Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel, Dr.Jensik, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hermann L***, Zimmerer, Gartenstraße 1, 9330 Treibach, vertreten durch Dr.Christian Kleinszig und Dr.Christian Puswald, Rechtsanwälte in St.Veit an der Glan, wider die beklagte Partei Maria L***, Hausfrau, Zeltschach 33, 9360 Friesach, vertreten durch Dr.Friedrich W.Martin, Rechtsanwalt in St.Veit an der Glan, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 1 C 264/89i des Bezirksgerichtes St.Veit an der Glan, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes vom 15.Februar 1990, GZ 3 R 21/90-7, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes St.Veit an der Glan vom 7.Dezember 1989, GZ 1 C 895/89h-3, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.469,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 411,52 USt.) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile sind miteinander verheiratet, leben aber getrennt. Mit gerichtlichem Vergleich vom 23.9.1983 verpflichtete sich der Mann zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.000 an die Frau.
Im Verfahren 1 C 264/89i des Erstgerichtes begehrte die Frau die Erhöhung des Unterhaltes auf S 4.000 monatlich. Mit Urteil vom 5.7.1989, 1 C 264/89i-9, erhöhte das Erstgericht den monatlichen Unterhaltsbetrag auf S 3.800 und wies das Mehrbegehren von weiteren S 200 monatlich ab. Es stellte aufgrund von Kopien des Lohnkontos des Mannes, die von der als Zeugin vernommenen Lohnverrechnerin Gertrude R*** des Dienstgebers des Mannes vorgelegt worden waren, fest, daß der Mann im Jahr 1983 unter Hinzurechnung der unter der Bezeichnung Kammerumlage und Wohnbauförderungsbeitrag angeführten Beträge ein Einkommen von S 133.473,96 bezogen habe, im Jahr 1988 aber ebenfalls unter Hinzurechnung der Kammerumlage und des Wohnbauförderungsbeitrages sowie unter Berücksichtigung eines bezogenen Arbeitslosengeldes S 182.460. Der Unterhaltsbetrag von S 3.000 habe vom monatlichen Nettoeinkommen des Mannes im Jahr 1983 von S 11.122,83 27 % ausgemacht. Vom nunmehrigen monatlichen Nettoeinkommen von S 14.035,42 machten 27 % S 3.789,56 aus. Da bei geänderten Verhältnissen von der von den Parteien im Vergleich festgesetzten Relation zwischen Einkommen des Unterhaltspflichtigen und vereinbartem Unterhalt auszugehen sei, sei der monatliche Unterhaltsbetrag auf S 3.800 zu erhöhen. Dieses Urteil wurde den Parteien am 14.7.1989 zugestellt und ist in Rechtskraft erwachsen. Am 9.10.1989 brachte der Mann eine Wiederaufnahmsklage ein, in der er die Aufhebung des Urteils vom 5.7.1989, 1 C 264/89i, begehrt und weiters, den monatlichen Unterhaltsbetrag nur auf S 3.200 zu erhöhen. Der Kläger brachte vor, er habe am 26.9.1989 zufällig erfahren, daß die Entscheidung des Erstgerichtes unrichtig sei. Aus Spalte 23 (KU + WFB) des Lohnkontos 1988 gehe hervor, daß die Beträge für Kammerumlage und Wohnbauförderung von April bis Dezember 1988 S 29.196,10 betragen hätten. Tatsächlich entfielen von diesem Betrag nur 0,5 % auf Kammerumlage und 0,5 % auf Wohnbauförderung; bis auf S 291,96 entfalle der gesamte Betrag aus Spalte 23 des Lohnkontos auf Sozialversicherungsbeiträge, die in die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht einzubeziehen seien. Dies stelle eine neue Tatsache dar, die bereits vor Schluß der Verhandlung im Vorprozeß vorhanden, dem Wiederaufnahmekläger aber unbekannt gewesen sei. Ein Verschulden an der Unkenntnis dieser Tatsache treffe weder den Wiederaufnahmekläger noch dessen Rechtsvertreter. Er habe mit der Lohnverrechnung nichts zu tun, diese irrtümliche und fehlerhafte Eintragung im Lohnkonto habe dem Wiederaufnahmekläger nicht auffallen können und sei auch dem Erstgericht nicht aufgefallen.
