TE OGH 1990/5/29 10ObS9/90

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Veröffentlicht am 29.05.1990
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Fellner (Arbeitgeber) und Leo Samwald (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Vukosava M***, YU-37000 Krusevac,

Ul.Vitomira Davidovica br.31, vertreten durch Dr. Franz Drahos,

Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

P*** DER A***, 1092 Wien, Roßauer

Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.September 1989, GZ 34 Rs 166/89-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25.Jänner 1989, GZ 3 Cgs 135/88-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Oberste Gerichtshof stellt nach Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den

A n t r a g ,

die Wortfolge "bei männlichen, nach Vollendung des 50.Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" im § 236 Abs 1 Z 1 lit b ASVG, die Wortfolge "bei männlichen Versicherten bzw nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" im § 236 Abs 2 Z 1 ASVG sowie die Wortfolge "aus dem Versicherungsfall des Alters" im § 234 Abs 1 Z 3 ASVG als verfassungswidrig aufzuheben.

Text

Begründung:

Die am 21.April 1931 geborene Klägerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, hat im Zeitraum vom 23.8.1972 bis 13.12.1979 in Österreich 89 Versicherungsmonate (davon 86 Beitragsmonate) erworben. Sonstige Versicherungszeiten hat sie weder in Jugoslawien noch in Österreich erworben.

Mit Bescheid vom 31.8.1988 lehnte die beklagte Partei den am 10. März 1987 gestellten Antrag der Klägerin auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab, weil die für die Erfüllung der Wartezeit zu dem (nach Vollendung des 50., aber auch des 55.Lebensjahres liegenden) Stichtag 1.April 1987 erforderliche Mindestzahl von Versicherungsmonaten nicht vorliege. Die Wartezeit wäre erfüllt, wenn die Klägerin a) im Zeitraum vom 1.4.1967 bis 31.3.1987 - dies ist der Zeitraum der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag - mindestens 120 oder b) bis zum Stichtag insgesamt 216 Versicherungsmonate, davon mindestens 180 Beitragsmonate, erworben hätte.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte die Klägerin erkennbar die Zuerkennung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß mit der Begründung, sie könne schon seit ihrer Rückkehr aus Österreich (1979) eine Berufstätigkeit nicht mehr ausüben.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage mit derselben Begründung wie im angefochtenen Bescheid. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte den eingangs wiedergegebenen Versicherungsverlauf der Klägerin fest und schloß sich in seiner rechtlichen Beurteilung der Auffassung der beklagten Partei an, daß die nach § 236 Abs 1 Z 1 lit b, Abs 2 Z 1 und Abs 4 ASVG iVm Art IV Abs 4 der 40.ASVG-Novelle für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Mindestanzahl von Versicherungsmonaten nicht vorliege, weshalb diese allgemeine Voraussetzung für den behaupteten Leistungsanspruch fehle. Das Berufungsgericht gab der hauptsächlich wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung nicht Folge. Die Klägerin wende sich zu Unrecht gegen die Annahme des Stichtages 1.4.1987; der von ihr behauptete, vor der Antragstellung liegende Eintritt des Versicherungsfalles brauche nicht geprüft zu werden, weil er gemäß § 223 Abs 2 ASVG im Falle späterer Antragstellung unerheblich sei. Die weiters behauptete Verfassungswidrigkeit der Stichtagsregelung liege nicht vor. Wenn auch die unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern im Sozialversicherungsrecht gewichtigen Bedenken begegne, so könne lediglich eine behauptete Benachteiligung der Männer gleichheitswidrig sein, nicht aber eine Bevorzugung der Frauen. Hingegen bestünden gegen die Wartezeitregelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil ein gewisses Naheverhältnis zwischen Beitrags- und Versicherungsleistung gewährleistet werden müsse.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückverweisung der Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs- oder an das Erstgericht. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof kann über die Revision noch nicht entscheiden, weil er gegen die Anwendung des § 236 Abs 1 Z 1 lit b, Abs 2, Z 1 ASVG und in weiterer Folge auch des § 234 Abs 1 Z 3 ASVG aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken hat. Weil § 236 Abs 1 Z 1 lit a ASVG nur dann anzuwenden ist, wenn der Stichtag vor Vollendung des 55.Lebensjahres bei männlichen, vor Vollendung des 50.Lebensjahres bei weiblichen Versicherten liegt, hat der Oberste Gerichtshof diese Litera im vorliegenden Fall nicht anzuwenden, weil der Stichtag hier nach Vollendung des 55. Lebensjahres der Klägerin liegt.

Daß für eine Leistung aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder des Todes die Wartezeit nach § 236 Abs 1 Z 1 lit a ASVG bei einem Stichtag vor Vollendung des 55. bzw. 50. Lebensjahres des männlichen bzw. weiblichen Versicherten mit 60 Versicherungsmonaten erfüllt ist, während sich die Wartezeit nach lit b der zitierten Ziffer bei einem späteren Stichtag je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils ein Monat bis zum Höchstausmaß von 180 Monaten erhöht ("wachsende Wartezeit"), hält der erkennende Senat - abgesehen von der Ungleichbehandlung der Geschlechter - aus folgenden Überlegungen für verfassungsrechtlich unbedenklich:

Die österreichische Sozialversicherung baut auf dem Versicherungsprinzip auf, reichert dieses allerdings durch Versorgungs- und Fürsorgeelemente an (Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts3, 30).

