Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Erna H***, Ärztin, Kraßnigstraße 14, 9020 Klagenfurt, vertreten durch Dr. Günther Karpf, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei L*** K***, vertreten durch den Bürgermeister
Hofrat Leopold G***, Neuer Platz 1, 9020 Klagenfurt, dieser vertreten durch Dr. Dieter Havranek, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 267.000,- s.A. und Feststellung (S 20.000,-), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 8.November 1989, GZ 2 R 195/89-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 1.Juni 1989, GZ 22 Cg 365/88-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 9275,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 1545,90, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin kam am 15.11.1985 gegen 8,30 Uhr in Klagenfurt als Fußgängerin beim Überqueren des Alten Platzes zu Sturz und wurde dabei verletzt.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte sie aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von S 267.000,- sA (Schmerzengeld, Verdienstentgang); überdies stellte sie ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten für alle Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren. Dem Grunde nach stützte die Klägerin ihr Begehren im wesentlichen darauf, daß ihr die Beklagte zum Schadenersatz verpflichtet sei, weil sie als Eigentümerin und Halterin des Alten Platzes nicht für dessen ordnungsgemäßen Zustand gesorgt habe; sie habe bei den zur Unfallszeit bestehenden winterlichen Verhältnissen ihre Streupflicht im Unfallsbereich grob fahrlässig vernachlässigt.
Die Beklagte wendete dem Grunde nach im wesentlichen ein, daß sie ihrer Räum- und Streupflicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Jedenfalls treffe die Klägerin das überwiegende Verschulden an ihrer Verletzung, weil sie die notwendige Vorsicht vernachlässigt habe. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Klägerin ging am 15.11.1985 gegen 8,30 Uhr in Klagenfurt auf der Wiener Gasse in Richtung Süden, um nach Überqueren des Alten Platzes ihre Ordination in der Kramergasse aufzusuchen. Sie hatte Pelzstiefel mit Gummisohlen und flachen Absätzen an. Als sie zum Alten Platz kam, bemerkte sie, daß dieser vom Schnee geräumt war und entsprechend große Schneehaufen zu sehen waren. Die Fahrbahn des Alten Platzes war aber teilweise sichtbar mit Eisplatten bedeckt; teilweise waren diese nicht sichtbar, weil ein leichter Schneefilm auf ihnen lag. Da die Klägerin der Meinung war, daß der direkte Weg von der Wiener Gasse in die Kramergasse stärker vereist war, ging sie auf dem Alten Platz vorerst in Richtung Osten und schwenkte dann nach den im Nordosten befindlichen Telefonzellen nach Süden. Ca 7 m nördlich des Einganges zum Haus Alter Platz 26 kam sie auf einer Eisplatte, die sie nicht bemerkt hatte, zu Sturz, wobei sie sich verletzte.
Der Alte Platz ist eine Fußgängerzone, doch ist der Zubringerverkehr mit Fahrzeugen in der Zeit von 18,30 bis 10,00 Uhr und zwischen 14,00 und 16,00 Uhr erlaubt. Zur Unfallszeit fuhren Autos im Bereich des Alten Platzes. Im Bereich der Sturzstelle, wo es eisig war, war kein Splitt gestreut; anderes Streumaterial war optisch nicht sichtbar. Bereits vor dem Sturz der Klägerin waren im Bereich der Sturzstelle einige Leute ins Rutschen geraten. Bei der Beklagten besteht ein umfangreicher Organisationsplan für den Winterdienst. Für den Einsatz werden Räum- und Streupläne aufgestellt, wobei es auch zu einer Klassifizierung der Straßen nach ihrer Dringlichkeit kommt. Das Stadtgebiet ist in drei