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L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art133 Z4Leitsatz
Verstoß gegen Art6 EMRK durch Verletzung des äußeren Anscheins der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des über zivilrechtliche Ansprüche entscheidenden Vergabeamtes aufgrund der Überschneidung dienstlicher Aufgabenbereiche einzelner - als Organwalter weisungsgebundener - Mitglieder mit der Tätigkeit im VergabeamtSpruch
Der beschwerdeführende Gemeindeverband ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Tirol ist verpflichtet, dem beschwerdeführenden Gemeindeverband zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 32.200,-- (€ 2.340,07) bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der beschwerdeführende Gemeindeverband hat für den Neubau des Krankenhauses in Kufstein das Gewerk "Schwachstromanlagen" im offenen Verfahren ausgeschrieben. Nach Zuschlagserteilung beantragte ein Mitbewerber mit Schriftsatz vom 1. April 1997 beim Tiroler Landesvergabeamt (in der Folge: TVA) gemäß §12 Abs2 Tiroler Vergabegesetz (im folgenden TirVergG), LGBl. 87/1994, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zuschlagserteilung. Mit Bescheid des TVA vom 23. Juli 1997 stellte dieses fest, daß im vorliegenden Vergabeverfahren der Zuschlag wegen eines Verstoßes gegen das Tiroler Vergabegesetz nicht dem Bestbieter erteilt wurde. Gegen diesen Bescheid richtete sich eine auf Art144 B-VG gestützte und hg. zu B2338/97 protokollierte Beschwerde des vergebenden Gemeindeverbandes, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wurde. Mit Erkenntnis vom 28. Februar 2000 hat der Verfassungsgerichtshof diesen Bescheid wegen Verstoßes gegen Art6 EMRK behoben, da die Zusammensetzung des im vorliegenden Fall tätig gewordenen Organs nicht dessen Anforderungen entsprochen habe.
Im fortgesetzten Verwaltungsverfahren stellte das - nach den Bestimmungen des Tiroler Vergabegesetzes 1998, LGBl. 17/1998, konstituierte (vgl. §29 zur bloß materiellrechtlichen Weiterführung anhängiger Verfahren nach den Bestimmungen des Tiroler Vergabgesetzes 1994) - Landesvergabeamt Tirol mit Bescheid vom 31. Juli 2000, ZVG27c/62, erneut fest, daß im zugrundeliegenden Vergabeverfahren der Zuschlag wegen eines Verstoßes gegen das Tiroler Vergabegesetz 1994 nicht dem Bestbieter erteilt wurde.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
Der gemäß §6 des TirVergG 1998, LGBl. 17/1998 idF 59/2000, nunmehr für die Durchführung der Nachprüfungsverfahren zuständige Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol (UVS) legte die Verwaltungsakten vor und beantragte, die vorliegende Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Die mitbeteiligten Parteien haben ebenfalls eine Äußerung erstattet, in der sie beantragten, der Verfassungsgerichtshof möge die Beschwerde kostenpflichtig zurück- bzw. abweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (vgl. zB VfSlg. 14.499/1996) - Beschwerde erwogen:
1. Art6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des EGMR mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 10.701/1985, 11.131/1986, 12.074/1989, 14.564/1996, alle auch mit entsprechenden Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).
In seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1999, B2835/96, hat der Verfassungsgerichtshof näher dargelegt, daß und warum das TVA diesen Anforderungen nicht genügte; die dort angestellten Erwägungen treffen auch im vorliegenden Fall zu:
Zwar stellt der Umstand, daß ein Mitglied einer kollegialen Verwaltungsbehörde im Sinne des Art133 Z4 B-VG Verwaltungsbeamter ist und als solcher in seiner sonstigen Tätigkeit weisungsgebunden ist, für sich allein noch keinen Grund dafür dar, an der Unabhängigkeit des Kontrollorgans zu zweifeln.