Wegen des Versicherungsprinzips sind die Leistungen der Pensionsversicherung mit Ausnahme der Abfindung nach § 269 Abs 1 Z 1 ASVG in der Regel unter anderem an die sekundäre Leistungsvoraussetzung der Wartezeit geknüpft, d.h., daß am Stichtag eine Mindestzahl von Versicherungszeiten vorliegen muß. Diese aus der Privatversicherung kommende Einrichtung soll sicherstellen, daß Pensionsleistungen erst nach entsprechend langer Beitragszahlung (Versicherungsdauer) in Anspruch genommen werden können, daß also nur Personen in den Genuß von Leistungen kommen, die der Versicherungsgemeinschaft bereits eine bestimmte Zeit angehören und durch ihre Beitragsleistung zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben (Tomandl aaO 115 f; Schrammel in Tomandl, SV-System 3.ErgLfg 143; Teschner ebendort 371).

Die Wartezeit entfällt für Leistungen aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit und des Todes nur, wenn der Versicherungsfall die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder Dienstbeschädigung oder vor dem 27. Lebensjahr eingetreten ist und der Versicherte bereits mindestens 6 Versicherungsmonate erworben hat (§ 235 Abs 3 ASVG). In diesen Fällen war der Versicherte aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen nicht in der Lage, seine Versicherungspflicht (Beitragsleistungen) zu erbringen (Teschner aaO 372).

Während die Wartezeit bei den Alterspensionen

180 Versicherungsmonate (15 Versicherungsjahre) beträgt, die innerhalb der letzten 360 Kalendermonate (30 Jahre) liegen müssen (lange Wartezeit), genügen für die Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit und des Todes bei einem Stichtag vor der Vollendung des 55. bzw. 50.Lebensjahres 60 Versicherungsmonate (5 Versicherungsjahre) (kurze Wartezeit), die innerhalb der letzten 120 Kalendermonate (10 Jahre) liegen müssen.

Wie schon ausgeführt, erhöht sich die kurze Wartezeit bei einem späteren Stichtag für jeden weiteren Lebensmonat um einen Versicherungsmonat bis zum Höchstausmaß von 180 Monaten (§ 236 Abs 1 Z 1 lit b ASVG), wobei sich die vorerwähnte Rahmenfrist von 120 Kalendermonaten (10 Jahren) für jeden weiteren Lebensmonat um zwei Kalendermonate bis zum Höchstausmaß von 360 Kalendermonaten (30 Jahren) vor dem Stichtag erhöht (Abs 2 Z 1 zweiter Halbsatz der zitierten Gesetzesstelle).

Diese durch die 40.ASVGNov BGBl 1984/484 eingeführten Änderungen im Bereich der Wartezeit standen im engen Zusammenhang mit der Einführung der ewigen Anwartschaft durch den Wegfall der Deckungsvorschriften (Halb- und Dritteldeckung). Durch die Erfüllung der Wartezeit innerhalb bestimmter Rahmenfristen soll der Nachweis einer entsprechend langen Versicherungszugehörigkeit erbracht werden, wobei bei Eintritt des Versicherungsfalls in den Jahren 1985 bis 1991 eine Übergangsregelung getroffen wurde (RV 327 BlgNR 16.GP, 24).

Mit der durch die 40.ASVGNov eingeführten langsamen Anhebung der kleinen Wartezeit wird diese mit zunehmendem Alter des Versicherten allmählich der für die Alterspension geltenden langen Wartezeit angeglichen. Damit wird erreicht, daß Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit und des Todes mit dem Erreichen des normalen Alterspensionsalters nur dann Leistungen auslösen, wenn die Wartezeit für die Alterspension erfüllt wird. Spekulatorische Überlegungen, durch eine kurzfristige Versicherung bei bereits eingetretener Minderung der Arbeitsfähigkeit eine Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension auch nach Überschreiten der Altersgrenze zu erlangen, werden dadurch hinfällig (Sedlak, 40.Novelle zum ASVG DrdA 1985, 60).

Trotz des Gleichheitsgrundsatzes, dessen Verletzung hier allein für eine Verfassungswidrigkeit maßgebend sein könnte, kommt dem einfachen Gesetzgeber eine - freilich nicht

unbegrenzte - rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die - außer bei einem Exzeß - nicht der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt und insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Maßstäben zu messen ist. Innerhalb dieser Grenzen ist die Rechtskontrolle nicht zur Beurteilung der Rechtspolitik berufen (VfSlg 9583 mwN).

Der Gleichheitsgrundsatz verbietet dem Gesetzgeber ferner nur Differenzierungen zu schaffen, die sachlich nicht begründbar sind (VfSlg 6884 mwN), so daß eine unterschiedliche Regelung, die aus entsprechenden Unterschieden im Tatsachenbereich gerechtfertigt werden kann, nicht gleichheitswidrig ist (VfSlg 7400 mwN, 7947, 8600). Dem Gesetzgeber ist es auch nicht verwehrt, von einem einmal gewählten Ordnungsprinzip abzugehen, sofern die betreffende Regelung in sich sachlich begründet ist (VfSlg 7040, 7705 ua). Bei Berücksichtigung dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bestehen gegen die durch die 40.ASVGNov eingeführte wachsende Wartezeit keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil die 10 Jahre vor dem normalen Alterspensionsalter einsetzende, jeden weiteren Lebensmonat um einen Monat bis zur für die Alterspension geforderten langen Wartezeit schrittweise Erhöhung der kurzen Wartezeit durch den relativ kurzen Zeitraum bis zum Erreichen des normalen Pensionsalters gerechtfertigt werden kann. In diesem Zusammenhang kann nicht übersehen werden, daß bei einem Stichtag, der mehr als 10 Jahre vor dem normalen Pensionsalter liegt, die kurze Wartezeit von 5 Versicherungsjahren nur dann erfüllt ist, wenn diese innerhalb der letzten 10 Kalenderjahre vor dem Stichtag liegen, während sich bei der wachsenden Wartezeit die letztgenannte Rahmenfrist für jeden weiteren Lebensmonat um zwei Kalendermonate bis zum Höchstausmaß von 30 Jahren vor dem Stichtag erhöht. Damit kann zur Auffüllung der wachsenden Wartezeit auf wesentlich länger zurückliegende Versicherungsmonate zurückgegriffen werden als bei der kurzen Wartezeit, wobei sich die Rahmenfrist überdies nach § 236 Abs 3 ASVG um hineinfallende neutrale Monate verlängert.

