Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23.Mai 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofko als Schriftführerin in der Strafsache gegen Günter H*** wegen des Verbrechens des Raubes nach dem § 142 Abs 1 und 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 6.März 1990, GZ 10 Vr 177/90-17, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 11.März 1964 geborene Günter H*** wurde mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens des Raubes nach dem § 142 Abs 1 und 2 StGB schuldig erkannt, weil er am 14.Dezember 1989 in Graz seine Mutter, indem er sie an den Oberarmen erfaßte, schüttelte und ihr zahlreiche Stöße versetzte und dabei wiederholt die Herausgabe von Geld forderte, mit Gewalt und dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Genötigten unrechtmäßg zu bereichern, zur Herausgabe von 40 S nötigte.
Dagegen wendet sich der Angeklagte mit einer (als Berufung wegen Nichtigkeit bezeichneten) Nichtigkeitsbeschwerde
(vgl Mayerhofer-Rieder, StPO2, ENr 35 zu § 280), die auf den § 281 Abs 1 Z 5, 5 a, 9 lit a und 10 StPO gestützt wird. Den Strafausspruch bekämpft er mit Berufung.
Rechtliche Beurteilung
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht berechtigt.
Als Begründungsmangel (Z 5) wird zunächst gerügt, das Erstgericht habe sich lediglich auf die Zeugenaussage des Polizeibeamten Peter D*** gestützt, der kein Tatzeuge war. Es habe auch unzulässigerweise ein "über sieben Jahre zurückliegendes Urteil", in welchem dem Angeklagten ähnliches Verhalten vorgeworfen worden war, zur Sachverhaltsfeststellung herangezogen. Offenbar unzureichende Gründe für den Ausspruch des Gerichtshofes über entscheidende Tatsachen in einer die Nichtigkeit der Entscheidung bewirkenden Weise liegen nur dann vor, wenn für diesen Ausspruch überhaupt keine oder nur solche Gründe (Scheingründe) angegeben sind, aus denen sich nach den Denkgesetzen und nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Schluß auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen läßt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist (EvBl 1972/17). Die Tatrichter haben sich zwar zur Begründung der relevanten Feststellungen einerseits auf die Aussage des Zeugen Peter D*** gestützt, also jenes Polizeibeamten, dem das Tatopfer den Sachverhalt schilderte, nachdem dessen Schwester aus Furcht vor weiteren Aggressionen des Angeklagten gegen seine Mutter die Polizei herbeigerufen hatte. Dazu verwertete das Schöffengericht aber auch die Verantwortung des Angeklagten, der zugab, von seiner Mutter Geld, allerdings ohne Gewaltanwendung, und mit der Absicht, es zurückzuzahlen, verlangt zu haben. Überdies stützte sich der Gerichtshof bei Beurteilung des Sachverhalts auf zwei gegen den Angeklagten früher geführte Strafverfahren (10 E Vr 2062/82 und 10 E Vr 3393/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), in denen er wegen ähnlicher Vorgangsweisen gegen seine Mutter rechtskräftig verurteilt wurde. Die aus den Entscheidungsgründen (AS 77 bis 80) gezogenen Schlüsse des Erstgerichts widersprechen weder den Denkgesetzen noch der allgemeinen Lebenserfahrung. Ein Urteilsnichtigkeit bewirkender formeller Begründungsmangel liegt demnach nicht vor.
Als aktenwidrig wird der Urteilshinweis bekämpft, "die von der Mutter des Angeklagten geschilderte Vorgangsweise" entspreche in allen Einzelheiten jener, die aus einem der zitierten Vorverfahren hervorgekommen ist (AS 79), weil Gertrude H*** eine Vorgangsweise des Angeklagten nie geschildert habe. Es liege auch keine Anzeige sondern höchstens das Gedächtnisprotokoll von Polizeibeamten vor. Aktenwidrig im Sinne des § 281 Abs 1 Z 5 StPO sind Entscheidungsgründe nur dann, wenn sie den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder eines anderen Beweismittels in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergeben (nochmals EvBl 1972/17).
