Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Juni 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Felzmann, Dr. Horak und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Ungerank als Schriftführer in der Strafsache gegen Alfred W*** und Anton B*** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 und 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen beider Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 24.April 1990, GZ 9 Vr 635/90-30, sowie über die Beschwerde des Angeklagten W*** gegen die Widerrufsbeschlüsse vom 24.April 1990 (ON 31 und 35), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen der beiden Angeklagten und die Beschwerde des Angeklagten Alfred W*** gegen die Widerrufsbeschlüsse vom 24.April 1990 werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Gemäß § 390 a StPO fallen den beiden Angeklagten die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der 40jährige Alfred W*** und der (nunmehr) 37jährige Anton B*** wurden (zu 1) des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 und 2 StGB, (zu 3 des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB, (zu 4) des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB, sowie Alfred W*** überdies (zu 2) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB; Anton B*** ferner des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 (§ 83 Abs. 1) StGB schuldig erkannt.
Darnach haben beide Angeklagten in Graz am 23.Februar 1990 als Mittäter dem Wolfgang P*** eine Barschaft von ca 950 S ohne Anwendung erheblicher Gewalt geraubt (1), eine ihm dabei weggenommene Geldbörse dauernd entzogen (3 a) sowie mehrere dabei an sich gebrachte Urkunden unterdrückt (4 a). Überdies hat Alfred W*** am 19.Februar 1990 der Erika K***-W*** eine Barschaft von 200 S gestohlen (2) und ihr eine dabei weggenommene Kunststoffhandtasche und Geldbörse dauernd entzogen (3 b) und einen dabei entzogenen Ausweis unterdrückt (4 b) und am 23. und 24. Jänner 1990 zwei Restaurantinhaber durch Herauslocken von Speise und Trank betrügerisch geschädigt (von der Untergliederung des Urteils nicht erfaßt); Anton B*** hat schließlich am 14. August 1989 in Lannach in einem durch Alkoholisierung die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand Josef C*** durch einen Faustschlag leicht verletzt (von der Untergliederung des Urteils ebenso nicht erfaßt).
Rechtliche Beurteilung
Die von den Angeklagten gegen diese Schuldsprüche (mit Ausnahme des zuletzt genannten) erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden schlagen fehl.
Zur Beschwerde des Alfred W***:
(§ 281 Abs. 1 Z 4, 5 und 5 a StPO)
Die (inhaltlich gegen die Schuldsprüche 1, 3 und 4 a gerichtete) Verfahrensrüge (Z 4) dieses Angeklagten erfordert keine meritorische Einlassung, weil es ihr bereits an den formellen Voraussetzungen gebricht; denn nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls (siehe ON 29, insbesondere S 201 f) hat der Verteidiger des Angeklagten W*** weder eigene Beweisanträge gestellt noch sich den vom Verteidiger des Angeklagten B*** gestellten Anträgen angeschlossen. Daß diese Anträge inhaltlich auch dem Beschwerdeführer zugute kamen, vermag - dem Rechtsmittel zuwider - die zur Geltendmachung des angezogenen formellen Nichtigkeitsgrundes erforderliche Antragstellung nicht zu ersetzen (siehe Mayerhofer-Rieder2 § 281 Abs. 1 Z 4 StPO Nr 35 und 36). Die in der (inhaltlich gegen dieselben Schuldsprüche gerichteten) Mängelrüge (Z 5) aufgezeigte Diskrepanz zwischen Urteilsspruch und Entscheidungsgründen in Ansehung der von den Angeklagten jeweils gesetzten Raubhandlungen haftet dem Urteil zwar tatsächlich an; da es sich jedoch um in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken gesetzte - austauschbare - Ausführungsaktionen handelte (ein Täter hält die Hände des Opfers fest, während der andere die Geldbörse zieht) kann der unterlaufene Widerspruch als weder für den Schuldspruch noch für den anzuwendenden Strafsatz bedeutsam auf sich beruhen.
Eine Verkennung des Wesens der "Aktenwidrigkeit" (siehe Mayerhofer-Rieder aaO § 281 Z 5 StPO ENr 185 ff) unterläuft der Beschwerde, wenn sie diesen Begründungsmangel der tatrichterlichen Konstatierung, W*** habe die Arme des Tatopfers erfaßt und zur Seite gedrückt, während B*** in das Innere der Jacke griff (S 211) - die das Erstgericht auf die Angaben des Zeugen P*** stützte - zum Vorwurf macht; denn eben diese Vorgangsweise findet in den Bekundungen des Zeugen P*** in der Hauptverhandlung (S 196) volle Deckung. Hingegen macht sich die Beschwerde selbst einer Aktenwidrigkeit schuldig, wenn sie dem Urteil die Feststellung unterlegt, P*** habe am Tag nach der Tat von den beiden Angeklagten lediglich die (in der Börse befindlichen) Urkunden zurückverlangt, während er über die "angeblich" entwendete Barschaft kein Wort verlor; hat doch P*** nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls nicht nur seine Ausweise, sondern auch das Geld zurückverlangt (siehe abermals S 196).
Der (inhaltlich gegen sämtliche Schuldsprüche des Angeklagten W*** erhobenen) Tatsachenrüge (Z 5 a) genügt es, zusammenfassend zu entgegnen, daß die darin ins Treffen geführten Argumente nicht geeignet waren, im Senat - der den gesamten Akt einer sorgfältigen Prüfung unterzog - Bedenken gegen die Richtigkeit der die einzelnen Schuldsprüche tragenden Tatsachenfeststellungen zu erwecken.