Dringlichkeitsstufen eingeteilt. Die Dringlichkeitsstufe 1 umfaßt die Hauptverkehrsstraßen, vor allem die Bundesstraßen und jene Straßenzüge, die von den städtischen Linienbussen befahren werden, die Dringlichkeitsstufe 2 alle Hauptstraßen und die Straßen der gesamten Innenstadt. Die restlichen Straßen und Wege, soweit sie für den Verkehr von Bedeutung oder besiedelt sind, fallen in die Dringlichkeitsstufe 3. Für den Wintereinsatz steht das hiefür vorgesehene Personal in der Zeit zwischen 1.November und 31.März in Bereitschaft. Es stehen rund 250 Leute zur Verfügung. Innerhalb dieses Zeitraumes ist jeweils wöchentlich ein Aufsichtsorgan und eine Streupartie für mindestens drei Streugeräte mit Partieführer für die ständige Glatteisbekämpfung einzustellen. Bei außerordentlichen Einsätzen erfolgt die Verständigung des Einsatzpersonals (Fahrer und Beifahrer) über Telefon und Ruffunk, wobei die Einsatzzeit der Dienststellenleiter bzw der zuständige Sachbearbeiter oder der Straßenmeister bestimmt. Bei normalen Schneefällen, die sich über die Abendstunden hinausziehen, gilt generell 2,00 Uhr Früh des folgenden Tages als Einsatzzeit. Der Beginn der Schneeräumung richtet sich nach der Schneehöhe, der Stärke des Schneefalles und den Temperaturverhältnissen, setzt aber spätestens dann ein, wenn auf der Straße rund 7 cm Neuschnee liegen. Bei langandauerndem Schneefall werden Sondereinsätze vom Dienststellenleiter veranlaßt. Für die Schneeabfuhr ist das Stadtgebiet in drei Zonen eingeteilt. In Straßenzügen der Dringlichkeitsstufe 1 und 2 kommt kein Splitt zum Einsatz, sondern Salz, zum Teil verbunden mit Chlormagnesium oder Chlorcalcium in einem bestimmten Mischungsverhältnis, das von den Temperaturen abhängig ist. Mit Salz werden insbesondere Bundesstraßen, Buslinien, Schulbuslinien und die Innenstadt innerhalb des Ringes gestreut.
Nachdem am 12.11.1985 die Straßen zum Teil naß waren und Minustemperaturen auftraten, wurde von 21,00 bis 2,30 Uhr Salz und Eisex gestreut. Am 13.11.1985 trat Schneefall auf; es wurde in der Zeit von 21,00 bis 3,00 Uhr Salz und Eisex gestreut. Bis 14.11.1985 fielen 23 cm Neuschnee. Auch die Temperatur sank ziemlich stark. Am 14.11.1985 war der Streudienst vorerst von 1,00 bis 3,00 Uhr unterwegs und dann von 17,30 bis 0,00 Uhr, dann durchgehend weiter von 0,00 bis 13,00 Uhr des 15.11.1985. Am 14.11. wurden 186 Säcke Salz und 87 Säcke Eisex gestreut, am 15.11. 165 Säcke Salz und 72 Säcke Eisex.
Am 14.11.1985 wurde die Fußgängerzone, insbesondere auch der Alte Platz, vom Schnee geräumt, ebenso am 15.11.1985. In der Praxis geht die Schneeräumung und Streuung so vor sich, daß vorerst Salz gestreut wird, sodaß sich der Schnee nicht anlegt. Dann wir der Schnee geräumt, wobei der Schneeräumdienst mit einem Ladegerät im Einsatz ist und der Schnee zusammengeschoben und dann weggeführt wird. Wenn der Schnee weggeräumt ist, funkt der Leiter der Partie der Schneeräumung die Partie des Streudienstes an und ordert, daß die Streuung durchgeführt werden kann. Es kann vorkommen, daß der Streueinsatz nicht unmittelbar, nachdem diese Order ergeht, kommt, weil noch ein anderer Einsatz durchzuführen ist. Es kann passieren, daß es Verzögerungen mit der Räumung oder der Streuung gibt, bedingt durch einen fest gegebenen Personalstand, durch einen bestimmten Maschinenpark und durch die Menge des Schnees. Die Räumung und Streuung des Alten Platzes erfolgte am 15.11.1985 zwischen 4,00 und 6,00 Uhr in den Morgenstunden. Der Streudienst war deshalb die ganze Nacht hindurch im Einsatz, weil dies durch die herrschenden Witterungsbedingungen geboten war. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß die Bestimmung des § 93 StVO nicht zur Anwendung komme, weil der Alte Platz nicht als Gehsteig oder Gehweg bezeichnet werden könne und die Beklagte nicht Liegenschaftseigentümer im Sinne dieser Gesetzesstelle sei. Die Beklagte sei Halter des Alten Platzes; sie hätte nur unter den im § 1319a ABGB normierten Voraussetzungen für die Verletzung der Klägerin einzustehen. Der Beklagten könne ein Organisationsverschulden ebensowenig angelastet werden wie eine sonstige grobe Fahrlässigkeit der mit der Schneeräumung und Streuung betrauten Leute. In der Nacht vom 14. auf den 15.11.1985 sei in Klagenfurt mit Hauptaugenmerk auf die Innenstadt Schnee geräumt und auch Salz gestreut worden, wobei Schneeräumungs- und Streudienst rund um die Uhr im Einsatz gewesen seien. Der Alte Platz sei zuletzt zwischen 4,00 und 6,00 Uhr des Unfallstages geräumt und gestreut worden. Bei einer derart angespannten Wettersituation - am 13. und 14.11.1985 seien 23 cm Neuschnee gefallen - sei es trotz der Organisation des Winterdienstes durch Räum- und Streupläne sowie des Einsatzes von rund 250 Leuten unmöglich gewesen, das Auftreten von eisigen Stellen in der Fußgängerzone, die für bestimmte Zwecke auch von Fahrzeugen benützt worden sei, zu verhindern. Die Wirkung des gestreuten Salzes könne, abhängig von der aufliegenden Restschneemenge und der gestreuten Salzmenge, nicht überall gleich stark sein; derartige Imponderabilien seien aber nicht zu beherrschen.
Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, einschließlich des in einem Geldbetrag bestehenden Teiles S 300.000,- übersteigt. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, aus der Tatsache, daß die Beklagte Eigentümerin der Liegenschaft "Alter Platz" sei, ergebe sich nicht, daß sie Anrainerpflichten im Sinne des § 93 StVO zu erfüllen gehabt hätte. Da die Klägerin auf der Fahrbahn 7 m vom Haus Nr 26 entfernt, gestürzt sei, komme § 93 StVO als haftungsbegründende Norm nicht in Betracht.
Die Haftung für eine Vernachlässigung der Streupflicht durch den Weghalter sei nach § 1319a ABGB zu beurteilen. Der Umfang der Streupflicht richte sich nach dem Verkehrsbedürfnis und der Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen. Unter grober Fahrlässigkeit sei auffallende Sorglosigkeit zu verstehen, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falles in ungewöhnlicher Weise verletzt werde, wobei der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen sei. Dabei müsse ein objektiv schwerer Verstoß vorliegen und auch subjektiv schwer anzulasten sein.
Bei einer juristischen Person wie der Beklagten könne ein Verschuldenstatbestand, sei es durch unrichtiges Handeln oder auch durch Unterlassungen, nur den für sie handelnden bzw zum Handeln verpflichteten natürlichen Personen zur Last fallen. Die Haftung der juristischen Person erstrecke sich auch auf ein deliktisches Verhalten ihrer Repräsentanten. Sie könnten für einen innerbetrieblichen Organisationsmangel verantwortlich sein, insbesondere wenn sie ihn etwa selbst herbeigeführt oder nicht rechtzeitig erkannt und abgestellt hätten. Daraus könnte sich ein von der Gemeinde zu vertretendes Organisationsverschulden ableiten lassen.
Beachte man aber im vorliegenden Fall die umfangreiche und auch zweckmäßige Organisation des Winterdienstes 1985/86 der Beklagten und ziehe man weiters die festgestellten im konkreten Fall durchgeführten Schneeräumungs- und Streumaßnahmen in Betracht, dann könne von einem Organisationsverschulden nicht die Rede sein.
