Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*** V*** AG IN Ö***, Wien 3., Lothringerstraße 16,
vertreten durch Dr. Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Roman B***, Facharzt für Zahnheilkunde, Hartberg, Michaelistraße 12, vertreten durch Dr. Peter Fichtenbauer und Dr. Klaus Krebs, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 9.624,70 s.A. und Feststellung (Streitwert S 50.000,--) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 12. März 1990, GZ 5 R 2/90-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hartberg vom 27. Oktober 1989, GZ 3 C 150/89w-11, bestätigt und der in dieses Urteil aufgenommene Beschluß infolge Rekurses der klagenden Partei abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.706,20 (darin S 617,70 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei begehrt den Zuspruch von S 9.624,-- s.A. Der Beklagte, der bei ihr eine Ärztebetriebsbündelversicherung für die Zeit vom 1.10.1987 bis 1.10.1997 abgeschlossen habe, habe diese mit Schreiben vom 29.9.1988 gekündigt, weil er seine zahnärztliche Praxis in Salzburg, Gorianstraße 4, mit 1.1.1989 auflöse. Die klagende Partei habe die Kündigung zunächst akzeptiert, weil ihr der Beklagte mitgeteilt habe, er werde eine unselbständige Tätigkeit annehmen. Als sie jedoch erfahren habe, daß der Beklagte eine zahnärztliche Praxis in Hartberg eröffnet habe, habe sie die Versicherung reaktiviert, habe aber bei der Prämienberechnung den Wegfall des Versicherungsrisikos der reinen Sachwerte der (vom Beklagten veräußerten) Ordinationseinrichtung in Salzburg berücksichtigt. Mit Schriftsatz vom 15.6.1989 stellte die klagende Partei gemäß § 236 ZPO den Antrag, festzustellen, daß der vom Beklagten mit der klagenden Partei abgeschlossene Versicherungsvertrag aufrecht bestehe.
Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Seine Kündigung sei berechtigt erfolgt, weil er seine zahnärztliche Praxis in Salzburg verkauft habe. Ein neuerlicher Versicherungsvertrag sei zwischen den Streitteilen nicht abgeschlossen worden. Der Zwischenantrag auf Feststellung sei nicht berechtigt. Das Erstgericht wies den Zwischenantrag auf Feststellung zurück, gab jedoch dem Leistungsbegehren statt und traf folgende Feststellungen:
Der Beklagte schloß am 6.8.1987 bei der klagenden Partei eine Ärzte-Betriebs-Bündelversicherung mit den Sparten "Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich Tätige" sowie "Ordinationsversicherung" unter Zugrundelegung der "Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung" (ABS), der "Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungs-Versicherung freiberuflich Tätiger" sowie der "Ergänzenden Bedingungen" hiezu ab. Die Versicherung bezog sich auf die zahnärztliche Praxis des Beklagten in Salzburg, Gorianstraße 4. Als eine Bewerbung des Beklagten um eine Planstelle als Zahnarzt in Hartberg im September 1988 positiv erledigt wurde und der Beklagte mit Wirksamkeit vom 1.10.1988 auch einen Vertrag mit der Krankenkasse für diese Stelle erhielt, kündigte er mit Schreiben vom 29.9.1988 sowohl die Ärzte-Betriebs-Bündelversicherung als auch eine bei der klagenden Partei bestehende allgemeine Haftpflichtversicherung mit der Begründung auf, er löse seine Praxis in Salzburg mit 1.1.1989 auf. Die klagende Partei wies diese Aufkündigung vorerst mit dem Hinweis zurück, die genannten Verträge hätten innerhalb Österreichs Geltung, und ersuchte den Beklagten um Bekanntgabe der neuen Niederlassungsadresse. Der Beklagte teilte der klagenden Partei daraufhin über ein Versicherungsberatungsbüro mit, er werde seine