TE OGH 1990/4/25 3Ob509/90 (3Ob510/90)

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Veröffentlicht am 25.04.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wider die beklagte Partei Firma Wilhelm D***, Textilrohstoffe, Frohsdorf, Mühlbachstraße 75, vertreten durch Dr. Anton Aigner, Rechtsanwalt in Wr. Neustadt, wegen 31.275 S (35 Cg 297/86) und 430.425 S (35 Cg 786/86) je sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12. Oktober 1989, GZ 5 R 170/89-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 17. März 1989, GZ 35 Cg 297/86-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit damit die Entscheidung des Berufungsgerichtes über das auf Bezahlung von 31.275 S sA gerichtete und beim Erstgericht unter 35 Cg 297/86 eingetragene Klagebegehren bekämpft wird.

Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 12.883,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Heeres-Materialamt der klagenden R*** Ö*** führte im September 1984 eine öffentliche Ausschreibung für die Lieferung von 45.000 kg Reinigungslappen, die für die Lagerabteilung Wals-Siezenheim bestimmt waren, durch. Die beklagte Partei stellte aufgrund dieser Ausschreibung das Anbot zur Lieferung von 45.000 kg "Reinigungslappen aus Lumpenstücken" (nach VTL 7920/14-1 samt Berichtigung), Mindestmaß 30 x 30 cm", zu einem Preis von 6,95 S je Einheit und einem Gesamtpreis von 312.750 S.

Am 12.11.1984 wurde der Beklagten aufgrund ihres Anbotes als Bestbieterin der Zuschlag für die Lieferung von 45.000 kg "Reinigungslappen aus Lumpenstücken (nach VTL 7920/14-1 samt Berichtigung), Mindestmaß 30 x 30 cm", zum Einzelpreis von 6,95 S und zu einem Gesamtpreis von 312.750 S zuzüglich 20 % Umsatzsteuer und daher insgesamt 375.300 S erteilt. In dem hierüber ergangenen Schreiben hieß es ua noch:

"Güteprüfung: Diese hat gemäß VTL 7920/14-1, Pkt 4.1, zu erfolgen. Die Reinigungslappen-Muster (2 x 1 kg) sind an die Heeres-Bekleidungsanstalt Brunn/Geb - zH Herrn Obstlt S*** zu übergeben. Mit der Lieferung der Reinigungslappen an die Lagerabteilung Wals-Siezenheim darf erst begonnen werden, wenn diese Muster von der HBA Brunn/Geb schriftlich als einwandfrei erkannt worden sind."

Als "Liefertermin" wurde der 18.1.1985, als "Erfüllungstermin" der 8.2.1985 festgesetzt.

In den im Anbot und im Zuschlag bezogenen "Vorläufigen technischen Lieferbedingungen für Reinigungslappen aus Lumpenstücken" (VTL) 7920/14-1 heißt es ua:

"2. Technische Forderungen:

2.1. Material

Mindstens 50 % der gelieferten Reinigungslappen müssen aus reiner Baumwolle oder Viskosefasern bestehen. Maximal 10 % darf aus rein synthetischem Material sein. Der Rest von 40 % kann aus Mischgeweben mit Zellulosefaseranteil bestehen. Reinigungslappen aus Wolle oder mit Wollanteil sind grundsätzlich ausgeschlossen.

2.2. Größe und Aussehen

Mindestmaß: 30 x 30 cm

Die Reinigungslappen müssen sauber, im wesentlichen ohne Löcher, frei von störenden Bestandteilen - wie Knöpfe, Haken, Ösen, Verschlüsse und ähnliche Fremdkörper - sein und dürfen keine losen Bänder und Litzen beinhalten.

2.3. Flächengewicht

Maximal 250 g pro m2.

.......

