Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erwin S***, Innsbruck, Klappholzstraße 28, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien
1. Elisabeth K***, Kirchberg, Aschauer Straße II/489, vertreten durch Dr. Gert F. Kastner und Dr. Hermann Tscharre, Rechtsanwälte in Innsbruck, 2. Peter N*** jun, Gastwirt, Kitzbühel, Berggasthof Hocheck auf dem Hahnenkamm, vertreten durch Dr. Martin Schatz, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 169.223,84 und Feststellung (S 155.000,--, Gesamtstreitwert daher S 324.223,84), infolge der Revisionen der klagenden und der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 31.August 1989, GZ 2 R 158/89-54, womit infolge der Berufungen der klagenden und der erstbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 26.Februar 1989, GZ 8 Cg 399/86-45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung
1. zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben und das angefochtene Urteil hinsichtlich der zweitbeklagten Partei als Teilurteil bestätigt.
Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit S 13.600,62 (darin S 2.266,77 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
2. den
B e s c h l u ß
gefaßt:
Der Revision der erstbeklagten Partei wird Folge gegeben. Das die erstbeklagte Partei betreffende Zwischenurteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen, nach allfälliger Verfahrensergänzung eine neue Entscheidung zu treffen.
Im Umfang der Aufhebung bilden die Revisionskosten weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der alkoholisierte Kläger kam am 10 2.1985 nach 22 Uhr bei einer Schiabfahrt auf dem Hahnenkamm in Kitzbühel vom Berggasthof Tirol zum Gasthaus Hocheck von der Piste ab, geriet in das steile nicht gesicherte Gelände des Ehrenbachtales und stürzte unterhalb des Schiweges zur Melkalm. Durch diesen Sturz erlitt er schwere Verletzungen und wurde erst am Folgetag zwischen 8 und 9 Uhr aufgefunden. Dem Kläger war das Gelände des Hahnenkammes bekannt. Es war bereits bei Beginn dieser Schiabfahrt dunkel und nebelig. Der Kläger hielt sich am Unfallstag seit Mittag im Berggasthaus Tirol auf und konsumierte am Nachmittag (mindestens) 8 bis 9 Seidel Bier. Er wollte wegen des herrschenden Nebels nicht mehr mit den Schiern nach Kitzbühel abfahren. Der zwischenzeitig verstorbene Ehemann der Erstbeklagten hatte ihm zugesagt, daß er im Berggasthaus Tirol nächtigen könne, wies ihm aber kein Zimmer zu. Tatsächlich war im Gasthaus an diesem Abend kein Zimmer mehr frei. Der Kläger hätte nur auf einer Bank im Gastraum übernachten können. Der Kläger war in der Wintersaison 1979/80 Hausbursch beim verstorbenen Gatten der Erstbeklagten im Berggasthaus Tirol.
Als sich der Kläger um 17,30 Uhr immer noch - bereits sichtbar alkoholisiert - im Lokal aufhielt, wunderte sich die Erstbeklagte, weil sie ihn auf die letzte (in das Tal führende) Gondel der Hahnenkammbahn aufmerksam gemacht hatte. Der Kläger erfuhr nun von den Kellnerinnen im Berggasthaus Tirol, daß für ihn kein Bett frei sei, worauf er erklärte, auch mit einer Bank vorlieb zu nehmen. Dies lehnte jedoch die Erstbeklagte unter Hinweis auf die Hausgäste ab. Der Kläger fügte sich und erklärte der Erstbeklagten, er werde dann eben im Gasthaus "Hocheck" einen Platz bekommen. Zwischen 20,30 Uhr und 21 Uhr rief der Kläger im "Hocheck" an. Der Zweitbeklagte sagte ihm zu, daß er dort auf einer Bank schlafen könne. Aus dem Gespräch wurde dem Zweitbeklagten klar, daß der Kläger stärker alkoholisiert ist. Der Zweitbeklagte erklärte sich deshalb auch über Bitten des Klägers bereit, ihn mit einem Schidoo abholen zu lassen. Er wies jedoch den