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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FSG 1997 §25 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des J in A, vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in 9900 Lienz, Burghard-Breitner-Straße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 16. Februar 2005, Zl. uvs-2005/13/0211-1, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 4. November 2004 wurde die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für die Klassen A, B und F für die Dauer von vier Monaten gerechnet ab Zustellung dieses Bescheides (9. November 2004) gemäß §§ 24 Abs. 1 Z 1, 25 Abs. 3 und 7 Abs. 3 Z 3 und 4 FSG entzogen. In ihrer Begründung führte die Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am 4. April 2004 um 12.34 Uhr in Ansfelden auf der A 1 ein Kraftfahrzeug gelenkt und dabei die kundgemachte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 52 km/h überschritten und er habe ferner zu einem vor ihm fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Vorstellung.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 22. Dezember 2004 wurde der Vorstellung insofern teilweise Folge gegeben, als die Entziehungsdauer auf drei Monate (gerechnet ab 9. November 2004) herabgesetzt wurde. Ferner wurde ausgesprochen, dass eine dagegen erhobene Berufung keine aufschiebende Wirkung habe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 20. Jänner 2005 Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In ihrer Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land rechtskräftig wegen Verwaltungsübertretungen nach § 52 Z 10a StVO 1960 und § 18 Abs. 1 StVO 1960 jeweils nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 bestraft worden. Mit dieser Bestrafung stehe für die Behörde die Übertretung der Geschwindigkeitsüberschreitung sowie die Übertretung wegen Nichteinhaltens des Sicherheitsabstandes bindend fest. Der Beschwerdeführer sei allerdings nicht nach § 99 Abs. 2 lit. c 1960 (Verstoß beim Überholen "unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern"), sondern nur nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 bestraft worden. Der diesem Verwaltungsverfahren zu Grunde liegenden Anzeige der Verkehrsabteilung Oberösterreich vom 21. Mai 2004 sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer als Lenker eines Pkws auf der A 1 im Gemeindegebiet von Ansfelden die in diesem Bereich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 52 km/h (die in Betracht kommende Messtoleranz sei bereits abgezogen worden) überschritten sowie weiters um 12.35 Uhr bei Einhaltung eines Sicherheitsabstandes von nur ca. 6 m eine Geschwindigkeit von 101 km/h (entspricht einem Abstand von 0,21 sec.) eingehalten habe. Der Beschwerdeführer habe somit zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten, dass ihm ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre, wenn das vordere Fahrzeug überraschend abgebremst worden wäre. Diese Geschwindigkeitsüberschreitung sowie die Nichteinhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes sei von den kontrollierenden Beamten durch Nachfahren im gleichbleibenden Abstand auf einer Strecke von mehreren 100 m mittels "Provideranlage" (richtig wohl: "ProViDa-Anlage" festgestellt worden. Die von den Beamten festgestellte gemessene Geschwindigkeit des Beschwerdeführers habe 161 km/h (unter Abzug der Messtoleranz sei daher die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 52 km/h überschritten worden) betragen.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde zunächst aus, die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung im Ausmaß von 52 km/h stelle "per se bereits einen Führerscheinentzugsgrund im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 4 FSG im Ausmaß von 2 Wochen gemäß § 26 Abs. 3 FSG" dar.
Ferner hätte im gegenständlichen Fall - so führte die belangte Behörde hinsichtlich des anderen vom Beschwerdeführer begangenen, als bestimmte Tatsache im Sinn des § 7 Abs. 3 Z 3 FSG anzusehenden Deliktes aus - der Beschwerdeführer bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 101 km/h zum Vorderfahrzeug einen Sicherheitsabstand von 28,05 m einhalten müssen. Der von ihm eingehaltene Sicherheitsabstand von ca. 6 m entspreche einem Abstand von 0,21 Sekunden. Dies bedeute, dass der Beschwerdeführer mit dem von ihm eingehaltenen Sicherheitsabstand von 6 m nicht einmal ein Viertel des von ihm einzuhaltenden gesetzlichen Sicherheitsabstandes von 28,05 m eingehalten habe. Bei einem derart geringen Sicherheitsabstand hätte der Beschwerdeführer keine wie immer geartete Möglichkeit gehabt, sein Fahrzeug rechtzeitig anzuhalten und einen Auffahrunfall zu vermeiden, wenn das vordere Fahrzeug plötzlich und für ihn unvermutet abgebremst worden wäre.
Die Erstbehörde sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer durch das Einhalten eines derart geringen Sicherheitsabstandes von 6 m bei einer eingehaltenen Geschwindigkeit von 101 km/h ein Verhalten gesetzt habe, das unter den im § 7 Abs. 3 Z 3 FSG verankerten Begriff "durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten gesetzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen" zu subsumieren sei. Es müsse daher dem Beschwerdeführer die Verkehrszuverlässigkeit für die Dauer von 3 Monaten abgesprochen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Rechtsvorschriften des Führerscheingesetzes - FSG lauten (auszugsweise):
"Verkehrszuverlässigkeit
§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen
1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder
...