Zur Beschwerde des Anton B***:
(§ 281 Abs. 1 Z 4, 5, 5 a und 9 lit a StPO)
Mit seiner (inhaltlich gegen die Schuldsprüche 1, 3 a und 4 a abzielenden) Verfahrensrüge (Z 4) bekämpft der Beschwerdeführer die Abweisung zweier von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung am 24. April 1990 gestellter Beweisanträge (S 201); dies ohne Erfolg. Denn angesichts dessen, daß weder der Angeklagte W*** (siehe S 187) noch der Beschwerdeführer den (taubstummen) Zeugen P*** verstanden, als P*** gegenüber dem Angeklagten B*** "irgendetwas von Papieren deutete" (siehe S 192), ist es offenbar, daß durch die Abweisung des Antrages, einen Zeugen darüber zu vernehmen, daß P*** am 24.Februar 1990 gegenüber den beiden Angeklagten "keinen Vorwurf bezüglich seiner Unterlagen gemacht hat", Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht geschmälert werden konnten.
In Ansehung des weiteren Antrages hinwieder, einen Zeugen zum Beweis dafür zu vernehmen, daß der Beschwerdeführer sich "abends am 23.2.1990" in einem Gasthaus aufgehalten habe, genügt die Erwiderung, daß dieses Begehren bereits wegen mangelnder Präzisierung des in Frage stehenden Zeitraumes - "abends" erfaßt ersichtlich auch tatzeitlich irrelevante Stunden - zu Recht der Ablehnung verfiel, im übrigen aber angesichts der Bekundungen des beantragten Zeugen (Siegfried E***) vor der Polizei, wonach er nicht ausschließen könne, daß B*** am 23.Februar 1990, "also während der Tatzeit" (zu 1), im Lokal gewesen sei (S 151), einer Ausweitung dahin bedurft hätte, aus welchen Gründen dennoch erwartet werden könnte, daß seine gerichtliche Einvernahme ein für den Beschwerdeführer positives Ergebnis zeitigen könnte. Soweit zu beiden Beweisanträgen in der Beschwerde Ergänzungen der Beweisthemen vorgetragen werden, ist darauf nicht weiter einzugehen, weil für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses durch den Obersten Gerichtshof nur jene tatsächlichen Anführungen maßgebend sein können, die dem erkennenden Gericht vorlagen (Mayerhofer-Rieder aaO § 281 Abs. 1 Z 4 Nr 40 f).
Angesichts dessen, daß der Alkoholisierungsgrad des Zeugen P*** vorliegend allein für die Beurteilung seiner Wahrnehmungstüchtigkeit von Belang ist und seine Angaben, soweit objektiv überprüfbar, also etwa mit Bezug auf die Abfahrtszeit der Straßenbahn und den unbesetzten Waggon (S 71 und 147), die Modalitäten des Spieles am Automaten (S 71, 83 und 85) und die Tätowierung eines der Täter (S 65 und 91), mit den Tatsachen übereinstimmten, war das Gericht zufolge der im § 270 Abs. 2 Z 5 StPO normierten (bloß) gedrängten Begründungspflicht nicht gehalten, sich mit den (unterschiedlichen) Bewertungen der eigenen Alkoholisierung durch P*** sowie damit näher zu befassen, daß er nach den Bekundungen des Zeugen D*** beinahe vom Sitz gefallen wäre. Daß P*** aber im Straßenbahnzug (nach der Tat) einschlief und aus dem Munde nach Alkohol roch, wurde ohnehin aktengetreu konstatiert (S 217 f).
Der (inhaltlich gegen dieselben Schuldsprüche eingebrachten) Tatsachenrüge (Z 5 a) des Angeklagten B*** ist - analog zu jener des Angeklagten W*** - zu erwidern, daß die darin angeführten Umstände nicht geeignet waren, Bedenken gegen die tatbestandsrelevanten Konstatierungen des Schöffengerichts zu erwecken, wobei es von tragender Bedeutung ist, daß die Alibi-Verantwortung des Beschwerdeführers durch die Angaben der Zeugin W*** - einer Bediensteten des Bahnhofbuffets - eindeutig widerlegt ist (siehe S 85 f, 121 ff und 193 f).
Die (denselben Anfechtungsgegenstand betreffende) Rechtsrüge (Z 9 lit a) des Angeklagten B*** schließlich erweist sich zur Gänze als nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, weil sie sich mit der Behauptung, es seien Feststellungen über den Alkoholisierungsgrad des Zeugen P*** unterblieben, über die darauf bezüglichen eindeutigen Konstatierungen (S 210) hinwegsetzt.
Es waren sonach beide Nichtigkeitsbeschwerden teils als offenbar unbegründet nach § 285 d Abs. 1 Z 2 StPO, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt nach der Z 1 dieser Gesetzesstelle iVm § 285 a Z 2 StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
Als Konsequenz dessen wird über die Berufungen der beiden Angeklagten sowie über die Beschwerde des Angeklagten W*** gegen die Widerrufsbeschlüsse (ON 31 und 35) der zuständige Gerichtshof zweiter Instanz abzusprechen haben.
Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E21088European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0120OS00075.9.0628.000Dokumentnummer
JJT_19900628_OGH0002_0120OS00075_9000000_000