TE OGH 1990/6/12 10ObS202/90

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Veröffentlicht am 12.06.1990
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Richard Bauer (Arbeitgeber) und Jürgen Mühlhauser (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. Karl P***, Pensionist, 2344 Maria Enzersdorf, Ottensteinstraße 79, vertreten durch Dr. Michael Graff, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeiststraße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wegfalls der vorzeitigen Alterspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Feber 1990, GZ 32 Rs 273/89-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. Oktober 1989, GZ 2 Cgs 148/89-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei anerkannte mit Bescheid vom 29.6.1989 den Anspruch des am 22.1.1927 geborenen Klägers auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gemäß § 270 ASVG iVm § 253 b ASVG mit Beginn am 1.3.1989, sprach jedoch gleichzeitg aus, daß diese Pension gemäß § 253 b Abs. 2 ASVG ab 1.4.1989 wegfällt, weil das Erwerbseinkommen des Klägers den in § 5 Abs. 2 lit. c ASVG festgesetzten Betrag von derzeit S 2.593,-- übersteige. Die Überzahlung an Vorschußbeträgen in Höhe von S 16.203,10 wurde rückgefordert; der Kläger wurde aufgefordert, diesen Betrag binnen 14 Tagen nach Rechtskraft des Bescheides bei Exekution zu zahlen. Der Kläger wendete sich nicht gegen die ziffernmäßige Berechnung der Pension und stellte außer Streit, daß seine Einkünfte ab 1.4.1989 die "Bagatellgrenze" des § 5 Abs. 2 lit. c ASVG übersteigen. Die Klage richtet sich jedoch gegen die Anwendung des § 253 b Abs. 2 ASVG (Wegfall einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer) mit dem Ziel, nach der auf Grund der bestehenden Rechtslage zu erwartenden Abweisung der Klage die Überprüfung dieser Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof zu ermöglichen. Der Kläger beantragte das Urteil, die beklagte Partei sei schuldig, ihm eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1.4.1989 in der jeweils vollen gesetzlichen Höhe auszuzahlen, ohne § 253 b Abs. 2 ASVG anzuwenden. Die beklagte Partei beantragt, die Klage abzuweisen und dem Kläger die Verpflichtung zum Rückersatz der zu Unrecht bezogenen Vorschußbeträge aufzuerlegen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und erkannte den Kläger schuldig, der beklagten Partei S 16.203,10 binnen 14 Tagen zurückzuzahlen. Gemäß § 253 b Abs. 2 ASVG falle die Pension nach Abs. 1 mit dem Tage weg, an dem der Versicherte eine unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit aufnehme, dies unter Bedachtnahme auf den für 1989 maßgeblichen Grenzbetrag von S 2.593,--. Der von der beklagten Partei erlassene Bescheid entspreche daher der Rechtslage.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung nicht Folge. Der Kläger verkenne zwar nicht, daß die vorzeitige Alterspension nach § 253 b ASVG ein eigener Versicherungsfall sei, der weder mit dem Versicherungsfall des Alters nach § 253 ASVG, noch mit dem Anspruch auf Ruhegenuß nach dem Pensionsgesetz vollkommen übereinstimme, meine jedoch, zwischen den Ruhensbestimmungen und dem Wegfall der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer ergeben sich zahlreiche rechtliche und praktische Parallelen, so daß im Lichte der jüngeren Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofs eine verfassungsgerichtliche Überprüfung des § 253 b Abs. 2 ASVG gerechtfertigt scheine. Nach Ansicht des Klägers verstoße die Bestimmung gegen das verfassungsgesetzliche Gleichheitsgebot dadurch, daß nebenbei erwerbstätige Bezieher einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer, deren Erwerbseinkommen die "Bagatellgrenze" übersteige, anderen Gruppen von Pensionsbeziehern gegenüber wesentlich benachteiligt würden und zwar insbesondere gegenüber nebenbei erwerbstätigen Beziehern einer Alterspension nach § 253 ASVG und einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension nach § 254 ASVG bzw. § 271 ASVG, obwohl Bezieher einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer nicht nur gleichwertige, sondern strengere Anspruchsvoraussetzungen erfüllen müßten und darüber hinaus zumindest gleiche, in der Regel jedoch insgesamt höhere Beiträge entrichtet hätten. Diesen Bedenken hielt das Berufungsgericht entgegen, daß die vorzeitige Alterspenison bei langer Versicherungsdauer (frühestens) mit der Vollendung des 60. bzw. 55. Lebensjahres beginne und sich bei Vollendung des 65. bzw. 60. Lebensjahres in eine Alterspension umwandle, es schon deshalb durchaus