Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Richard Bauer und Dr. Harald Foglar-Deinhartstein (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Adolfine P***, Witwenpensionistin, 4644 Scharnstein, Almseestraße 45, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei
S*** DER G*** W***, 1051 Wien,
Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Michael Graff, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ruhens der Witwenpension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Feber 1990, GZ 13 Rs 9/90-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 18. Oktober 1989, GZ 24 Cgs 150/89-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Oberste Gerichtshof stellt nach Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den
Antrag,
gemäß Art 140 Abs 3 B-VG den § 61 GSVG als verfassungswidrig aufzuheben.
Text
Begründung:
Der am 27.11.1932 geborene, bei der beklagten Partei versicherte Wilhelm P*** war bis zu seinem Tod am 2.12.1983 mit der am 26.3.1938 geborenen Klägerin verheiratet.
Am 27.1.1989 beantragte die Klägerin bei der beklagten Partei die Witwenpension. Die beklagte Partei sprach mit Bescheid vom 26.5.1989 aus, 1. daß die Witwenpension (§ 136 GSVG) ab 27.1.1989 mit monatlich S 3.986,90 gebührt, 2. daß der Leistungsanspruch ab demselben Tag zur Gänze ruht (§ 61 GSVG). Den zu 2. genannten Ausspruch begründete die beklagte Partei mit der Ausübung einer die Pflichtversicherung nach dem GSVG begründenden Erwerbstätigkeit. In der nur gegen den 2. Bescheidpunkt gerichteten rechtzeitigen Klage mit dem Begehren auf Zahlung der Witwenpension lediglich unter Anwendung der Ruhensbestimmungen des § 61 Abs 2 GSVG iVm § 60 GSVG behauptete die Klägerin, sie habe bis zum Tod ihres Gatten mit diesem gemeinsam einen Gastgewerbebetrieb in Form einer bürgerlich rechtlichen Gesellschaft geführt; diesen Betrieb habe sie nach dem Tod ihres Gatten in Form eines Einzelunternehmens weitergeführt, weshalb die beklagte Partei zu Unrecht ein Ruhen nach § 61 Abs 1 GSVG ausgesprochen habe.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Die Erwerbstätigkeit der Klägerin bestehe nicht ausschließlich in der Führung des Betriebes, den ihr verstorbener Gatte geführt habe. Die Ehegatten P*** seien auch steuerlich getrennt veranlagt worden. Das Erstgericht erkannte das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin die Witwenpension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.2.1989 ohne Anwendung der Ruhensvorschrift des § 61 Abs 1 GSVG, sondern lediglich unter Anwendung der Ruhensvorschrift des § 61 Abs 2 iVm § 60 GSVG zu zahlen, dem Grunde nach als zu Recht bestehend und trug der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von S 2.000 monatlich auf. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:
Wilhelm P*** betrieb bis 1977 ein Transportunternehmen; seit 1977 führten die Ehegatten P*** einen Gastgewerbebetrieb mit dem Standort Scharnstein, Almseestraße 45, bestehend aus Gasthaus mit Tabaktrafik, Bar und Buffet. Die Klägerin hatte Gewerbeberechtigungen für den Buffet- und den Gasthausbetrieb samt Tabaktrafik, ihr Gatte hatte die Gewerbeberechtigung für den Barbetrieb. Die Ehegatten waren je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft und des Hauses, in welchem der Betrieb in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführt wurde mit einer gemeinsamen Buchhaltung für alle Bereiche. Die wirtschaftlichen Entscheidungen wurden von beiden Ehegatten gemeinsam getroffen. Bis zum Tod des Wilhelm P*** wurden 6 Angestellte beschäftigt. Nach seinem Tod führte die Klägerin den Betrieb im wesentlichen im gleichen Umfang mit demselben Personal weiter. Die Gewerbeberechtigung für die Bar wurde im Juli 1988 zurückgelegt, weil der Barbetrieb von der Gastgewerbeberechtigung umfaßt war.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, die günstigere Ruhensbestimmung des § 61 Abs 2 GSVG sei auch dann anzuwenden, wenn ein Betrieb im Rahmen einer bürgerlich rechtlichen Gesellschaft von einem Ehepaar geführt worden sei und vom überlebenden Ehegatten mit Hilfe einer Eigenberechtigung fortgeführt werde. Die Ehegatten P*** hätten den Betrieb hinsichtlich aller Teilbereiche, nämlich Gasthaus mit Trafik, Bar und Buffet als wirtschaftliche Einheit gemeinsam geführt und alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam getroffen. Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung nicht Folge. Die Klägerin habe in Ansehung des Barbetriebes über die gleiche Ausübungsberechtigung wie ihr Gatte verfügt, weil der Barbetrieb auch von der Gasthausgewerbeberechtigung mitumfaßt gewesen sei. Es liege daher auch im Sinne der Praxis der beklagten Partei (Teschner, GSVG 39. ErgLfg 165) eine relevante Betriebsfortführung im Sinne des § 61 Abs 2 GSVG vor.
Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im klagsabweisendem Sinne abzuändern. Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat gegen den von ihm anzuwendenden, für die Entscheidung über die Revision präjudiziellen § 61 GSVG verfassungsrechtliche Bedenken. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
"§ 61. (1) Übt der Pensionsberechtigte eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz begründende selbständige Erwerbstätigkeit aus, so ruht der Pensionsanspruch mit Ausnahme eines Anspruches auf Waisenpension für die Dauer dieser Erwerbstätigkeit.
(2) Abs 1 ist auf Witwen(Witwer)pensionen nicht anzuwenden, wenn die die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz begründende Erwerbstätigkeit ausschließlich in der Führung eines Betriebes besteht, den der verstorbene Betriebsinhaber im Zeitpunkt seines Todes geführt hatte oder dessen Führung er schon vorher seinem Ehegatten ganz oder teilweise übertragen hat und wenn er in der Folge einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitspension nach § 132 gehabt hat. Eine solche Erwerbstätigkeit ist jedoch einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 60 gleichzuhalten."
Da die schon in erster Instanz qualifiziert vertreten gewesene Klägerin nach dem unmißverständlichen Wortlaut ihres Klagebegehrens das Ruhen ihrer Witwenpension nach § 60 GSVG akzeptiert, ist diese Gesetzesstelle hier nicht anzuwenden, weshalb die dagegen bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken nicht auszuführen sind. Schon das GSPVG unterschied zwischen dem im § 42 geregelten Zusammentreffen eines Pensionsanspruches mit Erwerbseinkommen aus einer die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz nicht begründenden Erwerbstätigkeit und dem im § 43 geregelten Zusammentreffen eines Pensionsanspruches mit einer die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz begründenden Erwerbstätigkeit. Nach der RV zum GSPVG 343 BlgNR 8. GP 56 sollte diese gegenüber dem ASVG neue Regelung des § 43 ein vollständiges Ruhen des Rentenanspruches für die Dauer einer selbständigen Erwerbstätigkeit, welche die Pflichtversicherung nach dem GSPVG oder in der Pensionsversicherung nach einem anderen Bundesgesetz oder nach dem LZVG begründe, herbeiführen. Diese Regelung stehe in einem gewissen Zusammenhang mit der im § 72 Abs. 2 vorgesehenen Voraussetzung für den Rentenanspruch, wonach die Berechtigung zur Ausübung des Gewerbes am Stichtag erloschen sein müsse. Es solle hintangehalten werden, daß der Versicherte nach Anfall der Rente in einem späteren Zeitpunkt wieder eine die Pflichtversicherung begründende selbständige Erwerbstätigkeit aufnehme, ohne daß dies einen Einfluß auf seinen Rentenanspruch haben würde, der Versicherte also die Möglichkeit hätte, die Wirkung der Anspruchsvoraussetzung des § 72 Abs 2 später wieder zunichte zu machen.
§ 43 GSPVG lautete in der Stammfassung:
"Übt der Rentenberechtigte eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz oder in der landwirtschaftlichen Zuschußrentenversicherung begründende selbständige Erwerbstätigkeit aus, so ruht der Rentenanspruch für die Dauer dieser Erwerbstätigkeit."
