TE OGH 1990/7/5 Okt34/90

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Veröffentlicht am 05.07.1990
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Das Kartellobergericht beim Obersten Gerichtshof hat durch den stellvertretenden Vorsitzenden Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith als Vorsitzenden sowie durch seine weiteren Mitglieder Kommerzialräte Dr.Bauer, Dkfm. Dr.Grünwald, Dr.Lettner, Dr.Placek, Dr.Reindl und Dr.Schwarz in der Kartellrechtssache des Antragstellers Ö*** A***, Wien 4., Prinz

Eugen Straße 20-22, wider die Antragsgegnerin A*** Gesellschaft m. b.H., Wien 1., Graben 16, vertreten durch Dr.Georg Legat, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufforderung zur Anzeige eines Bagatellkartells gemäß § 57 f KartG 1988 infolge Rekurses der Antragsgegnerin gegen den Beschluß der Stellvertreterin des Vorsitzenden des Kartellgerichtes beim Oberlandesgericht Wien vom 5. März 1990, Kt 1314/89-11, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und der ersten Instanz die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Der Ö*** A*** (§ 44 KartG 1988) stellte

gemäß §§ 57 und 58 KartG 1988 den Antrag, die Antragsgegnerin aufzufordern, 1. die hinterlegte Vertriebsbindung als Bagatellkartell anzuzeigen und 2.nachzuweisen, daß die Voraussetzungen gemäß § 16 KartG 1988 vorliegen. Er brachte vor, daß die hinterlegte Vertriebsbindung in Punkt 1.3. der Depotvereinbarung eine Gebietsbeschränkung enthalte. Gemäß § 17 Abs 3 KartG 1988 und der hiezu ergangenen Freistellungsverordnung vom 6.4.1989, BGBl 185 seien Gebietsbeschränkungen von der Freistellung nicht erfaßt. Die Antragsgegnerin habe nach ihren eigenen Angaben einen Marktanteil von weniger als 5 %. Sie wäre daher aufzufordern, ein Bagatellkartell anzumelden und zugleich ihren entsprechenden Marktanteil nachzuweisen. Berechnungsgrundlage für die Marktanteile sei der Umsatz an Depotkosmetik in Österreich. Unter Depotkosmetik werde eine über Parfümerien und Fachabteilungen von Kaufhäusern vertriebene Kosmetik verstanden. Ziel dieser Vertriebsart sei eine spezifische Beratung. Imagepflege und Präsentation der jeweiligen Marke. Von der Depotkosmetik unterscheide sich die Konsumkosmetik durch weniger intensive Beratung und Verkauf auch in Selbstbedienungsläden. Wäre der gesamte Kosmetikmarkt Berechnungsgrundlage für den Marktanteil der Antragsgegnerin, würde sich die Bagatelleigenschaft noch verstärken. Diese Ansicht sei aber unrichtig. Wegen der außergewöhnlichen Bedeutung des Prestiges, das der Depotkosmetik zukomme, sei diese für den Konsumenten durch Konsumkosmetik nicht substituierbar. Beide Waren deckten somit einen verschiedenen Bedarf, da ansonsten der Sinn des Vertriebssystems von Depotkosmetik in Frage gestellt wäre. Bei Vorliegen einer Gebietsbeschränkung seien somit die Voraussetzungen der §§ 57 und 58 KartG 1988 gegeben.

Mit dem angefochtenen Beschluß forderte die Stellvertreterin des Vorsitzenden des Kartellgerichtes beim Oberlandesgericht Wien die Antragsgegnerin gemäß §§ 57, 58 KartG 1988 auf, als Mitglied eines Bagatellkartells (§ 16 KartG 1988) binnen einem Monat ab Zustellung des Beschlusses des Kartells beim Kartellgericht beim Oberlandesgericht Wien anzuzeigen (in der Folge wurde diese Frist dahin abgeändert, daß sie erst mit Rechtskraft der den Antrag erledigenden Entscheidung zu laufen beginnt). Gleichzeitig wurde die Antragsgegnerin darüber belehrt, daß die Pflicht zur Einbringung der Anzeige unmittelbar die Kartellmitglieder treffe. Werde die Anzeigefrist versäumt, dann sei die weitere - auch nur teilweise - Durchführung des Kartells solange verboten, bis die Kartellmitglieder der Aufforderung nachkommen. Die verbotene Durchführung eines Kartells sei strafbar (§ 130 KartG 1988). Die Antragsgegnerin wurde ferner gemäß § 57 Abs 2 KartG 1988 über die Bestimmung des § 54 KartG 1988 belehrt.