Da die neu eingeführte wachsende Wartezeit in sich sachlich begründet ist, durfte der Gesetzgeber diese für die letzten 10 Jahre vor dem normalen Alterspensionsalter an die Stelle der bisherigen kurzen Wartezeit setzen, wobei Härten durch die im Art IV der

40. ASVGNov enthaltenen umfangreichen Übergangsbestimmungen gemildert werden.

Der erkennende Senat hat gegen den im vorliegenden Fall unter Bedachtnahme auf Art IV Abs 12 und 13 der 40.ASVGNov anzuwendenden § 236 Abs 1 Z 1 lit b und Abs 2 Z 1 zweiter Halbsatz ASVG allerdings insoweit Bedenken, als die Erhöhung der Wartezeit und die Verlängerung der Rahmenfrist bei männlichen Versicherten erst nach Vollendung des 55.Lebensjahres, bei weiblichen Versicherten hingegen schon nach Vollendung des 50.Lebensjahres beginnt.

Diese Verschiedenheit ist eine direkte Folge des unterschiedlichen Anfallsalters der normalen Alterspension, auf die der Versicherte nach Vollendung des 65.Lebensjahres, die Versicherte schon nach Vollendung des 60.Lebensjahres Anspruch hat (§ 253 Abs 1 ASVG).

Während die Anfallsaltersverschiedenheit die weiblichen Versicherten begünstigt, werden diese durch die früher beginnende Erhöhung der Wartezeit gegenüber männlichen Versicherten grundsätzlich benachteiligt, obwohl nicht verkannt werden soll, daß die wachsende Wartezeit für beide Geschlechter 10 Jahre vor dem normalen Alterspensionsalter beginnt.

Ob sich diese Benachteiligung im vorliegenden Fall auswirkt, braucht nicht näher erörtert zu werden, weil der Oberste Gerichtshof gegen die Anwendung der erwähnten Gesetzesstellen aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken und daher nach Art 89 Abs 2 B-VG den Antrag auf deren Aufhebung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt es nicht darauf an, ob die Regelung im Anlaßfall den Beschwerdeführer belastet und ob sich die Unsachlichkeit einer Regelung auf den Anlaßfall auswirkt (VfSlg 3585, 8806, 9755; G 35, 36, 83, 84/81 ua; Walter-Mayer, Grundriß6 Rz 1158). Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß vom 11.10.1988 10 Ob S 71/88, in dem er beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der Wortfolge "nach Vollendung des 60.Lebensjahres, die Versicherte" im § 253b Abs 1 ASVG beantragte, seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine unterschiedliche Regelung des Alterspensionsalters für männliche und weibliche Versicherte nach Darstellung der rechtshistorischen Entwicklung und der in der Literatur vertretenen Meinungen im wesentlichen so begründet:

"Gegen eine sich aus der körperlichen Beschaffenheit der Frauen ergebende frühere Arbeitsunfähigkeit spricht vor allem die erheblich höhere durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen gegenüber jener der Männer. Sie betrug im Jahr 1986 für damals geborene Männer 71 Jahre, für Frauen 77.73 Jahre, für damals 55jährige Männer 21.04 Jahre, für Frauen 25.63 Jahre, für damals 60jährige Männer

17.36 Jahre, für Frauen 21.29 Jahre, für damals 65jährige Männer

13.91 Jahre, für Frauen 17.18 Jahre ÄDemographisches Jahrbuch Österreichs 1986, 156 f; Statistisches Handbuch für die Republik Österreich 1987, 49Ü, was im Zusammenhang mit dem früheren Pensionsalter zu einer wesentlich höheren Pensionsbezugsdauer der Frauen führt (vgl dazu Ivansits aaO 469). In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß der Gesetzgeber bei den öffentlich Bediensteten keinen Unterschied im Anfallsalter zwischen Männern und Frauen macht. Zwar handelt es sich beim öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis und bei der Materie des Sozialversicherungswesens um tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete (VfSlg 5241/1966; VfGH 16.3.1988, JBl 1988, 442), doch müßte die in den Sozialversicherungsgesetzen angenommene frühere Arbeitsunfähigkeit von Frauen aufgrund ihrer körperlichen Konstitution wohl auch für Frauen im öffentlichen Dienst gelten, bedenkt man, daß in vielen Fällen pragmatisierte Frauen die gleiche Tätigkeit wie Vertragsbedienstete verrichten, jedoch eine unterschiedliche Pensionsregelung besteht. Andererseits hat der Gesetzgeber im § 255 Abs 4 ASVG bei der (erleichterten) Invaliditätspension Männer und Frauen gleich behandelt. Bei beiden Geschlechtern nimmt hier der Gesetzgeber an, daß ein 55 Jahre alter Versicherter nicht mehr auf andere Tätigkeiten verwiesen werden kann als jene, die er in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate ausgeübt hat. Dazu kommt, daß die derzeitige gesetzliche Regelung nicht berücksichtigt, welche Tätigkeit eine Frau verrichtet hat, sondern alle Frauen gleich behandelt. Es ist sicherlich denkbar, daß in Berufen, die mit größerer körperlicher Anstrengung verbunden sind, Frauen wegen ihrer körperlich schwächeren Konstitution früher arbeitsunfähig werden als Männer und bezüglich solcher Berufe eine unterschiedliche Pensionsregelung sachlich gerechtfertigt wäre. In zahlreichen Berufen, vor allem auf dem Angestelltensektor, spielt jedoch die körperliche Belastung - wenn überhaupt - nur eine untergeordnete Rolle. Ob die bei ein bis zwei Drittel aller Frauen in der Postmenopause auftretenden klimakterischen Beschwerden (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch255, 861) für sich allein eine allgemeine Senkung des Pensionsalters von Frauen gegenüber Männern rechtfertigt, kann bezweifelt werden. Gegen die vom Gesetzgeber zur Begründung herangezogenen Argumente bestehen daher jedenfalls wesentliche Bedenken.

