TE OGH 1990/6/7 7Ob20/90

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Veröffentlicht am 07.06.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl M*** Gesellschaft mbH & Co KG, Lüftungsspenglerei, Volders, Gewerbestraße 3, vertreten durch Dr.Hansjörg Schiestl und Dr.Karl Janowsky, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei W*** Versicherungs AG, Innsbruck Körnerstraße 9, vertreten durch Dr.Günther Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 62.493,22 sA und Feststellung (Streitwert S 300.000), infolge der Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 8.März 1990, GZ 2 R 387/89-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 20. September 1989, GZ 6 Cg 81/89-10, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es insgesamt zu lauten hat:

"Es wird festgestellt, daß die beklagte Partei im Rahmen der mit der klagenden Partei abgeschlossenen Betriebshaftpflichtversicherung dem mitversicherten Dienstnehmer der klagenden Partei Anton M*** junior, geboren am 22.6.1958, aus Anlaß des Vorfalls vom 15.7.1986, bei welchem Elmar H***, geboren am 10.2.1968, verletzt wurde, Versicherungsschutz zu gewähren hat.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 62.493,22 samt 4 % Zinsen seit 15.5.1989, die mit S 57.706,50 (darin S 8.307,75 an Umsatzsteuer und S 7.860 an Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz und die mit S 30.683,60 (darin S 3.780,60 an Umsatzsteuer und S 8.000 an Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu setzen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 19.832 (darin S 2.472 an Umsatzsteuer und S 5.000 an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei, bei der Anton M*** am 15.7.1986 Dienstnehmer war, war mit ihrem Betrieb bei der beklagten Partei haftpflichtversichert, wobei die Allgemeinen und die Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 1978 und EHVB 1978) diesem Vertrag zugrundelagen.

Anton M*** wurde mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Imst vom 24.3.1987 im Sinne des § 88 Abs 1 und 4 StGB schuldig erkannt, weil er am 15.7.1986 in Tieflehn einen Mörtelbrocken von einer Baustelle im vierten Stock hinunterwarf, obwohl er hätte wissen müssen, daß sich unten Arbeiter befinden, wodurch Elmar H*** getroffen wurde und schwere Verletzungen im Auge erlitt. Die klagende Partei begehrt die Zahlung von S 62.493,22 sA und stellt ein Begehren auf Feststellung, die beklagte Partei habe im Rahmen der mit der klagenden Partei abgeschlossenen Betriebshaftpflichtversicherung dem mitversicherten Dienstnehmer der klagenden Partei Anton M*** junior, geboren am 22.6.1958, aus Anlaß des Vorfalls vom 15.7.1986, bei welchem Elmar H***, geboren am 10.2.1968, verletzt wurde, Versicherungsschutz zu gewähren. Anton M*** und ein weiterer Dienstnehmer der klagenden Partei, Gottfried E***, hätten einen für Isolierungsarbeiten an Lüftungsrohren vorgesehenen Raum von Mörtelresten freigemacht, wobei Gottfried E*** einige dieser Mörtelreste mit dem Fuß zur Seite geschoben, Anton M*** einen noch weichen Mörtelbrocken in Eiergröße aufgehoben und zur Seite geworfen habe. Die Säuberung des Bodens habe zum Betrieb der Lüftungsspenglerei gehört. Der Mörtelbrocken sei unabsichtlich beim offenen Fenster hinausgeflogen und habe Elmar H*** getroffen. Anton M*** habe nicht damit gerechnet, daß sich ein Arbeiter außerhalb des Rohbaues aufhalte. Die Tiroler Gebietskrankenkasse habe aus den für ihren Versicherungsnehmer Elmar H*** erbrachten Leistungen eine Forderung von S 62.493,22 gegen Anton M*** geltend gemacht. Die klagende Partei habe diesen Betrag ihrem Dienstnehmer vorgestreckt, um exekutive Schritte gegen ihn zu verhindern, und begehre den Rückersatz.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Das Hinauswerfen von Mörtelbrocken aus dem vierten Stockwerk einer Baustelle sei vom versicheten Risiko, nämlich dem Betrieb einer Lüftungsspenglerei, nicht umfaßt, ein Versicherungsfall nach Art 1 Abs 1 AHVB 1978 daher nicht gegeben. Der Versicherungsschutz erstrecke sich überdies nicht auf Schäden, die rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt worden seien, wobei dem Vorsatz eine Handlung oder Unterlassung gleichgehalten werde, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden müsse und in Kauf genommen werde. Anton M*** habe damit rechnen müssen, daß sich unterhalb des Fensters Arbeiter befänden. Überdies liege eine Obliegenheitsverletzung der klagenden Partei nach Art 8 Punkt 3.3. AHVB 1978 vor. Der Versicherungsnehmer sei nicht berechtigt, ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Schadenersatzanspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen, wie das seitens der klagenden Partei gegenüber der Tiroler Gebietskrankenkasse geschehen sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und traf folgende Feststellungen:

