Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka (Arbeitgeber) und Monika Fischer (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Agnes H***, Hausfrau, Katsdorf 25, 4223 Katsdorf, vertreten durch Dr. Peter Baumann, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei
P*** DER A*** (Landesstelle Linz),
Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Witwenpension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Februar 1990, GZ 12 Rs 4/90-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. September 1989, GZ 12 Cgs 273/89-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin war mit dem am 26.3.1989 verstorbenen und bei der beklagten Partei pensionsversicherten Anton H*** vom 12.6.1982 bis 1.3.1984 verheiratet. Anläßlich der einvernehmlichen Scheidung am 1.3.1984 schlossen die Ehegatten folgende Vereinbarung:
"1. Die Antragsteller verzichten wechselseitig und unwiderruflich auf jedweden Unterhalt auch für den Fall der Not, der Gesetzesänderung und der Änderung der Verhältnisse.
2. Festgehalten wird, daß die Ehewohnung bereits von beiden Antragstellern verlassen wurde, daß das eheliche Gebrauchsvermögen bereits aufgeteilt wurde.
3.
Eheliche Ersparnisse sind nicht vorhanden.
4.
Anton Adolf H*** verpflichtet sich, den von Agnes H*** bei der Sparkasse Pregarten und Unterweißenbach aufgenommenen Kontokorrentkredit von ursprünglich 70.000 S, für den er sich verbürgt hat, allein zurückzuzahlen und Agnes H*** diesbezüglich schad- und klaglos zu halten.
5. Die Ehegatten verzichten sohin auf die Durchführung eines Aufteilungsverfahrens im Sinn des § 81 ff EheG."
Im Anschluß an diese Vereinbarung wurde nach Einvernahme der beiden Parteien die Ehe gemäß § 55 a EheG geschieden. Mit ihrer gegen den abweislichen Bescheid der beklagten Partei vom 9.6.1989 gerichteten Klage begehrt die Klägerin die Witwenpension im gesetzlichen Ausmaß. Der Vereinbarung bei Gericht sei eine Vereinbarung vor der Scheidung vorangegangen, in der sich der Verstorbene verpflichtet habe, alle aushaftenden Schulden im Gesamtbetrag von 560.000 S allein zurückzubezahlen, was die Bedingung für den Verzicht der Klägerin auf Unterhalt gewesen sei. Da die Rückzahlung der Kredite ansonsten der Klägerin zumindest zur Hälfte aufgelastet worden wäre, hätten die Ehegatten im Einvernehmen diese Rückzahlungsvereinbarung als eine Unterhaltsvereinbarung zumindest in der Höhe der aushaftenden Schulden betrachtet. Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab. Ein Unterhaltstitel im Sinn des § 258 Abs 4 ASVG liege nicht vor, insbesonders auch deshalb, weil sich aus der behaupteten Vereinbarung ein konkreter Unterhalt nicht bestimmen lasse. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die Übernahme von bereits bestehenden Verbindlichkeiten könne schon deshalb keine Unterhaltsvereinbarung sein, weil damit kein Beitrag zur Deckung der laufenden und künftigen Bedürfnisse geleistet werde, sondern nur festgelegt werde, wer in welchem Ausmaß für die Rückzahlung bereits bestehender Schulden aufzukommen habe. Die Aufteilung bestehender Verbindlichkeiten sei aber ebenso wie die Aufteilung tatsächlich vorhandenen Vermögens keine Angelegenheit des Unterhaltes, sondern, sofern keine Einigung der Ehegatten erreichbar sei, eine solche der nachehelichen Vermögensauseinandersetzung. Daß die Übernahme der Rückzahlungsverpflichtung durch den verstorbenen Gatten für die Klägerin das Motiv gewesen sei, auf Unterhalt zu verzichten, sei ohne rechtliche Bedeutung, weil es für den Anspruch auf Witwenpension nicht genüge, daß in einem Vergleich auf Unterhalt nur unter bestimmten Bedingungen verzichtet werde. Die Vereinbarung, daß der verstorbene Ehegatte bestimmte Verbindlichkeiten übernehme, könne auch schon deshalb keine taugliche Unterhaltsvereinbarung im Sinn des § 258 Abs 4 iVm § 264 Abs 4 ASVG sein, weil aus der behaupteten Vereinbarung auf die bestimmte Höhe einer regelmäßigen Unterhaltsleistung nicht geschlossen werden könne, zumal ein Vorbringen dazu fehle, ob die Kreditverbindlichkeit überhaupt in Raten, und wenn in welchen Raten sie zurückzuzahlen gewesen sei. Es fehle daher jede Behauptung über eine bestimmte Unterhaltsvereinbarung, die für einen Anspruch auf Witwenpension hinreichen könnte.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinn des Eventualantrages berechtigt. Die Witwenpension gebührt gemäß § 258 Abs 4 ASVG nach Maßgabe der dieser Bestimmung vorangehenden Absätze unter anderem auch der Frau, deren Ehe mit dem Versicherten für nichtig erklärt, aufgehoben oder geschieden worden ist, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes einen Unterhaltsbeitrag aufgrund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor Auflösung (Nichtigerklärung) der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte, und zwar sofern und solange die Frau nicht eine neue Ehe geschlossen hat. Nach dem Wortlaut des Gesetzes hängt der Anspruch auf Witwenpension davon ab, ob dem hinterbliebenen (geschiedenen) Ehegatten aufgrund eines der drei im Gesetz angeführten rechtsbegründenden Tatbestände im Zeitpunkt des Todes ein Anspruch auf Unterhalt zustand. Während das Gesetz für die ersten beiden Fälle des § 258 Abs 4 ASVG Formvorschriften (gerichtliches Urteil, gerichtlicher Vergleich) normiert, fehlt eine solche Anordnung für den dritten Fall. Die vertragliche Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt im Sinn des § 258 Abs 4
