Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Peter K***, geb. am 28. November 1970 infolge Revisionsrekurses des Vaters Wilhelm K***, Angestellter, Wien 21., Zukunftsweg 78/Haus 14, vertreten durch Dr. Gernot Nachtnebel, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. März 1990, GZ 44 R 156/90-92, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 5. Jänner 1990, GZ 2 P 46/75-87, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der Vater wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 9.3.1984, ON 43, zugunsten seines ehelichen Sohnes zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.500,-- verpflichtet. Mit Beschluß vom 27.2.1989, ON 75, setzte das Erstgericht den monatlich zu leistenden Unterhaltsbetrag wegen der vom Minderjährigen als Friseurlehrling bezogenen Lehrlingsentschädigung (von rund S 3.180) auf monatlich S 1.000 herab. Nunmehr befindet sich der Sohn im dritten Lehrjahr. Er bezieht eine Lehrlingsentschädigung einschließlich Trinkgeldern abzüglich Ausgaben für berufliche Weiterbildung von monatlich rund S 4.400 netto. Die Mutter ist Angestellte. Sie bezieht die Familienbeihilfe. Der Vater, der sonst für niemand sorgepflichtig ist, verdient als Angestellter monatlich rund S 26.500. Nunmehr beantragt der Vater, ihn ab 1.8.1989 von seiner Unterhaltsverpflichtung zur Gänze zu befreien. Die Lehrlingsentschädigung habe sich erhöht, der Minderjährige sei selbsterhaltungsfähig.
Das Erstgericht setzte den vom Vater zu leistenden Unterhalt ab 1.8.1989 auf monatlich S 600 herab.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für zulässig. Selbsterhaltungsfähig sei ein Kind erst dann, wenn es durch seine eigenen Einkünfte all jene Bedürfnisse abzudecken in der Lage sei, die bisher durch die Eltern einerseits durch Geld, andererseits durch Betreuungsleistungen abgegolten worden seien. Der Unterhaltsberechtigte lebe nach wie vor im Haushalt der Mutter und erhalte von dieser Betreuungsleistungen. Ein Unterhaltsbetrag des Vaters von S 600 monatlich sei als dessen Beitrag nach wie vor erforderlich. Die Familienbeihilfe sei in das Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten nicht einzurechnen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters ist nicht berechtigt. Nach § 140 Abs 3 ABGB mindert sich der Anspruch auf Unterhalt insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Alles, was dem Kind, sei es als Naturalleistungen oder an Geldleistungen welcher Art auch immer auf Grund eines Anspruches zukommt, ist nach § 140 Abs 3 ABGB bei der Unterhaltsbemessung oder bei der Beurteilung, ob das Kind bereits selbsterhaltungsfähig sei, zu berücksichtigen. Dieser Grundsatz erleidet nur insoweit eine Ausnahme, als bestimmte Einkünfte auf Grund gesetzlicher Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anrechenbar sind. Dazu zählt entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs die Familienbeihilfe. Sie stellt einen Einkommensbestandteil der das Kind betreuenden Person (hier der Mutter) dar. Sie mindert kraft gesetzlicher Anordnung (§ 12 a FamLAG) nicht den Unterhaltsanspruch des Kindes (Pichler in Rummel2 Rz 12 b zu § 140; Schlemmer-Schwimann, ABGB, Rz 98 zu § 140; Knoll in ÖA 1985,66). Ein gesetzliches Verbot der Anrechnung der Lehrlingsentschädigung auf den Unterhalt besteht hingegen nicht, die Lehrlingsentschädigung fällt damit unter jene Einkünfte, die nach § 140 Abs 3 ABGB zu berücksichtigen sind. Sie ist, soferne sie nicht als Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht bleibt, Eigeneinkommen des Kindes (3 Ob 547/90, 5 Ob 567/90; Pichler aaO Rz 11 a zu § 140).
Die Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung zuzüglich Trinkgeldern abzüglich berufsbedingter Ausgaben in der Höhe von monatlich rund S 4.400 führt aber nicht zum Erlöschen des Unterhaltsanspruches des Kindes wegen Selbsterhaltungsfähigkeit. Selbsterhaltungsfähig ist ein Kind dann, wenn es die zur Deckung seines Unterhaltes erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder auf Grund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande ist (Schlemmer-Schwimann aaO Rz 99 zu § 140). Selbsterhaltungsfähigkeit bedeutet die Fähigkeit zur angemessenen Bedürfnisdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushaltes (3 Ob 547/90, 10 Ob S 19/90; Pichler aaO Rz 12 zu § 140). Dort, wo der zu leistende Unterhaltsbetrag auf Grund des Einkommens des Unterhaltspflichtigen oder der ihn treffenden Sorgepflichten verhältnismäßig gering ist, bildet für die Beurteilung, ob Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen ist, die Mindestpensionshöhe nach § 293 Abs 1 lit a alinea bb ASVG (derzeit S 5.434, ab 1.7.1990 S 5.574) eine Orientierungshilfe (3 Ob 547/90, 10 Ob S 19/90). Liegt aber der vom Unterhaltspflichtigen wegen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erbringende Unterhaltsbetrag über diesem Richtsatz, soll das Kind auch während seiner beruflichen Ausbildungszeit an dem höheren Lebensstandard seiner Eltern angemessen teilnehmen, sodaß in diesem Fall der Unterhalt nur auf die Differenz der Unterhaltsleistung zum Eigeneinkommen des Kindes gemindert werden darf.
Da im vorliegenden Fall das Eigeneinkommen des Kindes zuzüglich des vom Vater zu leistenden Unterhaltsbetrages von S 600 nicht einmal die Mindestpensionshöhe erreicht, ist dem Revisionsrekurs der Erfolg zu versagen.
Anmerkung
E21338European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0010OB00594.9.0711.000Dokumentnummer
JJT_19900711_OGH0002_0010OB00594_9000000_000