TE OGH 1990/5/23 9ObA131/90

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Veröffentlicht am 23.05.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Adametz und Eduard Giffinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei V*** G*** T*** M*** Gesellschaft mbH, Wien 3, Modecenterstraße 22/32, vertreten durch Dr. Walter Haindl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Wolfgang R***, Angestellter, Salzburg, Ulrich-Schreier-Straße 11, vertreten durch Dr. Michael Kinberger, Rechtsanwalt in Zell am See, wegen S 29.285,27 sA, infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Jänner 1990, GZ 13 Ra 132/89-30, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. September 1989, GZ 20 Cga 162/88-26, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Den Rekursen wird Folge gegeben.

Der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.743,68 (darin S 457,28 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 8.085,60 (darin S 1.097,60 Umsatzsteuer und S 1.500 Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte war bei der Klägerin seit 1. Jänner 1986 als Vertreter angestellt. Im November 1986 kündigte die Klägerin das Dienstverhältnis zum 31. Dezember 1986 und stellte den Beklagten für Dezember 1986 dienstfrei. Der Beklagte bezog bei der Klägerin ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von (14-mal) S 15.714; überdies stand ihm eine Provision für die von ihm akquirierten Aufträge zu. Den ihm bis Ende November 1986 zur Verfügung gestellten Firmenwagen konnte er auch privat benutzen, wofür seinem Einkommen aus Steuergründen ein Sachbezugswert von S 2.000 monatlich hinzugerechnet wurde.

Nach Punkt 7 des schriftlichen Dienstvertrages vom 2. Dezember 1985 wurden ihm die Musterteile der Musterkollektion mit einem Skonto von 60 % auf den Verkaufspreis fakturiert und waren bei der vorgesehenen Fälligkeit zu bezahlen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin den Betrag von S 29.285,27 sA. Der Beklagte habe sich verpflichtet, die an ihn fakturierten Teile der Musterkollektion nach vorgesehener Fälligkeit zu bezahlen. Obwohl der Beklagte die Musterkollektion auch zurückstellen hätte dürfen, habe er verschiedene Kollektionsteile nicht zurückgegeben, so daß diese in Rechnung gestellt werden müßten. Insgesamt seien daraus noch Fakturen in Höhe des Klagebetrages offen, deren Zahlung aus jedem erdenklichen Rechtsgrund begehrt werde.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die im Dienstvertrag vorgesehene Fakturierung der Musterkollektion an einen Dienstnehmer widerspreche "arbeitsrechtlichen Grundsätzen". Zumindest sei der nur mit S 9.000 angesetzte Rücknahmepreis viel zu niedrig und die Klägerin um den höheren Wert bereichert. Hätte der Beklagte die etwa ein halbes Jahr alte Kollektion nach der Kündigung zurückgestellt, wäre ihm dafür der volle Kollektionswert gutgeschrieben worden. Insoferne sei er von der Klägerin auch in Irrtum geführt worden. Für den Fall des Zurechtbestehens der Klageforderung wende er eine Gegenforderung von S 23.000 aufrechnungsweise ein. Aus dem Entgang der Privatnutzung des Firmenfahrzeugs für die Zeit vom 15. November 1986 bis 31. Dezember 1986 sei ihm ein Betrag von S 3.000 zu ersetzen; ferner habe ihm die Klägerin für angebliche Lieferungen bei der Abrechnung vom 30. November 1986 einen Betrag von S 20.000 nicht ausgezahlt. Das Erstgericht erkannte die Klageforderung als zu Recht, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und gab dem Klagebegehren statt. Es stellte im wesentlichen noch fest:

Noch während der Kündigungsfrist wurde dem Beklagten anläßlich einer Vertreterbesprechung in Wien ein Kontoauszug vorgelegt, der einen Negativsaldo von etwa S 55.000 aufwies. Diese Schuld resultierte daraus, daß der Beklagte laut Dienstvertrag Modekollektionsstücke von der Klägerin zu kaufen hatte. Der Kaufpreis wurde von der Klägerin an den Beklagten fakturiert und auf einem Verrechnungskonto verbucht. Die offenen Rechnungen sollte der Beklagte während des laufenden Dienstverhältnisses zahlen. Auf Grund der angespannten finanziellen Situation des Beklagten gegen Ende des Jahres 1986 kamen die Parteien überein, daß die Klägerin vom Novemberentgelt des Beklagten zweimal Beträge in Höhe von je S 10.000 einbehalten dürfe und der Beklagte seine Schulden in Raten abstatten könne. In der Folge gab der Beklagte der Klägerin das Firmenauto und restliche, noch nicht verwertete Kollektionsstücke zurück.

Für die Rücknahme der zum Zeitpunkt der Kündigung noch aktuellen Kollektionsstücke wurde dem Beklagten der volle Kaufpreis abzüglich 60 % Skonto angerechnet. Die nicht mehr aktuellen

Musterteile - wobei nicht mehr feststellbar ist, aus welcher Saison die Reststücke stammten und welchen Wert sie ursprünglich hatten - wurden von der Klägerin pauschal mit S 9.000 bewertet und mit diesem Betrag dem Beklagten gutgeschrieben.

