Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr Reinhard Drössler und Dr. Josef Fellner (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann S***, Pensionist, 8591 Maria Lankowitz, Hauptstraße 255/14, vertreten durch Dr. Kurt Klein und Dr. Paul Wuntschek, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei S*** DER G*** W***, 1051 Wien,
Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Michael Graff, Rechtsanwalt in Wien, wegen Erwerbsunfähigkeitspension infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31.Jänner 1990, GZ 8 Rs 126/89-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 29.Mai 1989, GZ 31 Cgs 17/88-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:
"Das Begehren des Klägers auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension gegen die beklagte Partei besteht seit 1. Dezember 1987 dem Grunde nach zu Recht.
Der beklagten Partei wird aufgetragen, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von S 6.598,20 monatlich ab 1.Dezember 1987 zu erbringen und zwar die bisher fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen, alle weiteren Beträge am Ersten eines jeden Monats im voraus.
Das Mehrbegehren auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension bereits ab 1.September 1987 wird abgewiesen.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, dem Kläger die mit S 2.269,80 bestimmten Prozeßkosten erster Instanz (darin S 378,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen". Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 12.11.1932 geborene Kläger betrieb zuletzt einen Gemischtwarenhandel, bis 1985 auch einen Brennstoffhandel. Zur Zeit der Gewerberücklegung mit 31.8.1987 fehlten ihm nur mehr rund 2 1/2 Monate bis zur Vollendung seines 55. Lebensjahres. Er ist in der Lage, leichte und mittelschwere Arbeiten im Gehen, Sitzen und Stehen sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen zu verrichten. Dauernde Bück- und Hebearbeiten sind um ein Drittel eines Arbeitstages zu verringern und gleichmäßig über diesen zu verteilen. Arbeiten in exponierten Lagen wie auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten, welche in ihrem zeitlichen oder psychischen Ablauf Akkord- oder Fließbandarbeiten entsprechen, sind nicht zumutbar. Es besteht aber kein Einwand gegen Tätigkeiten an laufenden Maschinen und Geräten mit Einschluß der Tätigkeiten an Büromaschinen, Buchungsmaschinen und ähnlichen Geräten. Auch können Tätigkeiten durchgeführt werden, die mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges verbunden sind. Was die Lernfähigkeit des Klägers anlangt, sind ihm nur mehr alle jene Tätigkeiten zumutbar, die er bisher durchgeführt hat und ähnliche Tätigkeiten in ähnlichen Bereichen; Tätigkeiten, die eine Umschulung erfordern, sind ihm nicht mehr zumutbar.
Das Erstgericht erkannte das Klagebegehren auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension ab 1.9. 1987 als dem Grunde nach zu Recht bestehend und trug der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von S 6.598,20 monatlich ab 1.9.1987 auf. Der Kläger sei während des gesamten Verlaufes seiner selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit immer nur im Eisenwaren- und Gemischtwarenhandel tätig gewesen. Selbständige oder unselbständige Tätigkeiten ähnlicher Art, auf die der Kläger von seiner Lernfähigkeit her verwiesen werden könnte und denen er gesundheitlich gewachsen wäre, ließen sich nicht feststellen. Der Kläger sei nicht nur seit 1.12.1987 erwerbsunfähig iS des § 133 Abs 2 GSVG, weil er infolge seiner körperlichen Beeinträchtigungen dauernd außerstande sei, derjenigen selbständigen Erwerbstätigkeit zu genügen, die er zuletzt durch mehr als 60 Kalendermonate ausgeübt habe; er sei auch iS des § 133 Abs 1 GSVG ab Antragstellung erwerbsunfähig, weil unselbständige Verweisungstätigkeiten für ihn nicht zu finden seien und er auch in den Monaten September bis November 1987 außerstande gewesen sei, irgend einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Das Berufungsgericht gab der nur gegen die Stattgebung des Klagebegehrens für die Zeit vom 1.9. bis 30.11.1987 gerichteten Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Das Erstgericht habe unbekämpft festgestellt, daß selbständige oder unselbständige Tätigkeiten ähnlicher Art, auf die der Kläger auf Grund seiner Lernfähigkeit verwiesen werden könnte und denen er gesundheitlich gewachsen wäre, nicht feststellbar seien. Die Rechtsrüge der beklagten Partei gehe nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und sei daher nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Erwerbsunfähigkeitspension (samt vorläufiger Zahlung) für den Zeitraum 1.9. bis 30.11.1987 abgewiesen werde.
Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Da der Kläger das 55. Lebensjahr erst am 12.11.1987 vollendet hat, ist der noch streitverfangene Pensionsanspruch nach § 133 Abs 1 GSVG zu beurteilen. Danach gilt als erwerbsunfähig der Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Dieser Begriff der Erwerbsunfähigkeit stellt eine strengere Voraussetzung dar, als der Begriff der Invalidität in der Pensionsversicherung der Arbeiter oder der Begriff der Berufsunfähigkeit in der Pensionsversicherung der Angestellten, weil bei der Erwerbsunfähigkeit die gänzliche Unfähigkeit, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, nachgewiesen werden muß und sich der Versicherte auf jede wie immer geartete Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt verweisen lassen muß (Teschner, GSVG 39. ErgLfg. 369 Anm. 1 zu § 133, Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 69 S 55 f; Teschner in Tomandl SV-System, 4. ErgLfg. 372; 10 Ob S 129/88, 10 Ob S 218/89 uva). Das Verweisungsfeld des § 133 Abs 1 GSVG ist also mit dem gesamten Arbeitsmarkt gleichzusetzen; eine Einschränkung dahin, daß die Verweisungstätigkeit dem Versicherten im Hinblick auf die bisher ausgeübte Tätigkeit auch zumutbar sein muß, enthält diese Gesetzesbestimmung nicht (SSV-NF 3/91).
Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Vorinstanzen die Rechtsfrage, auf welche Tätigkeit der Kläger im Rahmen des § 133 Abs 1 GSVG verwiesen werden darf, unrichtig gelöst. Ob der Kläger auf selbständige oder unselbständige Tätigkeiten ähnlicher Art, wie die von ihm bisher verrichteten verwiesen werden kann, ist nämlich ebensowenig entscheidend wie die Frage, ob er umschulbar ist. Wie die beklagte Partei zutreffend ausführt, kommt es bei Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 1 GSVG nicht auf die Umschulbarkeit (die Fähigkeit, einen neuen Beruf zu erlernen) und auch nicht auf die Anlernbarkeit in einem bestimmten Beruf an, sondern es genügt die Unterweisbarkeit, d.h. die Fähigkeit, bestimmte einfache Tätigkeiten, auch Hilfsarbeitertätigkeiten, unter Umständen nur bestimmte Handgriffe und Handreichungen nach einem entsprechenden Hinweis von seiten Dritter vorzunehmen. Da der Kläger außerstande wäre, auch nur einfache Hilfsarbeiten nach kurzer Unterweisung zu verrichten, kann angesichts seines medizinischen Leistungskalküls nicht behauptet werden. Es gibt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Reihe von Berufen, für die keine Umschulung und nicht einmal eine Anlernung erforderlich ist, wie die Tätigkeiten eines Portiers, Museumwächters, Aufsehers oder Büroboten. Alle diese Tätigkeiten gehen über leichte und mittelschwere Arbeiten nicht hinaus, erfordern nicht dauernde Bück- und Hebearbeiten, sind nicht in exponierten Lagen zu verrichten und entsprechen auch nicht Akkord- oder Fließbandarbeiten. Eine besondere Lernfähigkeit wird, wie bereits dargelegt, bei diesen Berufen nicht gefordert. Dem Kläger gebührt daher vom 1.9. bis 30.11.1987 keine Erwerbsunfähigkeitspension nach § 133 Abs 1 GSVG und daher für diesen Zeitraum auch keine vorläufige Leistung.
In Stattgebung der Revision waren die Urteile der Vorinstanzen entsprechend abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch an den Kläger nach Billigkeit rechtfertigen würden, wurden nicht geltend gemacht und sind nach dem Akt auch nicht ersichtlich.
Anmerkung
E20798European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00193.9.0529.000Dokumentnummer
JJT_19900529_OGH0002_010OBS00193_9000000_000