Durch Art I Z 9a und b der 1. GSPVGNov erhielt § 43 die Bezeichnung Abs 1, die Worte "oder in der landwirtschaftlichen Zuschußrentenversicherung" in diesem Absatz hatten zu entfallen und es wurde als Abs 2 angefügt:
"Der Rentenanspruch ruht für die Dauer einer selbständigen Erwerbstätigkeit, welche die Pflichtversicherung in der landwirtschaftlichen Zuschußrentenversicherung begründet,
a) zur Gänze, sofern der für die gesamte bewirtschaftete Fläche für Zwecke der Grundsteuer ermittelte Meßbetrag den Betrag von 56 S erreicht oder übersteigt, sofern aber dieser Meßbetrag den Betrag von 56 S nicht erreicht, nur wenn die persönliche Arbeitsleistung des Rentenberechtigten zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft nicht notwendig ist;
b) mit 30 vH der Rente, wenn der für die gesamte bewirtschaftete Fläche ermittelte Meßbetrag den Betrag von 56 S nicht erreicht und die persönliche Arbeitsleistung des Rentenberechtigten zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft notwendig ist."
Die RV 622 BlgNR 8. GP 9 führte zu dieser (in ihrem Art I Z 8) vorgeschlagenen Änderung aus, für Personen, die neben dem Gewerbebetrieb auch einen land-(forst-)wirtschaftlichen Betrieb auf ihre Rechnung und Gefahr führten, ergebe sich, daß sie bei Ausscheiden aus der Pflichtversicherung nach dem GSPVG auf Grund der Ruhensbestimmung des § 43 nicht in den tatsächlichen Rentengenuß kommen können, weil sie nunmehr der Pflichtversicherung in der landwirtschaftlichen Zuschußrentenversicherung unterliegen. Die vorgesehene eingeschränkte Ruhensregelung habe die Ruhensregelung des § 41 Abs 1 LZVG zum Vorbild, wonach Rentenansprüche aus der landwirtschaftlichen Zuschußrentenversicherung für die Dauer einer selbständigen Erwerbstätigkeit, welche die landwirtschaftliche Zuschußrente begründe, nur unter bestimmten Voraussetzungen zur Gänze bzw. zum Teil zum Ruhen gebracht werden. Diese Einschränkung der Ruhensbestimmung erfasse nur das Zusammentreffen eines Rentenanspruches aus der Pensionsversicherung nach dem GSPVG mit einer selbständigen Erwerbstätigkeit in der Land- und Fortwirtschaft, nicht auch das Zusammentreffen mit einer die Pensionsversicherung nach dem GSPVG begründenden selbständigen Erwerbstätigkeit; in letzterem Fall bleibe es bei der Regelung des § 43, wonach der Rentenanspruch für die Dauer einer solchen Erwerbstätigkeit zur Gänze zu ruhen habe.
Durch Art I Z 5 der 4. GSPVGNov BGBl 1960/295 wurde § 43 Abs 1 folgender Satz angefügt:
"Das Ruhen erfaßt auch die Zuschüsse und Zuschläge, jedoch nicht die besonderen Steigerungsbeträge für Höherversicherung (§ 81)."
Durch Art I Z 5 der 16. GSPVGNov BGBl 1967/68 erhielt § 43 folgende Fassung:
"Übt der Pensionsberechtigte eine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz begründende selbständige Erwerbstätigkeit aus, so ruht der Pensionsanspruch für die Dauer dieser Erwerbstätigkeit. Das Ruhen erfaßt auch die Zuschüsse und Zuschläge, jedoch nicht die besonderen Steigerungsbeträge für Höherversicherung (§ 81)."
Durch Art I Z 11 der 18. GSPVGNov BGBl 1969/447 wurde im ersten Satz des § 43 nach Pensionsanspruch "mit Ausnahme eines Anspruches auf Waisenpension" eingefügt.
Der Wortlaut des § 61 GSVG entsprach mit Ausnahme des durch § 141 ersetzten Klammerzitates dem Wortlaut des § 43 GSPVG idF der 18. Nov. Seit der 3. GSPVGNov BGBl 1980/586 entfiel der letzte Satz. Durch Art I Z 14 der 10. GSVGNov BGBl 1986/112 erhielt der bisherige Inhalt des § 61 die Bezeichnung Abs 1; als Abs 2 wurde angefügt:
"Abs 1 ist auf Witwen(Witwer)pensionen nicht anzuwenden, wenn die die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz begründende Erwerbstätigkeit ausschließlich in der Führung eines Betriebes besteht, den der verstorbene Betriebsinhaber im Zeitpunkt seines Todes geführt hatte oder dessen Führung er schon vorher seinem Ehegatten ganz oder teilweise übertragen hat und wenn er in der Folge einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitspension nach § 132 gehabt hat. Eine solche Erwerbstätigkeit ist jedoch einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 60 gleichzuhalten."
