Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria Helene S***, Private, Etsdorf am Kamp, Schloß Walkersdorf, vertreten durch Dr.Max Allmayer-Beck und Mag. Dr.Johannes Stockert, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am 13.November 1986 verstorbenen Berta W***, vertreten durch die Verlassenschaftskuratorin Erika H***, Hausfrau, St.Pölten, Spratzerner Kirchenweg 36 c, diese vertreten durch Dr.Herbert Hofbauer und andere Rechtsanwälte in St.Pölten, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Berufungsgericht vom 24.Oktober 1989, GZ R 567/89-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 8. Juni 1989, GZ 3 C 956/87-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 1.977,60 (darin enthalten S 329,60 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 13.11.1986 im Pflegeheim Pottenbrunn verstorbene Berta W*** war Mieterin der Wohnung Nr 3 im Haus der Klägerin in St.Pölten, Wiener Straße 28. Seit dem Jahr 1983 wohnte Othmar H***, eine Enkel Berta W***, ebenfalls in dieser Wohnung. Seine Großmutter kochte für ihn und wusch ihm auch die Wäsche; er putzte die Fenster, erledigte den Einkauf und zahlte Kostgeld. In der Zeit vom 21.3.1984 bis 28.12.1984 verbüßte Othmar H*** eine Haftstrafe, kehrte danach aber wieder in die Wohnung seiner Großmutter zurück. Am 2.8.1985 erlitt die damals im 79.Lebensjahr stehende Berta W*** einen Oberschenkelhalsbruch. Nach dem Spitalsaufenthalt wurde sie zur Ausheilung des Bruches in das Pflegeheim Pottenbrunn gebracht, weil kein Angehöriger ausreichend Zeit für die erforderliche Pflege hatte. Berta W*** beabsichtigte jedoch, nach dem gänzlichen Ausheilen des Bruches wieder in ihre Wohnung zurückzukehren. Sie suchte in der Folge wiederholt ihre Wohnung auf, um Wäsche oder andere Kleidungsstücke zu holen. Othmar H*** wohnte weiterhin in dieser Wohnung und pflegte für seine Großmutter die Blumen und die Katze. Während des Aufenthaltes im Pflegeheim wurde bei Berta W*** ein Magengeschwür festgestellt; dennoch war ihr Gesundheitszustand ausreichend gut, so daß sie ihre Absicht, nach gänzlicher Wiedererlangung der Gehfähigkeit wieder in ihre Wohnung zurückzukehren, nicht aufgab. Berta W*** starb unerwartet an Kreislaufversagen. Othmar H*** verfügt über keine andere Wohnmöglichkeit.
Die Klägerin kündigte der Verlassenschaft nach Berta W*** das Bestandverhältnis zum 30.6.1987 auf. Die verstorbene Mieterin habe die Wohnung allein benützt; eintrittsberechtigte Personen seien nicht vorhanden. Berta W*** und Othmar H*** hätten in der aufgekündigten Wohnung keinen gemeinsamen Haushalt geführt. Der Aufenthalt Berta W*** im Pflegeheim Pottenbrunn sei nicht bloß vorübergehend gewesen.
Die Beklagte beantragt die Aufhebung der Kündigung. Der Enkel der Miererin habe seit dem Jahr 1983 in der aufgekündigten Wohnung mit der Mieterin im gemeinsamen Haushalt gelebt. Berta W*** habe ihre Absicht, in die aufgekündigte Wohnung zurückzukehren, bis zu ihrem Tod nicht aufgegeben. Ihr Gesundheitszustand habe eine Rückkehr in die Wohnung nicht ausgeschlossen. Othmar H*** verfüge über keine andere Wohnmöglichkeit. Auch sei die beklagte Verlassenschaft passiv nicht zur Kündigung legitimiert, weil der Nachlaß bereits vor der Zustellung der Aufkündigung der Erika H*** zahlungshalber überlassen worden sei.
Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es bejahte die Passivlegitimation der beklagten Verlassenschaft, beurteilte die Feststellungen über die Lebensführung Berta W*** und ihres Enkels Othmar H*** als gemeinsame durch den Aufenthalt Berta W*** im Pflegeheim nur unterbrochene, nicht aber endgültig aufgegebene Haushaltsführung und folgerte daraus, daß das aufgekündigte Bestandobjekt einem dringenden Wohnbedürfnis einer eintrittsberechtigten Person diene, weshalb der geltend gemachte Kündigungsgrund nicht vorliege. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000, nicht jedoch S 300.000 übersteige und die Revision zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und trat auch dessen rechtlicher Beurteilung bei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne der Stattgebung ihres Begehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zwar - entgegen der Auffassung der Beklagten in der Revisionsbeantwortung - nicht absolut unzulässig, weil der Oberste Gerichtshof an den Bewertungsausspruch des Berufungsgerichtes gebunden ist (§ 500 Abs 4 ZPO in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der WGN 1989 BGBl 343), wenn - wie hier - die prozessualen Voraussetzungen für eine Bewertung vorliegen, das Berufungsgericht von den zwingenden Bestimmungen der §§ 54 bis 60 JN nicht abgewichen ist und die gesetzlichen Ermessensrichtlinien beachtet hat. Sie ist jedoch unzulässig, weil die Entscheidung nicht von einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des (bisherigen) § 502 Abs 4 Z 1 ZPO abhängt.
Die Annahme eines gemeinsamen Haushaltes zwischen der Mieterin und ihrem Enkel vor dem Unfall der Mieterin vom 2.8.1985 wird in der Revision - mit Recht - nicht bekämpft. Die Klägerin vertritt jedoch die Auffassung, daß der gemeinsame Haushalt zum maßgebenden Zeitpunkt des Todes der Mieterin nicht mehr bestanden habe, weil der Aufenthalt der Mieterin im Pflegeheim nicht mehr bloß vorübergehend gewesen sei. Ob jedoch ein gemeinsamer Haushalt zwischen dem verstorbenen Mieter und dem eintrittsberechtigten Angehörigen gegeben war, kann wegen der Vielfalt der in Betracht kommenden Möglichkeiten nur nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden (MietSlg 30.407). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (MietSlg 28.343; zuletzt MietSlg 39.300 und 1 Ob 542/89) wird ein bestehender gemeinsamer Haushalt durch gewisse, durch Lebensumstände bedingte, auf nicht allzu lange Zeit berechnete Unterbrechungen des Zusammenlebens nicht beendet. Auch ein - befristeter - Aufenthalt des Mieters im Altersheim schließt die Annahme des Fortbestehens eines gemeinsamen Haushaltes nicht aus (MietSlg 28.343 mwN). Das Berufungsgericht ist daher bei seiner Entscheidung im Rahmen dieser Grundsätze geblieben. Auch seine Beurteilung, daß die Mieterin auf Grund ihres Gesundheitszustandes berechtigte Hoffnung haben konnte, in absehbarer Zeit wieder in ihre Wohnung zurückkehren zu können, verstößt nicht gegen die dargestellten Grundsätze.
Das Berufungsgericht ist auch nicht - wie die Klägerin in ihrer Revision weiter meint - von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (MietSlg 33.372, 33.377 ua) abgewichen, wonach der Eintretende die Beweislast für das Vorliegen seines Eintrittsrechtes trägt; es hat lediglich ausgeführt, daß der Eintretende seiner Beweispflicht entsprochen habe, wenn nachgewiesen ist, daß der Aufenthalt, der zu einer Trennung des gemeinsamen Haushaltes geführt hat, ursprünglich als vorübergehend erschien und als vorübergehend gedacht war und die Verwirklichung der Rückkehrabsicht nicht schlechthin ausgeschlossen ist (MietSlg 39.300). Daß der verstorbene Mieter vor seinem Tod nicht mehr in das Bestandobjekt zurückgekehrt ist, ist daher für die Beurteilung der Frage, ob die Unterbrechung des gemeinsamen Haushaltes dauernder Natur geworden ist, nicht allein ausschlaggebend.
Die Revision war daher - ungeachtet des nicht bindenden (§ 508 a Abs 1 ZPO) Zulässigkeitsausspruches des Berufungsgerichtes - zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit einer Grundsatzrevision hingewiesen.
Anmerkung
E20632European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0040OB00515.9.0424.000Dokumentnummer
JJT_19900424_OGH0002_0040OB00515_9000000_000