selbständige Tätigkeit aufgeben und ab Beginn des Jahres 1989 in einem Dienstverhältnis als angestellter Arzt tätig sein. Er ersuche, die Betriebsunterbrechungs- und Ordinationsversicherung zu stornieren, weil die Risken ab Auflösung der Praxis nicht mehr gegeben seien. Die klagende Partei stellte nunmehr eine die Ärzte-Bündelversicherung betreffende Stornopolizze aus. In der Folge erfuhr die klagende Partei, daß der Beklagte nicht ein Angestelltenverhältnis eingegangen war, sondern eine zahnärztliche Praxis in Hartberg aufgenommen und eine Betriebsunterbrechungsversicherung bei einem anderen Versicherungsunternehmen abgeschlossen hatte. Sie reaktivierte daraufhin mit 18.1.1989 die Bündelversicherung und teilte dem Beklagten mit, daß das Storno auf Grund einer Fehlinformation durchgeführt worden, eine Standortverlegung aber kein rechtlich möglicher Kündigungsgrund sei. Der Beklagte erklärte sich nicht bereit, die Reaktivierung zu akzeptieren. Er habe die Ordination in Salzburg aufgelöst und die Einrichtung der Ordination an einen Kollegen veräußert, der die durch die Übersiedlung des Beklagten freigewordene Krankenkassenstelle erhalten habe. Die klagende Partei berücksichtigte nun zwar, daß das Versicherungsrisiko "Einrichtung" als Folge des Verkaufes der Ordinationseinrichtung weggefallen sei und errechnete eine entsprechend geänderte Prämie, beharrte aber im übrigen auf ihrem Standpunkt.
Die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungsversicherung freiberuflich Tätiger haben auszugsweise folgenden Wortlaut:
"Art. 1.1. Soweit eine gänzliche oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebes durch ein Schadenereignis verursacht wird, ersetzt der Versicherer nach den folgenden Bestimmungen den dadurch entstehenden Unterbrechungsschaden.
1.2. Als Schadenereignis im Sinne des Abs.1 gilt die Beschädigung oder die Zerstörung einer dem Betrieb dienenden Sache durch
a)
Brand, Blitzschlag oder Explosion;
b)
Absturz oder Anprall von bemannten Luftfahrzeugen, deren Teile und Ladung;
c) Löschen, Niederreißen oder Ausräumen im Zusammenhang mit einem dieser Ereignisse.
Als Schadenereignis gilt auch das Abhandenkommen einer dem Betrieb dienenden Sache im Zusammenhang mit einem vorstehend angeführten Ereignis.
d) Als Schadenereignis im Sinne des Art.1 gilt auch die gänzliche oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebes infolge Unfalles der den Betrieb verantwortlich leitenden Person sowie
e) die gänzliche oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebes infolge Maßnahmen oder Verfügungen einer Gesundheitsbehörde oder ihr gleichgestellter Organe, die anläßlich einer Seuche oder Epidemie ergehen und die den Betrieb verantwortlich leitende Person betreffen. Eine Erkrankung dieser Person selbst gilt jedoch nicht als Schadensereignis im Sinne des Art.1.
Art. 2.1. Als Unterbrechungsschaden gelten der Entgang an Betriebsgewinn und der Aufwand an fortlaufenden Betriebsauslagen in dem versicherten Betrieb, soferne sich das Schadenereignis auf dem in der Polizze bezeichneten Grundstück, bei Schadensereignissen gemäß Art.1.2. lit.d und e auf der ganzen Erde, ereignet hat. Art.8 Bei Veräußerung des gesamten Unternehmens sind die §§ 69 bis 71 VersVG sinngemäß anzuwenden."
Punkt I der Ergänzenden Bedingungen lautet: "Als Schadenereignis im Sinne des Art.1 der Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungsversicherung freiberuflich Tätiger gilt auch die gänzliche oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebes infolge Krankheit der den Betrieb verantwortlich leitenden Person."