4. Güteprüfung

4.1. Eine Bemusterung von Reinigungslappen aus Lumpenstücken hat in jedem Fall zu erfolgen und ist wie folgt vorzunehmen:

Der Auftraggeber erhält vom Auftragnehmer zwei gleiche Muster von je 1 kg. Ein Muster wird in Anwesenheit des Auftragnehmers und des Auftraggebers bzw deren bevollmächtigter Vertreter mit dem Siegel des Auftraggebers versehen und für etwaige Streitfälle aufgehoben. Das zweite Muster dient als Vergleichsmuster bei der Lieferung."

Am 7.12.1984 wurden die von der beklagten Partei übergebenen Muster im Labor der Heeresbekleidungsanstalt Brunn am Gebirge geprüft. Nach dem aufgrund dieser Prüfung erstatteten Gutachten entsprachen von 23 geprüften Stücken 11 nicht den Forderungen der VTL, weil ihr Flächengewicht zwischen 257 und 364 g/m2 lag. Aus dem Prüfungsbericht ergibt sich ferner, daß das Flächengewicht der Muster im Durchschnitt 259,4 g/m2 betrug und daß aufgrund des "nicht entsprechenden Flächengewichtes" auf eine weitere Prüfung verzichtet wurde.

Die klagende Partei begehrte zunächst die Bezahlung der mit der beklagten Partei für den Fall des Verzuges vereinbarten Vertragsstrafe von 31.275 S sA. In einer weiteren Klage, über die vom Erstgericht nach Verbindung der Rechtsstreite gemeinsam mit der ersten Klage verhandelt und entschieden wurde, begehrte sie den Ersatz des ihr wegen der Nichterfüllung des Vertrages entstandenen Schadens von 430.425 S sA. Die Beklagte habe bloß Muster geliefert, die den vereinbarten Qualitätskriterien nicht entsprochen hätten, weil das Flächengewicht den höchstzulässigen Wert von 250 g/m2 zum Teil um mehr als die Hälfte überschritten habe. Der Aufforderung zur Übersendung besserer Muster und zur Lieferung von Putzlappen in der vereinbarten Qualität sei sie trotz mehrfacher Mahnung nicht nachgekommen. Nachdem vom Heeres-Materialamt am 9.7.1985 eine Nachfrist zur Vertragserfüllung bis 9.8.1985 gesetzt worden sei, sei der beklagten Partei am 22.8.1985 die endgültige Aufhebung des Vertrages wegen nicht gehöriger Erfüllung zur Kenntnis gebracht worden. Zur Deckung des weiterhin gegebenen Bedarfs an Putzlappen sei aufgrund einer neuen Ausschreibung einem anderen Unternehmen als Bestbieter der Zuschlag für die Lieferung von Putzlappen in derselben Menge und Qualität, wie sie mit der beklagten Partei vereinbart worden sei, zu einem Gesamtpreis von (einschließlich der Umsatzsteuer) 837.000 S erteilt worden. Bei Abzug des mit der beklagten Partei vereinbarten Preises von 375.300 S und der Vertragsstrafe von 31.275 S ergebe sich der eingeklagte Schadensbetrag. Das Heeres-Materialamt sei aufgrund der Richtlinien des Bundesministeriums für Landesverteidigung für die Vergabe von Leistungen, deren Bestandteil die Ö-Norm A 2050 sei, zu einer beschränkten Neuausschreibung berechtigt gewesen, weil die Putzlappenvorräte des Bundesheeres bereits weitgehend aufgebraucht gewesen seien und die Neubeschaffung höchste Priorität gehabt habe. Die Beklagte wendete ein, die Bestimmung der VTL über das Gewicht sei so zu verstehen gewesen, daß das Flächengewicht im Durchschnitt 250 g/m2 nicht habe übersteigen dürfen, zumal etwas anderes aufgrund der Inhomogenität der Ware nicht möglich wäre. Das im Labor des Heeresbekleidungsamtes Brunn am Gebirge festgestellte Flächengewicht überschreite das nach den VTL zulässige im Durchschnitt nur um 3,76 %. Aufgrund der in der Alltextil- und Putzlappenbranche bestehenden Usancen sei eine solche Abweichung handelsüblich. Sie sei stets zur Lieferung der bestellten Ware bereit gewesen; die Ware sei jedoch nicht abgerufen worden. Die klagende Partei habe den Rücktritt vom Vertrag nicht erklärt. Es sei bloß von einem Storno gesprochen worden, das jedoch durch die nachfolgende Lieferverzugsmahnung vom 27.8.1985 entkräftet worden sei. Es sei daher nicht sie, sondern die klagende Partei vertragsbrüchig geworden. Diese habe außerdem ihre Schadensminderungspflicht verletzt, weil die zweite Ausschreibung keine öffentliche, sondern eine beschränkte Ausschreibung gewesen sei. Bei einer öffentlichen Ausschreibung hätten billigere Anbote erzielt werden können, zumal sie sich daran hätte selbst beteiligen können und schon vorher die Lieferung von Putzlappen in einer besseren Qualität als die Muster um 10,08 S je kg angeboten habe. Die beklagte Partei wendete außerdem eine Gegenforderung von zuletzt 189.000 S ein. Dieser Betrag stehe ihr an Lagergebühren zu, weil die von der klagenden Partei nicht übernommenen Waren durch zwei Jahre gelagert hätten werden müssen.

