Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Raimund Kabelka (AN) und Monika Fischer (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rita M***, 5020 Salzburg, Großadmiral Haus-Straße 5, vertreten durch Dr.Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei P*** DER A***,
1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Jänner 1990, GZ 13 Rs 111/89-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15.März 1989, GZ 20 Cgs 102/88-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 26.5.1988 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 5.4.1988 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab.
Die Klägerin begehrte in ihrer rechtzeitigen Klage die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.5.1988. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die am 29.8.1936 geborene Klägerin absolvierte eine einjährige Büroschule und war während ihrer Berufslaufbahn immer als Sekretärin beschäftigt. Seit etwa 19 Jahren war sie Sekretärin an der Krankenpflegeschule des Landeskrankenhauses Salzburg und Vertragsbedienstete des Landes Salzburg. Sie war seit 1970 teilzeitbeschäftigt, arbeitete 25 Wochenstunden und wurde zuletzt nach dem Vertragsbedienstetenlohnschema VB c 14 entlohnt. Auf Grund verschiedener Leidenszustände kann die Klägerin nur mehr körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten verrichten, wobei die mittelschweren ein Drittel der Gesamtzeit nicht übersteigen sollen. Diese Arbeiten müssen bezüglich der geistigen Leistungsfähigkeit eher monoton und ohne Hektik verlaufen. Die Klägerin kann im Gehen, Stehen und Sitzen in geschlossenen Räumen arbeiten. Ein 8-Stunden-Tag ohne zusätzliche Unterbrechungen wäre nur bei monotonen einfachen Arbeiten ohne Hektik und ohne höhere Anforderungen an Auffassung und Konzetration zumutbar. Das Heben und Tragen von Lasten ist nur bis zu 5 kg zumutbar, soweit beim Zugreifen nur der zweite bis fünfte Finger beansprucht werden. Handgriffe, die ein kräftigeres Gegendrücken des Daumens gegen die anderen Finger erfordern, sind nicht mehr zumutbar. Die normale Schreibarbeit und das Maschinschreiben sind ohne Unterbrechung nur 30 bis 45 Minunten zumutbar, dann muß die Klägerin 10 bis 15 Minuten einer anderen Tätigkeit nachgehen. Bückbelastungen sollen ein Viertel der Arbeitszeit nicht übersteigen. Auf Grund ihres Leistungskalküls ist sie in ihrer bisherigen Tätigkeit entschieden überfordert, weshalb sie ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann. Auch bei weniger komplexen Büroarbeiten, die einen relativ monotonen Arbeitsablauf ermöglichen (Fakturistin, Statistikerin und andere), ist zeitweise mit Hektik zu rechnen. Da diese Tätigkeiten fast durchgehend mit Schreibarbeiten verbunden sind, wäre zusätzlich der Arbeitsablauf durch die geforderten Pausen beträchtlich gestört. Es gibt in der Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten einfache Tätigkeiten im Bereich des Büro- und Rechnungswesens wie Registraturarbeiten, Ablegetätigkeiten und Botengänge, die dem Leistungskalkül der Klägerin entsprechen. In seiner auf § 273 Abs 1 ASVG gestützten rechtlichen Beurteilung gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, die Klägerin könne wegen der Ähnlichkeit der bisherigen Berufstätigkeit auf eine der angeführten Beschäftigungen der Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrags der Handelsangestellten, nämlich Registraturtätigkeiten, Ablagetätigkeiten und Botendienste verwiesen werden. Bei den angeführten Verweisungstätigkeiten handle es sich nicht um untergeordnete Tätigkeiten, mit denen auch ein unzumutbarer sozialer Abstieg nicht verbunden wäre.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab. Überdies trug es der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von monatlich S 5.000,-- ab 1.5.1988 auf. Das Berufungsgericht stellte ergänzend fest, daß die Klägerin bis vor wenigen Jahren allein im Sekretariat der Krankenpflegeschule des Landeskrankenhauses Salzburg arbeitete. Ihre unmittelbare Vorgesetzte war die Schuloberin. Zentrales Arbeitsgebiet waren Verwaltungs- und Koordinationsaufgaben, die durch Schüler und Kursbesucher anfielen. Im einzelnen ging es um das Ausfüllen von diversen Schulbesuchsbestätigungen, Schreiben von Klassenlisten, Zeugnisvorbereitung, Führung verschiedener Schülerkarteien, regelmäßiges Erstellen von Statistiken, Materialbestellungen, Aufnahme von Stenogrammen und deren Reinschrift mit der Maschine, Entgegennahme von Telefongesprächen und deren Vermittlung über 22 Nebenstellen und die selbständige Beantwortung einfacherer Korrespondenz (Anfragen von Eltern). Die Arbeiten mußten häufig unter Zeitdruck ausgeführt werden. Die vielen Schülerkontakte und die laufend anfallenden Telefongespräche waren weitere streßverstärkende Faktoren.