Kläger darauf hin, daß er sich gedulden müsse, weil er viel Betrieb habe. Um 21 Uhr war der Kläger der einzige Gast im Berggasthof Tirol. Die Erstbeklagte wollte Sperrstunde machen, weshalb der Kläger im "Hocheck" nochmals anrief. Wiederum sagte der Zweitbeklagte keinen fixen Abholtermin zu. Der Kläger teilte der Erstbeklagten mit, sie solle sich noch etwas gedulden, er werde gleich mit dem Schidoo abgeholt werden. Die Erstbeklagte ging dann um 21,30 Uhr in die Waschküche, um Wäsche zu waschen. Sie nahm auch wahr, daß der Kläger stark alkoholisiert ist. Als die Erstbeklagte kurz nach 22 Uhr in die Gaststube zurückkehrte, war der Kläger bereits aus dem Haus. Die Erstbeklagte nahm an, daß der Kläger abgeholt worden ist. Tatsächlich hatte der als Hausbursch im Berggasthof Tirol beschäftigte Ewald M*** ohne Wissen der Erstbeklagten, dem Kläger erklärt, nun sei es Zeit, er müsse wegen der Sperrstunde gehen und weil die Hausgäste schon schlafen, müsse man zusperren. Ewald M*** sagte zum Kläger, "Kim, Kim, Gemma Gemma". Er war noch als Einziger vom Personal auf. Der Kläger fügte sich. M*** ging mit dem Kläger vor das Haus, um ihm in die Schier zu helfen und sagte noch, daß er es schon irgendwie schaffen werde, zum "Hocheck" zu kommen. Der Kläger wartete noch eine Zeitlang vor dem Berggasthaus Tirol, ohne den Versuch zu unternehmen, ins Haus zurückzukehren und wagte dann, als der Schidoo nicht kam, die Abfahrt. Als der Bruder des Zweitbeklagten Andreas N*** im Auftrag des Zweitbeklagten noch vor 23 Uhr zum Berggasthaus Tirol mit seinem Schidoo ankam, war alles schon dunkel und das Haus versperrt. Andreas N*** machte sich Gedanken, ob sich der Kläger im Nebel verirrt haben könnte und unternahm deshalb mit anderer Fahrlinie (seitlich versetzt) noch eine Kontrollfahrt. Daß der Kläger bei einer noch in der Nacht begonnenen Suchaktion gefunden worden wäre, konnte nicht festgestellt werden.
Am 10.2.1985 war der am 11.3.1986 verstorbene Ehegatte der Erstbeklagten Pächter des Berggasthauses Tirol. Die Erstbeklagte war neben ihrem Gatten auch Gastwirtin. Sie bewirtschaftete damals zusammen mit ihrem Ehegatten den Berggasthof Tirol. Dem Publikum gegenüber trat sie als Chefin auf. Gegenüber der Gebietskrankenkasse war sie vom 21.12.1984 bis 8.4.1985 als Schankgehilfin gemeldet. Zur Führung des Gasthauses hatte die Erstbeklagte (damals) keine Bewilligung der Gewerbebehörde.
Das Gasthaus "Hocheck" wurde vom Zweitbeklagten zusammen mit seiner Schwester Ursula N*** geführt. Die Konzession lautete auf sie. Der Zweitbeklagte war jedoch Dritteleigentümer. Er war bei der Tiroler Gebietskrankenkasse als Schankgehilfe gemeldet. Der Kläger begehrt unter Einräumung eines eigenen Mitverschuldens von zwei Dritteln am Zustandekommen des Unfalles von den beiden Beklagten zur ungeteilten Hand letztlich die Bezahlung von 169.223,84 s.A. an Schmerzengeld, Verdienstentgang und unfallskausalen Ausgaben sowie die Feststellung, daß diese ihm für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 10.2.1985 zur ungeteilten Hand (zu 1/3) zu haften haben. Er brachte vor, daß die Erstbeklagte trotz Zusage einer Übernachtungsmöglichkeit vom 10. auf den 11.2.1985 ihm eine solche verwehrt habe und ihn trotz seiner starken Alkoholisierung um 22 Uhr aufgefordert habe, das Gasthaus zu verlassen. Der Zweitbeklagte sei seiner Zusage, ihn vom Berggasthaus Tirol abzuholen, nicht nachgekommen, sodaß dem Kläger nichts anderes übrig geblieben sei, als mit den Schiern abzufahren. Der Zweitbeklagte habe es auch unterlassen, nach Nichtantreffen des Klägers vor dem Berggasthaus Tirol sich nach dem Verbleib des Klägers zu erkundigen.