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
...
3. als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen oder das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen;
4. die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschritten hat und diese Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt wurde;
....
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
...
Dauer der Entziehung
§ 25. ...
...
(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen.
Sonderfälle der Entziehung
§ 26. ...
...
(3) Im Falle der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 4 genannten Übertretung - sofern die Übertretung nicht geeignet war, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begangen wurde (§ 7 Abs. 3 Z 3) oder auch eine Übertretung gemäß Abs. 1, 2 oder 4 vorliegt - hat die Entziehungsdauer zwei Wochen, bei der zweiten Begehung einer derartigen Übertretung innerhalb von zwei Jahren ab der ersten Begehung sechs Wochen zu betragen."
Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde im Wesentlichen vor, dass er zwar durch die Nichteinhaltung eines angemessenen Mindestabstandes beim Hintereinanderfahren ein Verhalten gesetzt habe, das an sich geeignet sei, gefährliche Verhältnisse herbeizuführen. Fraglich sei aber, ob dieses Verhalten auch geeignet gewesen sei, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen. Nähere Feststellungen hinsichtlich der Begleitumstände dazu seien unerlässlich, weil dann, wenn die Kraftfahrbehörde außerhalb der Bindungswirkung der Strafverfügung selbst beurteile, ob ein Verhalten im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 3 gesetzt worden sei, sie auch entsprechend begründete Feststellungen zu treffen habe. Insbesondere auch unter Bedachtnahme auf die nunmehr geltende 7. Führerscheingesetz-Novelle, wonach im System des neuen "Punkteführerscheins" künftig die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes von nur 0,2 bis 0,4 Sekunden dazu führe, dass beim ersten Verstoß eine Verwarnung erfolge, beim zweiten Verstoß eine Nachschulung erfolge, beim dritten Verstoß der Führerscheinentzug für drei Monate erfolge, sei zwar die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes von nur 0,2 bis 0,4 Sekunden als gefährlich, keinesfalls aber als "besonders gefährlich" anzusehen, blieben doch ungeachtet der Novelle die bisherigen Tatbestände des § 7 FSG aufrecht, sodass der hier gegebene Wertungswiderspruch entsprechend zu begründen wäre.
Die Beschwerde ist im Ergebnis zielführend.
Die belangte Behörde hat die Entscheidung der erstinstanzlichen Behörde, womit die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für die Dauer von 3 Monaten, gerechnet ab 9. November 2004, entzogen wurde, also bis 9. Feber 2005, bestätigt. Tatzeit war der 4. April 2004, die belangte Behörde hat damit eine Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers von mehr als 10 Monaten angenommen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer, wie er vorbringt, eine bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z 3 FSG nicht verwirklicht hat, oder ob er nicht doch durch die Einhaltung eines Tiefenabstandes von lediglich rd. 6 m beim Lenken seines Kraftfahrzeuges mit einer Geschwindigkeit von 101 km/h ein Verhalten gesetzt hat, das an sich geeignet war, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, wie es der Annahme der belangten Behörde - die sich unter anderem auch auf die im Akt erliegenden Fotos, die aus dem nachfahrenden Dienstfahrzeug gemacht wurden, stützen konnte - entspricht. Denn auch unter der Voraussetzung, dass im Hinblick auf das in Rede stehende Verhalten des Beschwerdeführers von einer bestimmten Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z 3 FSG auszugehen wäre, ist angesichts der Länge der seither verstrichenen Zeit und des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers nach dieser Tat - weitere danach begangene Delikte hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt - die angenommene Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit, selbst unter Bedachtnahme auf die von der erstinstanzlichen Behörde erwähnten einschlägigen Vordelikte des Beschwerdeführers, als zu lange anzusehen, sodass im Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 4. November 2004, der am 9. November 2004 zugestellt wurde, eine Entziehung der Lenkberechtigung selbst für die in § 25 Abs. 3 FSG vorgesehene Mindestentziehungsdauer von 3 Monaten nicht mehr in Betracht kam. Die Entziehung der Lenkberechtigung erweist sich daher insoweit als rechtswidrig.
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren den erstinstanzlichen Bescheid dahin abzuändern haben, dass sie die Entziehungszeit im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 FSG auf zwei Wochen zu verkürzen hat.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Die vom Beschwerdeführer beantragte Umsatzsteuer war nicht gesondert zuzusprechen, weil sie bereits im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist. Auch die begehrte Gebühr für den Erlagschein in der Höhe von 2 Euro gehört nicht zu der in § 48
Abs. 1 Z 1 VwGG als ersatzfähig angeführten Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG (siehe das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 2002, Zl. 2002/17/0038).
Wien, am 24. November 2005
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005110114.X00Im RIS seit
08.01.2006