TE OGH 1990/6/20 2Ob30/90

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Veröffentlicht am 20.06.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna S***, Pensionistin, Remsach 10, 5640 Badgastein, vertreten durch den Sachwalter Max S***, Landwirt, ebendort wohnhaft, vertreten durch Dr. Ernst Blanke, Rechtsanwalt in Hallein, wider die beklagten Parteien 1) Johann M***, Angestellter, Diesseits 68, 4973 St.Martin, 2) L*** G.m.b.H., Kohlgrube 33, 4902 Wolfsegg, und 3) D*** A*** V***-AG, Schottenring 15, 1010 Wien, alle vertreten durch Dr. Alexander Puttinger, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wegen Zahlung von S 1,639.000,-

s. A., Leistung einer monatlichen Rente von S 10.500,- ab 1.3.1988 und Feststellung (S 300.000,-), Revisionsstreitwert S 305.000,-, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 13. Dezember 1989, GZ 2 R 114/89-51, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Teilurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 29. November 1988, GZ 14 Cg 51/85-44, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstbeklagte verschuldete am 18.12.1980 als Lenker des PKW mit dem Kennzeichen O-253.433 (die Zweitbeklagte ist der Halter, die Drittbeklagte der Haftpflichtversicherer dieses Kraftfahrzeuges) auf der Kötschachtaler Gemeindestraße in Badgastein einen Verkehrsunfall. Er fuhr gegen 22,30 Uhr auf der dort ca 4,8 m breiten kurvenreichen und ein Gefälle von ca 6 % aufweisenden Straße mit etwa 30 km/h talwärts, während sich Josef S*** mit seinem PKW mit dem Kennzeichen S 366.146 aus der Gegenrichtung näherte. Als der Erstbeklagte das Scheinwerferlicht des entgegenkommenden Fahrzeuges sah, bremste er, worauf sich sein PKW auf der mit Neuschnee bedeckten Straße querstellte, über die Fahrbahnmitte geriet und dort mit dem entgegenkommenden Fahrzeug zusammenstieß. Dabei wurde die Klägerin, die nicht angegurtet neben Josef S*** in dessen PKW gesessen war, nach vorne geschleudert und prallte mit dem Kopf heftig gegen die Windschutzscheibe.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall zuletzt (ON 43 S 263) die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 1,639.000,- sA und einer monatlichen Rente von S 10.500,- ab 1.3.1988; überdies stellte sie ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand, der Drittbeklagten im Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages, für ihre künftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren. Das Kapitalbegehren der Klägerin umfaßt unter anderem einen Betrag von S 375.000,- aus dem Titel des Schmerzengeldes. Dazu brachte die Klägerin im wesentlichen vor, daß ihr im Hinblick auf die schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden, die sie durch den Unfall erlitten habe, ein Schmerzengeld von S 500.000,- gebühre. Da sie hinsichtlich ihres Schmerzengeldanspruches ein mit 25 % zu bewertendes Mitverschulden treffe, weil sie den Sicherheitsgurt nicht verwendet habe, vermindere sich ihr Schmerzengeldanspruch auf S 375.000,--. Die Beklagten wendeten dazu im wesentlichen ein, daß das von der Klägerin begehrte Schmerzengeld überhöht sei. Das der Klägerin wegen Nichtanlegung des Sicherheitsgurts anzulastende Mitverschulden sei mit 50 % zu bewerten. Diese Mitverschuldensquote werde bezüglich aller von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche eingewendet. Sie sei nicht auf den Schmerzengeldanspruch der Klägerin zu beschränken, weil die Vorschrift des Art III Abs 1 der 3.KFG-Novelle gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße und daher verfassungswidrig sei. Das Alleinverschulden des Erstbeklagten an dem hier in Frage stehenden Verkehrsunfall ist ebenso unbestritten wie die Unfallskausalität der von den Vorinstanzen festgestellten Verletzungsfolgen und das Feststellungsinteresse der Klägerin. Das Erstgericht entschied mit Teilurteil über den Schmerzengeldanspruch der Klägerin und ihr Feststellungsbegehren. Es verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 375.000,- sA und gab dem Feststellungsbegehren der Klägerin vollinhaltlich Folge.

Das Erstgericht stellte, soweit für die im Revisionsverfahren noch strittigen Fragen von Bedeutung, über den bereits eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im wesentlichen folgendes fest:

Nach dem Unfall war an der Stirn der Klägerin nur ein etwa schillinggroßer roter Fleck zu sehen. Sie verneinte nach dem Unfall die Frage des Josef S***, ob sie sich verletzt habe. Noch in der gleichen Nacht traten aber bei der Klägerin Kopfschmerzen und Wortfindungsstörungen auf. Sie ließ sich am frühen Vormittag des 19.12.1980 zu ihrem Hausarzt Dr. G*** bringen. Sie klagte über leichte Kopfschmerzen und hatte leichte Wortfindungsstörungen. Dr. G*** vermutete eine Gehirnerschütterung mäßigen Grades und verordnete dreitätige Bettruhe und ein Medikament.