Aus dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe geht hervor, daß sich das Erstgericht mit der relevierten Argumentation auf den von der Mutter des Angeklagten dem einschreitenden Polizeibeamten gegenüber geschilderten Tatablauf (AS 79) bezog und so seiner Verpflichtung zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nachkam. Eine Aktenwidrigkeit kann weder darin noch in der Bezeichnung der der Staatsanwaltschaft Graz durch die Bundespolizeidirektion Graz übermittelten "Strafanzeige", in welcher der erhobene Sachverhalt pflichtgemäß (§ 84 Abs 1 StPO) mitgeteilt wurde, als "Anzeige" (im technischen Sinn, AS 77) durch das Erstgericht erblickt werden.
Soweit eine mangelnde Auseinandersetzung des Erstgerichtes mit der Verantwortung des Angeklagten, er habe seiner Mutter das abgenötigte Geld - nach Erhalt des Arbeitslosengeldes (AS 67) - zurückgeben wollen, gerügt wird, bezieht sich die Beschwerde nicht auf einen entscheidungswesentlichen Umstand. Der vom Schöffengericht angenommene Bereicherungsvorsatz (vgl AS 80) setzt nicht notwendig ein auf immerwährende Zueignung der Sache gerichtetes Vorhaben voraus. Es genügt, daß der Täter die Sache zumindest zeitweilig in sein Vermögen überführen und dieses um den Gegenwert vermehren wollte. Daher schließt die vom Täter ins Auge gefaßte spätere Rückgabe der Sache Bereicherungsvorsatz nicht voraus. Sie hat nur die Bedeutung beabsichtigter späterer Schadensgutmachung (Mayerhofer-Rieder, StGB3, ENr 25 a zu § 142). Soweit letztlich im Rahmen der Mängelrüge auch Feststellungsmängel sowohl zur objektiven als auch zur subjektiven Tatseite geltend gemacht werden, entbehrt die Beschwerde an dieser Stelle eine entsprechende Konkretisierung des Anfechtungsvorbringens. Jedenfalls ist das Schöffengericht ausdrücklich davon ausgegangen, daß das Tatopfer dem Angeklagten das Geld vor die Füße warf, um ihn von weiteren Angriffen abzuhalten (AS 78).
Mit der Tatsachenrüge (Z 5 a) wendet sich die Beschwerde (wie bereits mit der Mängelrüge) dagegen, daß sich das Erstgericht bei der Feststellung der für den Schuldspruch entscheidenden Tatsachen, auf die Zeugenaussage jenes Polizeibeamten stützte, demgegenüber das Tatopfer den Hergang geschildert hatte, weil die Mutter des Angeklagten sowohl vor dem Untersuchungsrichter als auch in der Hauptverhandlung von ihrem Entschlagungsrecht (§ 152 Abs 1 Z 1 StPO) Gebrauch machte.
Die Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl §§ 3, 96, 232 Abs 2, 254 StPO) ist im Strafprozeß dem Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens (vgl §§ 245 Abs 1, 247 Abs 1, 252 Abs 1 StPO), welcher gerade im Interesse der Wahrheitsfindung darauf abzielt, die der Überzeugungsbildung zugrunde liegenden Erkenntnisquellen dem Entscheidungsorgan direkt zugänglich zu machen, teleologisch vorgeordnet. In diesem Sinne etwa wird in ständiger Judikatur bis in die jüngste Zeit (auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte) die Verlesung von Niederschriften, die mit nahen Angehörigen im sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahren aufgenommen wurden, selbst dann, wenn sich die betreffenden Zeugen in der Hauptverhandlung der Aussage entschlagen haben, nicht für unzulässig sondern vielmehr für zwingend geboten erachtet. Die Inanspruchnahme des (durch Art 6 Abs 1 iVm Abs 3 lit d MRK garantierten) Rechtes des Angeklagten, Fragen an Belastungszeugen zu stellen (wie auch die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken), wird durch das (nicht konventionswidrige) Entschlagungsrecht naher Angehöriger in jenen Fällen, in denen es ausgeübt wird, genauso durch einen vom Gericht unbeeinflußbaren Umstand faktisch gehindert, wie etwa dann, wenn der betreffende Zeuge nicht mehr stellig gemacht werden kann. Die sich daraus ergebende faktische Unmöglichkeit der Wahrnehmung von Verteidigungsrechten mit Beziehung auf ein bestimmtes