In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, die Verweisung der Klägerin auf Registraturtätigkeiten und Ablegetätigkeiten nach der Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrags der Handelsangestellten wäre generell zwar möglich, würde aber, betrachte man die bisherige Tätigkeit der Klägerin, einen unzumutbaren sozialen Abstieg bedeuten. Die Klägerin sei unmittelbar der Schuloberin unterstellt gewesen und ihre Tätigkeit sei vom berufskundlichen Sachverständigen zwischen den Beschäftigungsgruppen 3 und 4 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten eingestuft worden. Bei den genannten Verweisungstätigkeiten handle es sich um solche, die gegenüber der bisher ausgeübten Tätigkeit ein erhebliches geringeres Ansehen genießen würden. Eine Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten eines Büroboten oder Bürodieners scheide schon deshalb aus, weil dies keine Angestelltentätigkeiten seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern.
Die Klägerin beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Gemäß § 273 Abs 1 ASVG gilt der Versicherte als berufsunfähig, dessen Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen und geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. In diesem Rahmen muß sich ein Versicherter grundsätzlich auch auf andere, geringere Anforderungen stellende und geringer entlohnte Berufe verweisen lassen, sofern damit nicht ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden ist. Der soziale Abstieg ist unzumutbar, wenn die Verweisungstätigkeit in den Augen der Umwelt ein wesentlich geringeres Ansehen genießt. Die Einstufung einer Tätigkeit in einem Kollektivvertrag bildet dabei einen Anhaltspunkt für die Einschätzung des sozialen Wertes und kann daher zur Beurteilung des sozialen Abstieges herangezogen werden (10 Ob S 160/89 = SSV-NF 3/108 - in Druck; zuletzt etwa 6.2.1990, 10 Ob S 21/90). Der Oberste Gerichtshof hat dazu bereits die Ansicht vertreten, daß die Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten, die einer Beschäftigungsgruppe entsprechen, die der bisherigen Beschäftigungsgruppe unmittelbar nachgeordnet ist, zulässig ist. Durch eine solche Verweisung werden die Unzumutbarkeitsgrenzen nicht überschritten (SSV-NF 3/13, 3/80). Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Klägerin als Vertragsbedienstete des Landes Salzburg in der Entlohnungsgruppe c (Fachdienst) eingereiht war. Voraussetzung für den Fachdienst ist das Allgemeinwissen eines Hauptschülers und ein entsprechendes Fachwissen sowie eine dieser Bildung entsprechende Tätigkeit. Die Einstufung in die Entlohnungsgruppe d (mittlerer Dienst) setzt hingegen kein Fachwissen voraus, dort genügt ein Allgemeinwissen, wie es durch die Hauptschule oder eine ähnliche Vorbildung vermittelt wird. Die Verweisung eines Vertragsbediensteten der Entlohnungsgruppe c (Fachdienst) auf Tätigkeiten, die der Entlohnungsgruppe d (mittlerer Dienst) entsprechen, also einer Entlohnungsgruppe, die der bisherigen unmittelbar nachgeordnet ist, kann nicht anders behandelt werden als die Verweisung innerhalb bestimmter Beschäftigungsgruppen nach dem Kollektivvertrag der Handelsangestellten und muß daher als zulässig angesehen werden. Der Revision ist aber auch darin beizupflichten, daß die Klägerin auf Grund ihrer überwiegend verrichteten Tätigkeit in die Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten einzustufen gewesen wäre: In dieser Beschäftigungsgruppe werden Angestellte erfaßt, die auf Anweisung schwierige Tätigkeiten selbständig ausführen. Im Büro- und Rechnungswesen sind dies unter anderem Stenotypisten und Phonotypisten, die überwiegend nach allgemeinen Angaben Schriftverkehr selbständig erledigen. Daß die Klägerin ihren Beruf als