Das Erstgericht stellte fest, daß beide Forderungen der klagenden Partei mit dem eingeklagten Betrag zu Recht bestehen, wies den Aufrechnungsantrag der beklagten Partei ab und erklärte die beklagte Partei zur Bezahlung der eingeklagten Beträge schuldig. Es nahm im wesentlichen noch folgendes als erwiesen an:

Als der beklagten Partei das Ergebnis der Prüfung der Muster durch die Heeresbekleidungsanstalt Brunn am Gebirge mitgeteilt wurde, antwortete die beklagte Partei darauf mit Schreiben vom 13.12.1984 ua:

"Wie aus den oa Schreiben hervorgeht, wünscht man von uns Vorlage neuer besserer Ausfallmuster. Wir haben Ihnen die angebotene Partie bemustert und würde eine neuerliche Bemusterung kaum ein anderes Resultat erbringen."

In der Folge wurden zwischen dem Heeres-Materialamt und der beklagten Partei mehrere Briefe und Gegenbriefe gewechselt, in denen das Heeres-Materialamt auf der einen Seite die Vorlage neuer, besser entsprechender Ausfallsmuster verlangte oder überhaupt die Lieferung der bestellten Ware einmahnte, während die beklagte Partei erklärte, lieferbereit zu sein und auf den "definitiven" Abruf der Ware zu warten. Mit einem Telex vom 30.4.1985 bot die beklagte Partei außerdem eine bessere Qualität zu einem Preis von 11,80 S je kg an. Am 9.7.1985 sandte das Heeres-Materialamt der beklagten Partei ein Schreiben, in dem es ua hieß:

"............. werden Ihnen nunmehr - um diese Angelegenheit zu einem raschen Abschluß zu bringen - nachstehend angeführte zwei Alternativen gesetzt: 1.Erfüllung der vertraglichen Lieferverpflichtungen in der von der österreichischen Heeresverwaltung vorgeschriebenen Qualität - genau nach VTL 7920/14-1 samt Berichtigung - bis spätestens 9.8.1985 (allerletzter Termin!). Wegen der verspäteten Lieferung wird aber jedenfalls die vereinbarte Vertragsstrafe in Abzug gebracht! 2.Völlige Entbindung vom bestehenden Vertrag und Überweisung des Schadenersatzanspruches in Höhe von 31.275 S bis spätestens 9.8.1985.... Nach Ablauf dieser Frist - 9.8.1985! - müßte die Schadenersatzanspruchsforderung im Weg über das Bundesministerium für Landesverteidigung/Rechtsabteilung an die Finanzprokuratur der R*** Ö*** zwecks gerichtlicher Eintreibung geltend gemacht werden."