Die Verletzung der Klägerin sei durch Umstände herbeigeführt worden, die mit einem auch für größere Gemeinden zu vertretenden Aufwand nicht vollkommen zu beherrschen seien. Daß sofortiges Streuen von Splitt unumgänglich gewesen wäre, sei nicht hervorgekommen. Die unfallspezifische Verletzungsgefahr bei unvorsichtigem Überqueren der zum Teil vereisten (Eisplatten aufweisenden) Fahrbahn des Alten Platzes sei allerdings erkennbar gewesen und hätte daher auch von der Klägerin erkannt werden können bzw müssen. Eine versteckte Gefahr oder gar eine solche, der auch durch aufmerksames Beobachten der zu betretenden Flächen nicht zu begegnen gewesen wäre, sei nicht vorgelegen. Fußgänger hätten - im Hinblick auf die von der Beklagten schon vorher gesetzten Maßnahmen - durch entsprechend vorsichtiges Verhalten Stürze durchaus vermeiden können. Daß die Leute der Beklagten nach den vorangegangenen Schneefällen bis zum Unfallszeitpunkt nicht die gesamte Fußgängerzone völlig eis- und schneefrei gemacht hätten (oder hätten machen können), könne der Beklagten weder als grobes Organisationsverschulden ihrer Organe und Repräsentanten noch als grobe Pflichtverletzung ihrer Leute im Rahmen des Schneeräumungs- und Streudienstes zugerechnet werden. Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin. Sie bekämpft sie ihrem gesamten Umfang nach aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Klägerin keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Die geltend gemachte Nichtigkeit liegt nicht vor.
Wenn das Erstgericht im Rahmen seiner Erwägungen zur Beweiswürdigung ausführte, es sei erwiesen, daß am Unfallstag etwa in der Zeit zwischen 4,00 und 6,00 Uhr morgens am Alten Platz Schnee geräumt worden und auch ein Streueinsatz erfolgt sei, wobei allerdings nicht festgestellt werden könne, "wann konkret zu welcher Uhrzeit" der Alte Platz gestreut worden sei (S 10 des Ersturteils), so ist dies, wie sich aus den folgenden Ausführungen des Erstgerichtes und vor allem der ausdrücklichen Feststellung (S 7 des Ersturteils), daß die Streuung des Alten Platzes am 15.11.1985 zwischen 4,00 und 6,00 Uhr erfolgte, eindeutig ergibt, dahin zu verstehen, daß das Erstgericht in tatsächlicher Hinsicht davon ausging, daß der Alte Platz am Unfallstag in der Zeit zwischen 4,00 und 6,00 Uhr morgens geräumt und gestreut wurde, wobei nicht festgestellt werden kann, zu welcher genauen Uhrzeit (innerhalb dieses Zeitraumes) die Streuung erfolgte. Wenn das Berufungsgericht diese Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich übernahm, kann keine Rede davon sein, daß deswegen sein Urteil mit dem Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO behaftet sei. Das gleiche gilt für die rechtliche Erwägung des Berufungsgerichtes, der genaue Zeitpunkt der Streuung (innerhalb der festgestellten Zeitspanne von 4,00 bis 6,00 Uhr morgens) sei für die Beurteilung des Vorliegens grober Fahrlässigkeit auf Seiten der Beklagten ebenso belanglos wie die aufgebrachte Menge des Streugutes (S 8 des Berufungsurteils). Die in der Revision der Klägerin geltend gemachte Nichtigkeit liegt somit nicht vor.
Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist nicht gegeben, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).
Auch der Rechtsrüge der Klägerin kommt keine Berechtigung zu. Soweit sie hier nicht von den Feststellungen der Vorinstanzen ausgeht, ist sie nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt und kann dazu nicht Stellung genommen werden. Entgegen den Revisionsausführungen reichen die Feststellungen der Vorinstanzen durchaus hin, um eine erschöpfende rechtliche Beurteilung zu gewährleisten. Der Versuch der Klägerin, aus der Eigenschaft der Beklagten als Eigentümerin der Verkehrsfläche des Alten Platzes abzuleiten, daß diese den im § 93 Abs 1 StVO normierten Verpflichtungen unterliege, muß schon deswegen scheitern, weil sich diese Vorschrift an Anrainer, also die Eigentümer von an dem öffentlichen Verkehr dienende Flächen angrenzenden Liegenschaften, richtet, nicht aber an die Eigentümer derartiger Verkehrsflächen (siehe dazu SZ 58/154). Die Beklagte, die unbestrittenermaßen Halterin der Verkehrsfläche ist, auf der sich der Unfall der Klägerin ereignete, hat nach der Vorschrift des § 1319a Abs 1 ABGB für die Unfallsfolgen nur einzustehen, wenn ihr oder ihren Leuten grobe Fahrlässigkeit (Vorsatz wurde nicht behauptet) anzulasten ist. Zur Betreuung eines Weges im Sinne des § 1319a ABGB gehört auch seine Säuberung und Bestreuung (SZ 58/154 mwN). Der Umfang der dem Wegehalter obliegenden Schneeräumungs- und Streupflicht richtet sich, wie sich aus § 1319a Abs 2 letzter Satz ABGB ergibt, nach dem Verkehrsbedürfnis und der Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen. Das Merkmal der Zumutbarkeit erfordert auch die Berücksichtigung dessen, was nach allgemeinen und billigen Grundsätzen vom Halter erwartet werden kann (ZVR 1983/14; SZ 58/154; 2 Ob 51/89 ua). Unter dem im § 1319a Abs 1 ABGB verwendeten Begriff der groben Fahrlässigkeit ist, wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausführte, eine auffallende Sorglosigkeit zu verstehen, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falles in ungewöhnlicher Weise verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn ein objektiv schwerer Verstoß auch subjektiv schwer anzulasten ist (ZVR 1984/142; ZVR 1986/11; ZVR 1986/106 uva).