Sekretärin im Sekretariat einer Krankenpflegeschule alleine ausübte und unmittelbar der Schuloberin unterstellt war, mag mit der Größe dieser Krankenpflegeschule und der Zahl des dort tätigen Personals zusammenhängen, rechtfertigte für sich allein aber nicht die Einstufung in die Beschäftigungsgruppe 4 des genannten Kollektivvertrages, handelt es sich bei der von ihr verrichteten Tätigkeiten doch vorwiegend um rein schematische Arbeiten. Die von der Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung diesbezüglich vermißten Feststellunge, sie sei "sehr selbständig" tätig und "zwischen den Beschäftigungsgruppen 3 und 4, eher zu 4 tendierend" einzustufen gewesen, waren deshalb nicht zu treffen, weil es sich dabei um rechtliche Wertungen der vom Berufungsgericht festgestellten tatsächlichen Tätigkeit der Klägerin handelt. Auch die Frage, auf welche Berufe die Klägerin verwiesen werden kann, ist entgegen ihrer Ansicht nicht eine Tat-, sondern eine Rechtsfrage.
In der Regel können Angestellte, die in die Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte einzustufen wären, auf Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 verwiesen werden, weil damit kein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden ist (SSV-NF 3/80; 10 Ob S 329/89 = SSV-NF 3/156 - in Druck). Die Klägerin kann auf Grund ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten zumindest einzelne der in der Beschäftigungsgruppe 2 des angeführten Kollektivvertrags genannten einfachen Tätigkeiten im Büro- und Rechnungswesen, wie etwa die Tätigkeit in einer Registratur oder Kartei, die Tätigkeit einer Fakturistin, die nach vorbereiteten Unterlagen fakturiert, oder die Tätigkeit einer Hilfskraft in der Buchhaltung, Lohn- oder Gehaltsverrechnung und Statistik, aber auch Ablagetätigkeiten ausführen. Bei allen diesen Tätigkeiten handelt es sich um nicht bloß untergeordnete Kanzleiarbeiten, für die daher gemäß § 1 Abs 1 AngG dieses Gesetz gilt. Es ist hiebei offenkundig, daß sie das Leistungskalkül der Klägerin nicht übersteigen, daß hiefür eine kurze Einschulungszeit genügt und daß Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in entsprechender Anzahl vorhanden sind (SSV-NF 2/20; 10 Ob S 329/89 ua). Aber auch ausgehend vom Entlohnungsschema des Vertragsbedienstetenrechtes wäre die Klägerin etwa im Landesdienst auf zahlreiche Tätigkeiten in der Entlohnungsgruppe d (mittlerer Dienst) verweisbar. Dem Berufungsgericht ist allerdings darin beizupflichten, daß eine Verweisung eines Angestellten auf Tätigkeiten eines Büroboten oder Bürodieners schon deshalb ausscheidet, weil dies keine Angestelltentätigkeit iS des § 1 AngG sind (10 Ob S 193/89 = SSV-NF 3/123 - in Druck).
Da die Klägerin noch verschiedene Bürotätigkeiten auch unter Berücksichtigung der bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit ausgehend vom aktuellen Gesundheitsszustand ohne Einschränkung ausüben kann, kommt ihrem Klagebegehren keine Berechtigung zu. Deshalb braucht auch auf die Frage nicht eingegangen zu werden, welche Bedeutung es hat, daß die Klägerin in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausschließlich als Teilzeitkraft mit einer Wochenarbeitszeit von 25 Stunden tätig war, ihre Belastbarkeit im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung aber von den Vorinstanzen nicht geprüft wurde (die Ermittlung ihres Leistungskalküls geht von einem 8-Stunden-Tag aus). In Stattgebung der Revision war daher das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenersatz an die unterlegene Klägerin nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.
Anmerkung
E21537European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00172.9.0508.000Dokumentnummer
JJT_19900508_OGH0002_010OBS00172_9000000_000