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, nach § 68 Abs.2 VersVG gebühre dem Versicherer bei Wegfall des versicherten Interesses nach dem Beginn der Versicherung nur die Prämie, die er hätte erheben können, wenn die Versicherung nur bis zu dem Zeitpunkt beantragt worden wäre, in welchem der Versicherer vom Wegfall des Interesses Kenntnis erlangt. § 68 VersVG gelte auch, wenn die versicherte Gefahr bei Vertragsabschluß nicht bestehe oder später wegfalle. Die Gefahr falle weg, wenn ein Versicherungsfall künftig nicht mehr eintreten könne. Im vorliegenden Fall werde die versicherte Gefahr durch die Standortverlegung von Salzburg nach Hartberg teilweise nicht berührt. Es könnten sowohl Gefahren, die mit der versicherten Sache in Zusammenhang stehen (Art. 1.2. lit.a bis c der Allgemeinen Bedingungen), als auch Gefahren, die auf der Person des leitenden Angestellten beruhen (Art. 1.2. lit.e und f der Allgemeinen Bedingungen), zum Eintritt des Versicherungsfalles führen. Erstrecke sich aber die versicherte Gefahr bezüglich der Person des Unternehmers (leitenden Angestellten) auf die ganze Erde, werde sie insoweit durch die Standortverlegung der Praxis des Beklagten nicht tangiert. Unter dem versicherten Interesse sei in der Betriebsunterbrechungsversicherung im Hinblick auf Art. 2.1. der Allgemeinen Bedingungen die wirtschaftliche Absicht des Unternehmers zu verstehen, aus seinem Betrieb fortdauerndes und stetiges Einkommen bzw. Gewinn zu erzielen. Durch eine bloße Standortverlegung erlösche dieses Interesse nicht, weil die Gewinnerzielungsabsicht des Unternehmers auch bei geändertem Standort gegeben sei. Daß die Standortverlegung den Verlust des Kundenstocks und des good will zur Folge gehabt habe, sei einer Veräußerung nicht gleichzuhalten. Da sohin weder das Interesse des Versicherungsnehmers, noch die versicherte Gefahr weggefallen sei, bestehe der abgeschlossene Vertrag unter Berücksichtigung des Wegfalls des Versicherungsrisikos "Ordinationseinrichtung" nach wie vor aufrecht. Der Zwischenantrag auf Feststellung sei zurückzuweisen gewesen, weil die Rechtsfrage des aufrechten Bestandes des Versicherungsvertrages allein für die Erledigung des Leistungsbegehrens wesentlich gewesen sei.
Das Berufungsgericht gab dem Zwischenantrag auf Feststellung statt und bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz über das Leistungsbegehren. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, insgesamt S 50.000,-- übersteigt und daß die ordentliche Revision nach § 502 Abs.1 ZPO zulässig ist. Der Zwischenfeststellungsantrag sei zulässig und auch berechtigt. Seine Wirkung reiche über den gegenständlichen Rechtsstreit hinaus und umfasse auch erst künftig fällig werdende Prämien. Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes sei im übrigen zutreffend. Der Beklagte habe nach den unbekämpften Feststellungen seine Ordination in Salzburg aufgelöst, nicht veräußert. Veräußert habe er lediglich die Einrichtung der Ordination. Die Übertragung von Mietrechten an den Ordinationsräumlichkeiten in Salzburg auf den Käufer der Ordinationseinrichtung habe der Beklagte nicht behauptet. Bei der Betriebsunterbrechungsversicherung handle es sich, auch wenn die Unterbrechung nicht durch den Ausfall von versicherten Sachen, sondern durch einen Personenschaden der versicherten Person erfolge, um eine Sachversicherung. Es komme also nicht so sehr darauf an, wo die Ursache der Betriebsunterbrechung auftrete, sondern darauf, ob ein bestehender Betrieb unterbrochen werde. Abzustellen sei in erster Linie darauf, ob der versicherte Betrieb auch nach der Ordinationsauflösung in Salzburg noch bestehe. Der Beklagte setze seine Tätigkeit ohne Unterbrechung in Hartberg fort; der Gegenstand des Unternehmens habe sich daher nicht geändert. Ein Risikowegfall sei durch die Betriebsverlegung nicht eingetreten. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil zur Frage der Standortverlegung einer zahnärztlichen Praxis und den sich daraus ergebenden Konsequenzen bei einer Betriebsunterbrechungsversicherung eine oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
In seiner Revision macht der Beklagte geltend, seine berufliche Tätigkeit in Salzburg habe durch den Verkauf der Ordinationseinrichtung "und damit auch der Übergabe des Patientenstockes" geendet. Er habe damit das versicherte Unternehmen veräußert.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei der Betriebsunterbrechungsversicherung um eine Sachversicherung handelt, bei der der Betrieb und nicht die Person des Betriebsinhabers versichert ist (SZ 59/227). Daran kann ein Zweifel umsoweniger bestehen, als dem Versicherungsverhältnis unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung zugrunde gelegt wurden.
