TE OGH 1990/7/10 4Ob104/90

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Veröffentlicht am 10.07.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** G*** U*** W***,

Wien 4., Schwarzenbergplatz 14, vertreten durch Dr.Walter Prunbauer und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei M-P*** Warenvertriebs-Gesellschaft mbH, Völs, Landesstraße 16, vertreten durch Dr.Ernst Offer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert S 320.000), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 29.März 1990, GZ 1 R 87/90-23, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 2.Jänner 1990, GZ 12 Cg 91/89-17, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 21.537 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 3.589,50 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte betreibt in einer großen Anzahl von Filialen in Tirol in Form von "Märkten" ua den Einzelhandel mit Lebens- und Genußmitteln sowie Drogeriewaren. In der "Tiroler Tageszeitung" vom 3.2.1989 kündigte sie "Pampers aller Sorten" zu einem Preis von

S 139,90 je Packung an; tatsächlich verkaufte sie "Pampers"-Windeln auch zu diesem Preis, so am 10.2.1989 an Martin S***. Der klagende Schutzverband begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen,

a) Windeln, insbesondere "Pampers" (alle Sorten), zum oder unter dem Einstandspreis zuzüglich der Umsatzsteuer und aller sonstigen Abgaben, die beim Verkauf anfallen, zu verkaufen oder zum Verkauf anzubieten;

b) in eventu: als Wiederverkäufer von Lieferanten bei Vorliegen gleicher Voraussetzungen ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedliche Bedingungen, insbesondere Rabatte oder Sonderkonditionen ohne entsprechende Gegenleistung, zu fordern oder anzunehmen.

Außerdem stellt der Kläger ein Veröffentlichungsbegehren. Da der billigst-mögliche Einstandspreis für "Pampers"-Windelpackungen bei ca S 136 liege, woraus sich bei Berücksichtigung der Umsatzsteuer von 20 % ein Preis von S 163 ergebe, habe die Beklagte unter Verletzung des § 3 a Abs 1 NVG unter ihrem Einstandspreis verkauft und damit gegen die guten Sitten im Wettbewerb (§ 1 UWG) verstoßen. Aus der Preisliste der Firma P*** & G*** ergebe sich unter Berücksichtigung von 2 % Skonto ein Einkaufspreis von S 140,82 als niedrigst-möglicher Großhandelspreis; zur Ermittlung des zulässigen Verkaufspreises seien 20 % Umsatzsteuer hinzuzurechnen. Auch die Großhandelseinstandspreise der Mitbewerber der Beklagten lägen bei rund S 140, selbst bei Direktimport nicht unter S 136; das ergebe zuzüglich der Umsatzsteuer ebenfalls einen Verkaufspreis von weit über S 139,90. Soweit die Beklagte die Einräumung eines "Aktionsrabattes zur Abwehr von Maßnahmen von Mitbewerbern" geltend mache, läge darin eine unsachliche Diskriminierung und damit ein Verstoß gegen § 2 NVG oder eine gegen § 1 NVG verstoßende Rabattgewährung ohne entsprechende Gegenleistung.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Sie sei im Vergleich zu anderen Handelsunternehmungen und Handelsketten höchstens als Mittelbetrieb zu bezeichnen. Da sie wie alle Handelsketten vom Image eines "Billig"-Handels lebe, müsse sie auf Billigangeboten von Konkurrenten sofort reagieren. Jeder Wiederverkäufer müsse von Lieferanten und Erzeugern möglichst hohe Nachlässe und Rabatte verlangen. So habe die Beklagte von ihrem Großhandelslieferanten neben den zulässigen Rabatten und Bonifaktionen auch einen Aktionsrabatt zur Abwehr von Maßnahmen ihrer Mitbewerber erhalten; damit sei sichergestellt, daß sie ihre Preise unter Einhaltung des § 3 a Abs 1 NVG jeweils an die Preise der Mitbewerber anpassen könne. Sollte sich aber herausstellen, daß die von der Beklagten erlangten Preisnachlässe unzulässig seien, so wäre die Beklagte dennoch berechtigt, gemäß § 3 a Abs 2 NVG ihre Preise an jene der Mitbewerber nach den Grundsätzen einer ordentlichen kaufmännischen Gebarung anzupassen. Mehrere Mitbewerber - Z***, S*** und D*** (dm) - hätten

gleichzeitig oder kurz vor dem Februar 1989 "Pampers"-Packungen zum Preis von S 139 bis 139,90 angeboten.

