Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Schwarz, Dr. Graf und Dr. Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eveline K***, geboren 20. November 1936, Wien, Angestellte, Ospelgasse 17/14, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Leopold K***, geboren 18. März 1932, Wien, Schlossermeister, Gartengasse 2, 2100 Leobendorf, vertreten durch Dr. Erhard Mack, Rechtsanwalt in Korneuburg, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 18. Oktober 1989, GZ 5 R 249/88-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Korneuburg vom 21. April 1988, GZ 1 C 43/87-8, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahingehend abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei auch die mit S 10.246,50 bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens (darin S 1.029,-- Umsatzsteuer und S 1.500,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile haben am 29.5.1954 die beiderseits erste Ehe geschlossen. Ehepakte wurden nicht errichtet. Letzter gemeinsamer Wohnsitz war in Leobendorf. Der Ehe entstammen drei Kinder, wobei lediglich der jüngste, 1970 geborene Sohn Alexander noch im elterlichen Haushalt lebt und kein eigenes Einkommen bezieht. Die Klägerin begehrt, gestützt auf § 49 EheG, die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Die Ehe sei schon lange unglücklich gewesen und nur wegen der Kinder aufrechterhalten worden. Sie sei wegen der autoritären Art und Weise des Beklagten psychisch erkrankt, weil er die Familie unterdrücke und ihr keinen persönlichen Spielraum lasse. Er habe sie sogar einmal geschlagen und eingesperrt, als sie ihm sagte, sie wolle sich scheiden lassen. Der Beklagte bestreitet dieses Vorbringen und beantragt Klagsabweisung. In eventu stellt er einen Mitschuldantrag dahin, daß das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe die Klägerin treffe. Sie habe ohne Veranlassung außereheliche Beziehungen aufgenommen, im Frühjahr 1987 die eheliche Gemeinschaft eigenmächtig aufgelöst und lebe seit diesem Zeitpunkt in ehebrecherischen Beziehungen zu Josef F***.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Hiebei traf es folgende für das Revisionsverfahren noch wesentliche Feststellungen:
Die Klägerin unterhielt mit Josef F*** ehebrecherische Beziehungen und wollte Anfang Juli 1987 die eheliche Gemeinschaft einseitig auflösen und den ehelichen Haushalt verlassen. Hiebei kam es zu mehrtägigen Debatten, die insgesamt ergebnislos verliefen, weil die Klägerin dem Beklagten nicht klarmachen konnte, daß die Auflösung der ehelichen Gemeinschaft das Richtige sei, und er nicht die Klägerin vom Gegenteil überzeugen konnte. Schließlich erklärte sich die Klägerin am 5.7.1987 bereit, es sich noch einmal zu überlegen und die eheliche Gemeinschaft mit dem Beklagten fortzusetzen. Aber bereits am 6.7.1987 kam es zu weiteren Auseinandersetzungen, im Zuge derer die Klägerin alle Blumentöpfe zerschlug, mit einem Kleiderbügel dem Beklagten einen Zahn aus seiner Prothese ausschlug und sein Uhrglas beschädigte. Der Beklagte wollte den Hausarzt anrufen, der die Klägerin beruhigen sollte, und versperrte zu diesem Zweck kurzfristig die Wohnungstür, um telefonieren zu gehen. Während dieser Zeit wollte die Klägerin über den Balkon flüchten. Sie war mit dem Körper bereits draußen, als sie der Beklagte am Arm zurückhielt und wieder ins Zimmer ziehen wollte. Im Zuge dieses Vorfalles erlitt die Klägerin dadurch, daß sie der Beklagte am Arm hielt, einen Bluterguß am linken Oberarm. In der Folge gelang es der Klägerin doch zu flüchten; sie zog zu F*** und lebt seither mit ihm in Lebensgemeinschaft.