Am 22.12.1980 vormittags kam die Klägerin wieder zu Dr. G***. Sie sagte ihm, daß die Kopfschmerzen besser wären; auch die Sprachstörungen hatten sich gebessert. Die Klägerin klagte nunmehr über Schwindel. Dr. G*** ließ die Klägerin eine Schriftprobe machen. Dies fiel eindeutig pathologisch aus, nämlich verzerrt und undeutlich. Damit war für Dr. G*** klar, daß es sich um einen Herdbefund im Schläfenlappen handelte. Er dachte infolge des Unfalles an eine Gehirnblutung und ließ die Klägerin von seiner Ordination aus mit der Rettung in das Krankenhaus Schwarzach bringen.

In diesem Krankenhaus kam es am 23.12.1980 bei der Klägerin zu einer Lähmung der rechten Körperhälfte und einer Sprachlähmung. Der Unfall vom 18.12.1980 war für den Hirninfarkt mit Lähmung der rechten Körperhälfte und Sprachlähmung eine wesentliche Mitursache. Die Klägerin ist durch die Halbseitenlähmung rechts und die Sprachlähmung praktisch hilflos und bedarf einer ständigen Hilfsperson. Sie ist überwiegend bettlägering, nur mit einer Hilfsperson im Haus gehfähig und nicht reisefähig. Sie benötigt beim Ankleiden, bei der Körperreinigung und bei der Verrichtung der Stoffwechselvorgänge Hilfe.

Die Klägerin erlitt unfallsbedingt etwa 7 Tage schwere Schmerzen, etwa 4 Wochen mittelstarke Schmerzen und etwa 10 Wochen leichte Schmerzen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß die Beklagten zur ungeteilten Hand für den der Klägerin zugefügten Schaden zu haften hätten. Ein Schmerzengeld von S 500.000,- (ungekürzt) sei angemessen. Im Hinblick auf die Verletzung der Gurtenanlegepflicht durch die Klägerin sei ihr Schmerzengeldanspruch um 25 % zu mindern. Außerhalb des Schmerzengeldes sei ein Mitverschulden der Klägerin wegen Verletzung der Gurtenanlegepflicht nicht zu berücksichtigen. Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes, die es im übrigen bestätigte, hinsichtlich des Feststellungsbegehrens dahin ab, daß es die Haftung der Beklagten für allfällige künftige Schmerzengeldansprüche der Klägerin auf 75 % beschränkte. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, insgesamt den Betrag von S 300.000,- und in Ansehung des abändernden Teiles der Entscheidung den Betrag von S 15.000,- übersteigt.

Das Berufungsgericht führte, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes, rechtlich im wesentlichen aus, es teile die Ansicht der Beklagten, daß der Gesetzgeber mit den im Art III Abs 1 der 3.KFG-Novelle normierten Vorschriften eine unsachliche Differenzierung vorgenommen und dadurch gegen Art 7 Abs 1 B-VG verstoßen habe, nicht. Es sehe sich daher nicht veranlaßt, der Anregung der Beklagten zu folgen, gemäß Art 89 Abs 2 B-VG einen entsprechenden Antrag beim Verfassungsgerichtshof zu stellen.

Bei Abwägung aller Umstände des vorliegenden Falles erscheine das in der Verletzung der Gurtenanlegepflicht liegende Mitverschulden der Klägerin durch den Abzug von einem Viertel des Schmerzengeldbetrages hinreichend berücksichtigt.

Die Bemessung des Schmerzengeldes durch das Erstgericht sei zu billigen.