Die RV 775 BlgNR 16. GP führte zu dieser Novellierung aus:
"Im Rahmen der 6. BSVGNov wurde mit Wirksamkeit vom 1.1.1983 die Inanspruchnahme der Witwen(Witwer)pension im Falle der Fortführung des Betriebs des verstorbenen Ehegatten eröffnet und bestimmt, daß in diesen Fällen vom gänzlichen Ruhen der Pension Abstand genommen werde. Wird der land(forst)wirtschaftliche Betrieb des Verstorbenen vom überlebenden Ehegatten fortgeführt, so tritt nach der geänderten Rechtslage ein Ruhen der Hinterbliebenenpension nur nach Maßgabe der erzielten Erwerbseinkünfte ein. Eine Hinzurechnung von Versicherungszeiten des verstorbenen Ehegatten bei Inanspruchnahme der Witwen(Witwer)pension ist weiterhin ausgeschlossen. Mit dem vorliegenden Änderungsvorschlag wird dem Anliegen der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, die die Auswirkungen der strengen Ruhensregelungen des § 61 GSVG beklagt, dadurch Rechnung getragen, daß die eingangs erwähnte Rechtslage des BSVG bezüglich des Anspruches auf Witwen(Witwer)pension und der Ausnahme vom gänzlichen Ruhen übernommen wird. Darüberhinaus werden die erwähnten Rechtsfolgen einer Betriebsfortführung nach dem Tode des Ehegatten auch für jene Fälle zu gelten haben, in denen eine Person schon zu Lebzeiten dem Ehegatten den Betrieb oder einen Teil desselben offensichtlich aus Gründen eines beeinträchtigten Gesundheitszustandes übergeben hat, was durch den Bezug einer Erwerbsunfähigkeitspension zum Ausdruck kommt. Mit einer solchen Änderung wird eine weitere Milderung von Härten in bezug auf die Inanspruchnahme der Witwen(Witwer)pension und auf die Ausnahme vom gänzlichen Ruhen erreicht ..."
Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien, das bis 31.12.1986 letzte Instanz in Leistungsstreitsachen war, unterschieden sich die §§ 42 und 43 GSPVG nur dadurch, daß nach § 42 das auf Grund unselbständiger Erwerbstätigkeit gebührende Entgelt nur in einem beschränkten Ausmaß zum Ruhen des Pensionsanspruches führte, während die auf Grund selbständiger Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte nach § 43 das Ruhen des Pensionsanspruches zur Gänze zur Folge gehabt hätten. Diese unterschiedliche Regelung finde ausschließlich in praktischen Erwägungen ihre Begründung. Während bei unselbständiger Erwerbstätigkeit das erzielte Arbeitsentgelt feststellbar und überprüfbar sei, sei das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit schwer zu fassen. Ausschließlich diese Erwägungen wären maßgebend, daß bei selbstäniger Erwerbstätigkeit der Penisonsanspruch zur Gänze ruhe (2.5.1963 SVSlg. 15.324). Die Regelung des § 43 GSPVG stehe in einem gewissen Zusammenhang mit der im § 72 Abs 2 leg. cit. vorgesehenen Voraussetzung für den Pensionsanspruch, wonach die Berechtigung zur Ausübung des Gewerbes und bei Gesellschaftsverhältnissen auch dieses am Stichtag erloschen sein müsse. Dadurch solle hintangehalten werden, daß der Versicherte nach Anfall der Pension in einem späteren Zeitpunkt wieder eine die Pflichtversicherung begründende selbständige Erwerbstätigkeit aufnehme, ohne daß dies einen Einfluß auf seinen Pensionsanspruch haben würde, der Versicherte also die Möglichkeit hätte, die Wirkung der Anspruchsvoraussetzung des § 72 Abs 2 GSPVG wieder zunichte zu machen. Daraus und aus § 42 leg. cit. sei daher der Grundgedanke abzuleiten, daß der Pensionsanspruch nur dann gebühren solle, wenn eine Erwerbstätigkeit nicht mehr ausgeübt werde (20.11.1978 SVSlg. 