TE OGH 1990/6/20 1Ob529/90

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Veröffentlicht am 20.06.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*** R***, B*** Gesellschaft mbH & Co, Belruptstraße 59, 6900 Bregenz, vertreten durch Dr. Jörg Kaiser, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei Hildegard S***-K***, Pensionistin, Römerstraße 24, 6900 Bregenz, vertreten durch den einstweiligen Sachwalter Dr. Walter Derganz, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Feststellung, in eventu Leistung (Streitwert S 1,250.000) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 5. Oktober 1989, GZ 2 R 203/89-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 20. März 1989, GZ 10 Cg 40/88-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß auch das Eventualklagebegehren, das von der Beklagten am 19.6.1986 an die prot. Fa. R*** B*** mbH gestellte und unterfertigte Verkaufsangebot über ihre Liegenschaftshälfte in EZ 489 KG Bregenz sei rechtsgültig zustandegekommen, die Beklagte sei schuldig, nach den Bedingungen dieses Verkaufsangebotes einen Kaufvertrag mit der klagenden Partei abzuschließen und in die Einverleibung des Eigentumsrechtes der klagenden Partei hinsichtlich dieser Liegenschaftshälfte einzuwilligen, abgewiesen wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 238.514,60 (einschließlich S 34.924,60 Umsatzsteuer und S 28.967 Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 7.8.1910 geborene Beklagte ist Hälfteeigentümerin der Liegenschaft EZ 489 KG Bregenz mit dem Wohnhaus Römerstraße 24. Der R*** V*** hatte in einem Zwangsversteigerungsverfahren die dort mit S 1,862.500 geschätzte zweite Hälfte dieser Liegenschaft zum Meistbot von S 1,3 Millionen erworben, beabsichtigte jedoch, diese Miteigentumsanteile der klagenden Partei zu veräußern, welche ihrerseits von der Beklagten deren Anteile erwerben wollte. Über Vermittlung des Dr. Bertram T*** vom R*** V*** kam es am 17.6.1986 in der Wohnung

der Beklagten zu einer Besprechung, an welcher neben der Beklagten deren Sohn Dipl.Ing.Wolfgang K***, Dr. Bertram T*** und für die klagende Partei deren Prokurist Mag. Peter E*** sowie Mag. Bernd M*** teilnahmen. Obwohl es zu keiner Einigung über den Kaufpreis kam, wurde am Schluß dieser Unterredung vereinbart, daß Mag. Bernd M*** ein als Verkaufsangebot der Beklagten an die klagende Partei anzusehendes Schriftstück verfassen und der Beklagten überbringen werde. Tatsächlich arbeitete Mag. Bernd M*** für die Beklagte ein an die R***-BAU GmbH (eine Tochtergesellschaft der klagenden Partei) gerichtetes Verkaufsangebot vom 19.6.1986 (= Beilage ./A = ./3) aus, in dem lediglich der Kaufpreis noch nicht eingesetzt war. Am gleichen Tag begab er sich zur Beklagten und erläuterte ihr sowie deren Sohn Dipl.Ing. Wolfgang K*** das Anbot und die - schon von der vorhergehenden Besprechung bekannten

unveränderten - Preisvorstellungen der klagenden Partei. Nach Einigung über den Kaufpreis von S 1,250.000 und dessen handschriftliche Eintragung in das Angebot unterfertigte die Beklagte jede der vier Seiten des schriftlichen Verkaufsangebotes, an welches sie sich bis zum 30.9.1986 gebunden erklärte. Im Angebot war ua unter Punkt VIII. festgehalten, daß die R***-BAU GmbH berechtigt sein sollte, von der Beklagten zu verlangen, daß der endgültige Kaufvertrag mit einem oder mehreren von der R***-BAU GmbH namhaft gemachten Dritten abgeschlossen werde, in welchem Fall die R***-BAU GmbH der Beklagten die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus diesem Vertrag garantiere. Mit Schreiben vom 29.9.1986 nahm die R***-BAU GmbH das Angebot der Beklagten an und machte im Sinne des Punktes VIII. des Angebotes die klagende Partei als Käuferin namhaft. Mag. Bernd M*** überbrachte dieses Schreiben der Beklagten, welche mit ihrer Unterschrift am 30.9.1986 "die Annahme des Angebotes zur Kenntnis nahm" (Beilage./B). In der Folge verfaßte Mag. Bernd M*** einen verbücherungsfähigen Kaufvertrag, welchen die Beklagte am 17.11.1986 (die klagende Partei hingegen erst am 3.9.1987) vor Notar Mag. Hubert H*** beglaubigt unterfertigte.