Allerdings sei in der Entscheidung über das Feststellungsbegehren zum Ausdruck zu bringen, daß die Beklagten wegen des Verstoßes der Klägerin gegen die Gurtenanlegepflicht hinsichtlich allfälliger künftiger Schmerzengeldforderungen der Klägerin nur zu 75 % zu haften hätten.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Klägerin nur ein Betrag von S 220.000,- sA zugesprochen und ihrem Feststellungsbegehren nur in Ansehung von 50 % ihrer künftigen Schäden aus diesem Verkehrsunfall stattgegeben, ihr Mehrbegehren aber abgewiesen werde; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Vorwegzunehmen ist, daß der erkennende Senat den Bedenken der Beklagten, daß die Vorschrift des Art III Abs 1 der 3.KFG-Novelle im Hinblick auf den im Art 7 Abs 1 B-VG normierten Glechheitsgrundsatz verfassungswidrig sei, nicht zu folgen vermag. Der im Art 7 B-VG normierte Gleichheitsgrundsatz verpflichtet den Gesetzgeber, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen. Er verbietet also willkürliche Differenzierungen, läßt aber unterschiedliche Regelungen dort zu, wo sie durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen gerechtfertigt sind (JBl 1985, 178 uva; siehe dazu auch Walter in ZVR 1979,33 ff, insbesondere 38). Der sachliche Grund des Gesetzgebers dafür, in der Vorschrift des Art III Abs 1 der 3. KFG-Novelle die Kürzung von Schadenersatzansprüchen wegen eines in der Nichtverwendung von Sicherheitsgurten liegenden Mitverschuldens auf Schmerzengeldansprüche zu beschränken, lag darin, daß er in der Nichtbenützung der Sicherheitsgurten nur einen Verstoß mit geringem Schuldgehalt erblickte (AB 295 BlgNR 14.GP 1 f). Es ist sicher richtig, daß das Vorliegen oder Fehlen von Mitverschulden nicht von der Art des Schadenersatzanspruches abhängen kann (Bydlinski in FS v Caemmerer 787), doch läßt sich daraus nicht ableiten, daß der Gesetzgeber bestehendes Mitverschulden nicht in einer bestimmten Richtung aus sachlichen Gründen als irrelevant behandeln dürfte (Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 26 zu § 1304). Wenn daher der Gesetzgeber im Art III Abs 1 der 3.KFG-Novelle für den Fall der Nichtverwendung von Sicherheitsgurten wegen des einer solchen Handlungsweise zuerkannten geringen Schuldgehaltes eine Kürzung von Schadenersatzansprüchen des Verletzten nur hinsichtlich seines Schmerzengeldanspruches anordnete, liegt darin keine willkürliche Differenzierung gegenüber der allgemeinen Regelung des § 1304 ABGB, sondern eine sachlich begründete Einschränkung der schadenersatzrechtlichen Folgen eines derartigen Verstoßes. Der erkennende Senat sieht sich daher nicht veranlaßt, der Anregung der Beklagten zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof im Sinne des Art 89 Abs 2 B-VG zu folgen. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, von der abzugehen kein Anlaß besteht, begründet die Verletzung der im Art III der 3.KFG-Novelle normierten Gurtenanlegepflicht nur, soweit es sich um einen allfälligen Schmerzengeldanspruch handelt, ein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB. Ein derartiges Mitverschulden ist soweit nicht gegeben, als der Geschädigte beweist, daß die Folgen in dieser Schwere auch beim Gebrauch des Sicherheitsgurts eingetreten wären. Die Höhe der Mitverschuldensquote hängt von den Umständen des Einzelfalles sowie von der Schwere der Zurechnungsmomente beim Schädiger und beim Geschädigten ab. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber die Verletzung der Gurtenanlegepflicht als leichten Verstoß mit geringem Schuldgehalt angesehen hat (ZVR 1988/103 mwN; 2 Ob 10/89 uva). Zieht man im vorliegenden Fall in Betracht, daß der Klägerin nur die Nichtverwendung des Sicherheitsgurts anzulasten ist, dem Erstbeklagten aber die schuldhafte Herbeiführung eines Verkehrsunfalles durch unvorsichtige Fahrweise bei schlechten (winterlichen) Straßenverhältnissen, dann ist unter diesen Gesichtspunkten darin, daß die Vorinstanzen bei der Beurteilung des Schmezengeldanspruches der Klägerin dieser wegen Nichtanlegung des Sicherheitsgurts ein Mitverschulden von 25 % angelastet haben, ein Rechtsirrtum zu Lasten der Beklagten nicht zu erkennen. Wenn die Beklagten in ihrer Rechtsrüge darauf verweisen, daß die Klägerin bei Verwendung des Sicherheitsgurts überhaupt nicht verletzt worden wäre, ist ihnen zu entgegnen, daß dies nur zur Folge hat, daß ihr gesamter Schmerzengeldanspruch entsprechend zu kürzen ist, wie dies die Vorinstanzen ohnehin getan haben; für die Höhe der der Klägerin bei der Beurteilung ihres Schmerzengeldanspruches anzulastenden Mitverschuldensquote ist dies ohne Belang (2 Ob 10/89 ua). Eine Kürzung der übrigen Schadenersatzansprüche der Klägerin wird nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung des Art III Abs 1 der 3. KFG-Novelle durch die Nichtverwendung des Sicherheitsgurts allein nicht begründet.

Zu Unrecht wenden sich die Beklagten in ihrer Revision auch gegen die Schmerzengeldbemessung der Vorinstanzen, indem sie darzutun versuchen, daß der Klägerin nur ein Schmerzengeld von (ungekürzt) S 440.000,- gebühre. Im Hinblick auf die äußerst schwerwiegenden Verletzungsfolgen - die Klägerin ist unfallsbedingt halbseitig gelähmt, hat die Sprache verloren, ist praktisch hilflos geworden und auf die Betreuung durch eine Hilfsperson angewiesen - ist darin, daß die Vorinstanzen der Klägerin ein Schmerzengeld von (ungekürzt) S 500.000,- zugebilligt haben, ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.

Der Revision der Beklagten muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.

Anmerkung

E21361

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00030.9.0620.000

Dokumentnummer

JJT_19900620_OGH0002_0020OB00030_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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