Am 15.7.1986 gegen Mittag kamen die Lüftungsmonteure der klagenden Partei Anton M*** junior und Gottfried E*** zu einer Baustelle in Tieflehn, um dort Lüftungsrohre zu isolieren. Zu dieser Zeit waren auch noch Maurer- und Zimmerleute auf der Baustelle. Zunächst wurde gemeinsam das Mittagessen eingenommen. Nachdem Anton M*** und Gottfried E*** gegessen hatten, begaben sie sich in den vierten Stock, um dort einen Raum zu suchen, in dem sie die Isolierungsarbeiten ausführen könnten. Sie stellten fest, daß in verschiedenen Räumen an diesem Tag noch verputzt wurde. Schließlich fanden sie einen Raum, in dem die Verputzarbeiten schon beendet waren und entschlossen sich, in diesem die Isolierung der Lüftungsrohre durchzuführen. Dazu ist es erforderlich, daß das Isoliermaterial an den Stellen, die verklebt werden, nicht verschmutzt ist. Gottfried E*** und Anton M*** entschlossen sich, die Arbeiten am Boden durchzuführen. Da im Bereich, wo sie die Arbeiten ausführen wollten, am Boden noch Mörtelreste von den am Vormittag durchgeführten Verputzarbeiten vorhanden waren, entfernten sie diese. Die Mörtelreste wurden zum Teil mit den Füßen weggeschoben und zum Teil aus den offenen Tür- und Fensteröffnungen geworfen. Gottfried E*** und Anton M*** haben vorher nicht geschaut, wohin sie die Mörtelreste warfen. Der Mörtel war noch weich. Die beiden nahmen nicht an, daß durch den hinunterfallenden Mörtel Personen verletzt werden könnten.

Um etwa 12.45 Uhr warf Anton M*** den ersten weichen Mörtelbatzen aus der Fenster-Türöffnung und zwar derart, daß er mindestens 10 m von der Hauswand entfernt zu Boden fiel. Dort lag gerade der Zimmermanslehrling Elmar H*** In der Sonne und wurde vom Mörtelbatzen getroffen. Gottfried E*** und Anton M*** hatten sich nach Beendigung des Mittagessens nicht darum gekümmert, was die anderen Arbeiter machen. Sie haben vor dem Säubern ihres Arbeitsplatzes auch nicht aus dem Fenster gesehen und daher die unten versammelten Arbeiter nicht bemerkt. Anton M*** war an diesem Tag erstmals auf der Baustelle in Tieflehn.

Elmar H*** wurde durch den Silomörtel im Gesicht getroffen. Es kam zu einer Verätzung der Augenbindehaut und -hornhaut, insbesondere des rechten Auges. Durch die Verletzung ist eine hochgradige Sehverminderung des rechten Auges eingetreten. Nur durch eine Hornhauttransplantation ist zu erwarten, daß eine Besserung der Sehleistung des rechten Auges wieder eintritt.