Die Erstbeklagte sei Gastwirtin im Berggasthof Tirol gewesen und habe jedenfalls die Vertretung für ihren bereits zu Bett gegangenen Ehegatten übernommen gehabt. Sie habe den Kläger auch bewirtet. Angesichts der starken Alkoholiserung des Klägers hätte sie dafür sorgen müssen, daß er im Berggasthaus Tirol bleiben könne, bis er abgeholt werde. Im Unterlassen dieser selbstverständlichen Pflicht liege das Verschulden der Erstbeklagten an dem vom Kläger erlittenen Unfall. Die Haftung beider Beklagten bestehe aber auch in ihrem Handeln gegen das absolute Recht des Klägers auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Von den Beklagten wurden der Höhe nach die geltend gemachten Ansprüche auf Zuerkennung eines Schmerzengeldes, Ersatz des Verdienstentganges sowie unfallskausaler Spesen mit einem Betrag von je 1 S anerkannt.
Das Erstgericht stellte mit Teil-Zwischenurteil fest, daß die Klagsforderung gegenüber der Erstbeklagten dem Grunde nach zu Recht bestehe und wies das Klagebegehren gegenüber dem Zweitbeklagten ab. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, daß zwischen der Erstbeklagten und dem Kläger ein Gastaufnahmevertrag zustandegekommen sei, aus dem der Erstbeklagten wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles (Nebel, Dunkelheit, starke Alkoholisierung des Klägers, alpines Gelände ohne gesicherten Weg) besondere Fürsorgepflichten erwachsen seien. Für das Verhalten des Hausburschen M*** habe die Erstbeklagte als ihrem Erfüllungsgehilfen einzustehen. Die Erstbeklagte oder M*** hätten im "Hocheck" anrufen müssen, um die Abholung des Klägers sicherzustellen. Außerdem hätte dem Kläger zumindestens die Gelegenheit geboten werden müssen, solange im Lokal zu verbleiben, bis er abgeholt werde. Keinesfalls hätte M*** den Kläger aus dem Lokal weisen dürfen und ihm sogar in die Schier helfen dürfen. Hingegen treffe den Zweitbeklagten kein Verschulden, weil dieser nicht damit rechnen mußte, daß der Kläger ab 22 Uhr vor die Türe des Gasthauses Tirol gestellt werde und dann die Abfahrt mit den Schiern wagen werde.
Das Berufungsgericht gab mit der angefochtenen Entscheidung weder der Berufung des Klägers gegen die Abweisung des Klagebegehrens gegenüber dem Zweitbeklagten, noch jener der Erstbeklagten Folge und bestätigte das Ersturteil im vollen Umfange. Es bewertete den Streitgegenstand hinsichtlich der Entscheidung gegenüber dem Zweitbeklagten als mit S 300.000,-- übersteigend und erklärte die Revision gegenüber der Erstbeklagten für zulässig. Das Berufungsgericht folgerte rechtlich, daß die Erstbeklagte gegenüber Gästen und dem Personal den Anschein erweckt habe, Chefin zu sein. Es hätten sich keine Anhaltspunkte gefunden, aus denen der Kläger erkennen konnte oder hätte erkennen müssen, daß die Erstbeklagte nur unselbständige Angestellte sei. Im übrigen ließen die getroffenen Feststellungen den Schluß zu, daß die Ehegatten K*** den Betrieb auf gemeinsame Rechnung geführt hätten. Es sei daher zu einem "unmittelbaren" Vertragsverhältnis zwischen der Erstbeklagten und dem Kläger gekommen. Die Erstbeklagte sei aber den mit diesem Vertragsverhältnis verbundenen Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kläger nicht nachgekommen. Sie wäre im Hinblick auf die winterlichen hochalpinen Verhältnisse, die Nachtzeit und das schlechte Wetter und die damit verbundenen schlechten Sichtverhältnisse verpflichtet gewesen, den alkoholisierten und sichtlich nicht mehr für eine Schiabfahrt tauglichen Kläger bis zum Eintreffen des Bruders des Zweitbeklagten zu beherbergen. Sie habe für das Fehlverhalten M*** nach § 1313 a ABGB einzustehen. Den Zweitbeklagten treffe kein Verschulden am Unfall des Klägers. Die Zusage des Zweitbeklagten, sei eine reine Gefälligkeit gewesen und habe diesen nicht verpflichtet. Der Zweitbeklagte habe nicht damit rechnen müssen, daß der Kläger von dem von vornherein von ihm als ungewiß bezeichneten Abholzeitpunkt vor die Tür des Berggasthofes Tirol gesetzt werden werde. Das Nichtantreffen des Klägers vor dem versperrten Gasthaus Tirol sei keinesfalls Anlaß für die Einleitung einer Suchaktion, deren Erfolg im übrigen nicht feststehe, gewesen.