26.636 = SSV 18/113). Die Meinung, daß die Ruhensbestimmung des § 43 GSPVG nur aus § 72 Abs 2 lit. a leg. cit. heraus zu verstehen sei, könne nicht geteilt werden. So wie auch andere Ruhensbestimmungen im Sozialversicherungsrecht sei die genannte Bestimmung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Versicherung als auch der Versorgung zu betrachten. So wie grundsätzlich die Alterspension ein Ersatz für das verlorengegangene Arbeitseinkommen sein solle, hafteten der Witwenpension Elemente des Unterhaltsrechtes an. Wenn nun eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt werde, bestehe nach Meinung des Gesetzgebers keine Notwendigkeit für die Versorgung der Witwe. Der Grund der unterschiedlichen Regelungen der §§ 42 und 43 GSPVG sei nur in praktischen Erwägungen zu suchen (20.3.1979 SVSlg. 26.637). Die Differenzierung der Ruhensbestimmungen in den §§ 60 und 61 GSVG je nach dem, ob eine Pension aus der gewerblichen Pensionsversicherung mit Erwerbseinkommen aus einer die Pflichtversicherung nach dem GSVG begründenden Erwerbstätigkeit oder mit Erwerbseinkommen aus einer anderen Tätigkeit zusammentreffe, sei eine logische Konsequenz aus der differenzierten Regelung, die der Gesetzgeber hinsichtlich des Rechtes zur Weiterführung einer die Pflichtversicherung begründenden Tätigkeit bei Erwerb des Pensionsanspruches nach dem ASVG einerseits und dem GSVG andererseits treffe und die der VfGH in seiner E 17.3.1966 G 25 bis 27/1965 als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen habe. Die andere Ausgangssituation in den Anspruchsvoraussetzungen rechtfertige die unterschiedlichen Ruhensbestimmungen (11.11.1981 SVSlg. 28.375).
Während das Nichtvorliegen eines Pflichtpensionsversicherungsverhältnisses bzw. einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit am Stichtag in den Pensionsversicherungen der Arbeiter und der Angestellten nur besondere Voraussetzung für die Alterspension (§ 253 Abs. 1 und § 270 ASVG) und die vorzeitigen Alterspensionen (§ 253a Abs 1, § 253b Abs 1 lit d und § 270 leg. cit), nicht aber auch für die Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension (§ 254 bzw § 271 ASVG) ist, muß für einen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitspension nach § 132 Abs 1 GSVG die für den Versicherten in Betracht kommende weitere Voraussetzung des § 130 Abs 2 leg. cit. zutreffen, zB bei den gemäß § 2 Abs 1 Z 1 Pflichtversicherten also am Stichtag die Berechtigung zur Ausübung des Gewerbes erloschen sein oder die Ausnahme von der Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs 3 Z 3 vorliegen. Für einen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitspension nach § 123 Abs 1 BSVG muß die für den Versicherten in Betracht kommende weitere Voraussetzung des § 121 Abs 2 leg. cit. zutreffen, daß er am Stichtag keine die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz begründende Erwerbstätigkeit ausübt. Die Ansprüche auf Hinterbliebenenpensionen sind allerdings auch nach dem GSVG und dem BSVG nicht an eine der genannten weiteren besonderen Voraussetzungen geknüpft. Deshalb war im vorliegenden Fall, in dem es um das Ruhen einer Witwenpension geht, auf die verfassungsrechtliche Problematik der dargestellten unterschiedlichen Regelung der besonderen Anspruchsvorausseztungen für die Pensionen aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG einerseits und dem GSVG und BSVG anderseits nicht näher einzugehen. In diesem Zusammenhang sei aber bemerkt, daß der erkennende Senat in seinem Beschluß von 19.12.1989, 10 Ob S 194/88, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt hat, im § 253 Abs 1 ASVG die Wortfolge "... und der (die) Versicherte am Stichtag (§ 223 Abs 2) weder in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz noch nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz noch nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz pflichtversichert ..." als verfassungswidrig aufzuheben.