Aber auch die von der Lehre zur Begründung herangezogene Doppelbelastung der Frau durch Beruf und Haushalt stellt kein entscheidendes Argument für die unterschiedliche Behandlung dar. Hier berücksichtigt das Gesetz zunächst nicht, daß ein nicht unerheblicher, durchaus ins Gewicht fallender und daher nicht zu vernachlässigender Teil der berufstätigen Frauen alleinstehend ist. Für sie unterscheidet sich die Belastung durch Beruf und Haushalt nicht von jener der alleinstehenden Männer. Wenngleich die in der Revision enthaltene Statistik über den Prozentsatz der kinderlosen Frauen nicht ohne weiteres aussagekräftig ist, weil sie Frauen bereits ab dem 15.Lebensjahr einbezieht, also ab einem Alter, in dem auch Frauen üblicherweise noch nicht verheiratet sind und auch noch keine Kinder haben, kann doch nicht übersehen werden, daß vor allem in der jüngeren Generation die Tendenz, keine familiären Bindungen einzugehen, sowohl bei Männern als auch bei Frauen zunimmt. Auch von den Frauen der älteren Generation, die jetzt in das Pensionsalter kommen, sind aufgrund des durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Männermangels viele unverheiratet und ohne Nachkommen geblieben. Auch für sie gilt das Argument von der Doppelbelastung daher nicht allgemein. Dazu kommt aber noch die seit der Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe durch das Gesetz BGBl 1975/412 geänderte Rechtslage. Während das seinerzeitige Recht in den §§ 91 und 92 ABGB aF davon ausging, daß der Mann das Haupt der Familie ist, in dieser Eigenschaft das Hauswesen zu leiten hat und die Frau ihm in der Haushaltung und Erwerbung nach Kräften beizustehen hat, ist seither die einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders der Haushaltsführung und der Erwerbstätigkeit im § 91 ABGB gesetzlich festgelegt. Soweit aber Änderungen im Bereich eines Rechtsgebietes die für ein anderes Rechtsgebiet maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse ändern, ist bei Beurteilung der Verfassungsgemäßheit der Regelung dieses anderen Rechtsgebietes auf die so geschaffenen Verhältnisse Bedacht zu nehmen (VfGH 26.6.1980 RdA 1981, 141). Wenngleich sich sicherlich in der älteren Generation der Grundsatz der partnerschaftlichen Ehe noch nicht in größerem Umfang durchgesetzt hat und bezüglich dieser allenfalls zu berücksichtigen wäre, daß deren jetzt in das Pensionsalter kommende Frauen noch einen Großteil ihres Ehe- und Familienlebens unter der alten Familienrechtslage zugebracht haben, ist gerade in der jüngeren Generation in dieser Richtung sicher ein Umdenken im Gang, was letzten Endes auch mit ein Grund für die Änderung der gesetzlichen Bestimmungen war. Da seit der Änderung der Gesetzeslage immerhin bereits 12 Jahre vergangen sind, kann davon ausgegangen werden, daß sich der Grundsatz der partnerschaftlichen Ehe bereits in einem nicht unerheblichen Ausmaß durchgesetzt hat, so daß die Zahl der nun nicht mehr doppelbelasteten Frauen keine zu vernachlässigende Größe mehr darstellt. Würde der gegenwärtige gesetzliche Zustand unverändert beibehalten, so würde sich die Ungleichbehandlung der Geschlechter weiter verstärken. Es können jedoch nur solche Ungleichbehandlungen (vorübergehend) sachlich sein, die wenigstens in Richtung eines Abbaues der Unterschiede wirken würden (VfGH 26.6.1980 RdA 1981, 141), was hier nicht der Fall wäre. Diesen Umstand übersieht auch die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes vom 28.1.1987 (EuGRZ 1987, 291 und NJW 1987, 1541), worin ausgesprochen wurde, es sei mit Art 3 Abs 2 GG vereinbar, daß Frauen Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Unterschied zu Männern bereits mit Vollendung des 60.Lebensjahres beziehen können. Das Bundesverfassungsgericht meinte in diesem Zusammenhang, der Wandel der tatsächlichen Verhältnisse, der sich schon vollzogen habe und noch vollziehe und die Angleichung der Rechtsordnung an die gebotene Gleichstellung von Frau und Mann ließe erwarten, daß die Umstände, welche die verfassungsrechtliche Prüfung unter dem Gesichtspunkt des Nachteilsausgleiches beeinflussen, im Laufe der weiteren Entwicklung an Einfluß verlieren würden. Wann dies der Fall sein werde und welche Folgerungen daraus zu ziehen seien, habe aber in erster Linie der Gesetzgeber zu beurteilen. Abgesehen davon, daß dadurch im Falle der Untätigkeit des Gesetzgebers die Notwendigkeit entsteht, in regelmäßigen Abständen den Verfassungsgerichtshof anzurufen, wird hiedurch die Ungleichbehandlung laufend weiter verstärkt. Ob der Gesetzgeber durch Übergangsregelungen eine vorübergehende Ungleichbehandlung in sachlich gerechtfertigter Weise aufrechterhalten