Erst am 26.9.1989, als er seinem Arbeitgeber das Unterhaltsurteil gezeigt habe, sei dieser auf das zu hoch angesetzte Nettoeinkommen gestoßen, in der Folge habe der Eintragungsfehler mit Gertrude R*** aufgeklärt werden können. Die neue Tatsache sei geeignet, eine günstigere Entscheidung herbeizuführen, weil sich das Monatseinkommen des Wiederaufnahmeklägers nunmehr richtig mit S 11.811,87 und die Unterhaltsverpflichtung von 27 % mit maximal S 3.200 errechne.
Die Wiederaufnahmebeklagte wendete ein, die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens seien nicht gegeben, da die Gesamtlohnabrechnung des Wiederaufnahmeklägers bereits im Vorverfahren längere Zeit im Akt gelegen, für den Vertreter des Wiederaufnahmeklägers einseh- und überprüfbar gewesen sei und der in der Wiederaufnahmsklage behauptete Mangel mittels Berufung gegen das Urteil im Vorprozeß hätte angefochten werden können. Im übrigen sei das vom Erstgericht ermittelte Einkommen des Wiederaufnahmeklägers, das dem Urteil im Vorprozeß zugrundeliege, richtig. Das Erstgericht hob das Urteil vom 5.7.1989, 1 C 264/89i, auf.
Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Als der Kläger das Urteil des Vorprozesses anschaute, dachte er sich, daß dabei irgendetwas nicht stimmen könne, ging aber nicht zu seinem Rechtsanwalt. An Hand seiner Kontoauszüge zerbrach er sich den Kopf darüber, wie das Gericht auf ein monatliches Einkommen von S 14.000 gekommen sei. Bei der letzten Verhandlung im Vorprozeß hatte er durch das Gericht erfahren, daß bei der Bemessung der Unterhaltsgrundlage die Kammerumlage und der Wohnbauförderungsbeitrag hinzugerechnet würden. Die im Vorprozeß vorgelegten Lohnkonten hatte er nie gesehen. Ende September kam er zu Gertrude R***, sagte ihr, die dem Ersturteil zugrunde gelegten Nettoeinkünfte könnten nicht richtig sein und ersuchte um Überprüfung an Hand der Lohnkonten. Insbesondere die Beträge, die er an Kammerumlage und Wohnbauförderungsbeiträgen bezahle, erschienen ihm zu hoch. Daraufhin teilte ihm Gertrude R*** mit, daß in der Spalte 23 des Lohnkontos nicht nur die Kammerumlage und der Wohnbauförderungsbeitrag, sondern auch die Sozialversicherungsbeiträge sowie die Schlechtwetterentschädigung inkludiert seien. Dies führt zum Ergebnis, daß vom Gesamtbruttobezug des Klägers ein Betrag von 16 % auf die Sozialversicherungsbeiträge entfällt, ein Betrag von 0,5 % auf Wohnbauförderung und ebenfalls 0,5 % auf Kammerumlage und 0,7 % auf Schlechtwetterabgabe. Demnach sind in Spalte 23 des Lohnkontos sowohl die Sozialversicherungsbeiträge als auch die Kammerumlage, der Wohnbauförderungsbeitrag und der Schlechtwetterbeitrag enthalten. An und für sich wäre die Spalte 22 dieses Lohnkontos für die Eintragung der Sozialversicherungsbeiträge vorgesehen. Aufgrund dieser Information, die der Kläger erhielt, hat er in der Folge die Kanzlei Dr.K***, Dr.P*** angerufen und mitgeteilt, daß offenbar ein Irrtum des Gerichts bei der Urteilsfällung vorgelegen sei. Der Kläger hatte im Zeitraum vom 5.4.1988 bis 31.12.1988 einen Gesamtbruttobezug von S 167.539,19, wobei ihm von diesem Betrag S 21.430,62 an Lohnsteuer und S 29.196,10 an Kammerumlage, Wohnbauförderungsbeitrag, Sozialversicherungsbeiträgen und Schlechtwetterabgabe abgezogen werden, wodurch er zu einem Nettoauszahlungsbetrag von S 116.912,47 gelangt. Errechnet man aus dem Gesamtbruttobezug des Beklagten von S 167.539,19 die Sozialversicherungsbeiträge (16 %), so ergibt dies einen Betrag in diesem Zeitraum von S 26.806,27.