Der Erstrichter wies das Klagehauptbegehren ebenso ab wie das Eventualbegehren. Er stellte fest:

Zu welchem Preis und von welchem Lieferanten die Beklagte die "Pampers"-Windeln eingekauft hat, ist nicht feststellbar, ebensowenig, ob die Beklagte diese Windeln zum oder unter dem Einstandspreis verkauft hat. Sie hat im übrigen den Preis von S 139,90 nicht in jeder Filiale angeboten, sondern nur in ihrer Filiale im Innsbrucker DEZ, weil dort die Konkurrenz mit anderen Unternehmen am größten ist. Das DEZ ist ein großes Einkaufszentrum im Osten der Stadt Innsbruck.

Der TOP-Markt in Schwaz hatte am 22.9.1988 "Pampers"-Windeln als "Supereröffnungsangebote" zu einem Preis von S 149,90, die Firma S*** in der "Tiroler Tageszeitung" vom 5.9, 4.10., 7.11. und 5.12.1988 solche Windeln zu einem Preis von S 139,90 angeboten; auch die Firma F***-D*** hatte "Pampers"-Windeln zum Preis von S 139,90 angeboten, und zwar am 12.1.1989, am 19.1.1989 und in einem für die Zeit vom 9. bis 21.1.1989 gültigen Flugblatt. Die Firma D*** (dm) bot im Jänner und Februar 1989 in Flugblättern "Pampers"-Windeln zum Preis von S 139 an. Die Handelskette "S***" hatte in einem Flugblatt in Oberösterreich "Pampers"-Windeln im Rahmen einer ab 19.1.1989 gültigen Aktion gleichfalls zum Preis von S 139,90 angekündigt. Anfang Februar 1989 stellte der Geschäftsführer der Beklagten Mag.Anton M*** in der S***-Filiale in Innsbruck, Andechsstraße 53, fest, daß dort auf einer großen Tafel der Preis der gleichen "Pampers"-Windelpackung mit S 139,90 angeschrieben war.

Im Hinblick auf all diese Preisangebote der Mitbewerber trat der Geschäftsführer der Beklagten Dipl.Vw.Hans-Jörg M*** mit seinem Lieferanten, dessen Namen er nicht nennen wollte und der somit auch nicht feststellbar war, in Verhandlungen, damit auch die Beklagte, um konkurrenzfähig zu bleiben, die "Pampers"-Windeln um S 139,90 anbieten könne. Der Lieferant gewährte ihm einen zusätzlichen Aktionsrabatt, wenn auf Grund der Marktgegebenheiten, insbesondere der Preise der wesentlichen Mitbewerber, der Absatz der Ware gefährdet erschien. Die Beklagte hatte vom Lieferanten im vorhinein einen solchen Aktionsrabatt zugesagt erhalten; sie nahm ihn auf Grund der mit dem Lieferanten im vorhinein getroffenen Vereinbarung auch tatsächlich in Anspruch. Erst durch diesen Aktionsrabatt war es der Beklagten möglich, die "Pampers"-Windeln zu einem Preis von S 139,90 je Packung zu verkaufen.