Den weiteren Antrag des Ö*** A***,

die Antragsgegnerin auch zum Nachweis der Voraussetzungen des § 16 KartG 1988 aufzufordern, wies das Kartellgericht ab. Die Stellvertreterin des Vorsitzenden des Kartellgerichtes beim Oberlandesgericht Wien begründete ihren Beschluß mit dem Hinweis auf die §§ 57, 58 KartG 1988. Dem Antrag der Amtspartei sei gemäß § 57 Abs 2 KartG 1988 ohne Prüfung der tatsächlichen Voraussetzungen zu entsprechen. Die Vorschriften der §§ 60, 62 und 65 KartG 1988 seien in diesem Verfahren nicht anzuwenden. Dem Kartellgericht sei es damit verwehrt, vor Erlassung der Aufforderung zur Anzeige des Bagatellkartells weitere Erhebungen durchzuführen, in deren Rahmen die Parteien etwa zu weiteren Angaben oder zur Vorlage von Urkunden aufgefordert werden könnten. Die Aufforderung zur Anzeige des Bagatellkartells sei vielmehr allein auf Grund des Antrags einer Amtspartei vom Vorsitzenden des Kartellgerichtes zu erlassen. Sollten die Kartellmitglieder dieser Aufforderung nicht nachkommen, sei kein weiteres Verfahren vor dem Kartellgericht vorgesehen. Wenn sich die zur Anzeige aufgeforderten Personen nicht in das Verfahren einlassen wollten (weil sie etwa der Meinung seien, daß kein Kartell vorliege), entstünden ihnen keine Kosten und, wenn tatsächlich kein Kartell vorliege, auch keine sonstigen Nachteile; andererseits könnten sie auch von der weiteren Durchführung eines Kartells Abstand nehmen. Die Frage, ob tatsächlich ein Bagatellkartell vorliege, könne in einem solchen Fall nur vor dem Strafgericht geklärt werden.

Punkt 2. des Antrages setze die Anzeige eines Bagatellkartells voraus. Da eine solche nicht erfolgt sei, sei dieser Teil des Antrages als verfrüht gestellt abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der durch einen gewählten Rechtsanwalt vertretenen Antragsgegnerin mit den Anträgen, die Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Antrages abzuändern oder aufzuheben und die Sache zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Kartellgericht zurückzuverweisen; eventuell möge das Kartellobergericht beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 B-VG den Antrag stellen, § 57 Abs 2 erster Satz KartG 1988 iVm § 58 KartG 1988 als verfassungswidrig aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst war die Zulässigkeit des Rekurses zu prüfen. Gemäß § 43 KartG 1988 entscheiden das Kartellgericht und das Kartellobergericht in Angelegenheiten nach diesem Bundesgesetz im Verfahren außer Streitsachen. Nach § 9 Abs 1 AußStrG kann Rekurs erheben, wer sich durch die Verfügung der ersten Instanz über einen Gegenstand der Gerichtsbarkeit außer Streitsachen beschwert erachtet. Voraussetzung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist daher ein schlüssig behaupteter Eingriff in die geschützte Rechtssphäre (SZ 42/176; SZ 50/41 ua). Unter einer anfechtbaren Verfügung ist eine auf die Erzeugung von Rechtswirkungen gerichtete prozessuale Willenserklärung des Gerichtes zu verstehen, deren Abänderung oder Aufhebung das dagegen erhobene Rechtsmittel bezweckt. Bei der Beurteilung dieser Voraussetzungen ist kein kleinlicher Maßstab anzulegen. Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist vielmehr mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung nur dort abzulehnen, wo die Rechtsstellung des Beteiligten nicht gefährdet ist (SZ 50/41 mwN).

Durch den angefochtenen Beschluß wird die Rechtsstellung der Antragsgegnerin verändert; sie wird hiedurch auch - sollte tatsächlich ein Bagatellkartell vorliegen - beschwert. Bis zum Ablauf der gesetzten Frist durfte die Antragsgegnerin nämlich gemäß § 18 Abs 1 Z 1 KartG 1988 ein allenfalls bestehendes Bagatellkartell auch ohne Anzeige durchführen. Nach fruchtlosem Verstreichen der im angefochtenen Beschluß gesetzten Frist wäre ihr jedoch die auch nur teilweise weitere Durchführung gemäß § 57 Abs 2 KartG 1988 iVm § 58 KartG 1988 sogar unter strafgerichtlicher Sanktion (§ 130 Abs 1 KartG 1988) verboten.