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung auch gegenüber dem Zweitbeklagten und die der Erstbeklagten ebenfalls aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsabweisung. Hilfsweise werden von beiden Revisionswerbern Aufhebungsanträge gestellt. Der Zweitbeklagte und der Kläger beantragen, der Revision der Gegenseite jeweils keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Erstbeklagten ist berechtigt. Hingegen kommt der Revision des Klägers keine Berechtigung zu.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes erging vor dem 31.12.1989. Die Revisionszulässigkeit richtet sich daher nach Art XLII Z 5 der WGN 1989. Es schadet jedoch nicht, daß das Berufungsgericht hinsichtlich des Zweitbeklagten die volle Revisionszulässigkeit, hinsichtlich der Erstbeklagten aber nur die eingeschränkte Revisionszulässigkeit nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ausgesprochen hat, weil die vom Kläger angestrebte Solidarverpflichtung der beiden Beklagten eine einheitliche Bewertung des Streitgegenstandes voraussetzt. Der Zulässigkeitsausspruch gegenüber der erstbeklagten Partei stellt sich daher als überflüssige Erklärung dar.
Zur Revision des Klägers:
Sofern der Kläger die Ansicht vertritt, aus der Natur der Vereinbarung mit dem Zweitbeklagten ergebe sich, daß dieser verpflichtet gewesen wäre, den Kläger bis zur (bekannten?) Sperrstunde im Berggasthaus Tirol abzuholen, geht der Rechtsmittelwerber nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen aus. Es trifft zwar zu, daß die Rechtsprechung aus § 1295 ABGB und den einschlägigen Gefährdungsverboten des Strafrechtes den Grundsatz entwickelte, daß jedermann, der eine Gefahrenquelle schafft, die zur Abwendung der daraus drohenden Gefahren notwendigen Vorkehrungen zu treffen hat. Die "verpflichtete Vorhandlung", durch die eine (bisher nicht bestehende) "Gefahrenquelle", geschaffen wird, kann nicht nur in der Errichtung eines gefährlichen Weges, oder einer sonstigen gefährlichen Anlage im weitesten Sinn, sondern, wie insbesondere im Zusammenhang mit Bergunfällen ausgesprochen wurde (SZ 37/105; 7 Ob 580/78), auch darin bestehen, daß jemand zu einer Handlung verleitet wird, durch die er in eine gefährliche Lage kommt. Eine Schadenersatzpflicht kann sich hier nicht nur aus der Verleitung, sondern auch aus der Unterlassung der notwendigen Unterstützung in der folgenden Gefahrensituation ergeben, weil auf Grund des vorangegangenen gefährlichen Tuns die Verpflichtung besteht, dafür zu sorgen, daß aus der geschaffenen Gefahrenlage kein Schaden entsteht. Voraussetzung für die Verantwortlichkeit ist jedoch, daß durch die Vorhandlung die nahe Gefahr eines Schadenseintrittes herbeigeführt wird. Von einer vom Zweitbeklagten in diesem Sinne geschaffenen nahen Gefahrenlage kann jedoch im gegenständlichen Fall nicht die Rede sein. Der Zweitbeklagte hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er auf Grund des starken Betriebsganges noch einige Zeit benötigen werde, bis er den Kläger abholen könne. Er hat keine zeitlich bestimmte Abholzusage gemacht. Lediglich nach der Verkehrsübung kann seine Zusage dahin gedeutet werden, daß er etwa nach der Bewirtung seiner Gäste im "Hocheck" und nach Abwicklung der mit der Bewirtung verbundenen Folgegeschäfte dazu Zeit haben wird. Ein Abholzeitpunkt um 23 Uhr liegt durchaus im Bereich dieser unbestimmten Zusage. Der Kläger