Im September 1988 hatte bei der Handelskammer Innsbruck im Rahmen des Gremiums des Einzelhandels mit Nahrungs- und Genußmitteln eine Besprechung der wesentlichen Mitbewerber der Beklagten stattgefunden. Dabei waren sowohl der Geschäftsführer der Beklagten Dipl.Vw.Hans-Jörg M*** als auch der Direktor der S***-Zentrale in Wörgl, Herr P***, anwesend gewesen. Direktor P*** hatte damals erklärt, daß sich der S***-Konzern streng an die Bestimmungen des Nahversorgungsgesetzes halten und selbst oder über die Schutzverbände allfällige Verstöße von Mitbewerbern gegen dieses Gesetz unverzüglich verfolgen werde. Auf Grund dieser Erklärung Direktor P*** nahmen die Geschäftsführer der Beklagten an, daß der Preis von S 139,90 für "Pampers"-Windeln auf jeden Fall zulässig sei und über dem Einkaufspreis der anderen Mitbewerber, insbesondere des S***-Konzerns, liege, welcher ja selbst am 19.1.1989 in Oberösterreich diese Windeln zum gleichen Preis angeboten hatte. Der Normalpreis für "Pampers"-Windeln lag bei rund S 168. Rechtlich meinte der Erstrichter, es sei hier nicht erforderlich, daß der Kläger die handelsüblichen Großhandelspreise und die darauf üblicherweise gewährten Nachlässe beweist, liege doch in jedem Fall der Ausnahmetatbestand des § 3 a Abs 2 Z 4 NVG vor. Die Beklagte habe ihre Preise an jene der Mitbewerber angepaßt, sie jedoch nicht unterschritten. Daß ihre Mitbewerber diese Preise offenbar zulässigerweise gefordert hätten, brauche die Beklagte nicht zu beweisen; vielmehr genüge der Anschein der Zulässigkeit, welcher dann gegeben sei, wenn der vom Mitbewerber begehrte Preis nicht auffallend unter dem Durchschnitsniveau der Marktpreise liegt. Es gebe keinen Hinweis auf eine Bösgläubigkeit der Beklagten; eine solche habe der Kläger weder behauptet noch bewiesen. Da auch diejenigen Unternehmen, welche die "Pampers"-Windeln gleichfalls um einen Preis von weniger als S 168 angeboten hatten, offenbar einen entsprechenden Rabatt bekommen hätten, könne auch die Rabattgewährung an die Beklagte nicht als rechtswidrig (§§ 1 und 2 NVG) angesehen werden; das Eventualbegehren sei daher gleichfalls nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück; es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000 übersteige, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig und das Verfahren in erster Instanz erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen sei. Das Verfahren in erster Instanz sei schon deshalb mangelhaft geblieben, weil der Erstrichter die vom Kläger zum Beweis der allgemeinen Marktgegebenheiten, also des üblichen Großhandelseinstandspreises für die "Pampers"-Windeln, beantragten Beweise nicht aufgenommen habe. Entsprechende Feststellungen seien auch zur Beurteilung des Ausnahmetatbestandes nach § 3 a Abs 2 Z 4 NVG erforderlich: Die Beklagte habe zwar einen Anscheinsbeweis dafür erbracht, daß ihre Mitbewerber auf dem Markt den Preis von rund S 140 für "Pampers"-Windel-Packungen zulässigerweise gefordert hätten, weil das im fraglichen Zeitraum eine Mehrzahl von Unternehmen getan habe, ohne daß Gegenmaßnahmen des Klägers oder anderer Konkurrenten bekannt geworden wären, obwohl Direktor P*** von der S***-Organisation angekündigt hatte, diese werde sich streng an das Nahversorgungsgesetz halten und Verstöße dagegen bekämpfen. Nun habe der Kläger zu beweisen, daß die Beklagte die Unzulässigkeit der Preisforderungen ihrer Mitbewerber gekannt habe oder aus den Umständen hätte erkennen können; diese Beweisführung sei ihr aber durch Nichtaufnahme der hiefür angebotenen Beweise unterbunden worden. Gleichzeitig werde zu klären sein, welche allgemeinen Marktgegebenheiten bestünden und ob daraus ein Verkauf der Beklagten unter dem Einstandspreis mit hoher Wahrscheinlichkeit nachweisbar ist. Sollte dem Kläger diese Beweisführung gelingen, dann werde das Erstgericht mit der Beklagten zu erörtern haben, ob diese nun bereit sei, ihren Einkaufspreis offenzulegen und den entsprechenden Nachweis zu erbringen, also ihr Geschäftsgeheimnis zu lüften. Die Prüfung einer rechtswidrigen Gewährung von Rabatten werde erst dann möglich und notwendig sein, wenn der Kläger den ihm obliegenden Beweis der allgemeinen Marktgegebenheiten und der sich daraus ergebenden Unzulässigkeit der von der Konkurrenz geforderten Niedrigpreise, die Beklagte aber ihrerseits den Gegenbeweis erbracht habe, daß sie unter Berücksichtigung aller Rabatte und sonstigen Preisnachlässe nicht unter ihrem Einstandspreis Waren verkauft oder zum Verkauf angeboten habe. Erst nach Offenlegung der Preisbildung werde es dem Kläger möglich sein, ein konkretes Vorbringen zur Zulässigkeit der einzelnen preismindernden Komponenten zu erstatten. Im Hinblick auf die aufgezeigten Feststellungsmängel müsse mit einer Aufhebung vorgegangen werden.