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, es habe im Vorprozeß zum Nettoeinkommen den in Spalte 23 des Kontos ausgewiesenen Betrag hinzugerechnet, da es sich nach dem damaligen Verfahrensstand um die Kammerumlage und den Wohnbauförderungsbeitrag gehandelt habe. Gegen Ende September 1989 habe der Kläger erfahren, daß in Spalte 23 auch die Sozialversicherungsbeiträge und die Schlechtwetterabgabe enthalten seien. Da die Sozialversicherungsbeiträge aus der Unterhaltsbemessungsgrundlage auszuscheiden seien, ergebe sich für das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren eine völlig andere Basis, sodaß der Kläger durch diese neue Tatsache in den Stand gesetzt werde, eine für ihn günstigere Entscheidung herbeizuführen. Der Umstand, daß dieses Lohnkonto durch längere Zeit im Vorverfahren im Akt gelegen sei und auch für die Parteienvertreter einsichtig gewesen sei, ändere nichts an dem Umstand, daß nunmehr für den Kläger neue Tatsachen entstanden seien, zumal ohne Kenntnis dieses Umstandes, nämlich, daß in Spalte 23 auch die Sozialversicherungsbeiträge enthalten seien, auch die Einsicht in das Lohnkonto durch die Parteienvertreter nicht zur Aufklärung dieses Umstandes beigetragen hätte. Die neue Tatsache, nämlich, daß in Spalte 23 auch die Sozialversicherungsbeiträge enthalten seien, sei dem Kläger erst Ende September 1989 bekannt geworden, sodaß auch die Wiederaufnahmsklage als rechtzeitig eingebracht anzusehen sei. Der Umstand, daß der Kläger nach Erhalt des Urteils des Vorprozesses Zweifel an dessen Richtigkeit gehegt habe, jedoch offenbar nicht gewußt habe, aufgrund welcher Umstände die Berechnung des Gerichtes für die Unterhaltsbemessungsgrundlage als falsch anzusehen sei, könne ihm nicht als Verschulden angelastet werden, zumal er erst Ende September die tatsächlichen Ursachen für die Fehlberechnung des Gerichtes erfahren habe, da selbst dem Gericht bei seiner Entscheidung diese Tatsache unbekannt gewesen und auch nicht aufgefallen sei.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß das Klagebegehren abgewiesen wurde. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, die Berechtigung des Unterhaltserhöhungsbegehrens im Vorprozeß hänge unter anderem von der Unterhaltsbemessungsgrundlage für 1988/89 ab. Der Umstand, daß im Lohnkonto die Sozialversicherungsbeträge nicht wie vorgesehen in Spalte 22 eingetragen seien, sondern zusammen mit den auf die Kammerumlage und den Wohnbauförderungsbeitrag entfallenden Beträgen ausschließlich unter der Bezeichnung "KU + WFB" in einem monatlich einheitlichen Betrag in Spalte 23 aufscheinen, stelle eine "neue Tatsache" im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO dar, die grundsätzlich bei richtiger Kenntnis und Geltendmachung im Unterhaltsstreit zu einer für den Wiederaufnahmskläger günstigeren Entscheidung führen hätte können. Die Wiederaufnahmsklage sei auch rechtzeitig eingebracht worden. Zu prüfen bleibe somit, ob der Wiederaufnahmekläger ohne sein Verschulden außerstande gewesen sei, die neuen Tatsachen und Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz ergangen sei, geltend zu machen. Weil der Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO nicht zuletzt auf Billigkeitserwägungen beruhe, sei bei Prüfung der Frage, ob der zu beseitigende Nachteil ohne Verschulden der die Wiederaufnahme anstrebenden Partei entstanden sei, ein strenger Maßstab anzulegen. Ein Verschulden sei insbesondere bei einer Verletzung der der Partei obliegenden prozessualen Diligenzpflicht anzunehmen, weil die Wiederaufnahmsklage einen außerordentlichen Rechtsbehelf darstelle, der den Parteien grundsätzlich nicht zu dem Zweck eingeräumt sei, von ihnen in der Prozeßführung begangene Fehler zu beheben. Nach § 1 des Bundesgesetzes vom 17.12.1951, BGBl. 1952/13, über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages sei zur Förderung der Errichtung von Kleinwohnungshäusern ein Wohnbauförderungsbeitrag an den Bundeswohn- und Siedlungsfonds zu leisten. Der Beitragspflicht unterlägen unter anderem Personen, die aufgrund eines privatrechtlichen Dienstverhältnisses beschäftigt seien, solange sie Anspruch auf Entgelt hätten. Der Beitrag betrage für jeden beitragspflichtigen Dienstnehmer, der in der Krankenversicherung pflichtversichert sei, 5 von 1000 der allgemeinen Beitragsgrundlage in der Krankenversicherung, wobei die Beiträge des Dienstnehmers vor Zahlung des Entgeltes von diesem einzubeziehen seien, und der Dienstgeber für die Einbehaltung dieser Beiträge hafte. Was die "Kammerumlage" anlange, so könne es sich hinsichtlich des unselbständig beschäftigten Kläger nur um die Arbeiterkammerumlage handeln, weil sich die Zugehörigkeit des Beklagten zu dieser Kammer auf § 5 Abs 1 lit a des Arbeiterkammergesetzes, BGBl. 1954/105, ergäbe. Die Umlage dürfe höchstens 0,5 v.H. der für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden allgemeinen Beitragsgrundlage betragen, wobei die Höchstbeitragsgrundlage nach § 45 Abs 1 lit a ASVG nicht überschritten werden dürfe. Dem Wiederaufnahmekläger gehe es darum, daß aufgrund unrichtiger Eintragung in Spalte 23 des Lohnkontos die Sozialversicherungsbeiträge gemeinsam mit der Kammerumlage und dem Wohnbauförderungsbeitrag zusammengefaßt und nicht extra ausgeworfen seien. Selbst einem mit Lohnverrechnung nicht Befaßten, aber Rechtskundigen, müsse bei nur einiger Aufmerksamkeit auffallen, daß 1.) ungeachtet des Umstandes, daß der Wiederaufnahmekläger sozialversicherungspflichtig sei, sich Sozialversicherungsbeiträge aus den Eintragungen nicht ergeben, und
2.) die in Spalte 23 aufscheinenden Beträge (KU + WFB) mit Rücksicht auf die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages und des Arbeiterkammergesetzes mit den ausgewiesenen Bruttobezügen nicht in Einklang gebracht werden könnten. Selbst eine bloß oberflächliche Kenntnis dieser Beitragsverpflichtungen lasse es als nicht denkbar erscheinen, daß die Kammerumlage und der Wohnbauförderungsbeitrag etwa in den Monaten April und Mai 17,7 % des Bruttomonatslohnes ausmachen könnten. Mit Rücksicht auf die ihn treffende prozessuale Diligenzpflicht hätten diese Umstände dem anwaltlich vertretenen Beklagten im Hauptprozeß auffallen müssen; er hätte sich im Rahmen der Erklärung zur Richtigkeit der Lohnkonten nicht mit dem bloßen Hinweis auf sein bisheriges Vorbringen und auf nicht