Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Schwarz, Dr.Graf und Dr.Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna Katharina B***, Pensionistin, Wien 12., Rechte Wienzeile 231/9, vertreten durch Dr.Alfred Richter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei prot. Firma "T***-K***" G.S***, Wien 1., Postgasse 2, vertreten durch Dr.Rudolf Harramach, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 84.277 sA und Feststellung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 21.Dezember 1988, GZ 14 R 95/88-26, womit das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 27.Dezember 1987, GZ 27 Cg 282/85-20, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrte von der beklagten Partei die Zahlung von S 84.277 sA (Sachschaden, Schmerzengeld, Aufwendungen für Taxifahrten) und stellte ein mit S 15.000 bewertetes Feststellungsbegehren mit der Begründung, sie sei am 29.10.1982 in dem als Restaurant geführten T***-K*** auf dem Weg vom ersten in den (tiefer gelegenen) zweiten Keller über Stufen gestürzt, weil diese nicht den Vorschriften der Bauordnung entsprechend durch Anhaltestangen gesichert und in ihrer ganzen Länge in gleicher Höhe und Breite ausgeführt gewesen seien.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, der T***-K*** hätte allen erforderlichen baurechtlichen Genehmigungen entsprochen, Anhaltestangen seien vorhanden gewesen und die Klägerin sei durch den Sturz überhaupt nicht geschädigt worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:
Der seit mehreren Jahrhunderten bestehende zweite Keller der beklagten Partei war nicht von Anfang an Teil der Betriebsräumlichkeiten des T***-K***, sondern wurde erst später erworben, nachdem er vorher als Lagerraum für eine Blumenhandlung benützt worden war. Der Abgang ist in Naturstein gehauen, wobei die Stufen uneben und verschieden hoch sind. Da die erste flache Stufe in einem Türgewölbe begann, gab es an dieser Stelle keine Anhaltevorrichtung, sondern erst nach der zweiten, tiefer gelegenen Stufe. Das Geländer wäre von der ersten Stufe aus nur durch Vorbeugen und Greifen um den Türstock erreichbar gewesen. Infolge der Ungleichheit und Unebenheit der Stufen und der praktisch gegebenen Unmöglichkeit, sich schon am Beginn der Treppe am Geländer festzuhalten, kam die Klägerin (als Besucherin des Gastlokales) zu Sturz und erlitt dabei Verletzungen.
Die Eröffnung eines allgemeinen Verkehrs auf einem aus Naturstein gehauenen, mehrere Jahrhunderte lang benützten Abgang sei üblich und völlig unbedenklich, wenn auch die seinerzeitige Bauweise mit der heutigen nicht immer übereinstimme und gelegentlich weniger Trittsicherheit biete. Der Sturz auf einer solchen Strecke müsse dem allgemeinen Lebensrisiko zugeordnet werden. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin annehme, daß bei Genehmigung der Betriebsanlage die in der Wiener Bauordnung normierten Schutzgesetze nicht beachtet worden sein sollten, sei für die Klägerin nichts gewonnen, weil ein darin gelegenes allfälliges Verschulden der Behörde der beklagten Partei nicht angelastet werden könne. Der Betrieb sei mehrfach bau- und gewerbebehördlich geprüft worden, ohne daß der Abgang in den zweiten Keller hierbei in irgendeiner Weise beanstandet worden wäre. Die beklagte Partei hätte daher keinen Grund zur Annahme gehabt, gegen ein Schutzgesetz zu verstoßen. Dies sei umso weniger anzunehmen, als die Verhältnisse an der Unfallstelle nicht anders seien, als in zahlreichen anderen in Althäusern untergebrachten Gaststätten in historischen Kellergewölben, bei denen ein Umbau der Stufen dem historischen Charakter Abbruch täte. Eine Verlängerung der Treppengeländer bis zur ersten Stufe scheitere an den geschilderten räumlichen Verhältnissen.