Der von der Beklagten in der Berufungsbeantwortung geltend gemachte Rechtsmittelverzicht des Klägers liege nicht vor; der Kläger habe nur irrtümlich am 25.1.1990 die ihm vom Ersturteil auferlegten Prozeßkosten der Beklagten überwiesen, schon mit Schreiben vom 9.2.1990 aber auf diesen Irrtum hingewiesen und in der Folge das Geld zurückerhalten.

Gegen diesen Beschluß wendet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Ersturteil wiederherzustellen, hilfsweise dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung des Klägers aufzutragen.

Der Kläger beantragt in seiner "Revisionsrekursbeantwortung" (richtig: Rekursbeantwortung ħ 519 Abs 1 Z 2, § 521 a Abs 1 Z 3 ZPOÜ), den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig. Gerade auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechtes kann eine erhebliche Rechtsfrage auch dann vorliegen, wenn - wie hier - zu unbestimmten Rechtsbegriffen zwar schon allgemeine, von der Rechtsprechung entwickelte Leitsätze bestehen, die konkrete Lösung des zu entscheidenden Falles sich aber daraus nicht ohne weiteres ergibt, sondern wegen Fehlens von Vorentscheidungen mit weitgehend gleichartigen Sachverhalten ein sorgfältiger Vergleich mit den bisher entschiedenen, nur ähnlichen Fällen vorgenommen werden muß. Im Wettbewerbsrecht kann daher der Oberste Gerichtshof seiner Leitfunktion nur dann gerecht werden, wenn er nicht nur die richtige Wiedergabe von Leitsätzen der Judikatur, sondern überall dort, wo es nach der Lage des Falles die Rechtssicherheit, die Rechtseinheit oder die Rechtsentwicklung fordern, auch die richtige Konkretisierung der in Betracht kommenden unbestimmten Gesetzesbegriffe prüft (ÖBl 1984, 48; ÖBl 1985, 51; ÖBl 1989, 144 uva).

Der Rekurs ist auch berechtigt.

Soweit die Beklagte weiter daran festhält, daß der Kläger durch die Zahlung der ihm im Ersturteil auferlegten Prozeßkosten außergerichtlich schlüssig auf Rechtsmittel gegen dieses Urteil verzichtet habe, kann ihr allerdings nicht gefolgt werden:

Gemäß § 472 Abs 1 ZPO ist eine Berufung ua dann unzulässig, wenn der Berufungswerber auf die Berufung gültig Verzicht geleistet hat. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung kann ein Rechtsmittelverzicht nicht nur in einer Verhandlung vor Gericht (§ 208 Abs 1 Z 1 ZPO) oder durch einen Schriftsatz im Sinne der §§ 74, 80 Abs 1 ZPO erklärt werden; vielmehr kann auf die Berufung auch außergerichtlich verzichtet werden (Neumann, Kommentar4, 1283; Fasching IV 86 und LB, Rz 1703; SZ 24/29; EvBl 1975/50; EvBl 1980/179 ua). Ein Rechtsmittelverzicht muß jedoch immer ausdrücklich erfolgen; eine bloß schlüssige Verzichtserklärung reicht zur Annahme eines wirksamen Rechtsmittelverzichtes nicht aus (Fasching aaO; SZ 24/29; JBl 1959, 322; EvBl 1975/50 ua). Der bloßen Zahlung von Prozeßkosten kommt daher nicht die Bedeutung eines Rechtsmittelverzichtes zu (Fasching aaO; SZ 24/29; JBl 1959, 322). Die Beklagte mißversteht die Entscheidung JBl 1959, 322, wenn sie meint, daß es danach wesentlich sei, ob der Rechtsmittelschriftsatz vor oder nach der Zahlung der Kosten verfaßt worden ist. Der Oberste Gerichtshof hat vielmehr in dieser Entscheidung nur ausgeführt, daß die Annahme eines Rechtsmittelverzichtes im technischen Sinne (§§ 472, 513 ZPO) deshalb ausscheide, weil das von der Rechtsmittelgegnerin als Rechtsmittelverzicht gedeutete Verhalten in eine Zeit gefallen sei, da die Revision bereits erhoben worden war; es käme daher nur eine Rechtsmittelrücknahme in Frage, welche aber gleichfalls einer ausdrücklichen Erklärung bedurft hätte. Darauf, ob das Rechtsmittel zur Zeit der Zahlung der Prozeßkosten schon verfaßt war, hat jedoch der Oberste Gerichtshof nicht abgestellt. Mit Recht hat daher das Berufungsgericht mangels einer entsprechenden ausdrücklichen Erklärung einen Rechtsmittelverzicht des Klägers verneint ohne zu prüfen, ob die Berufung vor oder nach dem 25.1.1990 geschrieben wurde.