Darauf reagierte die beklagte Partei mit dem Telex vom 19.7.1985, in dem es ua hieß:

"Wir danken für Ihr oa Schreiben und werden nach Möglichkeit

selbstverständlich unseren Lieferverbindlichkeiten nachkommen. Wie

Ihnen bereits mehrfach mitgeteilt, sind wir prompt lieferfähig......

Die von uns angebotene und auch bemusterte Ware wurde ja bereits am

6.12.1984 durch Ihre Prüfanstalt geprüft. Laut Protokoll der

Laborprüfung vom 6.12.1984 wurde ein durchschnittliches Gewicht von

259,4 g/m2 festgestellt, wobei die geringfügige

Gewichtsüberschreitung von ca 3 % noch den bei Reinigungslappen

durchaus üblichen Toleranzwerten entspricht. Wir ersuchen Sie

höflichst, uns für diese Ware den entsprechenden Lieferabruf zu

geben......"

Am 7.8.1985 bot die beklagte Partei in einem weiteren Telex Putzlappen in einer besseren Qualität um 10,08 S statt wie bisher um 11,20 S an. Dieses Anbot wurde vom Heeres-Materialamt abgelehnt. Am 22.8.1985 sandte das Heeres-Materialamt an die beklagte Partei ein Schreiben, in dem es ua hieß:

"Bezug: Gänzliche Stornierung des Zuschlages

Zl 85/640/01-00-84-HMatA vom 12.11.1984.

V***: Der Zuschlag Zl 85/640/01-00/84-HMatA vom 12.11.1984 wird hiermit gänzlich 'storniert', da aufgrund des ho Fernschreibens vom 7.8.1985, Zl 26.315-0511/Eink 5/85, bis dato keine Stellungnahme Ihrerseits einlangte. Es darf nochmals darauf hingewiesen werden, daß Ihre Firma der vertraglichen Lieferverpflichtung in der von der österreichischen Heeresverwaltung vorgeschriebenen Qualität - genau nach der VTL 7920/14-1 samt Berichtigung - bis spätestens 9.8.1985 (allerletzter Termin!) nicht nachgekommen ist. Nicht dieser VTL entsprechende Reinigungslappen aus Lumpenstücken konnten seitens der österreichischen Heeresverwaltung nicht übernommen werden, da dies zu einer Benachteiligung der anderen Bieter geführt hätte."

Die beklagte Partei reagierte hierauf mit einem Schreiben vom 28.8.1985, in dem sie ihren bisherigen Standpunkt wiederholte und auch ausführte:

".........Dazu wollen wir nochmals festhalten, daß von Ihrer HBA Brunn/Gebirge seinerzeit 23 Lumpenstücke geprüft wurden. Solche 23 Lumpenstücke können niemals für eine Partie von 45 t repräsentativ sein, zumal bei einem Durchschnittsgewicht von 250 g und einer Mindestgröße von 30 x 30 cm die von Ihnen gekauften 45.000 kg aus etwa 500.000 Stück bestehen. Sollte hier eine halbwegs repräsentative Probe gezogen und geprüft werden, so sollte man doch 10 % der Gesamtlieferung testen und nicht nur 23 Stück. Diesen Umstand haben wir Ihnen mehrmals mitgeteilt. Sollte es daher zu einer Lieferverzögerung gekommen sein, so lag die nicht in unserem Bereich, wir waren ab Ihrem ersten Abruf lieferbereit, konnten aber nicht liefern, weil die Angelegenheit mit der Musterlegung nie gänzlich geklärt wurde."