Abgesehen vom Vorfall am 6.7.1987 konnte ein Verhalten, das dem Beklagten als schwere Eheverfehlung angelastet werden könnte, nicht festgestellt werden.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, ein Ehegatte könne Scheidung nach § 49 EheG nur dann begehren, wenn der andere durch schwere Eheverfehlungen oder ehrloses oder unsittliches Verhalten die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet habe, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden könne. Wer selbst eine schwere Verfehlung begangen habe, könne die Scheidung nicht begehren, wenn nach der Art seiner Verfehlung, insbesondere wegen des Zusammenhangs der Verfehlung des anderen Ehegatten mit seinem eigenen Verschulden sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt sei. Dies sei hier der Fall. Die Streitigkeiten und Vorfälle von Anfang Juli 1987 seien im Zusammenhang mit der Zuwendung der Klägerin zu einem anderen Mann zu sehen. Sie sei es, die letztlich schwere Eheverfehlungen und auch Ehebruch begangen habe. Dem Beklagten könnten hingegen Eheverfehlungen nicht nachgewiesen werden. Die Vorfälle vom Juli 1987 seien lediglich durch das Verhalten der Klägerin ausgelöst worden; andere Eheverfehlungen lägen nicht vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahingehend ab, daß es die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin schied. Es übernahm zwar die erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich, meinte aber, dem Beklagten sei als grobe Eheverfehlung anzulasten, daß er die Klägerin kurzzeitig einsperrte, sie am Arm festhielt und vom Balkon wieder hereinziehen wollte, wodurch diese einen Bluterguß am linken Oberarm erlitten habe. Diese Maßnahmen könnten nicht mehr als verständliche Reaktionshandlung auf das vorangegangene ehewidrige Verhalten der Klägerin angesehen und entschuldigt werden. Der Klägerin seien jedoch schwerwiegende Eheverfehlungen vorzuwerfen. Sie sei es gewesen, die während eines berufsbedingten Urlaubs mit einem anderen Mann eine nähere Beziehung einging und diese Beziehung zum Anlaß nehmen wollte, die eheliche Gemeinschaft aufzugeben und die Ehewohnung zu verlassen. An diesem Vorhaben habe sie der Beklagte durch Versperren der Tür nur kurzzeitig hindern können; sie sei sofort nach ihrer Flucht über den Balkon zu ihrem Freund gezogen und lebe mit diesem seither in Lebensgemeinschaft. Hieraus folge, daß das die Zerrüttung der Ehe einleitende Fehlverhalten zweifellos von der Klägerin gesetzt wurde. Sie habe damit die Grundlage der Ehe unwiederbringlich zerstört; die Ehe sei unheilbar zerrüttet. Die Ehe sei daher aus ihrem überwiegenden Verschulden zu scheiden, weil es ausreiche, daß nur bei einem der Ehegatten (hier der Klägerin) die eheliche Gesinnung nicht mehr aufgebracht werden könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben und, obwohl sie keine Revision erhoben hat, - im Rahmen der Revisionsbeantwortung unzulässigerweise - das Berufungsurteil dahin abzuändern, daß die Ehe aus gleichteiligem Verschulden geschieden werde.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Beklagten ist berechtigt.
Das Verhalten des Beklagten am 6.7.1987 (kurzfristiges Versperren der Wohnungstür und Festhalten der Klägerin, als sie über den Balkon flüchten wollte) kann im Zusammenhang mit den vorhergehenden schweren Eheverfehlungen der Klägerin und ihrem unmittelbar vorhergehenden Benehmen (Zertrümmerung von Einrichtungsgegenständen; tätliche Angriffe gegen den Beklagten) nicht als schwere Eheverfehlung gewertet werden; sein Verhalten war schließlich dadurch motiviert, daß er einerseits an der Ehe festhalten und andererseits die offensichtlich psychisch angegriffene Klägerin an unüberlegten Handlungen hindern wollte. Selbst wenn man in diesem Verhalten des Beklagten eine Verfehlung erblicken wollte, war hiefür jedenfalls einzig und allein das unmittelbar vorangegangene schuldhafte Verhalten der Klägerin kausal, sodaß das Scheidungsbegehren der Klägerin keinesfalls darauf gestützt werden kann (EFSlg 57.140 uva; insbes. 54.400). Die Ehe der Streitteile ist zwar durch das Verhalten der Klägerin (Ehebruch, einseitige Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft und Zusammenleben mit einem anderen Mann) unheilbar zerrüttet. Dies reicht aber zu einer Scheidung nicht aus. Scheidung kann nur begehren, wenn der andere Teil durch eine schwere Eheverfehlung oder ehrloses oder unsittliches Verhalten die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann. Das auf § 49 EheG gestützte Scheidungsbegehren der Klägerin ist daher mangels schwerer Eheverfehlung des Beklagten abzuweisen. Der Klägerin steht es frei, nach dreijähriger Trennung erneut eine nunmehr auf § 55 EheG gestützte Scheidungsklage einzubringen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E21019European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0080OB00559.9.0510.000Dokumentnummer
JJT_19900510_OGH0002_0080OB00559_9000000_000