Zuzustimmen ist der Beklagten jedoch darin, daß die Rechtssache entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes bereits spruchreif ist:

Die vom Erstrichter getroffene Feststellung, die Beklagte habe von ihrem Lieferanten einen Aktionsrabatt erhalten, der es ihr möglich gemacht habe, die "Pampers"-Windeln um S 139,90 je Packung zu verkaufen, kann allerdings nicht dahin verstanden werden, daß die Beklagte diese Windeln jedenfalls über ihrem Einstandspreis verkauft habe, hat doch der Erstrichter ausdrücklich erklärt, es sei nicht feststellbar, ob die Beklagte die Windeln zum oder unter dem Einstandspreis verkauft habe. Darin muß kein Widerspruch liegen, kann doch die zuerst genannte Feststellung auch dahin verstanden werden, daß die Beklagte durch den Aktionsrabatt wirtschaftlich in die Lage versetzt worden sei, die Windeln zu dem beanstandeten Preis zu verkaufen, weil sich ihr Verlust dabei in erträglichen Grenzen gehalten habe. Schon auf Grund der von den Berufungsausführungen des Klägers nicht berührten (§ 498 Abs 1 ZPO) Feststellungen des Ersturteils muß aber unabhängig davon, wie hoch der für "Pampers"-Windeln übliche Einstandspreis vergleichbarer Mitbewerber und der tatsächliche Einstandspreis der Beklagten war, das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes nach § 3 a Abs 2 Z 4 NVG bejaht werden:

Nach § 3 a Abs 2 NVG sind die Bestimmungen des Abs 1 - über das Verbot des Verkaufes zum oder unter dem Einstandspreis - nicht anzuwenden, wenn die Preiserstellung nach den Grundsätzen einer ordentlichen kaufmännischen Gebarung gerechtfertigt ist; das ist nach Z 4 dieser Gesetzesstelle insbesondere dann der Fall, wenn die Preiserstellung in Anpassung an die von Mitbewerbern offenbar zulässigerweise geforderten Preise erfolgt ist. Wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat (ÖBl 1989, 167), kann mit dieser Wendung nicht gemeint sein, daß die Rechtmäßigkeit der von den Mitbewerbern geforderten niedrigeren Preise "evident" sein, also objektiv außer jedem Zweifel stehen, müßte, wäre doch die Bestimmung dann praktisch unanwendbar, weil der Unternehmer in aller Regel die Einkaufsbedingungen seiner Mitwerber nicht kennt und selbst dann, wenn alle Mitbewerber die betreffende Ware vom selben Lieferanten (oder Erzeuger) beziehen, nicht davon ausgehen muß, daß der Lieferant den Mitbewerbern gleiche Abnahmebedingungen im Sinne des § 2 Abs 1 NVG gewährt hat, zumal nicht jeder individuell gewährte Preisnachlaß gegen § 2 NVG verstößt. Erkennbar ist für den Unternehmer in der Regel nur, ob und wie weit der von dem am billigsten anbietenden Mitbewerbern geforderte Preis unter dem durchschnittlichen Preisniveau aller Unternehmen mit vergleichbarer Unternehmensstruktur liegt und welche Relation zu seinen eigenen Einkaufsbedingungen besteht. Liegt der von den Mitbewerbern geforderte Preis, an den sich der Unternehmer anpassen will, nicht auffallend unter dem genannten Durchschnittsniveau, so wird der Unternehmer mangels gegenteiliger Kenntnisse davon ausgehen dürfen, daß es sich um einen "offenbar zulässigerweise" geforderten Preis handelt. "Offenbar" ist dabei als "anscheinend" oder "vermutlich" zu lesen; der "offenbar zulässigerweise geforderte Preis" ist jener, der aus der Sicht des Anpassenden noch den Anschein eines zulässigen Vorbildpreises für sich hat (im gleichen Sinn Fitz-Roth, Verkauf unter dem Einstandspreis, zur Auslegung und Kritik des § 3 a NahversorgungsG, RdW 1989, 241 Ä253Ü). Ist ein solcher Preis anzunehmen, dann ist es Sache des Klägers zu beweisen, daß der Beklagte gewußt hat, daß der (die) betroffene(n) Mitbewerber - hier genügt bereits einer (Fitz-Roth aaO 253; Prunbauer in MR 1989,

123) - den Preis nicht "zulässigerweise" gefordert hat (haben) oder dem Beklagten wenigstens Umstände bekannt waren oder bekannt sein mußten, aus denen darauf zu schließen war.