Der Rekurs ist daher zulässig.

Die Erhebung des vorliegenden Rekurses durch einen gewählten Rechtsanwalt statt eines Kartellbevollmächtigten war erlaubt. Die von der Stellvertreterin des Vorsitzenden des Kartellgerichtes gemäß § 57 Abs 2 KartG 1988 iVm § 58 KartG 1988 in den Beschluß aufgenommene Belehrung über die Bestimmung des § 54 KartG 1988 - wonach sich die Kartellmitglieder vor dem Kartellgericht und dem Kartellobergericht durch einen im Inland wohnhaften Kartellbevollmächtigten vertreten lassen müssen - gilt noch nicht für das Rechtsmittelverfahren über die Aufforderung durch das Kartellgericht zur Anzeige, weil hier noch keine Gemeinschaftsrechte auszuüben sind oder betroffen werden (siehe die Möglichkeit, gemäß § 57 Abs 1 KartG 1988 ohne Bestellung eines Kartellbevollmächtigten um Fristverlängerung anzusuchen; vgl auch § 54 Abs 2 KartG 1988 und Jelinek in ÖBl 1968, 25 Ä28Ü).

Der Rekurs ist auch berechtigt.

Bei der im Außerstreitverfahren gebotenen allseitigen rechtlichen Überprüfung des angefochtenen Beschlusses (SZ 22/101; SZ 37/116; EF 37.247) ist wahrzunehmen, daß der bekämpfte Auftrag der Stellvertreterin des Vorsitzenden des Kartellgerichtes dem § 57 Abs 1 KartG 1988 (hier: iVm § 58 KartG 1988) schon formell nicht entspricht. Gemäß § 57 Abs 1 KartG 1988 sind die Mitglieder von Wirkungs- und Verhaltenskartellen, die kein Bagatellkartell sind, aufzufordern, binnen einem Monat beim Kartellgericht die Genehmigung des Kartells zu beantragen. Gemäß § 58 KartG 1988 gilt § 57 für Bagatellkartelle mit der Maßgabe, daß deren Mitglieder aufzufordern sind, das Kartell dem Kartellgericht anzuzeigen. Nach diesen klaren Gesetzesbestimmungen kann die Aufforderung nicht wirksam allein an ein angebliches Mitglied eines Bagatellkartells (Wirkungs- und Verhaltenskartells) gerichtet werden. Eine solche Aufforderung wäre auch sinnwidrig. Dem einzelnen Aufgeforderten wäre zwar sodann die weitere Durchführung des Kartells untersagt (§ 57 Abs 3 KartG 1988 iVm § 58 KartG 1988), nicht aber allen übrigen möglichen Mitgliedern. Nach § 57 Abs 2 KartG 1988 genügt nur die Zustellung der - an alle (bekannten) Mitglieder des Kartells gerichteten - Aufforderung an ein einzelnes Kartellmitglied. Diese Vorgangsweise ist zwar auch nicht immer zielführend, weil sich ein Kartellmitglied, dem kein Verschulden an einer weiteren Durchführung des Kartells vorgeworfen werden kann (etwa infolge nicht einmal fahrlässiger Unkenntnis der Aufforderung), nicht nach § 130 KartG 1988 strafbar macht; die Bestimmung mag aber bei vermuteten Wirkungs-, Verhaltens- und Bagatellkartellen großen Umfangs und häufig wechselnden Teilnehmern ihren Sinn haben. Im allgemeinen ist jedoch auch die Zustellung an alle bekannten Kartellmitglieder zu empfehlen.

Das Erstgericht wird daher den vorliegenden Antrag der Amtspartei Ö*** A*** zunächst dahin zu

prüfen haben, welche gerichtsbekannten oder von dieser Amtspartei namhaft gemachten Mitglieder des angeblichen Bagatellkartells iS der §§ 57, 58 KartG 1988 zur Anzeige des Kartells aufzufordern sind. Auf die weiteren, im Rekurs angeschnittenen Rechtsfragen zur Zulässigkeit dieses Auftrages ist vorläufig nicht einzugehen, um die übrigen möglichen Antragsgegner nicht zu präjudizieren. Die Entscheidung der ersten Instanz ist daher aufzuheben.

Anmerkung

E20944

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:000OKT00034.9.0705.000

Dokumentnummer

JJT_19900705_OGH0002_000OKT00034_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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