Am 3.9.1985 langte bei der beklagten Partei neuerlich eine "Computermahnung" mit der Überschrift "Erste Lieferverzugs-Mahnung" für den Liefertermin 9.8.1985 ein. Auf der von der beklagten Partei hiezu vorgelegten Urkunde findet sich folgender handschriftlicher Vermerk: "Tel: S*** sagt - überschritten - storniert, Mahnung ist gegenstandslos". Die beklagte Partei antwortete hierauf am 4.9.1985 folgendes:

"Wir bestätigen den Erhalt Ihrer ersten Lieferverzugs-Mahnung vom 27.8., bei uns eingelangt am 3.9.1985. Wie Ihnen schon in unserem Schreiben vom 28.8. mitgeteilt, sind wir in der ausgeschriebenen und angebotenen Qualität lieferfähig, konnten aber die Lieferung aus den Ihnen mehrmals mitgeteilten Gründen - die in Ihrem Bereich lagen - nicht vornehmen. Bitte teilen Sie uns mit, daß Sie: 1.kein neues Muster benötigen, 2. uns 100 % des vereinbarten Preises bezahlen werden, dann werden wir die Lieferung in den angebotenen Zeiträumen und Mengen sofort vornehmen."

In der Folge kam es zu einer beschränkten Ausschreibung für die Lieferung von 45.000 kg Putzlappen. Die Ausschreibung wurde deshalb nur beschränkt und nicht öffentlich durchgeführt, weil die erste öffentliche Ausschreibung fruchtlos verlaufen, der Heeresbestand (an Putzlappen) erschöpft und daher die höchste Prioritätsstufe eingetreten war. Es wurden acht von der beklagten Partei verschiedene Unternehmen (zur Anbotstellung) eingeladen. Unter den fünf Unternehmen, die Anbote abgaben, erhielt jenes Unternehmen, das die Lieferung der Putzlappen um den Preis von 697.500 S zuzüglich 20 % Umsatzsteuer und daher insgesamt 837.000 S anbot, als Bestbieter den Zuschlag.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, die zwischen den Parteien geschlossene Vereinbarung müsse dahin verstanden werden, daß der Wert von 250 g/m2 der Maximalwert sei. Die von der beklagten Partei vertretene Auffassung, daß es auf den Durchschnittswert ankomme, würde zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, daß auch Putzlappen geliefert werden könnten, die zur vorgesehenen Reinigung der Waffen und Kraftfahrzeuge nicht geeignet wären. Die beklagte Partei habe sich geweigert, einwandfreie Muster vorzulegen, weshalb das Heeres-Materialamt zu Recht vom Vertrag zurückgetreten sei; dies sei mit der Formulierung "der Zuschlag wird hiemit gänzlich storniert" ausreichend klar zum Ausdruck gebracht worden. In der nachfolgenden Zusendung einer Mahnung habe die beklagte Partei einen Widerruf der Rücktrittserklärung nicht erblicken können, weil ihre telefonischen Erhebungen klargestellt hätten, daß sie gegenstandslos sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Der Inhalt des Schreibens vom 22.8.1985, wonach der Zuschlag gänzlich "storniert" werde, könne nur als Rücktritt vom Vertrag gewertet werden. Ab diesem Zeitpunkt habe aber kein Erfüllungsanspruch mehr gestellt werden können, weshalb der nachfolgenden Mahnung keine Bedeutung habe zukommen können, zumal der beklagten Partei vom Heeres-Materialamt mitgeteilt worden sei, daß es sich nur um einen routinemäßigen, als gegenstandslos zu betrachtenden Computerausdruck handle. Da die beklagte Partei die vereinbarte Qualität nur gegen Zahlung eines höheren Preises geliefert hätte, sei sie nicht leistungsbereit gewesen und die klagende Partei habe gemäß § 918 Abs 1 ABGB den Rücktritt vom Vertrag erklären können und habe gemäß § 921 ABGB Anspruch auf Ersatz des Mehrbetrages, den sie wegen der Notwendigkeit eines Deckungskaufes habe aufwenden müssen. Die beschränkte Ausschreibung sei wegen des durch die Vertragsbrüchigkeit der beklagten Partei herbeigeführten Zeitdrucks gerechtfertigt gewesen; die beklagte Partei habe wegen ihres schuldhaften Verhaltens nicht zu einem neuen Anbot eingeladen werden müssen.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, es im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht oder Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsschöpfung zurückzuverweisen.