Legt man aber diese rechtliche Beurteilung zugrunde, dann bedarf es der vom Berufungsgericht vermißten Beweisaufnahme nicht. Selbst wenn nämlich die vom Kläger behaupteten Großhandelseinstandspreise der S*** Österreichischen Warenhandels AG und der A*** (S 239) festgestellt worden wären, hätte dies zu keinem anderen Ergebnis geführt. Wie der Kläger selbst errechnet hat, beträgt der Unterschied zwischen den angeblichen Nettoeinkaufspreisen der genannten Handelsketten und dem Einkaufspreis, der einen Verkauf um S 139,90 gerade noch rechtfertigen könnte, rund 17 %. Mag auch diese Preisdifferenz für sich allein nicht ganz unbedeutend sein, so mußte sie doch unter den hier gegebenen Umständen der Beklagten nicht bedenklich erscheinen: Aus der Tatsache, daß eine größere Zahl von Handelsketten, darunter auch die Firma S***, den Preis von S 139,90 für "Pampers"-Windeln verlangt hatte, konnte die Beklagte schließen, daß der Lieferant (oder Erzeuger), um seinen Bekanntheitsgrad zu steigern und den Absatz zu erweitern, besonders günstige Preise oder Preisnachlässe gewähre; darin mußte sie auch der Umstand bestärken, daß auch sie selbst von diesem Lieferanten einen entsprechenden Aktionsrabatt erhalten hatte. Auch wenn dieser Rabatt nicht eine Höhe erreicht haben sollte, daß dadurch der Einstandspreis der Beklagten unter (brutto) S 139,90 gedrückt worden wäre, konnte die Beklagte es doch für möglich halten, daß größere Abnehmer noch bessere Konditionen erlangt haben könnten. Zutreffend haben daher die Vorinstanzen ausgeführt, daß die Beklagte den Anscheinsbeweis dafür erbracht hätte, ihre Mitbewerber hätten diesen niedrigeren Preis zulässigerweise gefordert. Daß aber die Beklagte gewußt habe, daß alle ihre Mitbewerber, die nur S 139,90 verlangten, damit gegen das Gesetz verstießen, hat der Kläger nicht unter Beweis gestellt. Da die Beklagte aber aus den von ihm vorgebrachten

Umständen - nämlich dem üblichen Einstandspreis - nicht auf die Unzulässigkeit dieses Preises schließen mußte, hat der Erstrichter mit Recht das Klagehauptbegehren abgewiesen; der vom Berufungsgericht geforderten Verfahrensergänzung bedarf es nicht. Aber auch das auf eine Verletzung der §§ 1 und 2 NVG gestützte Eventualbegehren ist nicht berechtigt. Wie vom Obersten Gerichtshof schon im Provisorialverfahren ausgeführt wurde, muß die rechtliche Unzulässigkeit auch bei ungewöhnlichen Preisnachlässen für jeden Einzelfall konkret behauptet und nachgewiesen werden (Fitz-Roth aaO 252; ÖBl 1989, 174). Dazu hat aber der Kläger lediglich vorgebracht, daß der von der Beklagten behauptete "Aktionsrabatt zur Abwehr von Maßnahmen von Mitbewerbern" eine unsachliche Diskriminierung (§ 2 NVG) sowie das rechtswidrige Fordern und/oder Annehmen von Rabatten ohne entsprechende Gegenleistung (§ 1 NVG) bedeute; ein anderes Unternehmen - die Firma W*** & D*** - habe trotz ausdrücklichen Verlangens von der Firma P*** & G*** keinen gleichartigen Rabatt erhalten (S 240). Aus diesen Tatsachen läßt sich jedoch ein Verstoß gegen § 1 Abs 2 NVG nicht ableiten. Daß der der Beklagten nach den Feststellungen gewährte Aktionsrabatt sachlich nicht gerechtfertigt gewesen wäre, trifft nicht zu, sollte doch die Beklagte damit in die Lage versetzt werden, mit den günstigen Preisangeboten besonders starker Konkurrenten mitzuhalten; daß seine Abnehmerin, die immerhin eine große Anzahl von Filialen unterhält, wirtschaftlich lebensfähig bleibt und insbesondere ihren Absatz von "Pampers"-Windeln aufrechterhalten (oder gar erweitern) kann, mußte auch im Interesse des Lieferanten liegen. "Entsprechende Gegenleistungen" müssen nur "zusätzlichen Leistungen" - also etwa einem Werbekostenzuschuß (vgl SZ 56/9) - gegenüberstehen, nicht aber Rabatten, könnte doch andernfalls von einem Preisnachlaß in Wahrheit nicht gesprochen werden.