Die Tiroler Gebietskrankenkasse nahm zu 12 Cg 32/88 des Landesgerichtes Innsbruck Anton M*** wegen Zahlung eines Betrages von S 49.668,80 sA in Anspruch, den sie auf Grund ihrer gesetzlichen Verpflichtungen für ihren Versicherungsnehmer Elmar H*** erbracht hatte. Am 30.5.1989 trat in diesem Verfahren Ruhen des Verfahrens ein, nachdem von der klagenden Partei der Hauptsachebetrag von S 49.668,80, Zinsen von S 3.476,82 und Kosten des Klagevertreters von S 9.347,60, zusammen S 62.493,22 an die Tiroler Gebietskrankenkasse bezahlt worden waren. Die klagende Partei hat diesen Betrag Anton M*** vorgestreckt.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, das Schadensereignis sei nicht dem versicherten Risiko entsprungen. Ein Ausschluß nach Art 7 Punkt 2.1. der AHVB 1978 sei allerdings nicht gegeben. Anton M*** sei es nämlich nicht bewußt gewesen, daß sich unterhalb des Fensters andere Arbeiter aufhielten. Wohl aber liege eine Obliegenheitsverletzung nach Art 8 Punkt 3.3. der AHVB 1978 vor, weil die klagende Partei ohne vorherige Zustimmung der beklagten Partei an die Tiroler Gebietskrankenkasse geleistet und damit den Schadenersatzanspruch anerkannt habe. Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Leistungsbegehrens, gab aber dem Feststellungsbegehren Folge und sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO (idF der WGN 1989) zulässig ist. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte dessen Ansicht, daß der klagenden Partei eine Obliegenheitsverletzung im Sinne des Art 8 Punkt 3.3. AHVB anzulasten sei. Mit ihrer Argumentation, die beklagte Partei habe die Deckung des Anspruches der Tiroler Gebietskrankenkasse verweigert und es wäre daher sinnlos gewesen, um Zustimmung zur Zahlung anzufragen, räume die klagende Partei das Vorliegen der vom Versicherer nachzuweisenden objektiven Obliegenheitsverletzung selbst ein. Die klagende Partei habe den von ihr als Versicherungsnehmerin zu erbringen Entschuldigungsbeweis im Sinne des § 6 VersVG nicht angetreten. Sie habe auch weder behauptet noch bewiesen, daß sie die Zahlung nach den Umständen nicht ohne offenbare Unbilligkeit habe verweigern können (§ 154 Abs 2 VersVG). Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes liege dagegen doch ein Versicherungsfall im Sinne des Art 1 Punkt 1 AHVB vor. Entscheidend sei, ob der Versicherte bei dem seine Schadenersatzpflicht auslösenden Verhalten im Rahmen seiner Beschäftigung im Betrieb und für diesen tätig gewesen sei. Diese Voraussetzung liege hier vor. Das das Schadensereignis auslösende Verhalten des Anton M*** sei im Rahmen der ihm aufgetragenen Tätigkeit im und für den Betrieb der klagenden Partei erfolgt, wenn auch die von ihm vorgenommene Art der Reinigung des Arbeitsplatzes weder aufgetragen, noch notwendig oder üblich gewesen sei. Mit Recht habe das Erstgericht das Vorliegen eines Ausschlusses vom Versicherungsschutz nach Art 7 Punkt 2.1. AVHB verneint. M*** habe die Verletzung des Elmar H*** weder vorsätzlich herbeigeführt, noch auch zumindest in Kauf genommen. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil der Lösung der Frage nach dem Umfang des versicherten Risikos bei der Betriebshaftpflichtversicherung für die Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukomme.

Beide Teile bekämpfen die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Die Revision der beklagten Partei richtet sich gegen den stattgebenden Teil des Urteils mit dem Antrag, diesen im klageabweisenden Sinn, die Revision der klagenden Partei gegen den abweisenden Teil des Urteils mit dem Antrag, diesen im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Die beklagte Partei stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Beide Parteien haben Revisionsbeantwortungen erstattet. Die beklagte Partei macht darin primär geltend, die Revision der klagenden Partei sei unzulässig, weil die Entscheidung über das Leistungsbegehren bestätigt worden sei.

Nach § 502 Abs 2 ZPO idF der WGN 1989 ist aber die Revision nur dann jedenfalls unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat (Entscheidungsgegenstand), an Geld oder Geldeswert S 50.000 nicht übersteigt. Da im vorliegenden Fall der Entscheidungsgegenstand der zweiten Instanz S 50.000 überstiegen hat, ist die Revision bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) zulässig. Daß eine im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichtes erhebliche Rechtsfrage vorliegt, wird von der beklagten Partei nicht in Frage gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Nur die Revision der klagenden Partei ist berechtigt.

1. Zur Revision der beklagten Partei:

Die beklagte Partei wendet sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, es liege ein Versicherungsfall im Sinne des Art 1 Punkt 1 AHVB vor, und bekämpft die Auffassung beider Vorinstanzen, ein Ausschluß nach Art 7 Punkt 2.1. AHVB sei nicht gegeben. Dies zu Unrecht.