Die klagende Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision, über die entgegen dem Antrag der beklagten Partei in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden war, weil eine mündliche Verhandlung nicht gemäß § 509 Abs 2 ZPO erforderlich erschien, ist teilweise unzulässig, im übrigen aber nicht berechtigt. Die Streitwerte von Rechtsstreitigkeiten, die zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, sind für die Frage der Zulässigkeit der Revision nicht zusammenzurechnen; dies gilt insbesondere auch für die hier noch anzuwendenden Bestimmungen in der Fassung der ZVN 1983 (JBl 1984, 554 ua). Soweit mit dem angefochtenen Urteil die Entscheidung des Erstgerichtes über das auf Bezahlung der Konventionalstrafe von 31.275 S sA gerichtete Klagebegehren bestätigt wird, ist daher die Revision gemäß § 502 Abs 3 ZPO aF unzulässig.

Die geltend gemachten Verfahrensmängel wurden geprüft; sie liegen nicht vor. Hiezu ist im Hinblick auf § 510 Abs 3 ZPO nur zu bemerken, daß das Berufungsgericht nicht auf jedes in der Berufung gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes ins Treffen geführte Argument einzeln eingehen muß, sondern daß es genügt, wenn es denkmöglche Gründe für seine Beweiswürdigung anführt (2 Ob 535,536/80). Im übrigen werden unter dem behandelten Revisionsgrund überwiegend Feststellungsmängel behauptet, die mit der rechtlichen Beurteilung der Sache im Zusammenhang stehen, weshalb die entsprechenden Ausführungen zur Rechtsrüge gehören (SZ 23/175; EFSlg 34.501; JBl 1982, 311 ua); hierauf wird daher im folgenden Bedacht genommen werden, zumal die unrichtige Benennung des Revisionsgrundes gemäß § 84 Abs 2 ZPO unerheblich ist. Auf der anderen Seite wird unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache ein weiterer Verfahrensmangel behauptet, weil gerügt wird, daß das Berufungsgericht die im Verfahren erster Instanz beantragte Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Textilfach zu Unrecht für entbehrlich erachtet habe. Mängel des Verfahrens erster Instanz, die das Berufungsgericht nicht als gegeben ansah, können aber mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (ÖBl 1984, 109; EFSlg 49.387 ua).

Die Frage, von welchen Lieferbedingungen der Angestellte ausging, der die Kalkulation für die beklagte Partei erstellte, ist für die Entscheidung ohne Bedeutung; auf die in diesem Zusammenhang behauptete Aktenwidrigkeit muß daher nicht weiter eingegangen werden. Da die VTL - im übrigen unbestritten - zum Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages wurden, ist in erster Linie zu klären, welche Bedeutung die darin enthaltene Bestimmung "Flächengewicht maximal 205 g pro m2" hat. Der Wortlaut spricht für den Standpunkt der klagenden Partei, zumal auch die unmittelbar vorangehende Bestimmung über die Größe und das Aussehen der Putzlappen eindeutig und unbestritten für jeden einzelnen Putzlappen gilt, während nur in der dieser Bestimmung vorangehenden Bestimmung für die Beschaffenheit des Materials bestimmte Prozentsätze aufgestellt werden. Bei der Auslegung von Verträgen ist allerdings gemäß § 914 ABGB nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Zur Übung des redlichen Verkehrs hat sich die beklagte Partei schon im Verfahren in erster Instanz auf einen in der Alttextil- und Putzlappenbranche bestehenden Handelsbrauch berufen.