hat seinerseits nicht darauf hingewiesen, daß er nicht länger als bis gegen 21 Uhr im Berggasthaus Tirol bleiben könne. Der Zweitbeklagte mußte keineswegs damit rechnen, daß der Kläger dort vor die Tür gesetzt werde und daraufhin die Abfahrt mit den Schiern antreten werde. Ebenso mußte auch der Bruder des Zweitbeklagten bei seinem Eintreffen gegen 23 Uhr beim Berggasthaus Tirol nicht mit diesen Geschehnissen rechnen. Der festgestellte Umstand, daß er das Berggasthaus Tirol verschlossen und unbeleuchtet vorgefunden hat, läßt darauf schließen, daß er ohnedies versuchte, sich dort Eintritt zu verschaffen. Für Andreas N*** lagen keine Anhaltspunkte vor, daß der Kläger mit den Schiern abgefahren war, daß er sich verirrt hatte und verunglückt sein könnte. Es traf ihn daher weder eine Verpflichtung zu einem Kontrollanruf im Berggasthaus Tirol, noch zur Einleitung einer Suchaktion. Dazu kommt, daß nicht feststeht, ob derartige Maßnahmen bei der herrschenden Dunkelheit und den schlechten Sichtverhältnissen auch Erfolg gehabt hätten. Der Revision des Klägers hinsichtlich der Abweisung des Klagebegehrens gegenüber dem Zweitbeklagten war daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Zur Revision der erstbeklagten Partei:
Die Rechtsansicht der Unterinstanzen, daß die Erstbeklagte auf Grund des von ihr erweckten Anscheines, Chefin zu sein und ihrer Unterlassung, den Sachverhalt gegenüber dem Kläger offenzulegen, zu ihrer Haftung gegenüber dem Kläger aus einem Gastaufnahmevertrag führe, kann nicht beigepflichtet werden. Die in § 96 ABGB ausgesprochene Rechtsvermutung und die daraus abzuleitende Offenlegungspflicht des Ehegatten bezieht sich nur auf Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens (vgl Pichler in Rummel2 zu § 96 ABGB Rdz 3). Da der Kläger wußte, daß Stefan K*** der Pächter des Berggasthauses Tirol ist, kann er sich nicht darauf berufen, daß dessen Gattin ihm gegenüber den fälschlichen Anschein erweckt habe, sie sei die Wirtin. Nach den üblichen Gepflogenheiten wird aber jede Ehegattin eines Gastwirtes als Chefin tituliert und übt diese in den meisten Fällen gegenüber dem Personal eine Vorgesetztentätigkeit aus, ohne daß sie aber selbst eigenverantwortlich den Betrieb leitet. Für die Frage der Haftung aus dem Gastaufnahmevertrag ist aber allein entscheidend, wer den Betrieb am Tag des Abschlusses des Gastaufnahmevertrages als Unternehmer geführt hat. Unter der tatsächlichen Führung des Betriebes ist aber nicht etwa bloß die selbständige Besorgung der Geschäfte zu verstehen, sondern nur die vollständige Führung des Betriebes auf eigene Rechnung unter der vollen eigenen Verantwortung (vgl EvBl 1961/39). Maßgeblich ist daher, wer das Berggasthaus Tirol am Unfallstag eigenverantwortlich geführt hat, das heißt, auf wessen Risiko und Rechnung die Geschäfte in ihrer Gesamtheit abgewickelt worden sind. Dies ist im Zweifel der Pächter, weil er gegenüber dem Verpächter für die Bezahlung des Bestandzinses, die Erhaltung des Bestandobjektes und für die Aufrechterhaltung des good will verantwortlich ist. Die Unterinstanzen haben zwar "festgestellt", daß die Erstbeklagte zusammen mit ihrem Mann das Berggasthaus Tirol "bewirtschaftet" hat und daß sie neben ihrem Gatten Gastwirtin war, sie haben aber gleichzeitig festgestellt, daß Stefan K*** allein der Pächter war und daß die Erstbeklagte nur als Schankgehilfin bei der Sozialversicherung angemeldet worden ist. Aus dem Ausdruck "bewirtschaften" kann noch keine eigenverantwortliche Unternehmertätigkeit im Sinne der vorangehenden Ausführungen erschlossen werden. Bei der Qualifikation der Zweitbeklagten als Gastwirtin kann es sich, solange dieser Umstand nicht eindeutig geklärt ist, auch um eine in die Feststellungen aufgenommene rechtliche Beurteilung handeln.
