TE OGH 1990/4/25 11Os38/90 (11Os39/90)

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Veröffentlicht am 25.04.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.April 1990 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofko als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manfred K*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und Abs. 4, erster Fall, StGB über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 24.Jänner 1989, GZ 9 U 717/87-46a, und des Landesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 11.April 1989, AZ Bl 101/89, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 24. Jänner 1989, GZ 9 U 717/87-46a, und des Landesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 11.April 1989, AZ Bl 101/89, verletzen das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 353 Z 2, 480 Abs. 1 StPO. Diese Beschlüsse werden aufgehoben und es wird die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Manfred K*** wegen des Vergehens nach dem § 88 Abs. 1 und Abs. 4, erster Fall, StGB bewilligt.

Demgemäß wird auch die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 10.Juni 1988, GZ 9 U 717/87-25, aufgehoben und diesem Gericht aufgetragen, dem Gesetz gemäß zu verfahren.

Text

Gründe:

I/1./ Der am 16.Jänner 1955 geborene Manfred K*** wurde mit der in Rechtskraft erwachsenen Strafverfügung des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 10.Juni 1988, GZ 9 U 717/87-25, des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 (Abs. 1 und) Abs. 4, erster Fall, StGB schuldig erkannt. Ihm lag zur Last, am 8.September 1987 in Neustift im Stubaital als Vorarbeiter dadurch, "daß er Werner R*** keine Anweisungen erteilte, nicht auf die Betondecke der neu errichteten Bergstation zu steigen bzw. ihn nicht auf die Gefahr hinwies, die mit einem Aufenthalt auf dieser Decke verbunden war, obwohl ihm bekannt sein mußte, daß sich auf dieser Decke für die von Werner R*** zu verrichtende Arbeit notwendiges Material befand, und auch nicht für eine Absicherung der Betondecke sorgte, über die eine Materialseilbahn mit unzureichendem Bodenabstand fuhr, wodurch Werner R*** von einem mit der Materialseilbahn beförderten Eisenkübel gestreift und ca. fünf Meter tief auf steinigen Boden geworfen wurde", Werner R*** fahrlässig am Körper schwer verletzt zu haben.

Als entscheidende Grundlage dieser Strafverfügung diente ersichtlich die vor dem Bezirksgericht Kufstein als Rechtshilfegericht abgelegte belastende (erste) Aussage des Verletzten Werner R***, derzufolge sich dieser Zeuge im Zuge der ua vom Vorarbeiter K*** angeordneten Schalungsarbeiten an der talwärts errichteten Liftstütze Nr. 19 auch auf die (höher gelegene) sogenannte "erste" (bereits fertiggestellte) Decke der neu errichteten Bergstation der Doppelsesselbahn des Elferliftes begeben "mußte", weil sich dort das zur Herstellung erforderlicher Holzkeile geeignete "feinere" Material sowie die Kreissäge befanden. Als R*** sich nach Durchführung der Sägearbeiten zum (von der Kreissäge etwa zehn bis zwölf Meter entfernten) vorderen Rand "der Decke" bewegt habe, um die angefertigten Teile in Richtung der darunter befindlichen Arbeitsstelle zu werfen, sei er vom Betonkübel der Materialseilbahn erfaßt und in die Tiefe geschleudert worden (ON 22).

2./ Aus Anlaß dieses Arbeitsunfalls auch gegen den verantwortlichen Bauleiter Martin M***, den mit Sicherungsarbeiten betrauten Rudolf P*** und den

verantwortlichen Seilbahnbetreiber Franz K*** erlassene Strafverfügungen (ON 24, 26 und 27) wurden durch Einspruch außer Kraft gesetzt; das ordentliche Verfahren endete insoweit am 5. Dezember 1988 mit einem vom Bezirksgericht Innsbruck in gekürzter Form ("kein Schuldbeweis") ausgefertigten Freispruch gemäß dem § 259 Z 3 StPO (ON 44).

3./ In den diesem Freispruch vorangegangenen Hauptverhandlungen stellte Martin M*** (aus seiner Sicht) - wesentlich eindeutiger als in dem der Erlassung der Strafverfügung vorausgegangenen Verfahren (vgl. ua die Seiten 17, 18, 45, 46) - klar, daß die in Rede stehende, für die Holzarbeiten erforderliche Kreissäge nicht auf jener "ersten" (Beton-)Decke, auf der R*** vom Kübel erfaßt wurde, sondern auf einer anderen, durch einen Graben getrennten gestanden sei. Zwischen der (abgesehen von der Liftstütze Nr. 19 vorübergehend) im Bereich der Kreissäge gelegenen Arbeitsstelle des R*** und der davon räumlich deutlich abgesetzten, nur erschwert und unter Überwindung baustellenbedingter Hindernisse betretbaren, sogenannten "ersten" Decke der Bergstation, auf welcher sich später der Unfall ereignete, müsse daher unterschieden werden. M*** wies auch erstmals konkret darauf hin, daß sich auf der letztgenannten "Unfall-Decke" für die dem R*** angeordnete Arbeit kein geeignetes Material befunden habe (S 129 f iVm dem im Akt erliegenden Baustellenplan und den dort vorgenommenen Eintragungen).