nachvollziehbar sei, wenn der Gesetzgeber den Bezug der vorläufigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer gegenüber der Alterspension an strengere Voraussetzungen binde, von denen eine der Wegfall bei einer Erwerbstätigkeit mit einem die "Bagatellgrenze" übersteigenden Entgelt sei. Überdies sei der Anspruch auf vorzeitige Alterspension gemäß § 253 b ASVG gegenüber dem Anspruch auf Alterspension gemäß § 253 ASVG ohnedies begünstigt, weil letzterer nur bestehe, wenn der Versicherte (in der Regel) keiner Pflichtversicherung mehr unterliege, also nicht einmal ein den in § 5 Abs 2 lit c ASVG genannten Betrag übersteigendes Einkommen beziehen dürfe. Daran ändere auch der Hinweis auf die Ruhensbestimmungen des § 94 ASVG nichts; die Antragstellungen an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung dieser Bestimmungen seien aus anderen Gesichtspunkten erfolgt. Der Pensionswerber habe in Kenntnis der Unterschiede die Möglichkeit der Entscheidung, ob er die "normale" Alterspension oder die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer wähle. Die Pensionen infolge Invalidität oder Berufsunfähigkeit kämen aus gänzlich verschiedenen, von der Sozialversicherung abgedeckten Risikobereichen. Die vorzeitige Alterspension stelle einen einerseits zeitlich begünstigten, weil vorgeschobenen, andererseits strengeren Bestimmungen unterworfenen Tatbestand dar; der Versicherte nehme die vorzeitige Alterspension freiwillig in Anspruch, sie sei nicht entziehbar; hingegen könnten die Leistungen aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit gemäß § 99 ASVG infolge wesentlicher Änderungen der gesundheitlichen Umstände entzogen werden. Der Bezieher einer Invaliditäts- oder Berufunfähigkeitspension sei überdies in seiner Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt, was kein Kriterium für den Anspruch auf vorzeitgie Alterspension bei langer Versicherungsdauer bilde. Dem Einwand des Berufungswerbers, es gebe auch keine ausreichende sachliche Rechtfertigung dafür, daß die vorzeitige Alterspension zur Gänze wegfallen solle, wenn das neben der Pension bezogene Erwerbseinkommen die "Bagatellgrenze" gerade noch überschreite, während sie in dem Fall, daß es knapp unter dieser Grenze liege, in voller Höhe weiterbezogen werden könne, sei zu entgegnen, daß in vielen Rechtsvorschriften entsprechend der Natur der Sache bestimmte zahlenmäßige Grenzen normiert seien, deren Gestaltung dem Gesetzgeber zur einfachen und handhabbaren Durchführung ohne Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz zugebilligt werden müsse. Der Erwerb von 420 Versicherungsmonaten für sich allein gewähre eben noch keinen absoluten Pensionsanspruch vor Erreichen des allgemeinen Pensionsalters.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes vom Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Ein Recht, vom Obersten Gerichtshof die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu begehren, steht dem Revisionswerber nicht zu (9 Ob S 5/89 uva). Der Oberste Gerichtshof kann jedoch einen solchen Antrag stellen, wenn er Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes hat. Die Ausführungen des Revisionswerbers zur angeblichen Verfassungswidrigkeit des § 253 b Abs. 2 ASVG wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sind jedoch nicht geeignet, solche Bedenken zu erwecken, weil der Gleichheitsgrundsatz lediglich eine sachlich nicht begründete Differenzierung verbietet. Der Gesetzgeber ist durch den Gleichheitsgrundsatz verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen (VfSlg. 5727 ua). Differenzierungen sind dann sachlich begründet, wenn sie nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen erfolgen. Wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich müssen zu unterschiedlichen Regelungen führen (VfSlg. 8806 ua). Nur unterschiedliche Regelungen, die nicht in entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen eine Grundlage haben, sind gleichheitswidrig (VfSlg. 8600 ua), wobei unter der Sachlichkeit einer Regelung nicht eine "Zweckmäßigkeit" oder "Gerechtigkeit" zu verstehen ist (VfSlg. 4711). Dem einfachen Gesetzgeber kommt auch eine, freilich nicht unbegrenzte, rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die außer bei einem Exzess nicht der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt und insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Maßstäben zu messen ist. Innerhalb dieser Grenzen ist die Rechtskontrolle nicht zur Beurteilung der Rechtspolitik berufen (VfSlg. 9583 mwN) (so auch SSV-NF 3/94 mwN).