Für die Unternehmereigenschaft der Erstbeklagten wäre daher erforderlich, daß sie mit einem festen Gewinn- bzw Verlustanteil gemeinsam mit ihrem Gatten am Gesamtwirtschaftsergebnis des Gasthauses Tirol beteiligt war und dies auch gegenüber Dritten so zum Ausdruck gekommen ist. Die Erstbeklagte hat in ihrer Berufung die Feststellung des Erstgerichtes, daß sie gemeinsam mit ihrem verstorbenen Gatten das Gasthaus Tirol bewirtschaftet hat bekämpft und hat auch in ihrer Rechtsrüge das Fehlen von Feststellungen gerügt, aus denen der Schluß auf ihre Unternehmereigenschaft gezogen werden kann (vgl AS 226 ff). Das Berufungsgericht übernahm die bekämpfte Feststellung mit der rechtlich unzutreffenden Begründung, daß sich die Erstbeklagte als Gastwirtin geriert und gegenüber dem Kläger nicht aufgeklärt habe, daß sie nur Angestellte sei. Es ging aber bei Behandlung der Beweisrüge nicht auf die Behauptung der Erstbeklagten ein, (damals) keine eigenverantwortliche Unternehmertätigkeit ausgeübt zu haben. Das Berufungsgericht hat daher zur Beweisrüge der Erstbeklagten nur unvollständig Stellung genommen. Dieser in der Revision erhobene Vorwurf führt zur Aufhebung des Berufungsurteiles. Das Berufungsgericht wird im fortgesetzten Verfahren dazu Stellung zu nehmen haben, ob es auf Grund der Beweisergebnisse eine Bewirtschaftung des Gasthauses durch die Erstbeklagte im Sinne einer eigenverantwortlichen Tätigkeit auf eigene Rechnung und eigenes Risiko (gemeinsam mit dem verstorbenen Gatten) im Unfallszeitpunkt für gegeben erachtet oder ob dazu noch weitere Beweisaufnahmen erforderlich sind. Bemerkt sei aber, daß sich die Erstbeklagte bei ihrer Parteieneinvernahme selbst als Gastwirtin bezeichnet hat (vgl AS 82). Außerdem ergibt sich aus den Ergebnissen des Lokalaugenscheines (vgl AS 199 ff), daß sie zum damaligen Zeitpunkt das Berggasthaus Tirol bewirtschaftet hat. Die Klage gegen die Erstbeklagte wurde auf die Mitpächterschaft und auf eigenes Verschulden im Unfallszeitpunkt gestützt. Ob die Erstbeklagte erst später Pächterin des Gasthauses geworden ist wurde nicht behauptet und ist daher nicht zu prüfen.