3. Fall ASVG ist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, für das die Einigung der Vertragsteile über die Leistung wesentlich ist. Da im bürgerlichen Recht besondere Formvorschriften für Unterhaltsvereinbarungen von Ehegatten nicht bestehen, ist gemäß § 883 ABGB auch eine bloß mündlich zustande gekommene Vereinbarung für den wirksamen Vertragsabschluß ausreichend. Soll der Vertrag den Erfordernissen des § 258 Abs 4 ASVG iVm § 264 Abs 4 ASVG gerecht werden, muß die Leistung darüber hinaus bestimmbar sein. Die Leistung muß also in solcher Weise bezeichnet sein, daß sie sich aus der Vereinbarung selbst entweder unmittelbar oder mittelbar objektiv feststellen läßt. Die Bestimmtheit der Vereinbarung ist insbesonders auch deshalb notwendig, weil die Höhe der Hinterbliebenenpension von der Höhe des vereinbarten Unterhaltes abhängig ist. Ausgehend von dem von der Klägerin behaupteten Sachverhalt kann das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht von vornherein verneint werden. Sie brachte dazu vor, daß sie vor der Scheidung der Ehe mit ihrem damaligen Gatten eine Vereinbarung geschlossen habe, derzufolge sich dieser verpflichtet habe, alle aushaftenden Schulden im Gesamtausmaß von 560.000 S allein zurückzuzahlen, wobei beide Ehegatten einvernehmlich diese Rückzahlungsvereinbarung als Unterhaltsleistung in der Höhe der aushaftenden Schulden betrachtet hätten. Es spricht grundsätzlich nichts dagegen, daß die Unterhaltszahlung in der Form geleistet wird, daß der Unterhaltspflichtige die Unterhaltsbeträge nicht unmittelbar dem Unterhaltsberechtigten zur Verfügung stellt, sondern die Beträge vereinbarungsgemäß dazu verwendet, um damit den Unterhaltsberechtigten belastende Verbindlichkeiten abzudecken. Damit steht dem Unterhaltsberechtigten aus eigenem Einkommen ein um die laufenden Rückzahlungsraten erhöhter Betrag für Zwecke des Unterhalts zur Verfügung. Die vereinfachte Zahlungsweise, die Umwegsüberweisungen verhindert, nimmt, wenn dem eine Unterhaltsvereinbarung zugrundeliegt, dieser Zahlung nicht den Charakter einer Unterhaltsleistung. Daß die Höhe der monatlichen Leistungen nicht bestimmt worden wäre, ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht. Jedenfalls wäre diese Frage mit der Klägerin zu erörtern und sie im Sinn des § 39 Abs 2 Z 1 ASGG zu einem ergänzenden Vorbringen anzuleiten gewesen; die monatliche Unterhaltsleistung könnte sich, sofern dem eine entsprechende Vereinbarung der Streitteile zugrundeliegt, aus der Höhe der monatlichen Rückzahlungsraten ergeben.
Die Tatsache, daß Gegenstand der anläßlich der Scheidung im gerichtlichen Protokoll beurkundeten Vereinbarung unter anderem ein Verzicht auf Unterhaltsleistung war, steht dem nicht unbedingt entgegen. Wie bei jeder Vereinbarung (auch bei gerichtlichen Vergleichen - EFSlg 48.579) hat die Auslegung nach § 914 ABGB zu erfolgen. Eigentliches Ziel der einfachen Auslegung ist dabei die Feststellung der Absicht der Parteien (Rummel in Rummel, Rz 4 zu § 914 ABGB), auch wenn der Wortsinn in eine andere Richtung zu weisen scheint. Der vom objektiven Erklärungswert abweichende Wille, den der andere Teil erkannt hat, geht vor (Rummel aaO Rz 6 zu § 871). Das muß umsomehr gelten, wenn bei beiden Parteien Übereinstimmung über einen vom schriftlichen Text abweichenden Inhalt einer Vereinbarung besteht. Der Wortlaut der Erklärung darf der Ermittlung der Absicht der Parteien nicht im Wege stehen (so auch Rummel aaO Rz 4 zu § 914 ABGB).
Es ist daher erforderlich zu prüfen, welche Vereinbarungen die Parteien vor bzw. anläßlich der Scheidung getroffen haben. Sollte Gegenstand dieser Vereinbarungen tatsächlich die Verpflichtung des Verstorbenen zur Unterhaltsleistung in der Form gewesen sein, daß er die Rückzahlung von die Klägerin belastenden Darlehen übernahm, so könnte diese (mit dem vorgesehenen Endzeitpunkt der Kreditrückzahlung) befristete Unterhaltsleistung in diesem Umfang eine taugliche Grundlage für die Witwenpension gemäß § 258 Abs 4 ASVG bilden.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E20779European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00190.9.0508.000Dokumentnummer
JJT_19900508_OGH0002_010OBS00190_9000000_000