Sinn und Zweck einer Betriebshaftpflichtversicherung ist es, alle Haftpflichtgefahren, die dem Versicherten oder dem mitversicherten Betriebsangehörigen aus dem betreffenden Betrieb erwachsen können, unter Versicherungsschutz zu stellen. Das Betriebshaftpflichtrisiko ist nicht nur auf typische Betriebsgefahren beschränkt, sondern umfaßt im Hinblick auf die Vielfalt der mit einem Betrieb verbundenen Haftpflichtgefahren alle Tätigkeiten, die mit diesem Betrieb in einem inneren ursächlichen Zusammenhang stehen, demnach alle den Betriebsinteressen dienenden Tätigkeiten der Versicherten oder der mitversicherten Arbeiter (VersR 1977, 780). Die Deckungspflicht aus der Betriebshaftpflichtversicherung besteht (nur) für ein Ereignis, das eine Auswirkung der Beschäftigung des Mitversicherten im versicherten Betrieb darstellt. Nur bei Gelegenheit dienstlicher Verrichtungen verursachte Beschädigungen fallen nicht unter den Schutzbereich einer Betriebshaftpflichtversicherung. Es wird eine innere Beziehung zum Betrieb verlangt (VersR 1984,998, Prölss/Martin, VersVG24 639). Die Säuberung des Bodens von frischen Mörtelbrocken durch die beiden Arbeiter der klagenden Partei diente der Vorbereitung der ihnen aufgetragenen Isolierungsarbeiten. Mag auch die von Anton M*** vorgenommene Art der Reinigung des Arbeitsplatzes nicht üblich gewesen sein, fehlt in den Feststellungen doch jeder Anhaltspunkt für die Annahme, er habe den Mörtelbrocken etwa aus Mutwillen durch das offene Fenster hinausgeworfen (vgl Prölss/Martin aaO). Die Entfernung der Mörtelbrocken aus dem für die Durchführung der Isolierarbeiten vorgesehenen Raum durch Anton M*** war demnach eine Auswirkung seiner Beschäftigung im Betrieb der klagenden Partei, sodaß das Schadensereignis unter das versicherte Risiko fällt. Nach Art 7 ("Ausschlüsse vom Versicherungsschutz") Punkt 2.1. der AHVB erstreckt sich die Versicherung nicht auf Schadenersatzverpflichtungen der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt haben; dem Vorsatz wird gleichgehalten eine Handlung oder Unterlassung, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden mußte, jedoch in Kauf genommen wurde.

Aus der strafgerichtlichen Verurteilung des Anton M*** ergibt sich keinesfalls ein Ausschluß nach dieser Vertragsbestimmung, da § 88 StGB die fahrlässige Körperverletzung behandelt, Anton M*** also einer fahrlässig und nicht einer vorsätzlich begangenen Handlung schuldig erkannt wurde. Es fehlt auch jede Feststellung in der Richtung, daß Anton M*** den Schadenseintritt habe erwarten müssen, daß er ihn aber in Kauf genommen habe. Zwar hat Anton M*** den Mörtelbrocken bewußt, also absichtlich aus dem Fenster geworfen. Es fehlte ihm aber das Bewußtsein, daß seine Handlung einen schädlichen Erfolg haben werde oder auch nur haben könnte (VersR 1978, 532 mwN). Er hat den Erfolg seiner Handlungsweise weder als möglich vorausgesehen, noch auch für den Fall seines Eintritts gebilligt (vgl Prölss/Martin aaO, 643).

Die Revision der beklagten Partei erweist sich damit als unbegründet.

2. Zur Revision der klagenden Partei:

Die klagende Partei wendet sich gegen die Annahme der Vorinstanzen, ihre Leistung an die Tiroler Gebietskrankenkasse stelle eine Obliegenheitsverletzung im Sinne des Art 8 Punkt 3.3. der AHVB dar. Es sei unverständlich, daß sie die beklagte Partei noch einmal um Zustimmung zu einer Zahlung hätte fragen sollen, wiewohl ihr aus mehrfachen Versuchen, den Eintritt der Versicherung in den Schadensfall zu erreichen, bekannt gewesen sei, daß eine solche Zustimmung mit Sicherheit nicht gegeben werde. Außerdem sei allseits erkennbar gewesen, daß die Tiroler Gebietskrankenkasse berechtigte Ersatzforderungen aus der medizinischen Versorgung des Verletzten geltend mache. Die alsbaldige Zahlung habe den Sinn gehabt, weitere Kosten zu vermeiden. Die beklagte Partei habe niemals bestritten, den Eintritt in den Schadensfall abgelehnt zu haben. Dies ergebe sich auch aus den angeschlossenen Beiakten (6 Cg 145/88 des Landesgerichtes Innsbruck).

