TE OGH 1990/5/8 10ObS174/90

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Veröffentlicht am 08.05.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Robert Renner und Dr. Raimund Kabelka (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margaretha D***, Pensionistin, 2230 Gänserndorf, Wiesengasse 17, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei S*** DER B***,

1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 1989, GZ 32 Rs 215/89-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 16. Juni 1989, GZ 17 Cgs 169/88-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 28.11.1988 den am 2.11.1988 von der Klägerin gestellten Antrag auf Zuerkennung des Hilflosenzuschusses zur Witwenpension gemäß § 70 BSVG ab. Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt. Die Klägerin sei auf Grund ihrer - näher festgestellten - Beschwerden "gerechtfertigterweise" in einem Altersheim untergebracht. Allein der Umstand, daß dieses Altersheim über den entsprechenden Komfort verfüge und der Klägerin viele tägliche Handgriffe abgenommen würden, wie etwa Kochen und Einkaufen, befreie das Gericht nicht von der Prüfung, wie die Klägerin ohne Unterbringung in einem Heim den Alltag bewältigen könnte. Auf Grund ihrer Leiden wäre sie in vielfältiger Weise auf Dienstleistungen dritter Personen angewiesen; sie habe auch für die Heimunterbringung aufzukommen und bezahle hiedurch indirekt jene Dienstleistungen, die sie nicht mehr selbst verrichten könne. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Klägerin nicht einkaufen und das Haus nur kurzfristig bei gutem Wetter verlassen könne, daß sie nicht allein duschen, nur kleine und leichte Aufräumarbeiten besorgen, keine komplette Mahlzeit zubereiten und einen Ofen nicht mehr bedienen könne, hätte sie monatlich zumindest den derzeitigen Mindesthilflosenzuschuß auszulegen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Das Erstgericht stellte unter anderem fest, der Klägerin sei das Bettenmachen nicht mehr möglich (Seite 3 des Ersturteils). Diese Feststellung blieb von der beklagten Partei, die in ihrer Berufung nur den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (nicht aber Aktenwidrigkeit oder unrichtige Tatsachenfeststellung) geltend machte, unbekämpft. Mangels ausdrücklicher Anfechtung der betreffenden Feststellung war sie vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Eine in der Berufung nicht erhobene Aktenwidrigkeitsrüge kann nach ständiger Rechtsprechung in der Revision nicht nachgetragen werden (JBl. 1959, 458; EFSlg 23.153, 39.269, 55.112 ua; auf die Fälle, in denen der Revisionswerber bereits in erster Instanz in diesem Punkte unterlegen war und die Aktenwidrigkeit bereits für das Ersturteil kausal war, einschränkend Fasching, Komm. IV 320 Anm. 21; ähnlich ZPR2 Rz 1913). Es ist kein Grund ersichtlich, warum dies in Sozialrechtssachen anders sein sollte (vgl. SSV-NF 1/68 zu den in der Berufung nicht gerügten Verfahrensmängeln erster Instanz). Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist zutreffend (§ 48 ASGG). Die derzeit 77 Jahre alte Klägerin bedarf für die gründliche Körperreinigung, zum Einkaufen, offenbar auch zum Besorgen der Medikamente, zum gründlichen Aufräumen und Reinigen der Wohnung, zum Aufkehren, zum Bettenmachen, zum Waschen der großen Wäsche, zum Bügeln, Bedienen eines Ofens zur Zubereitung einer kompletten Mahlzeit sowie beim Stiegensteigen und bei der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels fremder Hilfe. Sie kann sich weder bücken noch niederhocken und kann auch nicht stehen, um irgendwelche Tätigkeiten im Haushalt durchzuführen. Damit erreicht der finanzielle Aufwand der Klägerin für fremde Hilfe die Höhe des Mindesthilflosenzuschusses. Der Umstand, daß die Klägerin in einem Altersheim untergebracht ist, hat bei Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses ebenso außer Betracht zu bleiben wie in anderen Fällen das Vorhandensein einer Pflegeperson zur Betreuung (SSV-NF 2/86), wozu das Berufungsgericht richtig anmerkte, daß es keinen Unterschied machen kann, ob jemand Hilfskräfte bezahlt oder sich in ein Alters- oder Pflegeheim begibt, weil die physischen Funktionen zum Besorgen der wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens nicht mehr ausreichen. Daß die Unterbringung in einem Altersheim und die dort gewährte Betreuung für den Hilflosenzuschuß ohne Bedeutung sind, ergibt sich auch aus § 173 Abs 3 BSVG (§ 324 Abs 3 ASVG), wonach dann, wenn ein Pensionsberechtigter auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe in einem Altersheim verpflegt wird, für die Zeit dieser Pflege auch ein allfälliger Anspruch auf Hilflosenzuschuß bis zu 80 vH auf den Träger der Sozialhilfe übergeht (vgl. Teschner ASVG 48. ErgLfg 1552 Anm 10 zu § 324). Gemäß § 70 Abs 3 BSVG (§ 105 a Abs 3 ASVG) ruht der Hilflosenzuschuß während der Pflege in einer Krankenanstalt, Heilanstalt oder Siechenanstalt ab dem Beginn der 5. Woche dieser Pflege, wenn ein Träger der Sozialversicherung die Kosten der Pflege trägt. Der Aufenthalt eines Pensionisten in einem Altersheim führt hingegen nicht zum Ruhen des Hilflosenzuschusses (Teschner ASVG

47. ErgLfg 616 Anm 9 zu § 105 a; vgl. auch OLG Wien SSV 3/96). Entscheidend im Sinne der ständigen Rechtsprechung (SSV-NF 1/46 uva) ist jener Standard der Wohnung und der Hilfsmittel, wie er unter nicht hilflosen Beziehern gleich hoher Einkommen im selben Lebenskreis üblich ist. Wie das Berufungsgericht treffend ausführte, sind etwa Lifte und Fußbodenheizungen in bäuerlichen Kreisen nicht üblich.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E21044

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00174.9.0508.000

Dokumentnummer

JJT_19900508_OGH0002_010OBS00174_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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