§ 346 HGB, der die Berücksichtigung von Handelsbräuchen vorschreibt, gilt nur für zweiseitige Handelsgeschäfte (Rummel in Rummel, ABGB2 Rz 2 zu § 914; Kramer in Straube, HGB Rz 24 zu § 346). Hier kann dahingestellt bleiben, ob die klagende Partei den Vertrag als Kaufmann abschloß und welche Bedeutung es hat, daß sie im Zusammenhang mit dem auf Bezahlung von 5 % Verzugszinsen gerichteten Klagebegehren selbst vorbrachte, sie sei im Rahmen des Materialbeschaffungswesens als Kaufmann anzusehen. Es kann auch offen bleiben, ob der im Schrifttum vertretenen Auffassung (Kramer aaO Rz 25 zu § 346 unter Berufung auf das Schrifttum und die Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland), zu folgen wäre, daß Handelsbräuche auch dann maßgebend sind, wenn der Nichtkaufmann in ähnlicher Weise wie ein Kaufmann am Handelsverkehr teilnimmt und Geschäfte abschließt, die gewöhnlich Kaufleuten vorbehalten sind, allenfalls auch nur, sofern sich der Handelsbrauch schon zu einer allgemeinen Verkehrssitte entwickelt hat (vgl Kramer aaO und Rummel aaO Rz 3 zu § 914). Die beklagte Partei hat nämlich zum geltend gemachten Handelsbrauch nur vorgetragen, daß die Überschreitung des durchschnittlichen Flächengewichtes um 3,76 % des Vorgeschriebenen in der gegenständlichen Branche innerhalb der üblichen Toleranzen liege. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war aber gerade nicht ein durchschnittliches Flächengewicht vereinbart. Wenn daher ein derartiger Handelsbrauch bestünde, wäre er durch die ausdrückliche Vereinbarung eines maximalen Flächengewichtes abbedungen worden.

Hingegen hat die beklagte Partei nie vorgebracht, daß es einen ähnlichen Handelsbrauch in der Richtung gebe, daß auch bei Vereinbarung eines maximalen Flächengewichtes und bei einem Spezialabnehmer wie dem Heeres-Materialamt trotzdem nicht nur eine ganz erhebliche Überschreitung bei vereinzelten Stücken, sondern sogar eine Überschreitung des vorgeschriebenen Höchstwertes im Durchschnitt toleriert werden müsse. Es kann doch einen entscheidenden Unterschied ausmachen, ob Putzlappen für die Reinigung von Lokalen, Maschinen usf oder aber für die Reinigung zB von Waffen benötigt werden.

Nur wenn ein Handelsbrauch in dieser aufgezeigten Richtung geltend gemacht worden wäre, hätten daher Feststellungen über das Bestehen eines solchen notwendig gewesen sein können. Ohne einen solchen Handelsbrauch ist aber vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen. Die beklagte Partei beruft sich dann zu Unrecht darauf, daß sie leistungsbereit gewesen sei, weil sie immer nur zur Erbringung der Leistung im Sinn der von ihr gewünschten, aber unrichtigen Auslegung des Vertrages bereit war. Dies ergibt sich schon aus den Feststellungen des Erstgerichtes, noch deutlicher aber aus dem von ihr abgesandten Telex vom 30.4.1985, dem andere Beweismittel nicht entgegenstehen und dessen Inhalt daher vom Obersten Gerichtshof gewürdigt werden darf (ZAS 1984, 19; JBl 1985, 97 ua). Darin hieß es ua:

"Man kann lediglich wahllos aus diversen Ballen Stichproben ziehen, diese können aber bei dieser Ware niemals 100 %-ig verbindlich sein, also müßten wiederum unter der Toleranzgrenze gesehen werden. Sollten Sie Putzlappen wünschen, die diesen Kriterien nicht Rechnung tragen, sondern ohne jede Toleranzgrenze liegen, muß man bei der Sortierung und Herstellung sehr hohe Sicherheiten einrechnen. Wir könnten Ihnen selbstverständlich dann eine solche Qualität auch liefern, allerdings zu einem Preis von 11,80 S/kg."