Damit im Einklang gab auch Werner R*** in den Hauptverhandlungen vom 13.Oktober 1988 bzw. 22.November 1988 als Zeuge erstmals sinngemäß ua an, daß er sich, kurz bevor der Unfall geschah, nach (!) der Durchführung von Arbeiten an der Kreissäge "über den Graben" hinweg "zum ersten Mal" nur deswegen auf die (Unfall-)Decke der Bergstation begeben habe, um aus Gründen der Zeitersparnis bzw. Arbeitsvereinfachung die angefertigten Holzkeile von der späteren Unfallstelle in Richtung seiner daruntergelegenen eigentlichen Arbeitsstätte bei der Liftstütze Nr. 19 zu werfen (S 134 f, 156 f).

4./ Ein - unter Hinweis auf diese teils neuen

Beweisergebnisse - gestellter Antrag des Verurteilten Manfred

K*** vom 30.Dezember 1988 auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens (ON 46) wurde vom Bezirksgericht Innsbruck mit Beschluß vom 24.Jänner 1989 mit der im wesentlichen formelhaften Begründung der fehlenden gesetzlichen Vorausssetzungen abgewiesen (S 171 f).

Der dagegen vom Verurteilten erhobenen Beschwerde gab das Landesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 11.April 1989 keine Folge. Dabei wies das Beschwerdegericht ua darauf hin, es sei die Tatsache des als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachten, nur erschwert und unter Überwindung baustellenbedingter Hindernisse möglichen Zugangs zum Gefahrenbereich bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Strafverfügung aktenkundig gewesen; auch sei den mit dem Wiederaufnahmsantrag relevierten Angaben des Martin M*** in der Hauptverhandlung der Umstand einer Lagerung von Holzteilen im Bereich der Unfallstelle zu entnehmen (ON 49). Die aufgeworfene Frage der arbeitstechnischen Eignung dieser Holzteile wurde offengelassen.

Rechtliche Beurteilung

Ein weiterer Wiederaufnahmsantrag des Manfred K***

(ON 50) blieb gleichfalls in zwei Instanzen erfolglos (ON 55 und 60). II./ Die Verweigerung der Wiederaufnahme auf Grund des zuerst erwähnten Wiederaufnahmsantrages vom 30.Dezember 1988 steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß dem § 353 Z 2 StPO kann ein rechtskräftig Verurteilter die Wiederaufnahme des - auch mit einer Strafverfügung

beendeten - Strafverfahrens begehren, wenn er neue Tatsachen oder Beweismittel beibringt, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, seine Freisprechung oder die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen. Das Gericht, welches über den Wiederaufnahmsantrag entscheidet, hat daher zu prüfen, ob den vom Antragsteller beigebrachten neuen Tatsachen oder Beweismitteln diese Eignung zukommt.

Dieser Verpflichtung wurde im vorliegenden Fall nicht in hinreichendem Maß Genüge getan:

Unter dem Gesichtspunkt des der Strafverfügung unterstellten Tatsachensubstrates ist den erst später im Zuge der beiden genannten Hauptverhandlungen teilweise entgegen den früheren Angaben des Verletzten (ON 22) hervorgekommenen Umständen, daß sich Werner R*** zur Besorgung der ihm bei der Liftstütze Nr. 19 aufgetragenen Schalungsarbeiten allenfalls auch auf das die Kreissäge tragende Plateau, nicht aber auf die - davon deutlich räumlich abgesetzte und nur schwer erreichbare - ("Unglücks-")Decke begeben mußte und von dort - nach seinen eigenen nunmehrigen Angaben - auch keine für seine Arbeit erforderlichen Holzteile herbeischaffte, sondern diesen späteren Unfallbereich erstmals nach Durchführung der Sägearbeiten ausschließlich zum Zweck der Vermeidung des Tragens der angefertigten Holzteile zum eigentlichen Arbeitsplatz betrat, die Eignung zuzuerkennen - ihre Richtigkeit bleibt noch zu prüfen -, wesentliche Grundlagen der Strafverfügung in Frage zu stellen; denn diese Verfügung beruhte ua auf der ausdrücklichen Annahme, daß der Verurteilte K*** im Zusammenhang mit der dem R*** aufgetragenen Arbeit bei der Liftstütze Nr. 19 ein Betreten des in einem ganz anderen Bereich der Baustelle gelegenen, nur erschwert erreichbaren Gefahrenareals (unterhalb der Materialseilbahn) zwangsläufig voraussetzen "mußte". Die wiedergegebene, insbesonders auf die späteren Angaben des Verletzten nicht Bedacht nehmende Argumentation des Beschwerdegerichtes erweist sich daher - ebenso wie die des Erstgerichtes - als mangelhaft, weil unberücksichtigt blieb, daß die angeführten Tatsachen und Beweismittel eine für die Vorhersehbarkeit des Unfallgeschehens wesentliche Prämisse der gegen Manfred K*** erlassenen Strafverfügung in Frage stellen.

Kommt aber den beigebrachten neuen Tatsachen und Beweismitteln die Eignung nach dem § 353 Z 2 StPO grundsätzlich zu, muß es - wie schon angedeutet - dem wiederaufgenommenen Verfahren vorbehalten bleiben, die neuen wie auch die früher erhobenen Beweise einer Würdigung zu unterziehen.

Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher Folge zu geben und gemäß dem § 292 StPO spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E20499

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0110OS00038.9.0425.000

Dokumentnummer

JJT_19900425_OGH0002_0110OS00038_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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