mit den Angaben der Zeugin Gertrude R*** begnügen dürfen, daß in Spalte 23 die Kammerumlage und der Wohnbauförderungsbeitrag enthalten seien, wobei sich dieser Betrag zur Hälfte aus der Kammerumlage und zur Hälfte aus dem Wohnbauförderungsbeitrag zusammensetze. Es wäre ihm vielmehr möglich gewesen, durch entsprechende Befragung der Zeugin die in der Wiederaufnahmsklage geltend gemachte "neue Tatsache" bereits im Vorprozeß ans Licht zu bringen. Hinzu komme aber noch, daß der Kläger die Frage der Einrechnung der Sozialversicherungsbeiträge durchaus auch im Rahmen einer Berufung gegen das Urteil im Vorprozeß hätte aufwerfen können. Wie sich aus den Feststellungen in diesem Urteil ergebe, habe das Erstgericht das Jahresnettoeinkommen des Mannes für 1988/89 "nach Abzug der Lohnsteuer und unter Einbeziehung der anteiligen Sonderzahlungen und unter Hinzurechnung der Kammerumlage und des Wohnbauförderungsbeitrages" mit S 146.110,57 festgestellt. Daß ein Dienstnehmer wie der Beklagte sozialversicherungspflichtig sei, liege ebenso auf der Hand wie der Umstand, daß sich das Bruttoeinkommen eines Dienstnehmers um die Sozialversicherungsbeiträge (als gesetzliche Abzüge) vermindere. Der Beklagte hätte somit im Rahmen der Rechtsrüge (bzw. des dem Berufungsgrund der mangelhaften Tatsachenfeststellung zuzuordnenden Berufungsgrundes der mangelhaften Tatsachenfeststellung) ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot geltend machen können, daß das Erstgericht bei Ermittlung des Jahresnettoeinkommens 1988/89 die Sozialversicherungsbeiträge überhaupt nicht berücksichtigt habe. Weiters ergebe sich, daß die Arbeiterkammerumlage und der Wohnbauförderungsbeitrag als gesetzliche Abzüge wohl nicht gut "in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen" werden können, wie das Erstgericht im Urteil des Hauptprozesses im Rahmen der rechtlichen Beurteilung unter Bezugnahme auf "die ständige Rechtsprechung", die es aber nicht zitieren könne, ausgeführt habe. Auch dies hätte der Mann mit Berufung gegen das Urteil im Hauptprozeß mit Rechtsrüge - somit ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot - geltend machen können, was jedenfalls zur Klärung der sich aus dem Lohnkonto und der Zeugenaussage mit Rücksicht auf die Rechtslage ergebenden Ungereimtheiten geführt hätte. Insgesamt ergebe sich, daß die Geltendmachung der angeführten "neuen Tatsache" in der Wiederaufnahmsklage der Sanierung der Verletzung der dem Beklagten im Hauptprozeß oblegenen prozessualen Diligenzpflicht und der Behebung eines von ihm in der Prozeßführung begangenen Fehlers dienen solle. Mit Rücksicht auf den bei Prüfung des Vorliegens eines Verschuldens im Sinne des § 530 Abs 2 ZPO anzulegenden strengen Maßstabes müsse daher ein solches Verschulden auf Seiten des Mannes bejaht werden. Darauf, daß dieses Verschulden nicht dem rechtsunkundigen Mann im Hauptprozeß, sondern seinem Vertreter anzulasten sei, könne es nicht ankommen, weil nach § 34 Satz 1 ZPO die aufgrund einer Prozeßvollmacht von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozeßhandlungen im Verhältnis zur Gegenpartei dieselbe Wirkung hat, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen worden wären. In diesem Sinne müsse auch das Unterbleiben von Prozeßhandlungen gegen die Partei wirken.
Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt die Wiederherstellung des Ersturteils.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Kläger vertritt die Ansicht, weder ihn noch seinen Vertreter treffe ein Verschulden. Es könne ihm nicht vorgeworfen werden, im Vorprozeß zur Richtigkeit der Kontoauszüge nur auf sein Vorbringen verwiesen zu haben, denn dies könne logisch nur so verstanden werden, daß ein den Betrag von S 9.015 überschreitendes Einkommen - sofern es sich aus den Urkunden ergeben sollte - bestritten werde. Die Kontoauszüge hätten eine Vielzahl von Zahlen aufgewiesen, es sei einem Parteienvertreter in der knapp bemessenen Zeit einer Verhandlung nicht zumutbar, diese Urkunden vollinhaltlich zu überprüfen und eine detaillierte Stellungnahme abzugeben. Dem Kläger könne auch nicht vorgeworfen werden, Gertrude R*** wegen der Sozialversicherungsbeiträge nicht befragt zu haben, denn diese Zeugin sei ohnedies befragt worden und habe sich nicht davon abbringen lassen, daß in Spalte 24 die Kammerumlage und der Wohnbauförderungsbeitrag enthalten seien. Gertrude R*** selbst habe die Unrichtigkeit ihrer Angaben erst im September 1989 erkannt. Auch das Erstgericht habe keinen Fehler entdecken können. Der Beklagtenvertreter habe noch im Wiederaufnahmeverfahren vorgebracht, die Abrechnung des Dienstgebers sei richtig. Wenn also weder der Lohnverrechnerin noch den beiden anderen am Verfahren beteiligten Juristen etwas aufgefallen sei, worin solle dann der Fehler des Klägers oder seines Vertreters liegen? Dem Kläger könne aber auch nicht vorgeworfen werden, im Vorprozeß keine Berufung erhoben zu haben, denn eine Berufung, in der ein Vorbringen über die Sozialversicherungsbeiträge erstattet worden wäre, hätte gegen das Neuerungsverbot verstoßen. Der Kläger habe auch deshalb nicht mit einem Berufungserfolg rechnen können, weil das Berufungsgericht hinsichtlich der Kammerumlage und der Wohnbauförderungsbeiträge der älteren Rechtsprechung gefolgt sei, während die jüngere Rechtsprechung die Rechtsmeinung des Erstgerichtes teile.
Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:
Unabhängig von der Frage, ob der Kläger die Rechtsansicht des Erstgerichtes, Arbeiterkammerumlage und Wohnbauförderungsbeiträge seien der Unterhaltsbemessungsgrundlage hinzuzurechnen, mit Berufung hätte bekämpften müssen (die Rechtsansicht des Erstgerichtes wurde von Gerichten zweiter Instanz fallweise tatsächlich vertreten - vgl. EFSlg 56.340) und ob Berufungsausführungen, mit denen darauf hingewiesen worden wäre, daß die Sozialversicherungsbeiträge der Unterhaltsbemessungsgrundlage hinzugezählt wurden, gegen das Neuerungsverbot verstoßen hätten, kann der Wiederaufnahmsklage kein Erfolg beschieden sein. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, ist bei der Frage, ob der Mann außerstande war, die neue Tatsache - nämlich die Unrichtigkeit des Lohnkontos - schon vor Schluß der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses geltend zu machen, ein strenger Maßstab anzulegen (JBl 1976, 439; 6 Ob 698/83 uva). Im vorliegenden Fall mußte bei einem sorgfältigen Durchlesen der Kontoauszuüge sofort auffallen, daß etwas nicht stimmen kann. Dies einerseits deshalb, weil - obwohl der Mann unselbständig erwerbstätig ist - keine Sozialversicherungsbeiträge aufscheinen, andererseits aber wegen der Höhe der unter der Bezeichnung "KU + WFB" angeführten Beträge. Daraus, daß dem Erstgericht dies nicht aufgefallen ist, kann noch nicht der Schluß gezogen werden, daß den Mann bzw. seinen Vertreter kein Verschulden