Die Beklagte hatte nach dem Tode ihres Ehegatten im Jahr 1981 in ihrer Umgebung und für die betreuenden Ärzte zunehmende Vergeßlichkeit, zeitweilige Desorientiertheit und Verwirrtheit gezeigt. Am 17. und 19.6.1986 war sie jedoch geschäftsfähig. Im September 1986 erlitt sie eine akute zerebrale Stoffwechselstörung (Schlaganfall), in deren Folge sie sich vom 10. bis 16.9.1986 im Krankenhaus Mererau befand und auf Grund welcher sie die Fähigkeit zur freien Willensbildung verlor. Die Beklagte leidet an einem sogenannten Korsakow-Syndrom, dessen typisches Krankheitsbild hohe Aktivität, etwa bei der "Verbindung sogenannter Erinnerungsinseln" zeigt, so daß der dabei bestehende schwere Hirnabbau einem medizinischen Laien kaum erkennbar wird. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Bregenz vom 10.3.1987, SW 5/87-3, wurde Rechtsanwalt Dr. Walter D*** zum einstweiligen Sachwalter der Beklagten bestellt und mit der Überprüfung der Rechtsgültigkeit sowie allfälligen Anfechtung des von der Beklagten mit der klagenden Partei über ihre Liegenschaftshälfte geschlossenen Kaufvertrages betraut. Die Sachwalterbestellung wurde grundbücherlich angemerkt. Die klagende Partei begehrte neben dem (rechtskräftig abgewiesenen) Hauptbegehren auf Feststellung des Zurechtbestehens des Kaufvertrages vom 17.11.1986/3.9.1987 über die Liegenschaftshälfte der Beklagten an der EZ 489 KG Bregenz mit Eventualbegehren die Feststellung, das von der Beklagten am 19.6.1986 an die R***-BAU GmbH gerichtete Verkaufsangebot über ihre Liegenschaftshälfte EZ 489 KG Bregenz sei rechtsgültig zustande gekommen, sowie die Verurteilung der Beklagten, nach den Bedingungen dieses Verkaufsangebotes einen Kaufvertrag mit der klagenden Partei abzuschließen und in die Einverleibung des Eigentumsrechtes der klagenden Partei hinsichtlich dieser Liegenschaftshälfte einzuwilligen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung auch des Eventualbegehrens. Das Erstgericht gab dem Eventualbegehren der klagenden Partei statt. Im Zeitpunkt der Unterfertigung des Verkaufsangebotes vom 19.6.1986 sei die Geschäftsfähigkeit der Beklagten gegeben gewesen. Die Wirksamkeit des Offerts sei durch den Verlust der Geschäftsfähigkeit der Beklagten nicht aufgehoben worden. Die Anbotsgegnerin (R***-BAU GmbH) habe das Angebot innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist angenommen, so daß die Beklagte verpflichtet sei, mit der eintrittsberechtigten klagenden Partei zu den Bedingungen des Angebots einen Kaufvertrag abzuschließen. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteigt. Die Mitte September 1986 eingetretene Geschäftsunfähigkeit der Beklagten habe gemäß § 862 ABGB die Wirksamkeit des Angebots nicht beseitigt. Die Annahme des Angebots durch die klagende Partei sei fristgerecht erfolgt. Dem Umstand, daß die Beklagte das Annahmeschreiben vom 29.9.1986 "nur zur Kenntnis genommen habe", komme keine rechtserhebliche Bedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision der Beklagten ist berechtigt.