Nach Art. 8 der Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungs-Versicherung freiberuflich Tätiger sind bei Veräußerung des gesamten Unternehmens die §§ 69 bis 71 VersVG sinngemäß anzuwenden (Art.8 der ABS spricht im gleichen Sinn von einer Veräußerung der "versicherten Sache"). Nach § 69 Abs.1 VersVG aber tritt, wenn die versicherte Sache vom Versicherungsnehmer veräußert wird, anstelle des Veräußerers der Erwerber in die während der Dauer seines Eigentums aus dem Versicherungsverhältnis sich ergebenden Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers ein. Das Revisionsgericht pflichtet den Vorinstanzen darin bei, daß nach den Umständen, unter denen der Beklagte seine zahnärztliche Praxis in Salzburg aufgelöst und in Hartberg neu eröffnet hat, nicht davon gesprochen werden kann, er habe sein "gesamtes Unternehmen" in Salzburg veräußert. Ein Unternehmen ist eine selbständige, organisierte Erwerbsgelegenheit, bei der alle körperlichen und unkörperlichen Sachen zu einer Gesamtsache zusammengefaßt sind, die die Erwerbsgelegenheit ausmachen (Ertl in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 1409). Der Begriff des Unternehmens umfaßt die Geschäftsräume, deren Ausstattung und Einrichtung, die Betriebsmittel, den good will und den Kundenstock (die gesicherte Absatzgelegenheit); die (entgeltliche) Veräußerung des Kundenstocks ist als Teilveräußerung des Unternehmens anzusehen (Ertl aaO mwN; EvBl. 1938/248). Daß aber der Beklagte seinen Patientenstock in Salzburg veräußert hätte, wurde nicht festgestellt. Festgestellt wurde nur, daß er die Einrichtung seiner Ordination veräußert hat, und daß nach Auflösung der Ordination des Beklagten der Erwerber der Ordinationseinrichtung einen Krankenkassenvertrag erhalten hat. Die Veräußerung der Ordinationseinrichtung allein kann keinesfalls einer Veräußerung des gesamten Unternehmens gleichgehalten werden. Die klagende Partei hat der Veräußerung dieses Unternehmensteils ohnedies Rechnung getragen.
Die §§ 69 ff VersVG haben in erster Linie den Fall im Auge, daß die veräußerte Sache den einzigen Gegenstand des Versicherungsvertrages bildet. In diesem Fall findet der für § 69 VersVG typische Eintritt eines neuen Versicherungsnehmers in den Versicherungsvertrag statt. Sind Bestandteile zusammen mit der Hauptsache versichert, werden aber nur Bestandteile veräußert, tritt eine Spaltung des Versicherungsvertrages ein (Bruck-Möller, VVG8 II 854). Hat deshalb der Beklagte als freiberuflich Tätiger den Standort seines versicherten Betriebes, nämlich der zahnärztlichen Ordination, unter Veräußerung der (bisherigen) Ordinationseinrichtung gewechselt, stellt dies noch keine Veräußerung des gesamten Unternehmens im Sinne der Allgemeinen Bedingungen und damit der versicherten Sache iS des § 69 VersVG dar. Das versicherte Interesse ist durch die Standortverlegung keineswegs iS des § 69 VersVG weggefallen. Es besteht weiterhin hinsichtlich der in Art. 1.2. lit.d und e der Allgemeinen Bedingungen und hinsichtlich des Punktes I der Ergänzenden Bedingungen genannten, in der Person des Beklagten gelegenen Schadenereignisse. Mit Recht haben deshalb die Vorinstanzen dem Leistungsbegehren und das Berufungsgericht auch dem Zwischenfeststellungsantrag stattgegeben, so daß der Revision ein Erfolg zu versagen war. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E21456European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00022.9.0628.000Dokumentnummer
JJT_19900628_OGH0002_0070OB00022_9000000_000