Dem äußeren Anschein der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Tribunals widerstreitet es aber, wenn sich der konkrete Aufgabenbereich eines Mitgliedes eines gemäß Art133 Z4 B-VG eingerichteten Organs mit seinem konkreten Aufgabenbereich als weisungsgebundener Organwalter des Landes derart überschneidet, wie dies beim TVA sowohl hinsichtlich des Vorsitzenden als auch hinsichtlich des Berichterstatters der Fall war, die weisungsgebunden gerade in Vergabesachen tätig waren:
Der Vorsitzende und das als Berichterstatter tätig gewordene Mitglied des TVA waren zum Zeitpunkt des zugrundeliegenden Vergabeverfahrens in der Präsidialabteilung IV des Amtes der Tiroler Landesregierung tätig, in deren Kompetenz u.a. Aufgaben des Vergabewesens fielen. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem oben zitierten Erkenntnis festgestellt hat, war es einerseits nicht ausgeschlossen, daß Mitarbeiter dieser Abteilung mit vergaberechtlichen Rechtsfragen auch in Angelegenheiten insbesondere der Landes- und Gemeindeverwaltung befaßt wurden, die zu einer Befassung des TVA führen konnten, und andererseits wurde der Anschein erweckt, als ob das TVA geradezu als Teil der Präsidialabteilung IV des Amtes der Landesregierung geführt wurde. Aus diesem Grunde wurde auch der den Nachprüfungsantrag der mitbeteiligten Parteien erledigende Bescheid des TVA vom 23. Juli 1997, VG27c/46, vom Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung des Art6 EMRK mit Erkenntnis vom 28. Februar 2000 aufgehoben.
An der behördlichen Entscheidungsfindung im fortgesetzten Verwaltungsverfahren haben erneut dieselben Mitglieder des TVA teilgenommen. Auch dem nunmehr ergangenen Bescheid ist sohin anzulasten, daß er von einer Behörde erlassen wurde, die den Anforderungen des Art6 EMRK nicht ausreichend entspricht: Denn wie der Verfassungsgerichtshof bereits in der zitierten Vorentscheidung festgehalten hat, entspricht ihre Zusammensetzung nicht den Anforderungen an ein (auch) den äußeren Anschein der Unabhängigkeit wahrendes Tribunal im Sinne des Art6 EMRK. Da die Fragen, über die das TVA abzusprechen hatte, aber civil rights des vergebenden Gemeindeverbandes betreffen, ist dieser Mangel verfassungsrechtlich relevant. An dieser Einschätzung ändert auch der Umstand nichts, daß durch Verfügung des Landesamtsdirektors vom 2. Juni 2000 eine Änderung der Geschäftseinteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung dergestalt vorgenommen wurde, daß die Angelegenheiten des Vergabewesens der Abteilung Gewerberecht übertragen wurden. Es braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht beurteilt zu werden, ob und welche Wirkungen diese Verfügung entfaltet hat und ob sie ihrerseits rechtmäßig war, denn die vom Verfassungsgerichtshof beanstandete personelle Verquickung des TVA mit der Präsidialabteilung IV lag während des von der Behörde zu beurteilenden vergaberechtlichen Vorgangs vor und der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Nachprüfungsantrag war zum Zeitpunkt der Verfügung des Landesamtsdirektors bei der belangten Behörde bereits anhängig, die auch schon Verfahrensschritte gesetzt hatte.
Der Bescheid war daher bereits aus den genannten Gründen aufzuheben, ohne daß geprüft zu werden brauchte, ob er auch aus anderen Gründen mit Verfassungswidrigkeit behaftet ist.
Bemerkt sei, daß im fortgesetzten Verfahren vor dem UVS den in dieser Entscheidung zum Ausdruck gebrachten Bedenken hinsichtlich der Mitwirkung von Personen Rechnung zu tragen sein wird, die im Hinblick auf ihre frühere Tätigkeit bzw. ihre Mitwirkung an der Entscheidungsfindung im TVA den Anschein der Unparteilichkeit des UVS gefährden könnten.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG, im zugesprochenen Kostenbetrag ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von S 2.250,-- (€ 163,51), Umsatzsteuer in der Höhe von
S 4.950,-- (€ 359,73) sowie eine Eingabegebühr gemäß §17a VerfGG in der Höhe von S 2.500,-- (€ 181,68) enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Vergabewesen, Kollegialbehörde, BehördenzusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:B1514.2000Dokumentnummer
JFT_09988874_00B01514_00