Gemäß § 862 Schlußsatz ABGB beseitigt die während der Annahmefrist eintretende Geschäftsunfähigkeit nicht die Bindung an das Offert, so daß die Beklagte bis zum 30.9.1986 an ihr im Zustand der Handlungsfähigkeit erstattetes Verkaufsangebot gebunden blieb. Gemäß § 862 a ABGB gilt die Annahme (des Vertragsangebotes) als rechtzeitig, wenn die (Annahme-)Erklärung innerhalb der Annahmefrist dem Antragsteller zugekommen ist. Die Vertragsannahmeerklärung (des Oblaten) ist eine zugangsbedürftige Willenserklärung mit der Funktion, dem Offerenten die Angebotsannahme bekanntzugeben. Soll dieser Zweck erreicht werden, muß der Offerent auch Gelegenheit erhalten, die Erklärung zur Kenntnis zu nehmen (vgl. Koziol-Welser8 I 90 f mwH). Der wirksame Zugang der beim Kaufvertrag den Vertragsabschluß bewirkenden Willenserklärung setzt zumindest dann, wenn die Erklärung für den Empfänger - wie hier - nicht nur Vorteile mit sich bringt, dessen volle Geschäftsfähigkeit voraus (SZ 57/52 mwH; SZ 54/72; Koziol-Welser aaO 91). Dies folgt schon aus der im § 865 ABGB für voll geschäftsunfähige Personen festgelegten und nicht sanierbaren Unfähigkeit, Versprechen zu machen oder anzunehmen. Rechtsvergleichend sei auf die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland verwiesen. Gemäß dem (§ 862 Schlußsatz ABGB entsprechenden) § 153 BGB wird das Zustandekommen des Vertrages nicht dadurch gehindert, daß der Antragende vor der Annahme stirbt oder geschäftsunfähig wird. Doch hat in solchem Falle bei Geschäftsunfähigkeit des Offerenten (vor der Annahme seines noch verbindlichen Anbots) die Annahme gegenüber dem gesetzlichen Vertreter zu erfolgen (Soergel-Wolf12 § 153 BGB Rz 7; RGRK12 § 153 BGB Rz 2). Ganz allgemein normiert § 131 Abs 1 BGB für empfangsbedürftige Willenserklärungen, daß die einem Geschäftsunfähigen gegenüber abgegebene Willenserklärung nicht wirksam wird, bevor sie seinem gesetzlichen Vertreter zugeht. Danach ist also der Geschäftsunfähige nicht in der Lage, Willenserklärungen, die ihn selbst betreffen, wirksam entgegenzunehmen (Soergel-Hefermehl12 § 131 BGB Rz 1). Der Revision ist auch darin beizupflichten, daß die rechtsgeschäftliche Anbotsfrist durch den Tod oder die Geschäftsunfähigkeit des Offerenten nicht unterbrochen und damit nicht über die Endigungsfrist hinaus verlängert wird. Daran ändert es auch nichts, wenn für die klagende Partei die Geschäftsunfähigkeit der Beklagten im Zeitpunkt der "Kenntnisnahme" der Annahmeerklärung am 30.9.1986 nicht erkennbar gewesen sein sollte. Der Unterfertigung der Annahmeerklärung durch die Beklagte am 30.9.1986 kommt dann mangels jeglicher Möglichkeit einer wahren Kenntnisnahme keine rechtliche Bedeutung zu, so daß ihr Vertragsangebot mangels fristgerechter rechtsgültiger Annahme außer Kraft getreten ist und sie daher nicht im Sinne des Eventualklagebegehrens auf Vertragszuhaltung in Anspruch genommen werden kann. In Stattgebung der Revision ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 bzw §§ 50, 41 ZPO. Der Schriftsatz der Beklagten vom 3.10.1988 (ON 13) war zur Rechtsverfolgung nicht erforderlich. Die Pauschalgebühr für das Revisionsverfahren hat die Verfahrenshilfe genießende Beklagte gemäß § 70 ZPO nicht zu entrichten.

Anmerkung

E21334

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0010OB00529.9.0620.000

Dokumentnummer

JJT_19900620_OGH0002_0010OB00529_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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