könnte, ist im vorliegenden Fall nicht zu prüfen, weil solche Übergangsregelungen nicht vorliegen. Der Gesetzgeber hat vielmehr unterschiedslos und ohne Rücksicht auf die auch zahlenmäßig ins Gewicht fallenden Teile der männlichen und weiblichen Versicherten, für die völlig gleiche Voraussetzungen vorliegen, das Pensionsalter der Frauen generell niedriger festgesetzt, als jenes der Männer. Auch die weiteren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes sind keine zwingende Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung der Geschlechter im Pensionsrecht. Er meint, würde es sich allein um einen Ausgleich für die Doppelbelastung der Frauen handeln, könnte es zweifelhaft sein, ob eine unterschiedliche Behandlung auch zugunsten von Frauen ohne diese Doppelbelastung und zum Nachteil von Männern mit einer solchen statthaft wäre. Der Gesetzgeber habe aber weitere Umstände in typisierender Betrachtungsweise berücksichtigen dürfen, so zB daß das Ausbildungsdefizit der Frauen, das ihre berufliche Stellung und damit ihr Arbeitsentgelt sowie ihre Rentenerwartung in der Vergangenheit maßgeblich beeinträchtigt habe, in typischen Fällen durch eine Antizipierung der erwarteten Stellung der Frau als spätere Mutter verursacht worden sei. Ähnliche Ursachen dürften auch vielfach die Beschäftigung in unteren Lohngruppen und die geringeren Aufstiegschancen der Frau im Beruf haben. Die typischen Unterbrechungen einer entgeltlichen Tätigkeit durch Zeiten von Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung hätten zudem bei Frauen häufig zur Folge, daß sie im Gegensatz zu Männern von der Inanspruchnahme des (der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer vergleichbaren) flexiblen Altersruhegeldes bei Vollendung des 63.Lebensjahres deswegen keinen Gebrauch machen könnten, weil sie die besonderen Voraussetzungen einer 35-jährigen Versicherungszeit nicht erfüllten. All das lasse sich aber im Kern auf die Funktion oder jedenfalls die mögliche Stellung weiblicher Versicherter als Ehefrau und Mutter, also auf biologische Umstände zurückführen. Hier wird nach Ansicht des erkennenden Senates übersehen, daß die unbestrittenermaßen bestehenden beruflichen Nachteile der Frauen durch Schwangerschaft und Geburt, die für die jetzt in das Pensionsalter tretenden Frauen noch nicht durch gesetzliche Maßnahmen ausgeglichen wurden Ävgl die Verbesserung der Ersatzzeitenregelung in § 227 Abs 1 Z 3 und 4 ASVGÜ sowie Kindererziehung und die aus diesen Gründen vielleicht erfolgte Beschäftigung in unteren Lohngruppen und die geringeren Aufstiegschancen nicht dadurch ausgeglichen werden können, daß den Frauen das Recht zur früheren Pensionierung eingeräumt wird. Denn gerade ein früherer Pensionsantritt verstärkt noch die Benachteiligung der Frauen, da sie hiedurch noch weniger anrechenbare Zeiten erlangen und damit die Höhe der Pension noch geringer wird. Von einer bestehende Benachteiligung ausgleichenden Regelung kann daher in diesem Zusammenhang kaum gesprochen werden. Dagegen, daß der Gesetzgeber durch die unterschiedliche Regelung des Pensionsanfallsalters die durch die Unterbrechung einer entgeltlichen Tätigkeit durch Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung bei Frauen bestehenden schlechteren Versicherungsverläufe ausgleichen wollte, spricht im übrigen auch die durch die 40.ASVG-Novelle getroffene Neuregelung der Wartezeit für Leistungen aus dem Versicherungsfall der verminderten Arbeitsfähigkeit im § 236 ASVG. Diese beträgt bei männlichen Versicherten, wenn der Stichtag vor Vollendung des 55.Lebensjahres liegt, bei weiblichen Versicherten, wenn der Stichtag vor Vollendung des 50.Lebensjahres liegt, 60 Monate. Wenn der Stichtag nach Vollendung des 55.Lebensjahres bei männlichen Versicherten und nach Vollendung des 50.Lebensjahres bei weiblichen Versicherten liegt, beträgt die Wartezeit je nach Lebensalter des Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat jeweils ein Monat mehr bis zum Höchstausmaß von 180 Versicherungsmonaten. Diese Bestimmung bedeutet eine Benachteiligung weiblicher Versicherter. Während etwa für einen Mann mit 55 Jahren eine Wartezeit von 60 Monaten für den Anspruch auf eine Pensionsleistung wegen verminderter Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist, gelangt eine Frau gleichen Alters nur dann in den Genuß der Leistung, wenn sie 120 Versicherungsmonate aufzuweisen hat. Schließlich ist auch noch auf die zunehmende, bereits nicht unbeträchtliche Zahl von Frauen mit Teilzeitbeschäftigung zu verweisen, bei denen naturgemäß die Doppelbelastung durch Beruf und Haushaltsführung nicht mehr so schwer ins Gewicht fällt."