trifft. Die Parteien können dem Vorwurf einer Verletzung der prozessualen Diligenzpflicht (vgl. Fasching, Zivilprozeßrecht2, Rz 2067) nicht mit Erfolg entgegenhalten, auch dem Erstgericht sei derselbe Fehler unterlaufen. Ein Fehler des Erstgerichtes, dem mit Berufung zu begegnen gewesen wäre, kann eine Nachlässigkeit der Parteien oder ihrer Vertreter nicht entschuldigen. Daß die Lohnverrechnerin, die das Lohnkonto unrichtig ausgefüllt hatte, den Fehler zunächst nicht bemerkte, hat auf die Frage, ob den Mann bzw. seinen Rechtsanwalt ein Verschulden im Sinne des § 530 Abs 2 ZPO trifft, keinerlei Einfluß. Verfehlt sind auch die Revisionsausführungen, dem Vertreter der Frau sei der Fehler ebenfalls nicht aufgefallen. Aus der Tatsache, daß ein Parteienvertreter eine für seinen Mandanten günstige Feststellung als richtig bezeichnet, kann nämlich keinesfalls der Schluß gezogen werden, die Unrichtigkeit der Urkunde, die Grundlage der Feststellung war, müsse nicht auffallen. Auch die Revisionsausführungen, der Vertreter des Mannes habe in der knappen in der Verhandlung zur Verfügung stehenden Zeit die Lohnkonten nicht genau überprüfen können, Gertrude R*** sei ohnedies über die hier entscheidende Frage vernommen worden, sind nicht geeignet, ein für den Mann günstigeres Ergebnis herbeizuführen. Gewiß enthalten die Lohnkonten viele Zahlen, doch fällt auf, daß in keinem der vorgelegten Blätter Sozialversicherungsbeiträge aufscheinen, wohl aber für sämtliche angeführte Monate Abzüge für "KU + WFB" in ungewöhnlicher Höhe vorgenommen wurden. Dazu kommt, daß die Frage der Arbeiterkammerumlage und der Wohnbauförderungsbeiträge nach Vorlage der Lohnkonten zur Sprache kam und die Zeugin Gertrude R*** darüber befragt wurde. Wohl "beharrte" diese Zeugin auf der Richtigkeit der von ihr vorgenommenen Eintragungen, doch hätten der Mann bzw. sein Vertreter zumindest spätestens aufgrund dieser Aussage darauf aufmerksam werden müssen, daß die unter der Bezeichnung "KU + WFB" angeführten Beträge auffallend hoch sind, was sie hätte veranlassen müssen, neuerlich in die Lohnkonten Einsicht zu nehmen, wobei bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt das Fehlen von Sozialversicherungsbeiträgen nicht hätte übersehen werden dürfen. Die Unkenntnis der neuen Tatsache (Unrichtigkeit der Lohnkonten) war daher nicht unverschuldet und kann daher gemäß § 530 Abs 2 ZPO eine Wiederaufnahme des Vorprozesses nicht rechtfertigen. Beizutreten ist auch den Ausführungen des Berufungsgerichtes darüber, dem Verschulden der Parteien sei das ihrer Vertreter gleichzusetzen. Nach ständiger Rechtsprechung sind den Parteien nämlich auch Unterlassungen ihrer Prozeßbevollmächtigten zuzurechnen (SZ 25/158; SZ 42/46; SZ 58/58; JBl 1981/387 ua). Richtig ist, daß Fasching gegen die Richtigkeit der Ansicht, die Kenntnis des gewillkürten oder gesetzlichen Vertreters sei der Kenntnis der Partei gleichzusetzen, gewisse Bedenken hat (Kommentar IV 512 f; ZPR2, Rz 2066). Auch dieser Autor lastet aber eine Verletzung der prozessualen Diligenzpflicht durch den Rechtsanwalt offenbar der Partei an. Nur in diesem Sinne können nämlich die Ausführungen in ZPR2, Rz 2067 verstanden werden, die prozessuale Diligenzpflicht sei für rechtsunkundige, anwaltlich nicht vertretene Personen geringer als für die durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei. Aus diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E20895European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00543.9.0425.000Dokumentnummer
JJT_19900425_OGH0002_0020OB00543_9000000_000