Auch wenn man - wie der Verfassungsgerichtshof in seinen E 5.12.1960 G 10/60 VfSlg 3836 und 17.3.1966 G 25 bis 27/65 VfSlg 5241 - davon ausgeht, daß der einfache Gesetzgeber grundsätzlich Ruhensbestimmungen vorsehen kann, muß er dabei selbstverständlich die Verfassungsvorschriften, insbesondere auch das Gleichheitsgebot beachten, das ihm Differenzierungen verbietet, die nicht aus entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ableitbar sind (so die beiden zit E). Dem Gesetzgeber kommt zwar trotz des Gleichheitsgrundsatzes eine - freilich nicht unbegrenzte - rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die - außer bei einem Exzeß - nicht der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt und insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Maßstäben zu messen ist. Innerhalb dieser Grenzen ist die Rechtskontrolle nicht zur Beurteilung der Rechtspolitik berufen (VfSlg 9583 mwN). Der Gleichheitsgrundsatz verbietet dem Gesetzgeber ferner nur die Schaffung sachlich nicht begründbarer Differenzierungen (VfSlg 6884 mwN), so daß eine unterschiedliche Regelung, die aus entsprechenden Unterschieden im Tatsachenbereich gerechtfertigt sein kann, nicht gleichheitswidrig ist (VfSlg 7400 mwN, 7947, 8600).
Bei Berücksichtigung dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bestehen gegen die unterschiedliche Regelung des Ruhens beim Zusammentreffen eines Pensionsanspruches mit Erwerbseinkommen aus einer die Pflichtversicherung nach dem GSVG nicht begründenden (§ 60 GSVG) und begründenden (§ 61 GSVG) Erwerbstätigkeit erhebliche Bedenken.
Bei den das Zusammentreffen eines Pensionsanspruches mit Erwerbseinkommen regelnden Ruhensbestimmungen geht der Gesetzgeber davon aus, daß die Pension grundsätzlich Ersatz für entfallenes Erwerbseinkommen oder bei Witwenpensionen für den entfallenden Unterhaltsanspruch darstellt. Erwirbt daher ein Pensionist weiter Einkommen, wird (in der Regel nur) ein Teil der Pension - außer bei Knappschafts- und Waisenpensionen sowie beim Kanppschaftssold - für die Dauer dieses Einkommensbezuges ruhendgestellt. Nur nach dem GSVG und BSVG sind die Ruhensfolgen dann wesentlich strenger, wenn eine die Versicherungspflicht nach diesen Gesetzen begründende selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird: Dann ruht die Pension nämlich grundsätzlich - mit Ausnahme eines Witwen- oder Witwerfortbetriebes zur Gänze (Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 217 B; Teschner in Tomandl, SV-System 4. ErgLfg 419 f).
Teschner weist aaO zutreffend darauf hin, daß die wesentlich strengeren Ruhensfolgen des § 61 (Abs 1) GSVG und des § 57 (Abs 1) BSVG gleichheitswidrig und damit verfassungswidrig sind, weil die eine Pflichtversicherung begründende selbständige Erwerbstätigkeit nach diesen Gesetzesstellen zu einem vollständigen Ruhen der Pension (mit Ausnahme einer Waisenpension) führt, während jede sonstige Erwerbstätigkeit nur ein teilweises Ruhen zur Folge hat. Dazu kommt noch, daß für eine besondere Gruppe der Selbständigen, nämlich die (im Inland) freiberuflich selbständig Erwerbstätigen, die auf Grund des FSVG ua in der Pensionsversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen pflichtversichert sind, auch die Ausübung einer die Pflichtversicherung begründenden selbständigen Erwerbstätigkeit nur zum teilweisen Ruhen der Pension führt, weil ihr Pensionsanspruch nach § 10 FSVG nur nach Maßgab des § 60 GSVG durch eine die Pflichtversicherung begründende selbständige Erwerbstätigkeit berührt wird.