Beweismittel steht aber jedenfalls der im Interesse der Wahrheitsfindung gebotenen Einführung eines anderen vergleichsweise "schlechteren" Beweismittels in das Beweisverfahren auch unter dem Gesichtspunkt eines fairen Verfahrens nicht entgegen. Wird ein solches jedoch zum Zweck der Überzeugungsbildung verwertet, ohne daß der Angeklagte im Verfahren die Möglichkeit gehabt hat, an jene Person, auf die es sich bezieht und die sich in der Hauptverhandlung der Aussage entschlagen hat, Fragen zu stellen, dann ist den Verteidigungsrechten des Angeklagten gegebenenfalls durch eine den Umständen des konkreten Falls entsprechende sachgerechte Erweiterung der Entscheidungsgrundlage in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Unbeschadet des Rechtes des Angeklagten auf entsprechende Antragstellung sind solche flankierenden Beweise von Amts wegen stets - aber auch nur dann - aufzunehmen, wenn die Notwendigkeit einer Überprüfung der Begleitumstände unter denen ein dem Gericht allein zur Verfügung stehendes Beweismittel zustande gekommen ist, nach seiner Verantwortung oder sonst nach der Aktenlage indiziert ist. Wird dies unterlassen, kann Urteilsnichtigkeit im Sinne des § 281 Abs 1 Z 5 StPO eintreten (EvBl 1988/89).
Im vorliegenden Fall ergaben sich aber weder aus der Verantwortung des Angeklagten noch aus der ausführlichen, gerade diese Umstände berücksichtigenden Befragung des Zeugen Peter D*** (AS 69 bis 73) irgendwelche Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Aufnahme solcher Kontrollbeweise. Im übrigen wurde auch vom Angeklagten kein diesbezüglicher Antrag gestellt. Damit ist das Urteil weder unzureichend begründet geblieben, noch vermag diese Beweissituation im Zusammenhalt mit der übrigen Aktenlage erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu begründen. Soweit in diesem Zusammenhang auf die Meinung Platzgummers hingewiesen wird, räumt der genannte Autor selbst ein, daß die Zulässigkeit eines Zeugen, der über Schilderungen anderer Personen an ihn aussagt, im Prozeßrecht nicht geregelt ist (vgl Platzgummer, Grundzüge2, S 22).
Das weitere Vorbringen innerhalb der Tatsachenrüge, das Erstgericht hätte unzulässigerweise das Protokoll über die Vernehmung der Zeugin Gertrude H*** (ON 3) verlesen, weil sich diese der Aussage entschlagen habe (inhaltlich Z 5), widerspricht der Aktenlage (AS 73 und 74). Einer beweiswürdigenden Verwertung wäre der Inhalt des Protokolles über die Vernehmung der genannten Zeugin im übrigen schon deswegen nicht zugänglich gewesen, weil er nur die Entschlagungserklärung enthält (AS 17).
Die Rechtsrügen (Z 9 a und 10) machen gleichermaßen geltend, das Erstgericht habe den zur Tatbestandserfüllung notwendigen Bereicherungsvorsatz nicht festgestellt. Die Beschwerde geht damit jedoch an der ausdrücklichen Urteilskonstatierung vorbei, daß der zur Erfüllung der inneren Tatseite des § 142 StGB erforderliche Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern, aus der Vorgangsweise des Angeklagten, insbesondere aus der seiner Mutter gegenüber gebrauchten Äußerung "Du altes Schwein, ich will von Dir zwei Kilo, gib mir sofort das Geld !" verbunden mit dem Hinweis, dieses brauche er zum Kartenspiel, erhellt (AS 80 und 81). Die geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgründe werden damit nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung gebracht.
Mithin war die Nichtigkeitsbeschwerde schon bei einer nichtöffentlichen Beratung teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt (§ 285 d Abs 1 Z 1 iVm § 285 a Z 2 StPO), teils als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs 1 Z 2 StPO) zurückzuweisen. Demgemäß wird über die Berufung das Oberlandesgericht Graz zu entscheiden haben (§ 285 i StPO).
Anmerkung
E20829European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0130OS00052.9.0523.000Dokumentnummer
JJT_19900523_OGH0002_0130OS00052_9000000_000