Diese Bedenken gegen eine unterschiedliche Regelung des Alterspensionsalters für männliche und weibliche Versicherte gelten auch für die im vorliegenden Fall anzuwendenden Bestimmungen über den an das geschlechtsunterschiedliche Alterspensionsalter anknüpfenden geschlechtsunterschiedlichen Beginn der Erhöhung der Wartezeit und der Verlängerung der Rahmenfrist.

Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher auch in diesem Fall veranlaßt, dem Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit zu geben, diese Bestimmungen auf ihre Verfassungsgemäßheit zu überprüfen und stellt daher gemäß Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den aus dem Spruch ersichtlichen Antrag (ebenso bereits 22.November 1988, 10 Ob S 250/88, und 13.März 1990, 10 Ob S 3/90). Die Klägerin macht aber weiters geltend, daß sie gemäß § 236 Abs 1 Z 1 lit b ASVG bis Herbst 1983 die erforderliche Wartezeit für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit erfüllt gehabt hätte, sodaß ihre Behauptung zu prüfen gewesen wäre, daß sie bereits vor der Antragstellung (und zwar unmittelbar nach Aufgabe ihrer Beschäftigung in Österreich) invalid im Sinne des § 255 Abs.3 ASVG gewesen wäre. Durch spätere Antragstellung dürfe nicht eine Schädigung des Versicherten dahin eintreten, daß die bereits eingetretene Erfüllung der Wartezeit wieder verlorengehe; eine diesbezügliche Absicht des Gesetzgebers ergebe sich auch aus § 234 Abs 1 Z 1 ASVG.

Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Nach § 361 Abs 1 Z 1 ASVG sind die Leistungsansprüche in der Pensionsversicherung von den Versicherungsträgern im Rahmen ihrer örtlichen und sachlichen Zuständigkeit (nur) auf Antrag festzustellen, zu dessen Stellung nach Abs 2 leg.cit. grundsätzlich der Anspruchswerber selbst oder sein gesetzlicher Vertreter berechtigt ist.

Das bedeutet, daß die Leistungen der Pensionsversicherung nur dann festzustellen und zu gewähren sind, wenn neben den materiellen Leistungsvoraussetzungen auch die formelle Leistungsvoraussetzung, nämlich der Leistungsantrag, erfüllt ist (Schrammel in Tomandl, SV-System 3.ErgLfg.135, 145 f; Oberndorfer, ebendort 677 f; jeweils mwN; SSV-NF 2/52).

Mit dem auf eine bestimmte Leistung der Pensionsversicherung zu richtenden Antrag meldet der Anspruchswerber seinen diesbezüglichen Anspruch, also den behaupteten Eintritt des Versicherungsfalles, von dem der Träger der Pensionsversicherung vorher üblicherweise keine Kenntnis hat, an. Der Pensionsantrag bildet daher eine notwendige Voraussetzung für die Einleitung des Verfahrens zur Feststellung des angemeldeten Leistungsanspruchs durch den örtlich und sachlich zuständigen Träger der Pensionsversicherung iS des 1.Unterabschnitts des das Verfahren in Leistungssachen regelnden Abschnittes II des Siebenten Teils des ASVG (so zB auch Schrammel aaO 146; Brackmann, Handbuch der SV IV 67.Nachtrag 666u).

Dieses Antragsprinzip für Leistungen der Pensionsversicherung galt übrigens schon vor dem Wirksamkeitsbeginn des ASVG. So bestimmte zB § 116 Abs.1 GSVG 1938, daß die Ansprüche auf Leistungen aus der in diesem Gesetze geregelten Versicherung auf dem Gebiete der Unfallversicherung von Amts wegen wahrzunehmen, im übrigen aber auf Antrag festzustellen waren.

Wenn feststellbar wäre, daß die dauernde Invalidität der Klägerin schon am 14.12.1979 oder zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt vor dem 10.3.1987 eingetreten wäre, würde dieser Versicherungsfall nach § 223 Abs.1 Z 2 lit.a ASVG als vor der und nicht erst mit der Antragstellung am 10.3.1987 eingetreten gelten. Stichtag für die Feststellung, ob.... der Klägerin eine Invaliditätspension gebührt, wäre aber nach § 223 Abs.2 ASVG weder der auf einen Monatsersten fallende Eintritt des Versicherungsfalles oder der dem Eintritt desselben folgende Monatserste (S 1 des zit. Abs), sondern wegen der dem Eintritt des Versicherungsfalles nachfolgenden Antagstellung am 10.3.1987 der 1.4.1987 (S 2 des zit.Abs).

Nach der in MGA ASVG 35.ErgLfg 1079 FN 7 wiedergegebenen Begründung der RV zu § 223 Abs 2 "soll es dem Versicherten nicht verwehrt werden, einen Leistungsanspruch aus einem Versicherungsfall des Alters, der geminderten Arbeitsfähigkeit oder (bis 28.2.1969) der Eheschließung nicht gleichzeitig mit dem Eintritt des Versicherungsfalles, sondern erst später geltend zu machen, sei es, weil er in dem erstangeführten Zeitpunkt noch nicht die Wartezeit erfüllt hat oder weil er zur Verbesserung der Rente (heute: Pension) noch Versicherungszeiten erwerben will oder dgl. Für diese Fälle muß der erwähnte Stichtag, um eine solche Absicht nicht zu vereiteln, auf den Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf die Leistung bzw, wenn er nicht auf einen Monatsersten fällt, auf den nachfolgenden Monatsersten verschoben werden."