Nach Art 8 Punkt 3.3. der AHVB wird als Obliegenheit, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirkt, bestimmt: Der Versicherungsnehmer ist nicht berechtigt, ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Schadenersatzanspruch ganz oder zum Teil anzuerkennen. Eine Vereinbarung, nach welcher der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei sein soll, wenn ohne seine Einwilligung der Versicherungsnehmer den Dritten befriedigt oder dessen Anspruch anerkennt, ist nach § 154 Abs 2 VersVG zwar unwirksam, falls nach den Umständen der Versicherungsnehmer die Befriedigung oder die Anerkennung nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigern konnte. Voraussetzung für eine Unwirksamkeit der behandelten Vereinbarung nach dieser Bestimmung ist es aber, daß die erhobene Forderung offenbar unbegründet war und, daß andere als geschäftliche Rücksichten des Versicherungsnehmers, nämlich soziale oder Pietätsgründe auf Seite des Geschädigten über die normale moralische Verpflichtung hinaus die Wiedergutmachung in besonderem Maße erforderten (SZ 50/60 mwN). Diese Voraussetzungen waren bei der Zahlung der klagenden Partei auf Grund der Regreßklage der Tiroler Gebietskrankenkasse nicht gegeben. Die klagende Partei hat derartiges auch nicht behauptet. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch hingewiesen, daß die klagende Partei einen Entschuldigungsbeweis im Sinne des § 6 VersVG nicht angetreten habe. Dennoch ist eine rechtlich bedeutsame Obliegenheitsverletzung der klagenden Partei, also eine solche, die zur Leistungsfreiheit der beklagten Partei führen würde, nicht vorhanden. Es ist nach den Behauptungen der Parteien unbestritten und geht auch unmißverständlich aus den Akten 6 Cg 145/88 und 12 Cg 57/89 (früher 12 Cg 32/88) des Landesgerichtes Innsbruck hervor, daß die beklagte Partei es abgelehnt hat, für den Vorfall vom 15.7.1986 Versicherungsschutz zu leisten und die klagende Partei die Leistung an die Tiroler Gebietskrankenkasse nach dieser Ablehnung erbracht hat.

Anerkenntnis und Befriedigung nach Verweigerung des Deckungsschutzes führen aber nicht zur Leistungsfreiheit. Die unbegründete Deckungsverweigerung ist als Verzicht auf die Einhaltung des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbotes anzusehen (Prölss/Martin aaO 651, Bruck-Moeller-Johannsen, VersVG8, IV 262 f; EvBl 1976/8; VersR 1966, 625 ua).

In den vorstehenden Ausführungen zur Revision der beklagten Partei wurde dargelegt, daß die beklagte Partei den Versicherungsschutz zu Unrecht versagt hat. Die Befriedigung des Anspruches der Tiroler Gebietskrankenkasse durch die klagende Partei nach der Ablehnung des Versicherungsschutzes durch die beklagte Partei hat deshalb nicht die Leistungsfreiheit der beklagten Partei zur Folge. Der Ersatzanspruch der klagenden Partei umfaßt gemäß § 150 VersVG auch die entstandenen Prozeßkosten (Prölss/Martin aaO 635). Daß der klagenden Partei bei ihrer Zahlung grobe Fahrlässigkeit unterlaufen wäre (vgl EvBl 1976/8), hat die beklagte Partei nicht behauptet.

Der Revision der klagenden Partei war deshalb Folge zu geben und das angefochtene Urteil hinsichtlich des Leistungsbegehrens spruchgemäß abzuändern.

3. Die Kostententscheidung erfolgte hinsichtlich der Verfahrenskosten erster Instanz nach § 41 ZPO, hinsichtlich der Kosten des Rechtsmittelverfahrens nach den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E21451

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00020.9.0607.000

Dokumentnummer

JJT_19900607_OGH0002_0070OB00020_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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