TE OGH 1990/4/24 10ObS116/90

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Veröffentlicht am 24.04.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing.Walter Holzer (AG) und Mag.Karl Dirschmied (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Barbara L***, Pensionistin,

5503 Mitterberghütten, Kleinhubweg 4, vor dem Obersten Gerichtshof

nicht vertreten, wider die beklagte Partei

P*** DER A***, 1092 Wien, Roßauer

Lände 3, vertreten durch Dr.Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.Dezember 1989, GZ 12 Rs 192/89-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 4. September 1989, GZ 17 Cgs 30/89-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin ab 15.November 1988 den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen."

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 15.November 1988 den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Es stellte im wesentlichen fest, daß die am 2.1.1927 geborene Klägerin an einer Unterfunktion der Schild- und Nebenschilddrüsen, an Lungenveränderungen, einer Rechtsbelastung des Herzen mit verminderter Leistungsbreite, vorzeitig auftretender Atemnot und Antriebsschwäche leidet. Weiters finden sich eine depressive Verstimmung, eine Degeneration der Wirbelsäule mit Schmerzausstrahlung in das linke Bein und ein Tumor hinter der linken Darmbeinschaufel. Die Klägerin ist in der Lage, sich selbständig an- und auszukleiden, Speisen zuzubereiten und Nahrung aufzunehmen, den Holz- und Kohleofen in der Wohnung zu bedienen, sich zu waschen, zu kämmen, zu duschen und zu baden. Sie kann allein Einkäufe von 3 bis 4 kg Gewicht rund 5 Minuten auf der Straße gehend tragen und - wenngleich mit Mühe - in den 2.Stock hinauftragen. Einkäufe im Gewicht von 1 bis 2 kg kann sie selbständig mit dem Bus in Bischofshofen besorgen und nach Hause tragen. Die kleine Wäsche kann sie selbst besorgen. Fremde Hilfe benötigt sie beim Transport von Heizmaterial in den 2.Stock, beim Tragen von Wäschekörben, bei der Besorgung der großen Wäsche, zu Einkäufen im Gewicht von 3 bis 4 kg im Wege von Bahn oder Bus aus dem nächsten größeren Gemischtwarengeschäft in Bischofshofen und zur gründlichen Wohnungsreinigung inklusive Fensterputzen und Bodenwischen. Die Klägerin wohnt in einer Dachgeschoßwohnung im 2.Stock ohne Toilette; für die Verrichtung der Notdurft muß sie das Freie aufsuchen. Die Wohnung wird mit einem Holz- und Kohleofen von der Küche aus beheizt. Die Wohnung hat weder Bad noch Dusche, sondern nur ein Waschbecken. Am Wohnort der Klägerin gibt es zwar eine 5 Gehminuten entfernte Bäckerei, die neben Backwaren und Mehl auch gewisse Lebensmittel führt, nicht jedoch Obst, Gemüse, Kartoffeln, Waschmittel oder Kosmetika. Die nächste Gemischtwarenhandlung befindet sich in Bischofshofen und ist mit dem Bus in einigen Minuten erreichbar.

Von diesem Sachverhalt ausgehend nahm das Erstgericht einen täglichen Hilfebedarf der Klägerin von ca zwei Stunden an. Sie sei dauernd außerstande, gewisse regelmäßig sich wiederholenden lebenswichtigen Verrichtungen ohne fremde Hilfe vorzunehmen und müsse die notwendige fremde Hilfe in einem Ausmaß entlohnen, das dem gesetzlichen Hilflosenzuschuß entspreche.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Auch wenn man berücksichtige, daß die Klägerin nicht täglich einkaufen gehen müsse und gewisse Einkäufe in der nahen Bäckerei selbst vornehmen könnte, sei sie zumindest zweimal wöchentlich auf Hilfe bei der Bewältigung größerer Einkäufe angewiesen, was einen wöchentlichen Aufwand von zumindest 4 Stunden ergebe. Dazu komme der Aufwand für die gründliche Reinigung der Wohnung, für das Besorgen der großen Wäsche und die Beschaffung des Brennmaterials, wofür wöchentlich etwa 6 Stunden zu veranschlagen seien. Setze man die durchschnittlichen Kosten für eine Hilfsperson mit 80 S pro Stunde an, ergebe sich ein durchschnittlicher Aufwand, der den Mindesthilflosenzuschuß übersteige, sodaß die Klägerin als hilflos im Sinne des § 105 a ASVG anzusehen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Ein Anspruch auf Hilflosenzuschuß nach § 105 a ASVG besteht nur, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen üblicherweise aufzuwendenden Kosten annähernd so hoch sind, wie der begehrte Hilflosenzuschuß, wobei die Häufigkeit, in welcher die lebensnotwendigen Verrichtungen, die der Pensionist nicht selbst ausführen kann und die in seinem Lebenskreis üblicherweise vorkommen, und der erforderliche Kostenaufwand für fremde Hilfe nach

den Grundsätzen des § 273 ZPO zu ermitteln sind (SSV-NF 1/46 = SZ

60/223; JBl 1988, 64; SSV-NF 2/44, 2/132 = EvBl 1989/91 ua). Diese Einschätzung kann daher im Rahmen der rechtlichen Beurteilung überprüft werden. Es kommt nicht darauf an, in welchem Umfang ein Anspruchwerber tatsächlich fremde Hilfe in Anspruch nimmt, sondern vielmehr darauf, inwieweit solche Hilfe nach dessen körperlichem und geistigem Zustand auch unbedingt erforderlich ist.

Nach den Feststellungen bedarf die Klägerin, die sich Brot, Backwaren, Mehl und "gewisse" Lebensmittel (und nach ihrer Parteiaussage offenbar auch Milch, Wurst und Butter) in der nur 5 Gehminuten entfernten Bäckerei täglich selbst besorgen kann, für größere Einkaufsfahrten in das mit dem Autobus in wenigen Minuten erreichbare Bischofshofen fremder Hilfe; dies allerdings nicht, wie das Berufungsgericht annahm, zweimal, sondern nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes höchstens einmal in der Woche, weil die Klägerin Einkäufe bis zu einem Gewicht von maximal 2 kg auch dort selbst erledigen kann. Ferner benötigt die Klägerin fremde Hilfe zur gründlichen Reinigung der Wohnung und zum Waschen der Großwäsche; diese Arbeiten fallen aber nur in größeren Zeitabstände und keinesfalls täglich an und vermögen auch im Zusammenhang mit den geschilderten Einkaufsfahrten den Anspruch auf Hilflosenzuschuß nicht zu begründen (vgl SSV-NF 2/12, 2/132 ua). Heizmaterial wird nur in den Wintermonaten benötigt und vielfach kostenlos zugeliefert, sodaß auch die für das Tragen des Heizmaterials in den

2. Stock erforderliche Hilfe, welche bei Anlegung eines kleinen Vorrates ebenfalls nicht täglich geleistet werden muß, den monatlichen Durchschnittsbedarf nach fremder Hilfe nicht wesentlich erhöht. Bei Berücksichtigung dieser Umstände ist mit Sicherheit auszuschließen, daß die insgesamt aufzuwendenden notwendigen Kosten auch nur annähernd die Höhe des begehrten Hilflosenzuschusses erreichen.

Da Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG nicht vorliegt, war das Klagebegehren abzuweisen.

Anmerkung

E20470

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00116.9.0424.000

Dokumentnummer

JJT_19900424_OGH0002_010OBS00116_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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