Ist der Vertrag aber nach der zutreffenden Ansicht der klagenden Partei auszulegen, so war die beklagte Partei nur zur Erbringung einer Leistung bereit, die nicht dem Inhalt des Vertrages entsprach. Sie war daher mit der Erbringung der vertragsmäßigen Leistung im Verzug, weshalb die klagende Partei gemäß § 918 Abs 1 ABGB vom Vertrag zurücktreten konnte. Die in der Revision - im übrigen unter Verletzung des Neuerungsverbotes - vertretene Ansicht, die Rücktrittserklärung sei nicht wirksam gewesen, weil das darin bezogene Schreiben bei ihr während des Betriebsurlaubs eingelangt und ihr daher keine angemessene Nachfrist zur Verfügung gestanden sei, trifft nicht zu. Zum einen kommt es nur auf den nach der Rücktrittserklärung liegenden Zeitraum an (SZ 60/287; JBl 1988, 447 ua). Selbst wenn man die Rücktrittserklärung nicht schon im Schreiben vom 9.7.1985, sondern erst im Schreiben vom 22.8.1985 erblickt, war die Nachfrist, die der beklagten Partei ab der Zustellung dieses Schreibens gewährt wurde (was ausreicht: SZ 60/287 mwN), angemessen, weil sie der beklagten Partei bis zum Deckungskauf, der nach den unbestrittenen Verfahrensergebnissen und nach dem Revisionsvorbringen am 30.9.1985 zustande kam, zur Verfügung stand. Zum anderen war die Setzung oder Gewährung einer Nachfrist nicht notwendig, weil die beklagte Partei die Erfüllung ernsthaft verweigerte (MietSlg 31.110; SZ 58/152; JBl 1988, 241 ua). Welche Bedeutung es hat, daß das Heeres-Materialamt die Erbringung der vertragsmäßigen Leistung nach der Rücktrittserklärung noch einmahnte, ist unerheblich, weil die beklagte Partei die Leistung auch innerhalb der in der Mahnung gesetzten Frist nicht erbrachte. Bei den Revisionsausführungen zur Schadensminderungspflicht der klagenden Partei geht die beklagte Partei nicht von der Feststellung des Erstgerichtes aus, daß der Bestand an Putzlappen erschöpft und der Kauf neuer Putzlappen daher dringlich war. Unabhängig davon hat die beklagte Partei aber nicht dargetan, daß der Schaden geringer gewesen wäre, wenn statt einer auf einzelne Firmen beschränkten eine öffentliche Ausschreibung stattgefunden hätte. Ihr Argument, daß sie die beim Bestbieter bestellten Waren zu einem geringeren Preis hätte liefern können, schlägt nicht durch, weil den Gläubiger nach dem Rücktritt von dem mit dem säumigen Schuldner geschlossenen Vertrag nicht die Pflicht trifft, mit diesem neuerlich ein Vertragsverhältnis einzugehen.

Schließlich vermag auch der Oberste Gerichtshof - wie schon das Berufungsgericht - nicht zu erkennen, warum es einen Rechtsmißbrauch bedeutete, daß die klagende Partei auf der Einhaltung der Vertragsbestimmung über das Flächengewicht bestand. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO. Bemessungsgrundlage für die Revisionsbeantwortung, in der Unzulässigkeit der Revision zur Rechtssache 35 Cg 297/86 nicht geltend gemacht wurde, ist der Streitwert der Rechtssache 35 Cg 786/86, nämlich 430.425 S.

Anmerkung

E20605

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0030OB00509.9.0425.000

Dokumentnummer

JJT_19900425_OGH0002_0030OB00509_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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