Über Berufung der Klägerin hob das Gericht zweiter Instanz das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung (über die Höhe des geltend gemachten Anspruches) an das Erstgericht zurück. Eine Stiege mit Stufen verschiedener Tritthöhe ohne Handlauf für die gesamte Stiege stelle schon nach der Natur der Sache eine von einem Gastwirt zu erkennende Gefahr für die diese Stiege betretenden Personen dar. Die beklagte Partei hafte daher der Klägerin für den durch den Sturz erlittenen Schaden ohne Rücksicht darauf, ob gegen Vorschriften der Bauordnung verstoßen worden sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000, nicht aber S 300.000 übersteige und daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil zur Frage, ob Gäste durch Betreten historischer Gaststätten eine Gefahrenerhöhung durch nicht der derzeitigen Bauordnung entsprechende Einrichtungen, wie unregelmäßige oder auch abgetretene Stufen und Fehlen eines Handlaufes in Kauf nehmen, oder ob diese Räume in einen verkehrssicheren Zustand gebracht werden müssen, Rechtsprechung fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Zutreffend geht die Lehre entsprechend der von ihr vorgenommenen Einteilung der Schuldverbindlichkeiten (Reischauer in Rummel2 Rz 2 zu §§ 918 ff) in Sorgfaltsverbindlichkeiten (Schuldinhalt ist die Aufwendung zielstrebiger Sorgfalt zur Erreichung des Erfolges) und Erfolgsverbindlichkeiten (Schuldinhalt ist über die Sorgfalt hinaus auch der Erfolg selbst) beim Rechtsverhältnis zwischen dem Gastwirt und dessen Kunden davon aus, daß nicht nur Speisen und Getränke, dargeboten werden, sondern auch der Raum selbst offeriert wird und daher schon ein vor der ersten Bestellung wirksames Schuldverhältnis bezüglich der Sicherheit des Raumes vorliegt (Reischauer in Rummel2 Rz 5 vor § 918 ff). Daraus folgt, daß bezüglich der Sicherheit der Räume nicht nur Sorgfaltspflichtigen bestehen, sondern ein ohne Gefährdung der Person benützbarer Raum selbst geschuldet wird (vgl SZ 48/100, worin - bei sonst theoretisch anderer Begründung - von einer vertraglichen Pflicht zur Bereitstellung gefahrloser Sitzgelegenheiten, also einer Erfolgsverbindlichkeit, ausgegangen wird).
Der von der beklagten Partei bereitgestellte Abgang zwischen den einzelnen Etagen des von ihr betriebenen Gastgewerbeunternehmens bestand aus der Breite und Höhe nach ungleichen Stufen. Vor allem die verschiedene Stufenhöhe stellt ein besonderes Gefahrenmoment dar. Dies ist für jedermann erkennbar, daher vor allem auch für die beklagte Partei, die in solchen Räumen ein Unternehmen mit allgemeinem Publikumsverkehr betreibt und dabei wegen des mit der "Urtümlichkeit" (wie es die beklagte Partei selbst ausdrückt) verbundenen Werbeeffekts bewußt die nicht dem heutigen Standard entsprechende Gestaltung der Stufen einhält. Sie muß daher durch andere geeignete Maßnahmen die mit der Benützung solcher Stufen verbundenen erhöhten Risken ausschalten. Dies kann durch einen die ganze Erstreckung der Stiege erfassenden Handlauf geschehen, weil so der ein solches Lokal aufsuchende Gast seinerseits schon von vornherein durch Anhalten der erhöhten Gefahr entgegenwirken kann oder wenigstens doch noch im Augenblick des Verlustes der Standfestigkeit einen Halt finden kann.
Da die beklagte Partei den geschuldeten Zustand des Gastraumes nicht leistete, trifft sie nach § 1298 ABGB die Beweislast dafür, daß sie ohne ihr Verschulden an der Erfüllung dieser Verbindlichkeit gehindert war (so zur Beweislastumkehr im Falle eines Gastaufnahmevertrages 7 Ob 555/87 unter Hinweis auf JBl 1979, 654 und SZ 34/50).
Es kommt hingegen nicht darauf an, ob die Baubehörde oder sonstige Behörden der beklagten Partei entsprechende Aufträge erteilten oder nicht, weil die beklagte Partei trotz der ihr zuzurechnenden Kenntnis der Gefährlichkeit des Stiegenabganges die ihr zumutbaren Maßnahmen zur Herstellung des geschuldeten Zustandes unterließ (so jüngst 8 Ob 533/89 unter Berufung auf 7 Ob 555/87). Es kommt also nicht darauf an, ob die beklagte Partei eine Schutzvorschrift übertrat, weil zwar die Übertretung einer Schutzvorschrift ihr den Entlastungsbeweis nach § 1311 ABGB aufbürdet, doch nicht ausgeschlossen ist, daß auch eine Haftung ohne Übertretung eines Schutzgesetzes besteht, wie oben ausgeführt wurde. Dem Rekurs der beklagten Partei war daher der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E21473European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0080OB00583.89.0510.000Dokumentnummer
JJT_19900510_OGH0002_0080OB00583_8900000_000