Davon ausgehend haben die Vorinstanzen eine Schadenersatzpflicht der Beklagten mit Recht verneint.
Aus der Tatsache, daß die Unfallstelle zur Unfallszeit in der von den Vorinstanzen festgestellten Weise vereist war, ist noch kein der Beklagten anzulastendes Verschulden abzuleiten. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Beklagte es in vorwerfbarer Weise unterlassen hätte, für eine ihr zumutbare Räumung und Streuung der Unfallstelle zu sorgen. Dies trifft aber nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht zu.
Denn nach diesen Feststellungen wurde der Alte Platz am Unfallstag zwischen 4,00 und 6,00 Uhr morgens vom Schnee geräumt und mit Salz gestreut. Daß diese Maßnahmen nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden, ist nicht hervorgekommen. Insbesondere ist die Tatsache, daß sich zur Unfallszeit auf der Fahrbahn des Alten Platzes eisige Stellen befanden, kein Indiz hiefür, weil dies nicht notwendig auf fehlerhafte Räumung und Streuung zurückgeführt werden muß, sondern seine Ursache auch in anderen Umständen, insbesondere im Befahren der Fahrbahn durch Zubringerfahrzeuge und der dadurch bedingten Verfestigung vorhandener Schneereste, haben kann. Derartiges war aber für die Beklagte auch bei anderen Maßnahmen - etwa Splittstreuung - kaum zu vermeiden. Gewiß wäre es unter dem Gesichtspunkt eines Organisations- bzw Überwachungsverschuldens der Beklagten vorwerfbar, wenn sie nicht die erforderlichen Vorkehrungen getroffen hätte, um - nach durchgeführter Schneeräumung und Streuung - auf das Auftreten von vereisten Stellen auf der Fahrbahn und eine dadurch bedingte Gefährdung von Fußgängern in der Fußgängerzone zweckentsprechend zu reagieren. Davon kann aber im vorliegenden Fall im Hinblick auf die kurze Zeit der vorgenommenen Streuung (4,00 bis 6,00 Uhr morgens) und dem Unfall der Klägerin (8,30 Uhr morgens) keine Rede sein. Dieser Zeitraum war jedenfalls zu kurz, um es der Beklagten auch bei ihr zumutbarer Überwachung der von ihr zu betreuenden Straßen eindeutig zu ermöglichen, diese Gefahrenstelle zu erkennen und ihr zumutbare Abwehrmaßnahmen zu treffen, zumal nach den getroffenen Feststellungen bis 10,00 Uhr vormittags der Zubringerverkehr in der Fußgängerzone erlaubt war und schon aus diesem Grund der Bildung neuer eisiger Stellen auf der Fahrbahn kaum mit hinlänglicher Aussicht auf dauernden Erfolg begegnet werden konnte. Unter diesen Umständen kann weder den Leuten der Beklagten, die die Räumung und Streuung des Alten Platzes in den Morgenstunden des Unfallstages durchführten, grobe Fahrlässigkeit angelastet werden, noch der Beklagten bzw ihren Organen selbst im Sinne eines Überwachungs- bzw Organisationsverschuldens.
Die Vorinstanzen haben daher mit Recht das Klagebegehren abgewiesen. Der Revision der Klägerin muß ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E20915European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00017.9.0425.000Dokumentnummer
JJT_19900425_OGH0002_0020OB00017_9000000_000