Wie das Berufungsgericht bereits mit ausführlicher Begründung dargelegt hat, bestehen zwischen den tatsächlichen Voraussetzungen für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 253 b ASVG einerseits und der Alterspension nach § 253 ASVG sowie den Pensionsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit (§§ 254, 271 ASVG) anderseits für jeden leicht erkennbare wesentliche Unterschiede, die auch unterschiedliche Regelungen im Sozialversicherungsrecht rechtfertigen. Die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer beginnt frühestens mit der Vollendung des 60. bzw. 55. Lebensjahres und wandelt sich spätestens nach fünf Jahren in eine Alterspension um (§ 253 Abs. 2 ASVG); da der Schutz des Versicherten früher einsetzt, ist es auch gerechtfertigt, die Anforderungen schärfer zu fassen als beim normalen Versicherungsfall des Alters (vgl. Teschner in Tomandl, SV-System 4. ErgLfg. 359). Eine dieser strengeren Voraussetzungen ist der Wegfall der vorzeitigen Alterspension bei einer Erwerbstätigkeit mit einem die "Bagatellgrenze" übersteigenden Entgelt. Zwischen den Ruhensbestimmungen des § 94 ASVG und der hier anzuwendenden des § 253 b Abs. 2 ASVG besteht kein innerer Zusammenhang. Jeder Pensionswerber hat die Möglichkeit der freien Entscheidung, ob er eine vorzeitige Alterspension für sich in Anspruch nimmt oder bis zum Erreichen des allgemeinen Pensionsalters zuwartet. Der Anspruch auf eine Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension hat in der Regel zur Voraussetzung, daß eine Weiterarbeit des Versicherten aus gesundheitlichen Gründen unmöglich ist. Sind wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse die Voraussetzungen des Anspruchs auf eine solche Leistung nicht mehr vorhanden, so kann sie gemäß § 99 ASVG entzogen werden. Diese Möglichkeit besteht bei der vorzeitigen Alterspension gemäß § 253 b ASVG nicht, weshalb auch der Hinweis des Revisionswerbers auf die Gesetzesmaterialien, wonach durch diese Leistung die Möglichkeit geschaffen werden sollte, daß Versicherte mit langer Versicherungsdauer und großer Dichte des Versicherungsverlaufes in der letzten Zeit vor der Vollendung des

65. (60.) Lebensjahres ohne vorherige ärztliche Untersuchung und ohne vorhergehenden Bezug der Arbeitslosenunterstützung in den Pensionsbezug gelangen können sollten, nicht durchschlägt. Auch die Normierung der sogenannten "Bagatellgrenze" des § 5 Abs. 2 lit c ASVG stellt eine in vielen Rechtsbereichen angewendete Vorgangsweise des Gesetzgebers dar, um eine der Natur der Sache entsprechende einfache und leicht handhabbare Durchführung der Gesetze zu gewährleisten; darin kann ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht erblickt werden.

Der Oberste Gerichtshof, der die hier in Betracht kommende gesetzliche Bestimmung schon in zahlreichen anderen Fällen ohne verfassungsrechtliche Bedenken angewendet hat (vgl. SSV-NF 2/4, 2/111, 3/1, 3/98), hat auch diesmal keine solchen Bedenken, so daß er eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof nicht in Erwägung zieht. Im übrigen hat der erkennende Senat in seinem zu 10 Ob S 194/88 am 19.12.1989 gestellten Antrag an den Verfassungsgerichtshof betreffend § 253 Abs. 1 ASVG ausgeführt:

"Dazu kommt noch, daß bei der vorzeitigen Alterspension bei Aufnahme einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nach deren Zuerkennung nicht wie bei der normalen Alterspension die wesentlich günstigeren Ruhensbestimmungen des § 94 ASVG Anwendung finden, sondern bei Erzielen eines Erwerbseinkommens, das über der Geringfügigkeitsgrenze liegt, diese Pensionen zur Gänze wegfallen. Diese Differenzierung erscheint im Hinblick auf den früheren Pensionsanfall und den damit verfolgten Zweck durchaus einsichtig" (S 14).

Ausgehend von der geltenden Rechtslage erweist sich aber das Urteil des Berufungsgerichtes als zutreffend, sodaß der Revision ein Erfolg versagt bleiben muß.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit b ASVG.

Anmerkung

E21271

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00202.9.0612.000

Dokumentnummer

JJT_19900612_OGH0002_010OBS00202_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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