Vom Novembergehalt zog die Klägerin insgesamt S 20.000 ab und überwies den Rest von S 5.357 an den Beklagten. Vom Dezembergehalt, das laut Abrechnung S 9.580,49 betragen sollte, behielt die Klägerin S 9.579,49 ein, so daß unter Berücksichtigung sämtlicher Gutschriften für die zurückgegebenen Kollektionsstücke noch der Klagebetrag aushaftet. Obwohl der Beklagte den Firmenwagen Ende November 1986 zurückgestellt hatte, war die Privatnutzung in der Gehaltsabrechnung für Dezember irrtümlicherweise noch als Sachbezug angeführt.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß sich der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Kaufpreises der Musterteile schon aus Punkt 7 des Dienstvertrages ergebe. Die Klägerin habe sich nicht verpflichtet, die nicht mehr aktuellen Kollektionsstücke ebenfalls zum seinerzeitigen Kaufpreis zurückzunehmen. Die Forderung des Beklagten nach einer höheren Bewertung sei daher unberechtigt. Er habe auch keine Gegenforderung. Der Betrag von S 3.000 für die private Nutzung des Firmenfahrzeugs sei nur als steuerliche Rechnungspost zu berücksichtigen und habe keinen Entgeltcharakter etwa in Form eines Naturalbezugs gehabt. Die Einbehaltung des Betrags von S 20.000 beruhe auf einer vom Beklagten mit der Klägerin getroffenen Vereinbarung; auch die Kompensation mit einem Betrag von S 9.579,49 aus dem Dezembergehalt sei im Sinne des § 293 Abs. 3 EO zulässig gewesen, da ein rechtlicher Zusammenhang zwischen der Entgeltforderung und der Gegenforderung aus dem Dienstvertrag bestanden habe.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und sprach aus, daß der Rekurs zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die von der Klägerin eingehaltene Vorgangsweise des Verkaufes von Musterkollektionen an ihre Vertreter gegen das Truckverbot des § 78 GewO 1859, das auch ein Kreditierungsverobt miteinschließe, verstoße. Der Beklagte sei, um seine Vertretertätigkeit ausüben zu können, gezwungen gewesen, Kollektionsteile zum Preis von jedenfalls mehr als S 60.000 zu kaufen. Diese Musterkollektion sei primär nicht zur Veräußerung bestimmt gewesen, sondern habe der Präsentation zwecks Erzielung von Abschlüssen gedient und sei in der Modebranche naturgemäß einer raschen Entwertung unterlegen. Die Klägerin habe sich aber ihrerseits nicht verpflichtet, Kollektionsteile überhaupt oder zu einem bestimmten Preis wieder zurückzunehmen. Damit habe sie ihr Unternehmerrisiko einseitig auf den Beklagten überwälzt. Es werde ihr auf diese Weise ermöglicht, einen Vertreter zum Kauf einer Musterkollektion als Voraussetzung für die Begründung eines Dienstverhältnisses zu veranlassen, diesen Dienstnehmer aber wieder zu kündigen und ihm das Risiko des Verkaufs der Kollektion zu überlassen. Eine solche Verkaufspraxis sei auch als sittenwidrig im Sinne des § 879 ABGB anzusehen.

Truckverbotswidrige Vereinbarungen seien auch bei einvernehmlicher Kompensation nichtig. Die Teilnichtigkeit des Dienstverhältnisses bewirke, daß beide Teile die gegenseitigen Leistungen zurückzustellen hätten. Dazu stehe aber auf Grund des Vorbringens der Klägerin noch nicht fest, ob der Beklagte tatsächlich alle Teile der Musterkollektion zurückgestellt habe, oder ob sich der Klagebetrag nur aus der Differenz des Wertes der zurückgenommenen verwertbaren Teile zu den noch und nicht mehr verwertbaren Musterteilen zusammensetze. Sollte der Beklagte bereits alle Kollektionsstücke zurückgestellt haben, sei das Klagebegehren abzuweisen. Sollte der Beklagte einen Teil der Kollektion nicht zurückgegeben haben, sei zu prüfen, inwieweit und in welcher Höhe der Klägerin daraus ein Schaden entstanden sei.

Gegen diesen Beschluß richten sich die Rekurse beider Parteien. Die Klägerin begehrt die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts; der Beklagte beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens.

Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, unter anderem dem Rekurs des Beklagten mangels Beschwer zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Rekurse sind, soweit sie einer Entscheidung in der Sache selbst begehren, berechtigt, wobei dem Rekurs des Beklagten nicht entgegensteht, daß er in der Berufung aus anderen Gründen hilfsweise selbst auch einen Aufhebungsantrag gestellt hat.