Ein Versicherter, der das Anfallsalter für eine Alterspension erreicht hat oder mit einem feststellbaren bestimmten Zeitpunkt invalid, berufs- oder dienstunfähig geworden ist, kann daher durch den von ihm gewählten Antragstag zwar nicht den Eintritt des Versicherungsfalles, wohl aber den - in diesen Fällen - vom Zeitpunkt der Antragstellung abhängigen Stichtag bestimmen. Der erkennende Senat hält diese allen Versicherten eingeräumte Möglichkeit der Stichtagswahl für verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie ermöglicht es einem Versicherten, der beim Eintritt eines Versicherungsfalles des Alters oder der geminderten Arbeitsfähigkeit die Wartezeit noch nicht erfüllt hat oder eine höhere Alterspension oder Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit beziehen möchte, die erwähnte allgemeine Leistungsvoraussetzung oder die Voraussetzungen für eine höhere Leistung bis zum hinausgeschobenen Stichtag zu erfüllen. Daß ein Versicherter, dem bei früherer Antragstellung eine Leistung der Pensionsversicherung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ebührt hätte, den Leistungsanspruch insbesondere dadurch verlieren kann, daß am durch die spätere Antragstellung ausgelösten Stichtag die Wartezeit nicht mehr erfüllt ist, macht diese Stichtagsregelung nicht verfassungswidrig. Auf die verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich des § 234 Abs 1 Z 3 ASVG wird später einzugehen sein. Vor allem kann in diesem Zusammenhang von keinem Eingriff in einen "wohlerworbenen Anspruch" des Versicherten auf eine Pensionsanwartschaft oder -leistung gesprochen werden, weil der Anspruch auf jede der im § 222 Abs.1 und 2 ASVG angeführten Leistungen (mit Ausnahme der Abfindung nach § 269 Abs 1 Z 1) nach § 235 Abs 1 und 2 ASVG ua an die allgemeine Voraussetzung geknüpft ist, daß die Wartezeit durch zu berücksichtigende Versicherungsmonate erfüllt ist. Diese sekundäre Leistungsvoraussetzung soll sicherstellen, daß nur solche Leistungswerber in den Genuß von Leistungen kommen, die der Versichertengemeinschaft bereits eine bestimmte Zeit angehört und durch ihre Beiträge zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben (Teschner in Tomandl, SV-System 4.ErgLfg 373). Die Wartezeit entfällt nach § 235 Abs 3 ASVG für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder des Todes nur unter den dort genannten - und hier nicht vorliegenden - Voraussetzungen. In diesen Ausnahmefällen bilden die sonst verlangten Vorleistungen gegenüber der Versichertengemeinschaft wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit des Versicherten keine Voraussetzung seines Leistungsanspruches. Nach der geltenden Gesetzeslage erfüllt die Klägerin, wie oben dargelegt, die Wartezeit nicht. Käme es für sie im Sinne des § 236 Abs 1 Z 1 lit b ASVG nur darauf an, daß der Stichtag nach Vollendung des 55.Lebensjahres liegt, dann würde sich die Wartezeit allerdings nur um 11 Monate auf 71 Monate erhöhen (der Stichtag 1.4.1987 läge dann 11 Monate nach Vollendung des 55.Lebensjahres). Die Klägerin hat demgegenüber 89 Versicherungsmonate erworben. Dennoch würde die Erfüllung der Wartezeit daran scheitern, daß sie im Beobachtungszeitraum des § 236 Abs 2 Z 1 ASVG, der dann 142 Monate betrüge (1.6.1975 bis 1.4.1987), nur 55 Versicherungsmonate aufzuweisen hätte, es sei denn, der Beobachtungszeitraum verlängere sich gemäß § 236 Abs 3 ASVG um neutrale Monate (§ 234 ASVG). In diesen Zeitraum fallen freilich keine neutralen Monate im Sinne des § 234 ASVG, weshalb sich nach der geltenden Gesetzeslage der Rahmenzeitraum nicht um solche Monate verlängern kann. Umstände, die eine Wertung als neutrale Zeiten nach § 234 Abs 1 Z 2 bis 11 ASVG rechtfertigen würden, ergeben sich weder aus den Behauptungen noch aus der sonstigen Aktenlage. Nach Z 1 leg.cit. ist die Zeit zwischen dem Eintritt des Versicherungsfalles, wenn jedoch der Antrag auf eine Leistung nach § 223 Abs 1 Z 1 oder 2 erst nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt wird, zwischen dem Zeitpunkt der Antragstellung und dem Stichtag als neutrale Zeit anzusehen; diese Norm bezieht sich gegenständlich nur auf den Zeitraum 10.3. bis 1.4.1987. Sie soll eine mögliche Schädigung des Versicherten durch die höchstens 29 Kalendertage dauernde Verschiebung vermeiden (so auch die in MGA ASVG 35.ErgLfg 1079 FN 7 wiedergegebene Begründung der RV; MGA ASVG 45.ErgLfg 1163 FN 2). Die Zeit, die zwischen der Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch und der Antragstellung auf die Leistung liegt, ist, soweit sie keine Versicherungszeit ist, nach der geltenden Gesetzeslage nur bei einer Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters als neutral anzusehen (§ 234 Abs 1 Z 3 ASVG; MGA ASVG 42.ErgLfg.1165 FN 4). Der erkennende Senat hat jedoch gegen die Anwendung des im § 236 Abs.3 ASVG bezogenen § 234 ASVG, und zwar gegen dessen Abs.1 Z 3, aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken.

Die letztgenannte Gesetzesstelle wurde aus der RV zum ASVG 599 BlgNR 7.GP 60 unverändert in das Stammgesetz BGBl 1955/189 übernommen und nie novelliert. Sie hat folgenden Wortlaut:

"Als neutral sind folgende Zeiten anzusehen, die nicht Versicherungszeiten sind: 3. die Zeit, die zwischen der Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters und der Antragstellung auf die Leistung liegt;"

Derselbe Wortlaut findet sich im § 121 Z 7 GSVG und im § 112 Z 5

BSVG.

Nach den EB der zit RV zu § 234 (S 76) soll die (gegenüber der bisherigen Rechtslage des 1.Sozialversicherungs-NeuregelungsG 3.4.1952 BGBl 86 (1.SV-NG) neue Z 3 "vorbeugen, daß in gewissen Grenzfällen durch Verspätung der Antragstellung auf die Altersrente kein Nachteil eintreten kann".