Der Kläger hat aber auch die Tatbestandsmerkmale des § 2 NVG nicht konkret behauptet, geschweige denn bewiesen: Da nicht feststeht, wer die Beklagte mit "Pampers"-Windeln beliefert hat, kann auch nicht gesagt werden, daß der Lieferant seinen Abnehmern trotz Vorliegens gleicher Voraussetzungen ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedliche Bedingungen gewährt (§ 2 Abs 1 NVG) und die Beklagte solche Bedingungen gefordert und angenommen hätte (§ 2 Abs 2 NVG).

Die von der Beklagten in allen drei Instanzen geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §§ 1 und 2 NVG vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu teilen. Richtig ist, daß beide Bestimmungen "geradezu übersät mit (sehr) unbestimmten Gesetzesbegriffen und (sehr) allgemeinen Umschreibungen" sind (Barfuß, Das Bundesgesetz zur Verbesserung der Nahversorgung und der Wettbewerbsbedingungen Ä"NVG"Ü in ÖZW 1978, 10 ff Ä11Ü). Die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe ist aber nicht schlechthin verfassungswidrig; solche Begriffe, die zwar kein freies Ermessen, aber immerhin einen gewissen Spielraum bei der Ermittlung der konkreten Lösung ergeben, sind vielmehr verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern sie einen so weit bestimmbaren Inhalt haben, daß der Rechtsunterworfene sein Verhalten danach einrichten kann, sie also noch eine Prüfung am Gesetzesinhalt ermöglichen (VfSlg 6477, 7907 uva). Solche Begriffe haben einen objektiven und nach objektiven Kriterien zu ermittelnden Sinn, indem sie auf Maßstäbe und Vorstellungen Bezug nehmen, die sich in bestimmten Lebens- und Sachbereichen herausgebilet haben; sie sind nach solchen Maßstäben auszulegen (VwSlgNF 2932 A ua). Diese Voraussetzungen treffen aber auf die hier vom Gesetzgeber verwendeten Begriffe - wie "sachliche Rechtfertigung" oder "entsprechende Gegenleistung" - zu; es ist Sache der Rechtsprechung, diese unbestimmten Rechtsbegriffe zu konkretisieren. Der Rechtsunterworfene kann dann aber auch diese Normen - ebenso wie etwa Bestimmungen, die auf die guten Sitten Bezug nehmen (§ 879 Abs 1 ABGB, § 1 UWG ua) oder von "angemessenem Entgelt" sprechen (§ 1152 ABGB uva) - einhalten. Daß der Wiederverkäufer oftmals - wie die Beklagte darlegt (S 139 f) - die Tatumstände nicht kennt, die ihm erst eine Beurteilung der sachlichen Berechtigung seiner Forderung im Sinne der §§ 1 und 2 NVG ermöglichen würden, ist keine Folge der mangelnden Determinierung des Gesetzes; dieses Problem würde sich auch bei einer genaueren Umschreibung der Begriffe durch das Gesetz selbst ergeben. Daß es sachlich gerechtfertigt sein kann, einem Großabnehmer günstigere Konditionen einzuräumen als einem Klein- oder Mittelbetrieb, ist eine Folge der wirtschaftlichen Gegebenheiten, nicht aber einer unsachlichen Ungleichbehandlung durch das Gesetz; eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durch §§ 1 und 2 NVG ist daher nicht zu erkennen. Auch die Erwerbsfreiheit von Unternehmern, die aus rein wirtschaftlichen Gründen weniger günstig beliefert werden, wird durch diese Bestimmung nicht eingeschränkt. Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher nicht veranlaßt, einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof nach Art 89 Abs 2 B-VG zu stellen. Dem Rekurs war sohin Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen (§ 519 Abs 2 ZPO). Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E21393

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0040OB00104.9.0710.000

Dokumentnummer

JJT_19900710_OGH0002_0040OB00104_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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