Das Verbot des sogenannten Trucksystems (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch6 565) für die der Gewerbeordnung unterliegenden Arbeitnehmer soll verhindern, daß diese gezwungen werden, Waren bei ihrem Arbeitgeber zu beziehen, die zumeist in Anrechnung auf den Lohn geliefert bzw. auf den künftigen Lohn kreditiert werden. Der Arbeitnehmer soll nicht verhalten werden können, seine Bedürfnisse an bestimmten Waren durch deren Bezug vom Arbeitgeber befriedigen zu müssen. Er soll vielmehr in der Lage bleiben, seinen Bedarf in voller Freiheit zu decken (vgl. Spielbüchler in Floretta-Spielbüchler-Strasser,

Arbeitsrecht3 I 197 f; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 252 und 294). Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die in den Bestimmungen der §§ 78 bis 78 e GewO 1859 zum Ausdruck kommende Grundwertung per analogiam auch auf Angestelltendienstverhältnisse auszudehnen ist (so Binder in DrdA 1989, 112), da die Klägerin durch ihr Verkaufssystem nicht schlechthin gegen das strikte Barzahlungsgebot verstieß. Der Beklagte hatte Anspruch auf ein monatliches Fixum und die von ihm verdienten Provisionen. Soweit er - wovon mangels anderer Behauptungen auszugehen ist - im Rahmen eines der Höhe nach zulässigerweise frei vereinbarten und nicht gegen kollektivvertragliche oder gesetzliche Mindestsätze verstoßenden Entgelts selbst für die Anschaffung der Musterkollektion aufzukommen hatte, übernahm er damit noch nicht das Verkaufsrisiko der von der Klägerin vertriebenen Produkte. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, war die Musterkollektion primär nicht zur Veräußerung bestimmt, sondern hatte der Präsentation und Zurschaustellung zwecks Erzielung von Abschlüssen zu dienen. Sie war sohin keine Ware im Sinne der §§ 78 ff GewO 1859, sondern Verkaufsbehelf. Richtig ist, daß die Klägerin an sich verhalten war, dem Beklagten im Rahmen des Dienstverhältnisses die notwendigen Verkaufsunterlagen, sohin allenfalls auch die Musterkollektion zur Verfügung zu stellen und der Beklagte Anspruch auf Aufwandsersatz im Sinne des § 1014 ABGB hatte (vgl. Jabornegg HVG § 12 Erl. 2 ff). Daß der Beklagte in seinen Ansprüchen auf den ihm zustehenden Aufwandsersatz verkürzt worden wäre, wurde aber ebenfalls nicht behauptet. Hinsichtlich der Musterkollektion hatte er nach den Verfahrensergebnissen ohnehin die Wahl, einzelne nicht mehr benötigte Stücke (rechtzeitig) zurückzustellen oder sie selbst zu verwerten, was im Hinblick auf einen Preisnachlaß von 60 % nicht von vornherein erfolglos bleiben mußte. Die im Dienstvertrag vorgesehene Fakturierung der Musterkollektion widersprach in der festgestellten Form sohin nicht zwingenden "arbeitsrechtlichen Grundsätzen". Sittenwidrigkeit der Vereinbarung wurde gar nicht eingewendet. Es fehlt diesbezüglich auch an jeglichen Behauptungen etwa dahin, daß der Beklagte die verbliebenen Musterstücke nicht einmal um 40 % des Preises selbst verwerten hätte können. Erst in seiner Berufung meint er lediglich, daß ihm die Klägerin die Musterstücke Zug-um-Zug gegen Bezahlung des Betrages von S 9.000 wieder ausfolgen hätte müssen. Ebenso ließ er die Verneinung seiner Gegenforderung von S 3.000 und S 20.000 unbekämpft. Es felt dazu sowohl in der Berufung als auch im Rekurs an jeglichen Ausführungen. Soweit der Beklagte im Rechtsmittelverfahren in Abänderung seines Vorbringens seine Gegenforderung nunmehr auf noch offene Provisionen zu stützen versuchte, wies bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hin, daß dieses gegen das Neuerungsverbot verstoßende Vorbringen unbeachtlich ist. Die Einbehaltung eines Betrages von S 9.579,49 aus dem Dezembergehalt durch die Klägerin, hinsichtlich dessen er in der Berufung ein Kompensationsverbot im Sinne des § 293 Abs. 3 EO geltend macht, war ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens erster Instanz. Diesbezüglich hat der Beklagte nämlich keine Gegenforderung erhoben. Es ist daher über die Berufung, die im entscheidungswesentlichen Teil nur eine Rechtsrüge dahin enthält, daß die Vorgangsweise der Klägerin dem Truckverbot unterliege und daß sie den Betrag von S 9.579,49 aus dem Dezembergehalt nicht einbehalten hätte dürfen, gemäß § 519 Abs. 2 letzter Satz ZPO in der Sache selbst im Sinne einer Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts zu erkennen (vgl. Fasching, Lehrbuch2 Rz 1823). Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E21037

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00131.9.0523.000

Dokumentnummer

JJT_19900523_OGH0002_009OBA00131_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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