Neutrale Monate (§ 234) blieben nach Abs 3 des die Anrechenbarkeit der Versicherungsmonate regelnden § 233 des Stammgesetzes bei Anwendung des Abs 1 dieser Bestimmung außer Betracht. Sie waren nach § 237 Abs 1 und 2 des Stammgesetzes aus den für die Dritteldeckung bzw Dreivierteldeckung erforderlichen Zeiten auszuschalten. Dadurch wurden die Anrechenbarkeit der Versicherungsmonate und die damalige zweite allgemeine Voraussetzung der Leistungsansprüche, nämlich die Dritteldeckung, erleichtert. Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 65 führt zu den neutralen Zeiten aus, der Gesetzgeber habe sich bei einigen vom Versicherten nicht beeinflußbaren Unterbrechungen zwar nicht zur Anerkennung als Versicherungszeit bereitgefunden, wohl aber angeorndet, daß diese Zeiten zugunsten des Versicherten nicht als schädliche Unterbrechung angesehen werden sollten. Neutrale Zeiten würden bei der Ermittlung der Wartezeit, aber auch bei der Berechnung der Pensionshöhe ausgeschieden.

Nach Teschner in Tomandl, SV-System 4.ErgLfg 378 sind die neutralen Zeiten keine Versicherungszeiten und daher nicht leistungswirksam. Der Gesetzgeber habe solche Zeiten anerkannt, wenn dafür berücksichtigungswürdige Gründe vorgelegen hätten, die nicht so gravierend erschienen seien, daß eine Zuordnung zu den Ersatzzeiten erforderlich gewesen wäre. Als neutral erklärte Zeiten verlängerten insbesondere den Rahmenzeitraum, innerhalb dessen die Wartezeit erfüllt sein müsse, und erleichterten damit die Erfüllung dieser Voraussetzung.

Daraus, daß § 234 Abs 1 Z 3 ASVG von der Zeit zwischen der Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Leistung und der Antragstellung auf die Leistung spricht, ergibt sich, daß unter den erstgenannten Voraussetzungen nur die materiellen Leistungsvoraussetzungen, nicht aber auch die formelle Leistungsvoraussetzung des Leistungsantrages zu verstehen sind. Daß als neutral iS der zit Gesetzesstelle nur die Zeit anzusehen ist, die zwischen der Erfüllung der (dh aller, also sowohl der allgemeinen als auch der besonderen materiellen) Voraussetzungen für den Anspruch und der Antragstellung liegt, bedeutet, daß eine solche neutrale Zeit zwischen dem Entstehen des Leistungsanspruches und der Antragstellung liegen muß.

Die Ansprüche auf die Leistungen aus der Pensionsversicherung entstehen nach § 85 ASVG nämlich in dem Zeitpunkt, in dem die im Vierten Teil des ASVG hierfür vorgesehenen Voraussetzungen, zu denen der im Siebeten Teil des ASVG geregelte Leistungsantrag nicht zählt, erfüllt sind (zB Teschner-Fürböck in MGA ASVG 46.ErgLfg 516 FN 1). Wären die Monate zwischen der Erfüllung der materiellen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Leistung und der Antragstellung auf die(se) Leistung nicht als neutral anzusehen, dann könnte das, wenn der Antrag auf eine Leistung aus den Versicherungsfällen des Alters oder geminderter Arbeitsfähigkeit erst nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt wird (§ 223 Abs 2 Satz 2) dazu führen, daß der beim Eintritt des Versicherungsfalles entstandene Leistungsanspruch am durch die spätere Antragstellung ausgelösten Stichtag nicht mehr besteht, weil dann die Wartezeit nicht mehr erfüllt sein könnte.

In einem solchen Fall würden die Pensionen aus den Versicherungsfällen des Alters und der geminderten Arbeitsfähigkeit, die nicht binnen einem Monat nach Erfüllung der materiellen Anspruchsvoraussetzungen beantragt wurden, nicht nur erst mit dem späteren Stichtag anfallen (§ 86 Abs 3 Z 2), sondern der Versicherte würde durch die verspätete Antragstellung seinen bereits entstandenen, also erworbenen Pensionsanspruch wieder verlieren. Einen solchen schwerwiegenden Nachteil wollte der Gesetzgeber durch § 234 Abs 1 Z 3 ASVG - allerdings nur beim Versicherungsfall des Alters - verhindern (so auch OLG Wien 28.4.1976 SVSlg 23.234 und 4.11.1983 SVSlg 29.294).

Diese Einschränkung auf den Versicherungsfall des Alters erscheint dem erkennenden Senat verfassungsrechtlich bedenklich, weil das Gesetz hier wesentlich Gleiches ohne ausreichenden sachlichen Grund ungleich behandelt.

Der Gesetzgeber ist nämlich durch den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz verpflichtet, an (im wesentlichen) gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen (VfSlg 2956, 5727). Er darf Gruppen von Normadressaten nicht verschieden behandeln, wenn zwischen ihnen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Unterschiedliche Regelungen, die nicht durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen begründet sind, sind daher verfassungswidrig (VFSlg 7947, 8600).

Versicherte, die ihren einmal entstandenen Anspruch auf eine Leistung aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit verlieren würden, weil wegen der verspäteten Antragstellung die Wartezeit nicht mehr erfüllt wäre, erscheinen insoweit nicht weniger schutzwürdig als vergleichbare Versicherte mit einem schon entstandenen Anspruch auf eine Alterspension (ebenso 23. Jänner 1990, 10 Ob S 10/90).

Der erkennnende Senat hatte daher nach Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof überdies den Antrag zu stellen, gemäß Art 140 B-VG auszusprechen, daß auch die Wortfolge "aus dem Versicherungsfall des Alters" im § 234 Abs 1 Z 3 ASVG als verfassungswidrig aufgehoben wird.

Anmerkung

E21040

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00009.9.0529.000

Dokumentnummer

JJT_19900529_OGH0002_010OBS00009_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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