Die in der RV zum GSPVG 343 BlgNR 8. GP 56 angeführte Begründung für das ausnahmsweise völlige Ruhen, nämlich der "gewisse Zusammenhang" mit der (nunmehr im § 130 Abs 2 GSVG geregelten) besonderen Anspruchsvoraussetzung, könnte einerseits überhaupt nur auf die Alterspension, die vorzeitigen Alterspensionen und die Erwerbsunfähigkeitspension, nicht aber auf die Witwen(Witwer)pension passen, für die diese besondere Anspruchsvoraussetzung nicht besteht. Anderseits würde die erklärte Absicht, zu verhindern, daß der Versicherte nach Anfall der Pension wieder eine die Pflichtversicherung begründende Erwerbstätigkeit aufnimmt, ohne daß dies einen Einfluß auf seinen Pensionsanspruch hätte, auch mit einem teilweisen Ruhen zu erreichen sein. Diese Absicht würde übrigens auch die Anordnung des vollständigen Ruhens der Alterspension und der vorzeitigen Alterspension nach dem ASVG nahelegen, die dort jedoch nicht vorgenommen wurde.
Aus dem Statistischen Handbuch für die Republik Österreich 1989 ergibt sich, daß sich die in der Begründung des an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Antrags des Obersten Gerichtshofes vom 7.3.1989, 10 Ob S 167/88, angeführten statistischen Daten hinsichtlich der im Dezember 1986 nach § 94 ASVG ruhenden Pensionen im folgenden Jahr nicht wesentlich geändert haben. Im Dezember 1987 ruhten nämlich nach der zit. Gesetzesstelle insgesamt 21.682 Pensionen, davon aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit 2.103, des Alters 3.798 und des Todes
15.781 (S. 138).
Von den insgesamt 1,335.506 Pensionen in der Pensionsversicherung der Unselbständigen (Stand Dezember 1987), davon 277.971 aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit, 625.036 dem des Alters und 432.499 dem des Todes (S. 137, 138) ruhten daher im genannten Monat nach § 94 ASVG insgesamt nur 1,62 %, also nach wie vor ein ganz geringer Teil. Nach einer dem Obersten Gerichtshof bekanntgegebenen statistischen Auswertung der S*** DER
G*** W*** ruhten zum 1.7.1988 nach § 60 GSVG
2.119 Pensionen mit einem Ruhensbetrag von 4,008.315,60 S und nach § 61 GSVG 711 Pensionen mit einem Ruhensbetrag von 3,292.669,70 S. Von den nach § 60 GSVG ruhenden Pensionen waren
47 Erwerbsunfähigkeitspensionen, 283 Alterspensionen und
1.789 Witwen- und Witwerpensionen.
Nach dem erwähnten Statistischen Handbuch betrug der Gesamtstand der Pensionen in der S*** DER G*** W***
im Dezember 1987 142.375, davon 17.796 aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit, 73.754 Alterspensionen und
46.202 Witwen- und Witwerpensionen (S. 138).
Der Anteil der nach den §§ 60 und 61 GSVG ruhenden Pensionen betrug daher nicht einmal 2 % aller Pensionen und ist daher - auch wegen der absolut gesehen gerade bei § 61 GSVG sehr wenigen Ruhensfälle - so gering, daß von diesem Ruhen weder eine nennenswerte Entlastung des Bundeshaushalts noch eine solche des Arbeitsmarktes bewirkt werden kann.
Lediglich der Vollständigkeit halber sei noch darauf verwiesen, daß der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17.3.1966 G 25 bis 27/1965 entgegen den Ausführungen in der Entscheidung SVSlg 28.375 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß Gegenstand des damaligen Antrages der Salzburger Landesregierung nicht das Ruhen der Pension gemäß § 43 GSPVG bei Ausübung einer selbständigen Tätigkeit war. Aus diesem Erkenntnis kann daher für die Verfassungsgemäßheit des § 61 GSVG nichts abgeleitet werden. Der Oberste Gerichtshof hält es daher für geboten, dem hiefür ausschließlich zuständigen Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit zu geben, die angefochtene Bestimmung auf ihre Verfassungsgemäßheit zu überprüfen und stellt daher nach Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den aus dem Spruch ersichtlichen Antrag (ebenso 29. Mai 1990, 10 Ob S 345/88).
Anmerkung
E21263European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00229.9.0612.000Dokumentnummer
JJT_19900612_OGH0002_010OBS00229_9000000_000