach dem Ablauf einer gewissen Zeitspanne auf jeden Fall geschieden werden könnten, übersieht, daß hier polnisches Eherecht, dem nun eine § 55 Abs 3 EheG entsprechende Norm fehlt (anders das alte polnische FamilienG von 1950; vgl dazu Gralla aaO, 103 und FN 61), anzuwenden ist. Nach dem poln. FVG reicht eben die mehrjährige Trennung allein nicht aus, um die Verweigerung der Zustimmung des schuldlosen Ehegatten als den gesellschaftlichen Interessen zuwiderlaufend abzustempeln, was auch das polnische Oberste Gericht ausgesprochen hat (Gralla aaO, 104 und 160, jeweils mwN).
Auf die negative Scheidungsvoraussetzung der Gefährdung des Wohles gemeinschaftlicher minderjähriger Kinder kommt es aus diesen Erwägungen nicht mehr an. Es ist daher irrelevant, wieviel Unterhalt der Kläger seiner Familie bisher bezahlte, ob dies seinen Verhältnissen entsprach, ob er in Polen weniger ins Verdienen gebracht hätte bzw bringen würde als in Österreich uam. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E20221European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0010OB00517.9.0404.000Dokumentnummer
JJT_19900404_OGH0002_0010OB00517_9000000_000