Sollte die Unternehmereigenschaft oder eine Betriebsübernahme durch die Erstbeklagte als erwiesen angenommen werden, so wird bereits jetzt darauf verwiesen, daß die Unterinstanzen eine Gastwirtehaftung im vorliegenden Fall zutreffend bejaht haben. Bei dem angenommenen Bewirtungsvertrag erschöpfen sich nämlich die rechtlichen Beziehungen zwischen den Vertragsparteien nicht in der für den Vertrag wesentlichen Hauptleistungspflicht, also der vom Kläger in Anspruch genommenen Alkoholausschenkung. Zu den bei Schuldverhältnissen in der Regel hinzutretenden Nebenpflichten sind insbesondere die Schutz- und Sorgfaltspflichten zu zählen. Eine Schutzpflicht aus dem Vertrag in bezug auf die Person und das Vermögen des Partners ist grundsätzlich zu bejahen. Sie beschränkt sich aber auf die Sphäre des rechtsgeschäftlichen Kontaktes und die dort erhöhte Gefährdungsmöglichkeit. Der Schuldner soll seine Erfüllungshandlung so setzen, daß der Gläubiger weder an seiner Person noch an seinen sonstigen Rechtsgütern geschädigt wird. Solche Schutzpflichten werden teils ausdrücklich vom Gesetz vorgesehen, wie etwa in den Bestimmungen der §§ 1157, 1169 ABGB, teils müssen sie aber im Wege der Interpretation abgeleitet werden. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß es zu den Schutzpflichten eines Gastwirtes gehört, einen durch Trunkenheit beeinträchtigten Gast nur in der Weise aus dem Lokal zu schaffen, daß dessen körperliche Integrität nicht beeinträchtigt wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß diese Art der Beeinträchtigung gerade durch die Erfüllung der Hauptleistung nämlich des Alkoholausschankes bewirkt wird, wobei schon nach allgemeiner Lebenserfahrung mit erhöhtem Alkoholkonsum und insbesondere bei Betrunkenen ein kritikloses Verhalten eintritt, das erhöhte Vorsicht und besonderes Geschick im Umfang mit solchen Gästen erfordert. Vom Gastwirt ist daher auch in diesem Zusammenhang die Aufwendung besonderer Sorgfalt und ein entsprechend geschicktes Verhalten zu verlangen (§ 1299 ABGB). Die Schutzpflichten des Gastwirtes dauern solange an, als durch das den Bewirtungsvertrag begründete Naheverhältnis zwischen den Vertragspartnern weiter besteht. Gerade im Hinblick auf einem mehr oder minder höhergradigen Alkoholisierungszustand und die daraus erfolgende Beeinträchtigung des Gastes in seiner Fähigkeit zu einem angepaßten und vernünftigen Handeln kann aber auch bei einer gegen seinen Willen erfolgenden Entfernung aus dem Lokal nicht von einer Beendigung des Naheverhältnisses gesprochen werden, wenn er vom Hausburschen genötigt wird, das Lokal zu verlassen. Was nun die im vorliegenden Fall strittige Haftung des Gastwirtes für das Vorgehen seines Hausburschen im Sinne des § 1313 a ABGB anlangt, so anerkennen Lehre und Rechtsprechung allgemein (vgl Schubert in Rummel zu § 970 ABGB Rz 7 mwN), daß auch wie hier grob fahrlässige ja sogar vorsätzliche unerlaubte Handlungen in Erfüllung einer vertraglichen Pflicht in einer dem Schuldner zurechenbaren Weise vom Erfüllungsgehilfen begangen werden können. Es wird jedoch hiezu ein innerer Sachzusammenhang der schädigenden Handlung des Erfüllungsgehilfen mit der Vertragserfüllung gefordert und davon jene Schädigung ausgeschlossen, die der Gehilfe dem Gläubiger nur gelegentlich (anläßlich) der Erfüllung zugefügt hat und die einer selbständigen unerlaubten Handlung entsprungen ist. Greift die unerlaubte Handlung des Gehilfen aber in den Aufgabenbereich, zu dessen Wahrnehmung er vom Schuldner bestimmt worden ist, dann hat der Schuldner dafür einzustehen (vgl SZ 51/55 mwN). Dieser Zusammenhang ist hier anzunehmen, weil bei Kenntnis der Trunkenheit des Klägers, die daraus im Zusammenhang mit Dunkelheit, Nebel und den daraus sich ergebenden schlechten Sichtverhältnissen leicht erkennbare Unfähigkeit, eine Schiabfahrt zu bewältigen, den Gastwirt die Verpflichtung getroffen hätte, den Kläger solange bei sich zu beherbergen, bis er abgeholt wird. Die Erstbeklagte traf daher bei der im Einzelfall gegebenen Situation die Pflicht gegenüber dem Personal die Anweisung zu geben, daß der Kläger bis zum Eintreffen des Zweitbeklagten in der Gaststube zu verbleiben hat. Ihr Drängen auf Einhaltung der Sperrstunde mußte aber vom Hausburschen so verstanden werden, daß er den Kläger nicht mehr weiter in der Gaststube belassen solle.
Im Hinblick auf die aufgezeigten Feststellungsmängel war der Revision der erstbeklagten Partei Folge zu geben und das sie verurteilende Erkenntnis der Unterinstanzen aufzuheben. Der Kostenvorbehalt gegenüber der Erstbeklagten gründet sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E21971European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00524.9.0628.000Dokumentnummer
JJT_19900628_OGH0002_0070OB00524_9000000_000