Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26.April 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wolf als Schriftführer in der Strafsache gegen Bozidar M*** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SuchtgiftG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16.Jänner 1990, GZ 6 d Vr 6511/89-32, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig mit diesem Urteil gefällten Beschluß gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
1. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und es werden das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt - teilweise auch gemäß § 290 Abs. 1 StPO - in den Schuldsprüchen I A 2 und 3 und I B des Urteilssatzes sowie im Strafausspruch, ferner der angefochtene Widerrufsbeschluß aufgehoben und die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
2.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
3.
Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte, dieser auch mit seiner Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß auf die zu Punkt 1 getroffene Entscheidung verwiesen.
4. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 10.Mai 1963 geborene Bozidar M*** wurde (zu I A 1 bis 3) des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SuchtgiftG, (zu I B) des Vergehens nach § 16 Abs. 1 SuchtgiftG und (zu II) des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.
Darnach hat er in Wien
I.
den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte
A)
in einer großen Menge in Verkehr gesetzt, indem er
1. am 18.Juni 1989 dem abgesondert verfolgten Lothar K*** 46 Gramm Kokain verkaufte;
2. von 1985 bis Juni 1989 der abgesondert verfolgten Andrea F*** wiederholt Heroin überließ und
3. von Anfang 1989 bis Juni 1989 dem abgesondert verfolgten Shamil L*** mehrere Gramm Heroin überließ;
B)
von 1985 bis 21.Juni 1989 wiederholt erworben und besessen;
II.
am 21. und 22.Juni 1989 in Wien durch die Behauptung vor Beamten des Sicherheitsbüros, er habe im Juni 1989 von Shamil L*** 50 Gramm Kokain erworben, diesen einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens nach § 12 SuchtgiftG falsch verdächtigt, obwohl er wußte, daß die Verdächtigung falsch war.
Die vom Angeklagten gegen den Schuldspruch wegen des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SuchtgiftG (I A 1 bis 3) aus § 281 Abs. 1 Z 5, 5 a und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise begründet.
Rechtliche Beurteilung
Fehl schlägt zwar die in bezug auf das Faktum I A 1 (Verkauf von 46 Gramm Kokain an Lothar K***) erhobene Tatsachenrüge (Z 5 a); denn die vom Rechtsmittel ins Treffen geführten Hinweise und Schlußfolgerungen waren insgesamt nicht imstande, im Senat - der den gesamten Akt einer sorgfältigen Prüfung unterzog - Bedenken gegen die diesen Schuldspruch tragenden Tatsachenfeststellungen des Schöffengerichts zu erwecken, wobei dem noch vor dem Untersuchungsrichter aufrechterhaltenen Geständnis des Beschwerdeführers (siehe ON 5) besondere Bedeutung zukommt. Insoweit war daher die Nichtigkeitsbeschwerde als offenbar unbegründet gemäß § 285 d Abs. 1 Z 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
Berechtigt ist die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch, soweit sie dem Erstgericht zu den Schuldsprüchen I A 2 und 3 Begründungs- und Feststellungsmängel (Z 5 und 10) zum Vorwurf macht. Denn angesichts dessen, daß das Gericht in einem Fall (I A 2) bloß konstatierte (S 379 und 381), der Angeklagte habe seiner Freundin Andrea F*** "wiederholt Heroin überlassen", während im zweiten Fall (I A 3) festgestellt wird, der Angeklagte habe dem Shamil L*** "mehrere Gramm Heroin" (S 379) bzw. "geringe Mengen" (an Heroin) überlassen (S 381), kann nicht beurteilt werden, ob die jeweiligen Suchtgiftquantitäten - bezogen auf die Reinsubstanz - die für Heroin maßgebende Grenzmenge von 1,5 Gramm erreichten. Mangels entsprechender Konstatierungen völlig im Dunkeln bleibt auch, inwieweit die drei unter I A 1 bis 3 zusammengefaßten Tathandlungen allenfalls von einem auf eine kontinuierliche Tatbegehung gerichteten, den daran geknüpften Additionseffekt
mitumfassenden Vorsatz des Angeklagten (siehe SSt. 50/38 =
EvBl. 1980/20 = RZ 1979/73 = LSK 1979/287) gesteuert waren, was aber
Voraussetzung für eine Zusammenrechnung der Einzelquantitäten wäre. Da diese Mängel vom Obersten Gerichtshof nicht saniert werden können, die Durchführung einer neuen Hauptverhandlung mithin unumgänglich ist, war in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung (§ 285 e StPO) mit der Kassation der beiden in Rede stehenden Schuldsprüche vorzugehen, ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf das weitere bezügliche Beschwerdevorbringen näher einzugehen. Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof darüber hinaus überzeugt, daß auch der Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 16 Abs. 1 SuchtgiftG (I B des Urteilssatzes) insoweit mit einem Nichtigkeit bewirkenden Feststellungsmangel (Z 9 lit. a) behaftet ist, als weder im Urteilstenor, noch in den Gründen konkretisiert wird, welche Stoffe oder Zubereitungen das Erstgericht rechtlich als "Suchtgifte" qualifizierte, die der Angeklagte von 1985 bis 21.Juni 1989 wiederholt erworben und besessen habe.
Da diese materielle Nichtigkeit von der Beschwerde nicht erfaßt ist, war sie gemäß § 290 Abs. 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmen und auch insoweit bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung mit einer Beseitigung des betreffenden Schuldspruchs vorzugehen. Infolge der mit der Aufhebung der genannten Schuldsprüche verknüpften Kassierung des Strafausspruchs waren sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte mit ihren Berufungen hierauf zu verweisen. Mit dem Strafausspruch fällt auch die Basis des Widerrufsbeschlusses weg, weshalb auch dieser zu beheben und die dagegen erhobene Beschwerde hierauf zu verweisen war. Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E20507European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0120OS00032.9.0426.000Dokumentnummer
JJT_19900426_OGH0002_0120OS00032_9000000_000